22. [314] Chandra's Rache.
22. Chandra's Rache

Es war einmal eine Sowkarfrau,1 die hatte keine Kinder. Das klagte sie einst weinend ihrem Manne und sprach: »Welch' eine unglückliche Frau bin ich, da ich keine Kinder habe. Hätte ich nur ein einziges Kind, so verginge mir die Zeit schneller und dann fühlte ich mich vollkommenglücklich.« Er antwortete: »Macht Dich das unzufrieden, so nimm doch eins von Deiner Schwester Kinder an, sie hat ja acht oder gar neun.« Das war der Sowkarfrau recht, und sie adoptirte nun ihren kleinen sechs Monat alten Neffen und erzog ihn, als sei er ihr eigen Kind. Als der Knabe zur Schule ging, zankte er sich eines Tages beim Nachhausegehen mit einem seiner Schulkameraden, und schließlich rangen sie miteinander und der andere Junge, welcher der älteste und stärkste von den beiden war, gab dem kleineren[315] einen heftigen Schlag auf den Kopf, so daß er sehr verletzt zur Erde fiel. Da lief er weinend nach Hause, die Sowkarfrau aber machte ihm kalte Umschläge und verband ihn. Doch ließ sie sich nicht den anderen Knaben holen, um ihn zu bestrafen, sondern dachte: »Man kann die Kinder nicht immer im Hause eingeschlossen halten, sie müssen sich zuweilen gegenseitig austoben und ihre Kraft versuchen und dabei verletzen sie sich leicht.« Das Kind aber murrte im Stillen und sprach: »Sie ist eben nur meine Tante, daher bestraft sie den anderen Knaben nicht. Wäre sie meine Mutter, so hätte sie ihm jedenfalls einen tüchtigen Schlag auf den Kopf gegeben. Nun aber bestraft sie ihn nicht, im Gegentheil läßt zu, daß ich geschlagen werde; es liegt ihr nichts daran, sie ist ja nur meine Tante.« Die Sowkarfrau, die das zufälliger Weise hörte, ward sehr traurig und sagte: »Ich habe diesen Kleinen von Kindesbeinen an treulichst gepflegt, und doch liebt er mich nicht wie seine Mutter. Es hilft mir alles nicht, er ist nicht von meinem Fleisch und Blut und wird mich nie als solches betrachten«. Deßhalb brachte sie ihn wieder zu seiner eigenen Mutter und sagte: »Schwester, hier hast Du Dein Kind zurück.« »Wie meinst Du das?« fragte ihre Schwester; »Du hast ihn ja vollständig adoptirt. Warum willst Du ihn nun doch nicht behalten?« Die Sowkarfrau sagte ihrer Schwester nicht, was der Knabe gesprochen hatte, sondern antwortete: »Ja, das ist nun einmal so, er soll uns zusammen angehören, behalte Du ihn jetzt für eine Weile, später kann er mich einmal wieder besuchen. Wir wollen beide für ihn Sorge tragen.« Dann kehrte sie zu ihrem Manne zurück, erzählte ihm, was sie gethan habe, und fügte hinzu: »All mein Mühen ist nutzlos, Du weißt, wie gut ich gegen meinen kleinen Neffen war, und doch trotz all meiner Freundlichkeit liebt er mich jetzt nach diesen vielen Jahren nicht so sehr, wie[316] seine Mutter, die er kaum gesehen hat. Aus diesem Grunde bin ich zu dem Entschluß gekommen, nicht eher zu ruhen, bis ich Mahadeo2 gefunden und ihn gebeten habe, mir ein eigenes Kind zu schenken.«3

»Du bist eine thörichte Frau!« entgegnet ihr Mann. »Sei doch mit Deinem Loose zufrieden. Wie kannst Du daran denken, Mahadeo zu finden? Kennst Du vielleicht den Weg zum Himmel?« »Nein«, sagte sie. »Ich will ihn suchen, bis ich ihn finde. Und finde ich ihn nicht, so soll es nicht an meinem Willen liegen, doch kehre ich nicht eher zurück bis mein Gebet erhört ist.« Nun verließ sie ihr Haus und wanderte in den Dschungel, und nachdem sie manchen Tag lang in demselben weiter gereist war, und ihr Heimathland weit hinter ihr lag, kam sie an die Grenzen eines ganz anderen Reiches. Es war das Madura Tinivelly4-Land, in dem sich ein großer Fluß in den Ocean ergießt.

Am Ufer des Stromes saßen zwei Frauen, eine Ranee, Namens Coylinghee Ranee, und eine Nautschfrau.

Die Ranee, die Nautschfrau und die Gattin des Sowkars sahen einander zum ersten Male in ihrem Leben hier in der Nähe des Flusses. Als sie sich nun hierselbst niederließen, um sich ein wenig auszuruhen und Wasser zu trinken, wandte sich die Ranee zur Sowkarfrau und sprach: »Wer bist Du und wohin gehst Du?« Sie antwortete: »Ich bin die Gemahlin eines Sowkars, wohne in einem fernen Lande und da mir trauriger Weise keine Kinder gewährt sind, so suche ich Mahadeo und will ihn bitten, mir ein Kind zu schenken.«[317]

Dann aber fragte sie wiederum die Ranee: »Bitte, nun sage mir auch, wer Du bist und wohin Dich Dein Weg führt.« Die Ranee antwortete: »Ich bin die Colinghee Ranee und Beherrscherin all dieses Landes ringsumher, aber weder Geld noch Reichthümer gewähren mir Freude, habe ich doch keine Kinder und suche Mahadeo, um ihn anzuflehen, damit er mir ein Kind verleihe.« Als sie das hörte, sprach die Sowkarfrau: »Dann reisen wir ja zusammen. Hegen wir doch denselben Wunsch im Herzen!« Da richtete die Colinghee Ranee dieselbe Frage an die Nautschfrau und sprach: »Und Du, was magst Du sein, und wohin willst Du reisen?« Die erwiderte: »Ich bin eine Tänzerin und ebenfalls kinderlos. Ich suche auch Mahadeo, um ihn um ein Kind zu bitten.« Die Colinghee Ranee, die Tänzerin und die Sowkarfrau verabredeten nun, alle drei miteinander ihre Reise durch den Dschungel fortzusetzen.

Und nun wanderten sie weiter, immer weiter und weiter, jeden Tag kamen sie tiefer in den Wald hinein; sie hatten keine Rast und keine Ruhe, auch sahen sie nie ein menschliches Wesen. Ihre Füße schmerzten sie sehr, ihre Kleider fingen an zu reißen und sie lebten nur noch von Dschungelpflanzen, wilden Beeren und von Samenkörnern. Zuletzt glichen sie in ihrem elenden und zerlumpten Anzuge drei alten armen Bettlerinnen. Sie schliefen nicht des Nachts, und ruhten nicht des Tages, sondern wanderten immer weiter, Stunde auf Stunde, Monat auf Monat und Jahr auf Jahr.

Schließlich erreichten sie endlich in Mitten des Dschungels einen breiten, feurigen Strom. Es war der größeste Fluß, den sie jemals gesehen hatten. Seine Wogen aber bestanden aus Feuer. Es befand sich kein Mensch an dem diesseitigen, noch irgend einer an dem jenseitigen Ufer. Auch konnte man nur hinüber gelangen, wenn man durch den Fluß hindurch schritt.[318] Als das die Colinghee Ranee und die Nautschfrau sahen, sagten sie: »Nun haben unsre Sorgen und Mühen ein Ende; aber freilich auch unsre Hoffnungen, denn wir können nicht weiter kommen.« Da erwiderte ihnen die Sowkarfrau: »Soll uns dies Hinderniß abschrecken, nachdem wir so weit gelangt sind? Nein, ich suche mir meinen Weg durch das Feuer.« Und mit diesen Worten stieg sie in die feurigen Wellen hinab; doch die beiden anderen fürchteten sich und blieben zurück. Als die Sowkarfrau die Hälfte des Flusses erreicht hatte, wandte sie sich um, winkte ihnen mit der Hand und sprach: »Kommt doch nur und fürchtet Euch nicht. Das Feuer brennt mich nicht. Wer weiß, ob Mahadeo nicht an jener Seite des Flusses wohnt.« Sie aber schüttelten den Kopf und meinten: »Wir können uns nicht entschließen, wir wollen hier warten, bis Du wiederkommst. Findest Du Mahadeo, so bitte ihn auch für uns um Kinder.«

Die Sowkarfrau schritt unverzagt weiter, die feurigen Wellen wogten um ihre Füße, als seien sie von Wasser: aber sie verbrannten sie nicht.

Als sie das jenseitige Ufer erreicht hatte, befand sie sich in einer großen Wildniß. Die war voll wilder Elefanten, Büffelochsen, Löwen, Tiger und Bären, die umgaben sie brüllend und heulend. Wohl fürchtete sie sich vor den blutdürstigen Waldbewohnern. Doch blickte sie sich nicht um, sondern dachte in ihrem Sinn: »Ich kann nur einmal sterben, und es ist besser, daß sie mich tödten, als daß ich umkehre, ohne Mahadeo zu finden.« Die wilden Thiere aber ließen sie ungestört durch ihre Mitte gehen und thaten ihr kein Leid.

Mahadeo blickte gerade jetzt vom Himmel herab, und ihr Anblick erweckte sein Mitleiden; wußte er es doch, daß sie zwölf Jahre lang auf der Oberfläche der Erde umhergeirrt war, um ihn zu suchen. Er ließ in der Nähe einer klaren Quelle einen[319] schönen Mangobaum hervorwachsen, damit er ihr in dieser trostlosen Wildniß Ruhe und Erfrischung gewähre. Sich selbst aber verwandelte er in einen Gosain Fakeer5 und stellte sich neben den Baum. Jedoch die Sowkarfrau stand nicht still, um die Früchte zu essen oder um Wasser zu trinken. Sie bemerkte nicht einmal den Fakeer, sondern setzte ihren beschwerlichen Weg fort, um Mahadeo aufzusuchen. Da lief er ihr nach: »Bai, Bai, wohin gehst Du? Komm hierher!« Sie sah ihn kaum an und entgegnete: »Zu welchem Zwecke möchtet Ihr, Fakeer, wissen, wohin ich gehe? Ihr solltet lieber Eure Gebetsperlen zählen und mich unbeachtet lassen.« »Komm zu mir«, rief er abermals. »Komm zu mir.« Sie aber wollte nicht. Da trat ihr Mahadeo in den Weg und stand plötzlich vor ihr, nicht in der angenommenen Gestalt eines Fakeer, sondern in strahlender Herrlichkeit als der Herr des Kylas.6 Bei dem Anblick seiner überirdischen Schönheit, sank das arme Sowkarweib zur Erde nieder, umschlang seine Füße und küßte sie. Er aber sprach zu ihr: »Bai, sage mir, wohin Du willst.« Sie antwortete: »Herr, ich suche Mahadeo, denn mein Herz sehnt sich nach einem Kinde. Zwölf Jahre lang habe ich vergebens geforscht und gesucht.« Da sagte er: »Deine Wanderung hat ein Ende. Ich bin Mahadeo, nimm diese Mangofrucht.« Und er pflückte eine von dem neben der Quelle wachsenden Baume: »Die iß, und wenn Du Deine Heimath erreicht hast, wirst Du ein Kind bekommen.« Da sagte sie: »Herr, es suchten Euch drei Frauen, doch zwei fürchteten sich und blieben jenseits des Feuerflußes. Willst Du ihnen nicht auch Kinder gewähren?«

»Wenn Du Lust hast«, entgegnete er, »so magst Du ihnen[320] etwas von Deiner Frucht abgeben, und dann werden auch sie ein Kind bekommen.«

Nach diesen Worten entschwand er ihren Blicken und die Sowkarfrau ging voller Freuden durch die Wildniß und den Feuerfluß dahin zurück, wo die Ranee und die Tänzerin saßen und ihrer Wiederkehr harrten. Sie sahen sie kommen und sagten: »Nun, Sowkarfrau, was giebt es Neues?« Sie antwortete ihnen: »Ich habe Mahadeo gefunden. Er hat mir diese Mangofrucht gegeben, und essen wir die, so bekommen wir jede ein Kind.« Und sie nahm die Mangofrucht, preßte sie aus und gab der Ranee den Saft zu trinken. Die Schale reichte sie der Nautschfrau, – das Fleisch aber und den Kern aß sie selbst.

Dann reisten sie alle drei wieder in ihre Heimath. Colinghee Ranee und die Tänzerin in das Madura Tinivelly-Land. Die Sowkarfrau hatte noch weit, weit zu reisen, ehe sie die Stadt erreichte, in der ihr Mann wohnte, und von welcher aus sie sich auf die Reise begeben hatte. Bei ihrer Heimkehr ward sie von all ihren Freunden verlacht; und der Sowkar sprach zu seinem Weibe: »Ich sehe es nicht ein, welchen Vortheil Du aus Deiner unsinnigen, zwölf Jahre langen Reise gezogen hast. Du siehst wie eine Bettlerin aus, und alle Welt spottet Deiner.«

»Daraus mache ich mir nichts«, sagte sie. »Ich habe Mahadeo gesehen, die Mangofrucht gegessen und bekomme nun bald ein Kind.«

Und richtig! Nach einiger Zeit ward dem Sowkar und seiner Frau ein Kind geboren. Es war ein Knabe und am selben Tage bekam die Colinghee Ranee eine Tochter und die Tänzerin auch ein Mädchen. Da waren sie alle hocherfreut und ließen all ihren Freunden die gute Nachricht ansagen und jede gab, ihren Kräften entsprechend, den Armen ein großes Fest.[321] Es war ein Dankopfer, das sie dem Mahadeo für die ihnen erwiesene Gnade brachten. Die Sowkarfrau nannte ihren Sohn zur Erinnerung an den Mangokern »Koila«, das heißt der aus dem Mangokern Entstandene. Die Nautschfrau gab ihrer Tochter den Namen »Moulee«, das bedeutet: aus süßem Mangofleisch. Die kleine Prinzessin aber hieß Chandra Bai oder die Monddame, denn sie war eben so schön und anmuthig wie der silberweiße Mond.

Chandra Ranee war allerdings überaus schön; sie war das schönste Kind in der ganzen Umgegend und so hübsch und fein geformt, daß ein jeder, der sie sah, entzückt von ihr war. Außerdem wurde sie mit ein paar Spangen um die Fußknöchel geboren. Es waren die schönsten Spangen, die es jemals gab. Aus Gold und kostbaren Edelsteinen zusammengesetzt, blendeten sie einem das Auge, wie die Sonne. So etwas hatte man noch nie gesehen. Das Kind wuchs täglich, und die Spangen wuchsen mit demselben, und sobald sich jemand nahte, klingelten die Glöckchen, welche an ihnen befestigt waren. Chandres Eltern waren stolz und glücklich. Sie beriefen alle Weisen des Königreiches, um von ihnen des Kindes Schicksal zu erfahren. Da sprach der Gelehrteste von allen Brahmanen, als er sie erblickte: »Dies Kind muß sofort die Stadt verlassen. Bleibt sie hier, so wird sie das ganze Reich durch Feuer verderben und es ganz verbrennen.«

Als der Rajah diese Worte hörte, sprach er voll Zorn zu dem Brahmanen: »Ich lasse Dir den Kopf abschlagen, denn Du sagst uns Lügen statt der Wahrheit.« Der Brahmane erwiderte: »Enthäupte mich, wenn Du willst, – aber trotz Deiner Drohung lüge ich nicht. Ich spreche die lautere Wahrheit. Willst Du mir nicht glauben, so laß etwas Wolle bringen.[322] Lege sie auf das Kind und prüfe dann, ob meine Worte wahr sind.«

Nun ward ein wenig Wolle geholt. Die legte man auf das Kind, und kaum hatte man das gethan, so wurde sie glühend, verbrannte vollständig zu Asche und versengte die Hände der Dienerinnen.

Da sprach der Brahmane: »So gewiß das Feuer diese Wolle verzehrte, so gewiß wird auch die Prinzessin einst dies Land in Brand setzen.« Da erschraken Alle rings umher, und der Rajah sagte zur Ranee: »Ist dem so, dann müssen wir das Kind sofort aus dem Reiche schicken.« Die Ranee war hierüber tief betrübt, sie that alles, was in ihren Kräften stand, um ihren kleinen Liebling zu retten. Der Rajah aber wollte nichts davon hören, sondern befahl, die Prinzessin sofort in einen großen Kasten zu legen, zu den Grenzen des Reiches zu tragen, und sie dort auf den großen, sich in die See ergießenden Fluß zu setzen, damit der Strom sie weit fort von ihrer Heimath treibe, immer weiter, immer weiter! Da ließ die Ranee einen kostbaren, goldenen Kasten anfertigen, legte unter heißen Thränen, denn nun war ja ihre lange, mühsame Reise doch erfolglos gewesen, das Kind hinein und ließ es forttragen und auf den Fluß setzen.

Der Kasten schwamm nun dahin, der Strom trieb ihn rasch und rascher vorwärts, bis er das Land erreichte, in dem der Sowkar und seine Frau wohnten. Der Sowkar, der zum Fluß gegangen war, um sein Gesicht zu waschen, sah den Kasten vorbei treiben, und da ein Fischer zufälligerweise in der Nähe war, der eben sein Netz ins Wasser senken wollte, so rief er diesem zu: »Lauf, Fischer, lauf, so schnell Du kannst. Du sollst keinen Fisch fangen, sondern mir nur mit Deinem Netze jenen schimmernden Kasten herbeiziehen und ihn mir bringen.«[323]

»Das will ich thun, wenn Ihr mir den Kasten zu geben versprecht«, sagte der Fischer. »Das soll geschehen«, antwortete der Sowkar. »Euch gehöre der Kasten und mir sein Inhalt.« Nun warf der Fischer in jenem Theile des Flusses sein Netz aus und zog den Kasten ans Ufer.

Ich weiß es nicht, wer mehr erstaunt war beim Anblick des Fundes, der Kaufmann oder der Fischer. Der Kasten war nämlich aus purem Golde, mit Edelsteinen verziert, und in demselben lag das niedlichste kleine Mädchen, das man sich nur denken kann.

Es schien eine kleine Prinzessin zu sein, denn ihre Kleider waren aus Goldstoff gemacht und an ihren Füßen trug sie ein paar Spangen, die glitzerten, wie die Sonne selbst.

Als der Sowkar den Kasten öffnete, lächelte sie ihn an und streckte ihm ihre Aermchen entgegen. Das gefiel ihm und er sprach: »Fischer, der Kasten gehört Dir, aber das Kind ist mein Eigenthum.« Der Fischer war es zufrieden. Er hatte eine Menge Kinder daheim und verlangte keines mehr, doch über den goldenen Kasten freute er sich ungemein. Dem Sowkar hingegen, der ja nur einen kleinen Sohn besaß und reich war, lag nichts an dem Kasten; er war froh, daß ihm das Kind zu Theil wurde.

Er trug es heim zu seiner Frau und sagte: »Sieh her, liebe Frau, welch' eine niedliche kleine Schwiegertochter ist dies für uns. Wirklich eine passende Frau für unsern kleinen Sohn!« Und als die Sowkarfrau das so schöne, freundlich lächelnde Kind sah, wurde ihr Herz froh, und sie liebte sie und hegte und pflegte sie von jenem Tage an mit wahrer Mutterliebe und hielt das kleine Mädchen ganz wie eine eigene Tochter. Als Chandra Ranee ein Jahr alt war, verheirathete man sie mit dem jungen Koila.[324]

So verging manches Jahr, und der Sowkar und seine Frau erreichten ein hohes Alter und wurden versammelt zu ihren Vätern. Inzwischen waren Koila und Chandra zu dem schönsten Paar des Landes erwachsen. Koila war schlank und kräftig, und sein Antlitz glich dem eines jungen Löwen. Chandra war zart und anmuthig wie ein Palmenbaum und ihr Gesicht so sanft und schön, wie das des silbernen Mondes.

Unterdessen war das dritte aus dem Mangosafte entstandene Kind, Moulee, gleichfalls herangewachsen. Sie lebte in dem Madura Tinivelly Lande und war ebenfalls schön, ja die allerschönste dort in dem ganzen Reiche. Ueberdies tanzte und sang sie herrlicher als irgend ein anderes Nautschmädchen. Ihre Stimme war so klar wie die Stimme der Wachtel, sie klang durch die Luft dahin mit einer solchen Macht, daß man sie zwölf Tagereisen weit vernehmen konnte. Die Nautschleute zogen von Ort zu Ort, waren heute in der einen Stadt und morgen in der anderen. So kam es, daß sie auf ihrem Streifzuge an die Grenzen des Landes kamen, in dem Koila und Chandra lebten.

Eines Morgens hörte Koila ein Singen in der Ferne, und das gefiel ihm so sehr, daß er die Eigenthümerin dieser köstlichen Stimme aufzusuchen beschloß. Zwölf Tage lang reiste er durch den Wald, jeden Tag hörte er das Singen deutlicher und deutlicher, und noch immer erreichte er nicht die Stelle, von der es kam.

Nach zwölf Tagen erreichte er endlich das Lager der Nautschleute, das lag nicht weit von der Stadt, und nun erblickte er auch die Sängerin, und das war niemand anders als Moulee. Die sang und tanzte inmitten einer großen, sie dicht umstehenden Volksmenge. In ihrer Hand hielt sie eine Blumenguirlande, und die hob sie beim Tanzen hoch empor.[325]

Koila war so entzückt von dem Ton ihrer Stimme, daß er wie verzaubert still stand und ohne sich noch mehr zu nähern am Ausgang des Dschungels lauschend inne hielt.

Als der Tanz beendet war, drängte sich das Volk an Moulee heran und sprach: »Warum willst Du mit Deiner prachtvollen Stimme unsre Stadt wieder verlassen? Heirathe einen von uns und bleibe immer bei uns.« Die Zahl der sich also anbietenden Freier war so groß, daß Moulee nicht wußte, wen sie wählen solle; deßhalb sagte sie: »Nun wohl, um dessen Hals diese Guirlande fällt, den will ich heirathen.« Sie schwang die Blumenkette drei oder viermal über ihren Kopf und schleuderte sie dann mit aller Kraft hoch in die Luft.

Die Schwungkraft der Guirlande war so groß, daß sie durch die Luft über die Köpfe der staunenden Volksmenge dahin flog und gerade um den Hals von Koila fiel, der am Rande des Dschungels stand. Alle Leute eilten herzu, um sich den Glücklichen, dem Moulee's Hand zu Theil werden sollte, zu betrachten und als sie Koila sahen, waren sie erstaunt, denn er war schöner als irgend ein Sterblicher. Es war, als ob einer der Götter plötzlich unter sie getreten sei. Die Nautschleute brachten ihn im Triumphe in ihr Lager und riefen: »Du gewannst die Guirlande; Du mußt Moulee's Gemahl werden.« Er antwortete: »Ich bin nur ein zufälliger Zuschauer, ich kann nicht bei Euch bleiben. Dies ist nicht mein Vaterland, auch habe ich schon ein Weib daheim.« »Was geht das uns an?« sagten sie. »Das Schicksal will es, daß Du Moulee heirathest, – Moulee die schöne, Moulee, deren Stimme Du hörtest und die so herrlich tanzt. Du mußt sie heirathen, denn die Guirlande fiel auf Dich.« – Nun liebte Koila, obgleich er seine Frau wirklich sehr gern hatte, diese doch nicht so sehr, wie sie ihn. Das kam vielleicht daher, weil er sich von Kindheit auf[326] an sie gewöhnt hatte und ihm nun Chandra's Güte und Schönheit nicht mehr so auffiel, wie sie es anderen Leuten that. Und deßhalb dachte er nicht daran, wie unglücklich sie sein würde, wenn er nicht heimkehrte, blieb zögernd dort, anstatt gleich umzuwenden, und überlegte, was er anfangen solle. Und die Nautschleute gaben ihm einen sehr kräftigen Zaubertrank. Da vergaß er seine Heimath und vermählte sich mit Moulee, dem Nautschmädchen, und lebte manchen Monat hindurch bei den Nautschleuten.

Schließlich sagte einst Moulee's Mutter, – es war dieselbe Frau, die vor Jahren im Verein mit Colinghee Ranee und der Sowkarfrau Mahadeo gesucht hatte – zu Koila: »Schwiegersohn, Du bist ein müßiger Geselle, Du lebst nun eine geraume Zeit mit uns, und doch rührst Du nicht die Hand zu Deinem Lebensunterhalt, wir müssen Dir Essen kaufen, wir müssen Deine Kleider bezahlen und Dir alles geben. Das geht nicht so weiter. Gehe und hole uns Geld, sonst jagen wir Dich fort und dann siehst Du niemals Deine Frau wieder.« Koila hatte kein Geld, um es seiner Schwiegermutter zu geben. Da dachte er zum ersten Mal wieder an sein Vaterland und an Chandra und sprach: »Meine erste Frau, die in meiner Heimath lebt, trägt an ihren Füßen ein paar äußerst werthvolle Spangen; laßt mich nach Hause, dann hole ich eine, verkaufe sie und zahle Euch meine Schuld.« Die Nautschleute waren damit zufrieden. Koila kehrte in sein Haus zurück und theilte Chandra mit, wofür er Geld brauche, und bat sie um eine ihrer Spangen. Sie aber weigerte sich und sprach: »Ihr seid so lange, lange fort gewesen, ließet mich ganz allein, erwähltet Euch eine zweite Frau unter den Nautschleuten, lebtet mit ihnen, und nun ihr eine von meinen Spangen haben möchtet, kommt ihr wieder. Ihr gebt die Spangen jedoch Eurer anderen Frau,[327] die Spangen, die ich von Kindheit an trug, die wuchsen, als ich wuchs, und die ich nie ablegte! Das kann und will ich nicht. Meinetwegen gehe wieder zu Deinen neuen Freunden. Meine Spangen bekommst Du nicht.«

Er antwortete: »Sie gaben mir einen Zaubertrank, daher vergaß ich Deiner für eine kurze Zeit, jetzt aber bin ich ihrer müde. Ich möchte nur meiner Schwiegermutter das Geld bringen, das ich ihr für Kleidung und Nahrung schulde, dann komme ich zu Dir zurück, und lebe hinfort in meiner Heimath. Bist Du doch meine erste Frau!«

»Nun wohl«, sagte sie, »nimm die Spangen und verkaufe sie. Bringe der Mutter Deiner zweiten Frau das Geld, aber nimm mich mit Dir, wenn Du gehst, laß mich hier nicht ganz allein.« Koila war es zufrieden und beide begaben sich nun auf die Reise in das Madura Tinivelly-Land.

Auf ihrem Wege wurden sie von Krishnaswami7, der mit seinen drei Frauen Karten spielte, gesehen, und er lachte bei ihrem Anblick. Da sprachen seine Frauen zu ihm: »Warum lachst Du? Du hast seit langem nicht so herzlich gelacht, woran hast Du Deinen Spaß?« Er erwiderte: »Ich lache über Koila und über seine Frau Chandra, die miteinander in das Madura Tinivelly-Land reisen. Er will die Spangen seiner Frau verkaufen, statt dessen wird er getödtet werden, sie aber wird in ihrem Zorn das ganze Land durch Feuer vernichten. O, was sind das für thörichte Menschenkinder!« Die Göttinnen entgegneten: »Du erzählst uns ja entsetzliche Dinge. Wir wollen uns verwandeln und ihnen den Rath geben, das Land nicht zu betreten.« »Das ist unnütz«, sagte Krishnaswami, »er wird Euch doch nur auslachen und heftig gegen Euch werden.« Die[328] Göttinnen aber beschlossen all' ihre Kunst aufzubieten, um die drohende Gefahr bei Zeiten abzuwenden. Sie verwandelten sich in alte Wahrsagerinnen, und begegneten mit kleinen Lampen und ihren geweihten Büchern dem Koila und seiner Frau auf der Landstraße. – Da sagten sie zu ihm: »Betretet nicht das Madura Tinivelly-Land, sonst verlierst Du das Leben und Deine Frau verbrennt in ihrer Wuth alles rings umher.« Koila achtete kaum auf sie, sondern bat sie fortzugehen. Da sie sich aber nicht abschrecken ließen, sondern in ihren Ermahnungen fortfuhren, ward er ungeduldig, stieß sie vom Wege und sprach: »Denkt Ihr, daß ich mich von ein paar alten Weibern in Angst jagen lasse?«

Die drei Göttinnen kehrten zu Krishnaswami zurück und klagten ihm sehr entrüstet die ihnen widerfahrene Behandlung. Er aber entgegnete: »Ich habe es Euch ja vorhergesagt, daß Eure Warnungen nutzlos sein würden.«

Als Koila und Chandra in die Nähe der königlichen Residenz kamen, kehrten sie in dem Hause einer freundlichen, gastfreien Milchhändlerin ein. Am nächsten Morgen sagte Koila zu seiner Frau: »Bleibe Du lieber hier bei dieser Alten, die wird gut für Dich sorgen, während ich inzwischen in der Stadt eine Deiner Spangen verkaufe.« Chandra war hiermit zufrieden; sie blieb in dem Hause der alten Frau, während Koila sich in die Stadt begab. Doch wußte er nicht, daß der Rajah und dessen Gemahlin (Colinghee Ranee) Chandra's Eltern waren. Ebenso wenig ahnten diese es, noch Chandra selbst. Kannten doch die drei Mangokinder nicht die Erlebnisse und die Reise ihrer Mütter, die einst den Mahadeo suchten.

Nun hatte Colinghee Ranee kürzlich, noch ehe Koila und Chandra das Madura Tinivelly-Land erreichten, ein paar vorzüglich schöner Spangen zu einem in der Stadt wohnenden[329] Juwelier gesandt, damit dieser sie reinige. Da traf es sich, daß in der Nähe von dem Hause des Juweliers zwei Adler auf einem hohen Baume ihr Nest gebaut hatten, und die beiden jungen Adler, die sehr lärmende Vögel waren, schrien den ganzen lieben, langen Tag und störten dadurch die Juwelierfamilie sehr. Deßhalb kletterte der Juwelier, als die Alten ausgeflogen waren, auf den Baum, riß das Nest herunter und tödtete die jungen Adler. Als die alten Vögel heimkehrten und das Geschehene sahen, trauerten sie sehr und sprachen: »Diese grausamen Leute haben unsere Jungen umgebracht, sie sollen dafür büßen.« Und da sie in der Vorhalle des Hauses eine von den schönen Spangen der Königin liegen sahen, die der Juwelier eben reinigen wollte, so schnappten sie dieselbe fort und flogen damit hinweg.8

Der Juwelier wußte nicht, was er nun thun solle und sprach daher zu seiner Frau: »Ich könnte mein ganzes Vermögen hingeben, und doch nicht solch' eine Spange wiederkaufen. Wollte ich eine machen, so müßte ich manches Jahr lang arbeiten. Und doch wage ich es nicht zu sagen, daß sie mir verloren ging, denn dann glaubt man, ich hätte sie gestohlen und richtet mich hin. Das einzige, was ich thun kann, ist, mit der Zurückgabe der anderen zu zögern, bis ich auf irgend eine Weise eine ähnliche Spange erhalten habe.« Als daher die Ranee am folgenden Tage anfragen ließ, ob ihre Spangen fertig seien, antwortete er: »Nein noch nicht, aber morgen.« Am nächsten Tage und am dritten sagte er das nämliche. Zuletzt wurden die königlichen Boten über dies fortgesetzte Zaudern böse, und da gab er ihnen, weil er keine anderen Ausflüchte wußte, eine auf das schönste gereinigte Spange mit und fügte den Bescheid hinzu: »Die andere werde auch bald fertig sein.« – Umsonst[330] bemühte er sich Tag und Nacht einer Spange habhaft zu werden, welche er der Königin als einen passenden Ersatz für die von den Adlern gestohlene anbieten könne.

Da kam Koila in die Stadt. In einer Straßenecke nahe dem Marktplatze breitete er ein Tuch aus, legte Chandra's Spange hinauf, setzte sich daneben und erwartete einen Kauflustigen. Er war aber sehr, sehr schön. Trotz seiner einfachen Kleidung glich er einem Prinzen und die Spange, welche er zum Verkauf anbot, funkelte im Morgenlichte wie sieben Sonnen. Die Vorübergehenden hatten noch nie einen so schönen Jüngling und eine so kostbare Spange gesehen, und gar mancher von denen, die ein Gefäß auf dem Kopfe trugen, ließ dasselbe vor Erstaunen über diesen wunderherrlichen Anblick auf die Erde fallen, so daß es zerbrach, und verschiedene Männer und Frauen, die ihn von den Fenstern ihrer Häuser aus betrachteten, beugten sich zu weit hinaus, verloren das Gleichgewicht und fielen auf die Straße, so schwindelig wurden sie vor Staunen und Bewunderung.

Allein es fand sich keiner, der die Spange zu kaufen begehrte, sondern alle sagten: »Solche Juwelen können wir nicht bezahlen, die eignen sich nur für eine Ranee.« Doch als sich der Tag seinem Ende zuneigte, wer kam da? Es war der Juwelier, der die Spangen der Ranee hatte reinigen sollen, und der einen Ersatz für die ihm vom Adler gestohlene suchte. Kaum hatte er die, welche Koila zum Verkauf ausbot, gesehen, so dachte er in seinem Sinn: »Ha, dies Ding könnte ich gebrauchen. Ich muß doch sehen, ob ich es nicht in meine Gewalt bekommen kann.« Er rief seine Frau und sprach: »Geh zu dem Spangenverkäufer, rede ihn freundlich an, sage ihm, daß der Tag beinahe vorüber ist und lade ihn ein, in unserem Hause die Nacht über zu schlafen. Gelingt es uns Freundschaft mit ihm zu[331] schließen und ihn dahin zu bringen, daß er uns traut, so kann ich ihm leicht die Spange fortnehmen und sagen, er hätte sie mir gestohlen. Und da er hier zu Lande ein Fremder ist, wird jedermann mir mehr glauben, wie ihm. Diese Spange paßt mir ganz besonders, sie sieht der, welche der Colinghee Ranee gehörte, auffallend ähnlich, – ist nur schöner.«

Die Frau richtete den Auftrag aus. Danach ging der Juwelier selbst zu Koila und sprach: »Du bist ein Spangenverkäufer und ich bin einer, deßhalb laß uns miteinander wie Brüder verkehren. Bitte, geh mit mir in mein Haus, meine Frau wünscht es auch, wir wollen Dir Nahrung und Obdach geben, – wissen wir doch, daß Du ein Fremder bist, und kein Haus hier hast.« Auf diese Weise überredeten diese listigen Leute Koila mit ihnen zu gehen. Sie thaten ungemein freundlich, gaben ihm ein Abendessen und ein Nachtlager. Am folgenden Morgen in aller Frühe erhob der Juwelier ein Geschrei und ein Lärmen, schickte zur Polizei und ließ Koila von dieser sofort vor den Rajah führen. Habe er doch gestohlen und es versucht, eine von den Spangen der Colinghee Ranee zu verkaufen, die ihm, dem Juwelier, zum Reinigen anvertraut seien. Umsonst betheuerte Koila seine Unschuld und erklärte die Spange gehöre seiner Frau; er war ein Fremder, – und niemand glaubte ihm. Man schleppte ihn in den Palast und der Juwelier beschuldigte ihn vor dem Rajah und sprach: »Dieser Mann wollte eine der mir von der Ranee anvertrauten Spangen stehlen und verkaufen. Wäre ihm das gelungen, so hättet ihr mich für den Dieb gehalten und mich hinrichten lassen. Ich verlange deßhalb, daß ihm diese Strafe zu Theil werde.«

Da ward die Ranee gerufen. Als die aber die Spange betrachtete, erkannte sie dieselbe als eine von denen, die einst Chandra Ranee gehörten. Da brach sie in Thränen aus und[332] sprach: »O mein Herr, diese Spange hat kein indischer Juwelier gemacht. Sieh nur sie gleicht nicht der meinigen, und sobald jemand ihr naht, fangen all die kleinen Glocken an zu klingen. Fällt Dir nicht dabei ein, daß diese Spange einst meinem schönen Kinde gehörte? Meinem Kleinode, meinem kleinen Lieblinge! Meiner verlorenen Tochter! Wer gab Dir die Spange und wie kam sie hierher? Wie kam sie in dies Land, in diese Stadt, in den Bazar und unter diese schlechten Leute? Denn dieser Juwelier hat sicher meine Spange für sich behalten und diese statt ihrer hergebracht. Denn die hier ward von keinem menschlichen Goldschmied gemacht. Sie gehört meiner Chandra.« Und dann bat sie den Rajah hierüber fernere Nachforschungen anzustellen.

Aber sie dachten alle, die Königin rede irre, und der Juwelier sprach: »Die Ranee bildet sich das ein; es ist dieselbe Spange, die sie mir zum Reinigen gab.« Die Anwesenden fanden auch, daß die Spangen einander glichen und zusammen ein Paar ausmachten; und da es eine abgemachte Sache war, daß Koila die Spange bei sich trug, als er ergriffen ward, so befahl der Rajah seine sofortige Hinrichtung. Die Ranee aber nahm Chandra's Spange und legte sie in ein apart geschlossenes Behältniß, abgesondert von ihren übrigen Schmucksachen.

Als man Koila in den Dschungel führte, um ihn dort zu enthaupten, sagte er zu seinen Wachen: »Wenn ich sterben muß, so möchte ich durch meine eigene Hand fallen.« Damit zog er sein Schwert und nahm sich selbst das Leben. Da das Schwert aber scharf war, so schnitt es seinen Körper in zwei Theile. Der eine fiel zur rechten Seite des Schwertes, der andere zur linken nieder. Die Leute jedoch gingen fort und ließen den Körper so liegen, wie er gefallen war.[333]

Das Gerücht von diesem Ereignisse verbreitete sich bald durch die Stadt und das Volk, das Koila am vorhergehenden Tage mit der Spange gesehen hatte, fing an zu murren und zu sprechen: »Das ist sicher eine Ungerechtigkeit, der König hat übereilt gehandelt. Wahrscheinlich hat der arme Mann die Spange nicht gestohlen. Wäre sie gestohlenes Gut gewesen, würde er es nicht gewagt haben, sie so öffentlich im Bazar zum Verkauf auszubieten. Wie grausam von dem Rajah einen so hübschen, edlen, vornehm aussehenden Jüngling hinrichten zu lassen und zudem war es noch ein Fremder!« Und manche weinten, da sie dieses harten Schicksals gedachten. Als das dem Rajah zu Ohren kam, ward er zornig und erließ einen Befehl, in Folge dessen kein Bürger der Stadt mehr über diese Angelegenheit reden dürfte, sondern es hieß, daß derjenige, der noch ein Wort darüber spräche, den Todten beklage, oder Thränen seinethalb vergieße, sofort erhängt werden solle. Da erschrak das Volk, und es wagte keiner mehr von Koila zu sprechen, obgleich ein Jeder seiner im Stillen gedachte.

An jenem Morgen brachte die alte Milchfrau, in deren vor der Stadt stehendem Hause Chandra wohnte, ihrem Gaste eine Schale voll Milch zum Trinken. Kaum hatte Chandra dieselbe an die Lippen gebracht, so rief sie schaudernd: »Gute Mutter, was habt Ihr gethan, ich habe ja den ganzen Mund voller Blut.« »Nein, nein, meine Tochter«, entgegnete die alte Frau, »Du mußt irgend einen bösen Traum gehabt haben. Sieh nur, das ist reine, frische, warme Milch, die ich Dir bringe, versuche sie noch einmal.« Aber da Chandra zum zweiten Male kostete, rief sie wieder: »O nein, o nein, das ist keine Milch, das ist Blut. Die ganze Nacht hindurch hatte ich einen entsetzlichen Traum, und beim Erwachen fand ich die Halskette, die ich am Hochzeitstage trug, zerrissen und nun schmeckt mir[334] diese Milch wie Blut. Laß mich fortgehen, laß mich fortgehen! Ich fühle es, daß mein Mann todt ist!«

Die gute Alte versuchte es ihr Trost zuzureden und sprach: »Du bildest es Dir nur ein, daß er todt ist. Er war ja gestern noch ganz wohl, da er Dich verließ, um die Spange zu verkaufen. Er sagte, er würde bald wieder kommen und das wird er auch sicher thun.« Doch sie antwortete: »Nein, nein, ich weiß es ganz bestimmt, daß er todt ist. O laß mich gehen, damit ich ihn noch einmal vor meinem Tode sehe.« Da sprach die alte Frau: »Du darfst nicht gehen. Du bist zu schön, um hier allein auf den Straßen dieser fremden Stadt umher zu laufen, damit würde Dein Mann durchaus nicht einverstanden sein, und wer weiß, ob Du Dich nicht vielleicht verirrtest und als eine Sklavin entführt würdest. Denke doch daran, daß er selbst Dir befahl hier seine Rückkehr abzuwarten. Habe Geduld, bleibe, wo Du bist. Ich will eiligst in die Stadt gehen, um Deinen Mann zu suchen. Ist er lebend, so bringe ich ihn gleich mit; ist er todt, so erhältst Du doch wenigstens Nachricht.« Nach diesen Worten nahm sie ihr Milchgefäß auf den Kopf, als wollte sie Milch zu Verkauf bringen und ging in die Stadt, um Koila zu suchen. Chandra wartete, doch schien sich ihr jede Minute in eine Stunde auszudehnen.

Die alte Milchfrau lief, in der Stadt angekommen, die Straßen auf und nieder, um Koila zu suchen. Aber niemand wußte etwas oder erwähnte auch nur den hübschen Fremden, der am vergangenen Tage die schöne Spange zum Verkauf ausgeboten hatte. Daher hörte sie nichts von ihm. Fürchteten sich doch alle vor dem königlichen Zorn und wagten es nicht seinen Namen zu nennen! Da ward die alte Frau argwöhnisch, wurde sorgfältiger in ihren Nachforschungen und wanderte aufs neue durch alle nahe dem Marktplatze gelegenen Straßen; denn sie dachte,[335] hier müsse er doch gewesen sein, und um die Leute auf sich aufmerksam zu machen, bot sie jedesmal eine andere Waare zum Verkauf aus. Erst rief sie: »Kauft etwas Milch, wer kauft Milch? Wer kauft?« Dann ging sie zum zweiten Male durch dieselbe Straße und schrie: »Kauft Butter, Butter, schöne frische Butter, kauft, kauft!« u.s.w. Schließlich sagte eine Frau, die sie neugierig betrachtet hatte: »O Frau, welch einen Unsinn schwatzest Du. Du bist wohl ein halb dutzend Mal in dieser einen Straße auf- und abgelaufen und thust, als hättest Du sechs verschiedene Dinge in Deinem einzigen Gefäß. Sollte man nicht glauben, Du habest eben so wenig Verstand, wie jener hübsche junge Spangenverkäufer, der sich gestern den ganzen Tag abmühte, um einen Käufer für seine Spange zu finden, und der zum Lohn dafür den Tod erleiden mußte?«

»O, von wem sprichst Du?« fragte die alte Frau. »O«, entgegnete die andere, »Du bist wahrscheinlich eine Milchhändlerin vom Lande, sonst würdest Du es wissen. Aber davon dürfen wir nicht reden, denn der Rajah läßt jeden, der von ihm spricht oder seinethalben trauert, erhängen. Ach, er war sehr schön!« – »Wo ist er nun?« flüsterte die alte Frau. »Dort«, entgegnete die andere, »Du kannst den Platz sehen, wo das Volk zusammenlief. Der Juwelier des Rajahs klagte ihn des Spangendiebstahls an, und in Folge dessen ward er hingerichtet. Manche halten das für ungerecht, aber sage nicht, daß ich das behauptet hätte.« Nach diesen Worten zeigte sie auf den etwas entfernt liegenden Dschungel. Die alte Frau lief dorthin. Als sie daselbst den in zwei Hälften geschnittenen Leichnam kalt und steif liegen sah, ließ sie ihr irdenes Gefäß auf die Erde fallen, sank auf die Kniee und weinte bitterlich. Der Lärm zog die Aufmerksamkeit der königlichen Wachen auf sich, und einige von ihnen ergriffen sie sogleich und sagten:[336] »O Frau, es ist gegen das Gesetz, um diesen Todten zu klagen oder gegen das Gebot des Rajah zu murren. Du verdienst dafür den Tod.« Sie aber antwortete schnell: »Um den Todten? Ich weine nicht um den Todten. Seht Ihr nicht, daß mein irdenes Gefäß zerbrach und alle meine Milch verschüttet ist? Ist das nicht Grund genug zum Weinen?« Und dann schluchzte sie aufs neue. »Still, still, gab man ihr zur Antwort, weine nicht, komm, das Gefäß ist der Thränen nicht werth, es war ja nur ein irdenes Ding. Beruhige Dich. Wer weiß, ob Du nicht noch einmal ein goldenes Gefäß bekommst.«

»Es liegt mir weder an einem goldenen noch an einem irdenen Gefäße«, sagte die alte Frau beleidigt. »Laßt mich in Ruhe, mein irdenes Gefäß hatte mehr Werth, als irgend ein anderes. Meines Großvater's Großvater und meiner Großmutter Großmutter gebrauchte es schon, o und nun ist es zerbrochen und all' meine Milch verschüttet.« Mit diesen Worten las sie die Scherben auf und ging schluchzend heimwärts, als sei der Verlust ihres Gefäßes ihr größter Kummer. Zu Hause angekommen lief sie eilends zu Chandra und sagte weinend: »Ach, mein Herzenskind, ach, meine Tochter, Deine Befürchtungen waren nicht grundlos.« Und nun theilte sie ihr so vorsichtig wie möglich das Geschehene mit.

Kaum hörte Chandra das, so eilte sie graden Weges zum Schloß des Rajah, das mitten in der Stadt stand. Sie stürzte ohne Weiteres in sein Zimmer und fragte den Rajah: »Wie durftest Du es wagen meinen Gatten zu tödten?«

Bei dem Ton ihrer Stimme durchbrach die Spange, welche die Königin in einem Schranke fest verschlossen hielt, alle Schranken und rollte vor Chandra's Füße. Der Rajah war nicht im Stande auch nur eine Silbe zu erwidern. Da fiel[337] Chandra auf ihre Kniee, zersetzte ihre Kleider, und riß ihre Haare aus; und als sie das that, gerieth alles rings umher in Brand und ihr eigen Haar brannte auch.

Die alte Milchhändlerin, die ihr nachgefolgt war, lief sofort hin und holte ein Stückchen Butter, und legte ihr die, in der Absicht die Gluth zu kühlen, auf den Kopf, und zwei alte Frauen, die sich in der Nähe befanden, holten Wasser und gossen es über ihr Haar, aber indem waren schon neunzehn Häuserreihen von den hellen Flammen ergriffen. Da schrie die alte Frau: »O verschone die Puwaristraße verbrenne die nicht mit, gedenke dessen, was ich für Dich that.« So verbrannte Chandra jenen Theil der Stadt, wo ihre Freunde und die alte Frau lebten, nicht mit, nach allen anderen Richtungen hin aber griff das Feuer um sich, und der Rajah und die Ranee, sowie alles Hofgesinde kamen um. Der böse Juwelier und seine Frau ebenfalls, und als er starb, riß Chandra ihm sein Herz aus und gab es den in der Luft schwebenden Adlern und sprach: »Nun ist der Tod Eurer kleinen Jungen gerächt.« Auch das Nautschmädchen Moulee und ihre Mutter, die aus der Ferne das Feuer betrachteten, wurden von den Flammen ergriffen.9

Dann ging Chandra zu Koila's Leiche und weinte bitterlich. Während sie also wehklagte, fiel eine Nadel und ein Faden vom Himmel. Die nahm sie und sprach: »O könnte ich Dich doch mit Hülfe derselben wieder herstellen!« Und dann legte sie die beiden Hälften des Körpers aneinander und nähte sie zusammen.

Nachdem sie das gethan, betete sie zu Mahadeo und sprach: »Herr, ich that alles, was in meiner Macht stand, ich habe den Leichnam zusammengefügt, nun hauche Du ihm Leben ein.« Und[338] Mahadeo hatte Mitleiden mit ihr und sandte Koila's Geist wieder in seinen Körper zurück. Da ward Chandra froh und kehrte mit ihrem Gatten in ihr Vaterland zurück, und sie lebten daselbst.

Die Spuren aber jenes entsetzlichen Brandes findet man noch heut' zu Tage in dem Madura Tinivelly-Lande.


22. Chandra's Rache
1

Eine Kaufmannsfrau.

2

Der Schöpfer.

3

Siehe die Bemerkungen.

4

Zwei Provinzen in dem Bezirk von Madras auf dem Festlande, gegenüber Ceylon. Sie sind in der Hindu-Mythologie berühmt.

5

Frommer Büßender.

6

Der Hinduhimmel.

7

Der Hindugott Krishna, eine Verkörperung des Vishun.

8

Siehe die Bemerkungen.

9

Siehe die Bemerkungen.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 314-339.
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