V.

[107] Jener Mösramelik erfuhr, dass David, Abameliks Sohn, zum Manne herangewachsen sei, ein Heer sammle und gegen ihn ziehe. Seinerseits erhob sich Holbaschi,27 sammelte ein Heer und zog nach Maratuk gegen David. Er sieht, auf dem Wege stehen Weiber; er sagte zu ihnen: »Singt und tanzt bis ich zurückkehre!«

Jene sagten: »Was sollen wir tanzen und singen, wir wissen nicht, was wir singen sollen!«

Holbaschi sang ihnen vor:


»Mögen die kleinen Weiber auf der Mühle mahlen,

Die grossen Weiber mögen die Kamele beladen!

Unser Holbaschi ist nach Sassun ausgezogen,

Er wird starke Zugochsen mitbringen,

Er wird rote Milchkühe mitbringen,

Im Frühjahr werden wir uns Butter und Tschortan28

Zur Genüge zubereiten!«[107]


Holbaschi sieht, die Weiber fangen an das zu singen und zu tanzen. Er selbst sammelt ein Heer, zog aus und setzte sich im Maratuker Schlosse fest.

Die Tochter des Maratuker Popen schielte oft auf David und er war auch nicht ganz gleichgültig gegen sie. Es kommt die Popentochter zu David und sagt: »David, ich bin bereit für dich zu sterben! Stehe auf und schaue wie viel Krieger in den Hof eingedrungen sind!«

Das sagte die Popentochter, ging hinaus und schloss von aussen alle Thore. David streckte sich aus und rief: »O Brot und Wein, der Herr lebt!« und fängt an den Kriegsleuten die Köpfe abzuschlagen; alle enthauptete er, so dass die Körper über die Mauer flogen und die Köpfe im Hofe liegen blieben. David packte auch den Holbaschi, riss ihm die Zähne aus, schlug sie ihm wie Nägel in die Stirn und seine Lanze bog er krumm wie das Halsband eines Hundes, legte sie ihm um den Hals und sagte: »Nun, jetzt mach dich fort und erzähle alles deinem Mösramelik! Wenn noch Leute bei ihm geblieben sind, so mag er sie zusammenscharen, ehe ich komme.«

Holbaschi begegnete ein zweites Mal den Weibern; diese singen und tanzen. Die eine sang:[108]


»Holbaschi, lieber Holbaschi,

Von hier gingst du wie ein grimmiger Wolf

Und zurück kommst du wie ein Jagdhund,

Deine Lanze liegt auf deinem Halse wie ein Hundehalsband,

Dein Mund ist aufgesperrt wie ein breites Fenster;

Aus deinem Munde fliesst der Schleim wie Schlickermilch aus einem Schlauche29

Und auf deinem Munde sitzt eine ganze Karawane Fliegen!«


Holbaschi sang als Antwort:


»Ach du nichtswürdige, schamlose Dirne!

Ich dachte, Sassun sei ein freies Feld,

Dachte nicht, dass dort nur Felsen und Schluchten wären:

Die neugeborenen Kinder sind wahre Teufel,

Ihre Pfeile sind wie Balken in der Ölmühle;

Wen sie treffen, reissen sie den Mund auf wie ein Fenster.

Alle Burschen, die mit mir waren, sind in Charaman30 gefallen,

Wenn im Frühlinge Wasser kommt, wird es viel des Guten mit sich bringen:

Da könnt ihr Butter und Tschortan genug zubereiten!«


Diesmal stand David auf, rüstete sich und zog gegen Mösramelik. Er kam und sieht, ein grosses Heer ist beisammen und lagert am Sechanssargebirge.31

David sagte: »ich gebe das Versprechen den Kampf nicht anzufangen, bevor ich nicht[109] im grün-roten Zelte sieben Tage lang Reispilaw gegessen habe!«

David trieb sein Pferd dahin und erschien plötzlich von Westen vor dem Zelte.

Als das Heer diesen Reiter bemerkte, überfiel es ein grosser Schrecken. Melik fragte: »Was bist du für ein Mann?«

David sagte: »Ich bin der Sohn des westlichen Königs; ich bin euch zu Hilfe gekommen.«

Melik schlug für ihn ein Zelt auf. Sieben Tage assen sie zusammen. Am achten bestieg David sein Pferd, ritt zweimal hin und her und sagte: »Nun, komm heraus, ich bin gekommen um mit dir zu kämpfen! Wie lange wirst du noch an meinem Erbteile zehren?«

Der Kampf ging los.

David rief: »Brot und Wein, Gott lebt!«

Onkel Toross hörte von ihrem Kampfe. Er riss eine Pappel mit der Wurzel aus, legte sie sich auf die Schulter und machte sich auf den Weg. Er selbst blieb oberhalb des Thales stehen und jene kämpften im Thale: wenn einer flieht und hinauf kriecht, schreit David: »Onkelchen Toross, jage ihn ins Thal, ich werde schon fertig mit ihm werden!«

Das Heer fing an zu murren: »Mögt ihr beide mit einander streiten; wer den andern überwältigt, der hat gesiegt!«[110]

Einer (der Brüder) sagt: »Setz dich, ich werde mit der Keule schlagen!« Der andere sagt: »Nein, setz du dich!«

Sie besprachen sich und David, als der jüngere, musste sich niedersetzen.

David legte seinen Schild auf den Kopf, legte darunter das heilige Kreuz und setzte sich hin. Mösramelik nahm einen Anlauf von drei Stunden, sprengte los und schlug mit der Keule, indem er sagte: »Du bist Erde, werde also zu Erde!«

David sagte: »Ich glaube an das hohe heilige Kreuz von Maratuk! Es ist mir als ässe ich unter dem grün-roten Zelte Reispilaw!«

Mösramelik sprengte dreimal heran, schlug mit der Keule und sagte: »Du bist Erde, werde zu Erde!«

Und David wiederholte dreimal: »Ich glaube an das hohe, heilige Kreuz von Maratuk!«

Jetzt kam die Reihe an Mösramelik sich niederzusetzen. Mösramelik wird widerspenstig und will sich nicht setzen. Das Heer machte ihm Vorwürfe. Da kam er, legte den Schild auf den Kopf und setzte sich hin. Mösrameliks Mutter fing an David zu beschuldigen und sagte: »David, ich bin bereit für dich zu sterben! Ist er denn nicht dein Bruder? Erschlage ihn nicht, habe Mitleid mit ihm!«[111]

David sagte: »Ach, du schamloses Weib? Als er mich schlug, sagtest du nicht: ›Ist er denn nicht dein Bruder?‹ Nun mag dein Wille geschehen! Einen Schlag erlasse ich Gottes wegen, den zweiten deinetwegen, aber der dritte gehört mir und ich führe ihn schon aus: entweder stirbt er oder er bleibt am Leben!«

David ritt zurück und dann vorwärts, ergriff die Keule und schlug Mösramelik sieben Ellen tief in die Erde. Dann ging er, eroberte Mösr und bestieg den Königsthron.

Dieser bleibt hier.

27

Dieser türkische Titel zeigt, dass die Sage in späteren Zeiten geändert wurde.

28

Tschortan ist abgesickerte, getrocknete Schlickermilch, ein im Orient zur Winterszeit gebräuchliches Nahrungsmittel.

29

In Armenien wie überhaupt im Morgenlande macht man auch aus Schlickermilch Butter, weshalb das Gefäss stets mit Schaum bedeckt ist.

30

Ein Thal bei Musch.

31

Name eines Berges; bedeutet wörtlich: »Tischähnlicher Berg«.

Quelle:
Chalatianz, Grikor: Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1887, S. 107-112.
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