Oschoo.

[72] Oschoo war der Sohn frommer und fleißiger Fischersleute, die ihn zu einem braven Manne und tüchtigen Arbeiter in ihrem Gewerbe auferzogen. Als seine Eltern alt und schwach wurden, war er ihre einzige Stütze und wußte durch unverdrossenen Eifer sie vor jeglichem Mangel zu schützen. Seine Ehrlichkeit und sein freundliches Wesen machten ihn bei Jedermann beliebt, und Niemand war in der ganzen Umgegend, der nicht am liebsten von Oschoo seinen Bedarf an Fischen gekauft hätte. So war es ihm denn gelungen, sein Geschäft aufs beste einzurichten, und namentlich hatte er einige Teiche im Gebirge in seinen Besitz gebracht, in denen die herrlichsten Karpfen sich befanden.

Einstmals war der Winter ungewöhnlich hart, die Teiche froren fest zu und waren mit so dickem Eise bedeckt, daß Oschoo oft mit Sorge an seine Karpfen dachte. Noch mehr bekümmerte[72] es ihn aber, daß auf diese Weise seine beste Nahrungsquelle versagte, als gerade jetzt seine Mutter sehr krank ward und ihre Pflege stete Sorgfalt und mancherlei Kosten verursachte. So schwer es aber auch dem braven Oschoo wurde, er schaffte getreulich nicht nur das herbei, was für die Kranke nöthig war, sondern auch all und jedes, was seine Mutter irgend wünschte.

Eines Tages lag sie recht schwach und hinfällig auf ihrem Krankenlager und sagte zu Oschoo: »Hätte ich doch nur etwas von den schönen Karpfen aus deinen Teichen. Ich glaube, wenn ich davon äße, wäre ich bald geheilt.« Oschoo war sehr betroffen; fast hätten ihm diese Worte seiner Mutter Thränen entlockt, allein er beherrschte sich und sprach mit anscheinend heiterem Sinne: »Wohl denn, liebe Mutter, ich gehe, Euch sofort diese Speise zu holen.« Die Alte segnete ihren Sohn und er trat aus der Hütte. Aber hätte er auch nur die geringste Hoffnung gehabt, daß ein milder Thauwind das Eis seiner Teiche mürbe machen und ihm so das Durchhauen ermöglichen könnte, so sah er sogleich ein, daß dies vergeblich sei; der kalte Wind strich nach wie vor über Berg und Thal, und die starre Spiegelfläche des Eises war so spröde, daß die Arbeit gar manchen Tages nicht hingereicht hätte, um zu den Karpfen unten im Wasser zu gelangen. Verzweifelnd warf sich Oschoo auf das Eis; er rang die Hände und bat den Himmel um Hülfe.

Und die Götter erhörten ihn in der That. Er fühlte, wie plötzlich eine gar wunderbare Wärme seinen Leib durchdrang, und von einem Strahle der Hoffnung belebt, streifte er sein Gewand ab und blieb ausgestreckt auf dem Eise liegen. Und siehe da, so weit sein Körper reichte, thauete das Eis so rasch, daß er bald wieder aufsprang, um durch wenige Hiebe mit seiner Hacke die Eisdecke vollends zu entfernen. Kaum war dies geschehen, so schwammen auch schon von allen Seiten große Karpfen herzu, unter denen Oschoo die besten für seine Mutter auswählte.

Mit reichem Ertrage beladen, machte er sich auf den Heimweg.[73] Als er nun die Fische zubereitet und seine Mutter davon genossen hatte, da fühlte sie sich, wie sie vorhergesagt, wunderbar gekräftigt, und als sie dann vernahm, wie sichtbarlich die Götter ihrem Sohne geholfen und ihn für seine kindliche Liebe belohnt hatten, da faßte sie noch besseren Muth. Noch ehe der böse Winter zu Ende ging, war sie völlig genesen, und bis an ihren Tod ward sie nicht müde, den getreuen Sohn Oschoo als ihren Retter zu preisen.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 72-74.
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