[215] Kamuschini begegnete, da er im Walde Blätter der Tukumpalme suchte, um sich Schnur für Bogensehnen zu verschaffen, dem Jaguar Oka, fürchtete sich vor ihm und versprach, ihm Frauen zu machen, wenn er ihn verschone.
Zuerst fällte er Bäume mit rotem Holz, brachte die Klötze nach Hause, stellte sie an einen Maismörser, blies sie an und zog sich ein Weilchen zurück. Als er wiederkam, waren es aber lauter Männer geworden, die Pfeile schnitzten! Er tötete sie, ging wieder fort und fällte nun mit seinem Steinbeil fünf oder sechs andere Bäume, verfuhr damit ebenso wie mit den ersten und fand dieses Mal, als er die Angeblasenen sich ein Weilchen überlassen hatte, daß es Frauen geworden waren. Sie sagten alle »Papa« zu ihm, und mit Ausnahme der letzten, die faul dasaßen, und die er deshalb erzürnt sofort tötete, stampften sie eifrig Mais – Maniok soll es damals noch nicht gegeben haben – und machten Fladen und Getränke.
Die beiden ältesten, Nimagakaniro und Ichoge, gab Kamuschini dem Jaguar Oka, und dieser führte sie nach Hause. Unterwegs aber verunglückte Ichoge; sie kletterte auf eine Buritipalme, um sich Nüsse zu holen, und stürzte hinab.
Nimagakaniro verschluckte zwei Bakairi-Fingerknochen, von denen viele im Hause waren, weil Oka sie für seine Pfeilspitzen gebrauchte und viele Bakairi tötete, deren Fleisch er aß. Von den Fingerknochen wurde die Frau schwanger.
Ihre Schwiegermutter Mero aber, die außer Oka noch zwei[216] Jaguarsöhne hatte, Kuara und Zaupanyua, kam zu Besuch, als Oka auf der Jagd war. Sie wollte nicht, daß er von einer Bakairi Söhne habe, denn sie haßte und aß die Bakairi. Sie riß Nimagakaniro mit ihren Krallen die Augen aus und ging wieder. Nimagakaniro starb, aber der Oheim Kuara schnitt ihr den Leib auf, holte die Zwillinge Keri und Kame hervor und legte sie in eine Kalabasse wie junge Papageien. Dann schnitten er und seine Leute Nimagakaniro in Stücke, brieten und verzehrten sie und setzten den Rest dem heimkehrenden Oka vor, der ihn ahnungslos aß. Heftig erzürnt, als er den Hergang erfuhr, lief er, Mero zu töten, stand aber davon ab, weil sie sagte: »Ich bin deine Mutter.«
Keri und Kame zog der Pflegevater Jaguar auf. Er ließ sie auf seinem Rücken reiten und lehrte sie mit Pfeilen schießen. Nun fragten sie ihn aber nach ihrer Mutter. Er hatte von ihrem Tod geschwiegen, weil er sich schämte, von ihrem Fleisch gegessen zu haben, und gab auch jetzt keine Auskunft. Doch die Großmutter oder Tante Ewaki berichtete die Untat Meros. Keri und Kame gingen hin und töteten Mero, obwohl diese sie freundlich mit dem Gruß »o meine Enkel« empfing.
Die verdammte Mero wurde nicht beerdigt, o nein, sie wurde verbrannt. Keri und Kame trugen Scheiter zusammen und legten Feuer an; dann gruben sie sich ein Loch, um zuzuschauen. Mero brannte »bopopopo« ... Man sieht das Feuer noch heute am Himmel. Zu jener Zeit hatten Keri und Kame noch keine menschliche Gestalt. Kame kroch aus seinem Loch neugierig hervor und fing Feuer. Er verbrannte, starb. Keri blies ihn an und machte ihm Nase und Hände und Füße, wie sie die Menschen haben. Aber auch Keri fing Feuer, verbrannte, starb, wurde von Kame lebendig geblasen und menschlich gestaltet. Auch diese Feuer sieht man am Himmel. Da kamen drei Tierarten, die man auch noch am Himmel sieht, die kleine Fischotter, die sich den Schwanz, die große, die sich Hände und Füße, und der Tukan, der sich den[217] Schnabel von Keri und Kame nahm. Keri hatte einen größeren Schnabel gehabt als Kame.
Keri und Kame zankten mit dem Vater und wollten ihn töten, weil sie ihre Mutter nicht gesehen hatten. Sie sagten dem Vater: »Mach viele Pfeile zurecht!« Dieser tat es und gab sie ihnen. Nun machten sie Kayabi. Sie rammten die Pfeile in einem Kreis aufrecht in den Boden und bliesen sie an. Da kamen die Kayabi. Keri hieß diese, auf Oka zu schießen, aber sie fehlten. Da schoß Keri selbst. Der Pfeil drang in das Knie des Jaguars ein. Der Jaguar stürzte sich ins Wasser und entkam.
Die Brüder empfingen nun von ihrer Tante Ewaki den Auftrag, die Sonne zu holen, die der Königsgeier besaß. Bisher war es Nacht, wenn nicht der Königsgeier mit der Sonne erschien. Am Himmel gibt es ein schwarzes Loch, das den Geiern gehörte. In dieses Loch stürzte der Tapir, weil es finstere Nacht war. Man sieht ihn noch in der Milchstraße. Keri sah den Tapir und ging in seinen Vorderfuß hinein. Kame aber ging in einen kleinen gelben Singvogel und setzte sich auf einen Ast; er sollte Keri, der nichts sehen konnte, von allem, was vorging, unterrichten. Der Königsgeier öffnete die Sonne; es wurde hell, und so erblickten die Aasgeier den Tapir. Alle schwarzen und weißen Geier – nur der rote, der Königsgeier, blieb noch fern – stürzten sich auf den Tapir. Sie holten Schlingpflanzenstricke herbei, zogen ihn mit aller Mühe aus dem Loch und wollten ihn zerteilen. Da machte Kame auf seinem Ast »neng-neng-neng«, Keri blies, und die Geier konnten mit ihren Schnäbeln den Tapir nicht öffnen. Sie riefen den Königsgeier zu Hilfe. Dieser kam, und Kame hörte auf »neng-neng-neng« zu machen. Der rote Geier öffnete den Tapir mit seinem Schnabel. In diesem Augenblick ergriff ihn Keri und packte ihn so fest, daß er fast starb. Nur wenn er die Sonne hergebe, solle er am Leben bleiben. Da schickte der Königsgeier seinen Bruder, den weißen Geier, die Sonne zu holen. Dieser brachte die Morgenröte. »Ist das recht?« fragte Kame Keri, der festhalten[218] mußte. »Nein, nicht die Morgenröte,« erwiderte Keri. Da brachte der weiße Geier den Mond. »Ist das recht?« fragte Kame. »Ach was!« erwiderte Keri. Nun brachte der weiße Geier die Sonne, und als Kame fragte: »Ist das recht?« antwortete Keri: »Jetzt, ja!« Dann gab er den Königsgeier frei, der sehr erzürnt war.
Der Mond bestand damals aus (gelben) Japu-Federn, die Sonne aus Federn des Tukan und des roten Arara, die Morgenröte aus Tukan-Federn. So haben es die Alten gewußt. Wenn es jetzt, wie ihr sagt, anders sein soll, so weiß ich davon nichts, und niemand weiß es. Dann muß man geblasen haben, daß sie wie Feuer geworden ist.
Keri sann und sann, was er nun mit der Sonne und dem Mond anfangen sollte. Es war immer hell. Ewaki wußte ihm auch nicht zu raten. Endlich machte er einen großen Topf und stülpte ihn darüber. Da war es dunkel. Er gab den Mond Kame. Sonne und Mond waren beide unter dem Topf. Wenn der Topf aufgehoben wird, ist es Tag.
Keri und Kame wollten nun gern schlafen und konnten zu ihrem Leidwesen nicht. Sie gingen zu Ewaki, und diese sagte ihnen, wo sie den Schlaf holen sollten. Po, die Eidechse, war im Besitz des Schlafes. Sie empfing Keri und Kame freundlich und sagte: »Oh, meine Enkel!« – Sie blieben in ihrem Hause, legten sich in die Hängematte und schliefen. Als sie erwachten, fühlten sie sich wieder wohl. Am anderen Morgen sagten sie Lebewohl und zogen mit der Hängematte, die ihnen die Eidechse geschenkt hatte, von dannen. Unterwegs, als sie eine Meile gegangen waren, wollten sie nun das Schlafen versuchen. Sie legten sich in die Hängematte und versuchten, aber es ging nicht. Sie quälten sich vergebens. Da gingen sie wieder zum Haus der Eidechse zurück, ergriffen sie und zogen ihr das Augenlid aus. Sie nahmen sich ein großes Stück, und die Eidechse war sehr böse. Nun hatten sie Augenlider und konnten schlafen.
Keri und Kame gingen zu Ewaki, und diese befahl ihnen, das Feuer zu holen. Der Kampfuchs war der Herr des[219] Feuers. Er hatte es in den Augen und schlug es sich heraus, wenn er Holz anzünden wollte. Der Kampfuchs hatte eine Reuse angelegt, um Fische zu fangen. Zu der Reuse gingen Keri und Kame. Sie fanden darin einen Fisch und eine Schnecke. Keri ging in den Fisch, und Kame ging in die Schnecke. Beide waren gut darin versteckt. Singend kam der Kampfuchs gegangen und machte Feuer an. Dann sah er nach, was in der Reuse war, holte den Fisch und die Schnecke und legte sie in das Feuer, um sie zu braten. Aber die beiden gossen Wasser in das Feuer. Erzürnt ergriff der Kampfuchs die Schnecke; die hüpfte aber in den Fluß und holte neues Wasser und goß es ins Feuer, daß dieses beinahe ganz verlöschte. Der Kampfuchs ergriff sie wieder und wollte sie auf einem Holz in Stücke schlagen, die Schnecke aber entglitt ihm und fiel auf die andere Seite. Das wurde dem Kampfuchs zuviel; ärgerlich lief er davon. Keri und Kame aber bliesen das Feuer wieder an und gingen damit zu Ewaki.
Ewaki schickte die beiden Knaben aus, das Wasser zu holen. Sie wanderten drei Tage. Sie fanden drei Töpfe, die der Wasserschlange gehörten. In den Töpfen war Wasser; in zweien war gutes Wasser, aber in dem dritten war schlechtes, von dem man nicht trinken kann, ohne zu sterben. Diesen dritten Topf ließen sie ganz; sie wollten gutes Wasser haben. Die zwei anderen Töpfe zerschlugen sie. Das Wasser, das aus dem einen abfloß, war der Paranatinga, das Wasser des anderen der Ronuro und Kulisehu. Keri nahm sich des Paranatingawassers, Kame des Ronuro-Kulisehuwassers an. Beide Flüsse liefen weiter, und Keri und Kame liefen jeder hinter dem seinen; sie riefen einander zu, damit sie sich nicht verlören. Auf einmal hörte Kames Rufen auf. Keri schrie und schrie, doch die Antwort blieb aus. Da ließ er den Paranatinga stillstehen und warten und ging zum Ronuro. Der dumme Kame hatte sich den schlechtesten Fluß ausgesucht; er konnte nicht mit ihm fertig werden. Das Wasser wurde groß und breit und Kame ertrank. Ein gewaltiger[220] Jahufisch verschluckte ihn. Keri kam und fand den Ronuro stillstehend, Kame verschwunden. Sogleich gab er sich ans Fischen. Er fing drei Jahus, und einer war dick geschwollen. Dem riß er den Bauch auf und erblickte nun Kame, der tot war. Er legte die Leiche auf große, grüne Blätter und blies sie an. Da stand Kame auf und sagte: »Ich habe gut geschlafen.« – »Nein,« rief Keri, »du hast ganz und gar nicht geschlafen! Ein Jahu hat dich gefressen.« Mit dem Ronuro wollten sie nichts mehr zu tun haben. Keri ließ eine Ente kommen und befahl ihr, das Wasser mitzunehmen. So geleitete die Ente den Fluß wieder weiter, und die beiden Knaben begaben sich zu Keris Paranatinga, der noch geduldig wartete. »Das ist das Wasser,« sagte Keri, »das wir mitnehmen wollen.«
Drei Tage liefen sie mit ihm talwärts. Da kamen sie zum Katarakt des Paranatinga, allein es war noch kein Wasserfall, sondern nur trockener Fels. Sie selbst brachten jetzt das Wasser zum Katarakt und ließen es jenseits des Falles warten. Aber da sie nun hier blieben, ließ Keri bald Enten und Tauben kommen und andere Vögel, die das Wasser mitnahmen und weiterführten.
Keri begegnete dem Kampfuchs und vereinigte sich mit ihm zur Jagd, indem der Kampfuchs das Gras im Kreis anzündete. Was von Getier eingeschlossen war, sollte verbrennen. Nun war der dumme Kame gerade in eine Maus gegangen. Keri wußte nichts davon; er dachte, Kame sei draußen. Das Feuer hörte auf, und die beiden streiften umher, ob sie Beute fänden. Keri fand keinen Braten. Der Fuchs fand eine verbrannte Maus und aß sie auf. Dann trafen sich die beiden wieder. »Großpapa, was für Braten hast du gegessen?« sagte Keri zum Fuchs. »Nur eine Maus habe ich gegessen,« antwortete dieser. Da merkte Keri, daß der Kampfuchs den Bruder verschluckt hatte, und ersann ein Mittel, diesen zu retten, ohne den Fuchs töten und aufschneiden zu müssen. »Laß uns rennen, Großpapa,« sagte Keri. »Jawohl, mein Enkelkind.« Sie rannten eine lange[221] Strecke. Dann standen sie still. Als der Fuchs stillstand, erbrach er sich. Darauf lief er eiligst davon. Keri ging dorthin, wo sich der Fuchs erbrochen hatte. Er sah die Mäuseknochen und sammelte sie. Dann blies er. Nachdem er geblasen hatte, erhob sich Kame. »Ich habe gut geschlafen,« sagte er. »Du hast ganz und gar nicht geschlafen! Der Kampfuchs hatte dich gefressen.«
Buchempfehlung
Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.
52 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro