9. Die närrische Frau des Holzhauers.

[123] Ein Holzhauer hatte eine Frau, die war närrisch. Er brachte Tag für Tag mit seinem Esel Holz nach Hause, und sie half ihm beim abladen. Unter andern Verrücktheiten, welche diese Frau begieng, nahm sie einmal, als ihr der Mann Garn zum weben gebracht hatte, dieses Garn und gieng hin und warf es den Fröschen im Teiche vor, damit sie das Gewebe machten. Nach einigen Tagen gieng sie hin, um zu sehen, ob es schon fertig sei, und dabei fand sie einen alten Schuh voller Goldstücke; sie trug ihn nach Hause und warf ihn sorglos in einen Winkel. Dann nahm sie eine Handvoll Goldstücke und gieng zum Töpfer, um Töpfe zu kaufen. Da der Töpfer die Frau als verrückt kannte, lachte er, als er sie sah, und wollte sie nicht hereinlassen; wie er aber ihre Hand voller Goldstücke sah, gab er ihr rasch zwei Ladungen Töpfe, schickte sie ihr ins Haus und schenkte ihr auch noch die Körbe. Als die Frau die Töpfe erhalten hatte, schlug sie allen den Boden aus, reihte sie als Kranz auf eine Schnur und hängte sie rings um das Zimmer als Schmuck auf. Dann tanzte sie umher und begann zu singen: »Ich glänze, das Haus glänzt, es glänzen meine Töpfe«. Als am Abend ihr Mann vom Berge mit Holz heimkehrte, kam sie heraus um ihm beim abladen zu helfen, und dabei erzählte sie ihm unter lachen und singen von dem Zimmerschmuck, den sie gekauft hatte: »Ich[123] glänze, das Haus glänzt, es glänzen meine Töpfe«. Da er ihre Verrücktheit kannte, war er über ihr singen und springen gar nicht erstaunt, wol aber riss er die Augen auf, als er die Töpfe sah; und er fragte sie, wo sie dieselben her hätte.

Sie erwiderte ihm, sie hätte sie mit den Goldstücken gekauft, die sie in einem verfaulten Gegenstande beim Sumpfe gefunden hätte, und zeigte ihm den Schuh, den sie in den Winkel geworfen. Als ihr Mann die Goldstücke in dem Schuh sah, sagte er ihr, sie solle rasch in den Getreideverschlag gehen, um sich zu verbergen, denn – so spiegelte er ihr vor, alle Vögel des Himmels seien herabgekommen, um der Menschheit die Augen auszustechen. Aus Furcht gieng sie hinein. Er aber rief die Hühner zusammen und brachte sie auf den Verschlag, indem er ihnen einige Weizenkörner vorwarf, damit sie sie aufpickten und die Frau durch das Geräusch davon von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt würde und drinnen bliebe. (Der Mann hatte aber dies Mittel erfunden, um sie zu entfernen, damit sie nicht sähe, wenn er das Geld versteckte.) Hierauf versteckte er das Geld an einem sichern Orte. Aber wie sehr er es auch verheimlichte, es kam doch unter die Leute, und sie verklagten ihn beim Kadi, der ihn zu sich berief und ihn fragte, wo er das Geld habe. Als er leugnete, rief der Kadi seine Frau und stellte ihr dieselbe Frage. Sie war noch immer in grosser Furcht, dass die Vögel ihr die Augen ausfressen könnten; und wie sie nun den Kadi ansah, der zufällig auf einem Auge blind war, da ward ihr Sinn verwirrt, und sie antwortete ihm: »Die Vögel des Himmels sind herabgekommen, um der Menschheit die Augen auszufressen; und dir haben sie schon das eine Auge gefressen«. Dadurch gewann der Kadi die Ueberzeugung, dass diese Frau verrückt sei, und er entliess sowol sie als auch ihren Mann, und das Geld behielt der Mann.


Vgl. den ersten Absatz meiner Anm. zu Gonzenbach Nr. 37 und Cosquins Anm. zu seinen Contes pop. lorrains Nr. LVII (lis: LVIII) in der Romania IX, 389.

Wenn die Frau für Goldstücke Töpfe kauft und ihnen dann den Boden ausschlägt und sie im Zimmer aufhängt, so vgl. Grimm Nr. 59, Schneller, M.u. Sagen aus Wälschtirol, Nr. 56, Wenzig, Westslavischer Märchenschatz, S. 41. Bei Haltrich, Deutsche Volksm.[124] aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen, Nr. 65 (62), zerschlägt die Frau die gekauften und an die Wand gehängten Töpfe, weil sie dem letzten nicht Platz machen wollen. Bei Kamp, Danske Folkeminder, S. 137, Nr. 361, und bei Möller, Folkesagen etc. fra Bornholm, S. 56, lässt sie den Wagen voll Töpfe nicht abladen, sondern umstürzen, so dass die Töpfe natürlich alle zerbrechen.

R.K.

Quelle:
Meyer, Gustav: Albanische Märchen. In: Archiv für Litteraturgeschichte, 12 (1884), S. 123-125.
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