Ookuninuschi.

[116] Der Urenkel Sosanoo's, der außer dem Namen Ookuninuschi, das heißt Landesherr, in der Folge durch seine ruhmreichen Thaten noch viele andere Namen erwarb, insonderheit den des Berühmten und den des Gottes der vielen Lanzen, hatte achtzig Brüder. Diese Brüder hatten andere Mütter als Ookuninuschi, und als sie merkten, daß dieser mehr Witz und Verstand und Muth hatte als sie alle mit einander, da warfen sie einen grimmigen Haß auf Ookuninuschi und unterdrückten ihn soviel sie nur konnten. Der arme Junge hatte dadurch eine traurige Kindheit und Jugend, und so sehr sich auch seine Mutter darüber betrübte, so konnte sie doch nichts an diesen schlimmen Verhältnissen ändern und mußte es schließlich erleben, daß ihr Sohn, der doch gleich berechtigt mit seinen Brüdern war, diesen Packträgerdienste verrichten mußte.

Einst verbreitete sich das Gerücht, daß in der Landschaft Inaba eine unvergleichlich schöne Prinzessin wohne, und als dasselbe zu den Ohren der achtzig Brüder kam, da beschlossen sie sogleich auszuziehen und um sie zu werben. Sie rüsteten sich prächtig und zogen fort; Ookuninuschi aber wurde beordert, das Gepäck zu tragen, und so schleppte er sich in weiter Ferne mühevoll hinter seinen Brüdern drein. Er hätte gleichfalls gern um die schöne Prinzessin Yakami – das war ihr Name – gefreit, doch daran war ja nicht zu denken, und so zog er traurig seines Weges hin.

Als die achtzig Prinzen ihrerseits vergnügt und lustig vorwärts schritten und zum Vorgebirg des Nordens kamen, sahen[116] sie einen Hasen am Wege liegen, über dessen Anblick sie sich alle sehr belustigten, denn dieser Hase war gänzlich nackt, alle Haare waren ihm geraubt, und so lag das arme Thier wehklagend da. Der Hase sah sofort, daß die achtzig stolzen Ritter mächtige Götter waren, und deshalb rief er sie um Hülfe an. Doch sie waren dem armen Hasen nicht wohlgesinnt und riethen ihm in ihrem Muthwillen, sich im Meere zu baden und dann flink auf den Berg hinaufzulaufen und sich rasch im Winde zu trocknen, dann würde sein Haar wieder wachsen. Der Hase bedankte sich für den Rath und befolgte ihn gleich, während die achtzig Götter schadenfroh lachend ihres Weges zogen. Als nun der Hase sein Bad genommen hatte, und der Wind ihn allgemach trocknete, da merkte er bald, daß er angeführt war, denn das Salzwasser zerriß ihm seine nackte Haut und machte ihm grimmige Schmerzen. Das arme Thier weinte bitterlich und klagte unaufhörlich über die Pein, die es erdulden mußte, und in diesem Zustande traf es Ookuninuschi, der keuchend unter seiner Last daher kam. Als er den Hasen erblickte, warf er seine vielen großen Gepäckstücke von den Schultern und fragte ihn, wie er in diesen jämmerlichen Zustand gerathen sei. »Ach,« klagte der Hase, »es ist mir übel ergangen, und es ist eine lange Geschichte; ich will sie dir erzählen, komm, setz dich zu mir!« Das that Ookuninuschi, und der Hase erzählte: »Ich war drüben auf der Insel Oki und wollte gern hierher nach Japan; aber wie sollte ich dies machen? ich hatte kein Mittel, über das Meer zu gelangen. So mußte ich zur List meine Zuflucht nehmen, und deshalb ging ich zu den Meerdrachen und sprach zu ihnen: welches Geschlecht ist wohl zahlreicher, das eure oder das meine? ich möchte es wohl wissen. Als ich diese Frage an sie gerichtet, wurden sie neugierig und berathschlagten, wie dies wohl auszukundschaften sei. Ich aber sagte: kommt alle zusammen und legt euch eng bei einander, doch so, daß der Rücken aus dem Wasser steht; dann will ich über euch fortlaufen und euch zählen, und wenn ich das gethan habe, so bringe ich meine ganze Sippe ans Ufer, und dann wird[117] auch die gezählt. Gesagt, gethan; den Meerdrachen gefiel der Rath, und da sie doch gern die Ueberzahl haben wollten, so trieben sie all ihr Volk zusammen, und das waren so viele, daß eine förmliche Brücke von der Insel Oki bis hierher entstand. Voller Freude sah ich, daß, ganz wie ich es mir gewünscht, alle Rücken der Meerdrachen aus dem Wasser hervorstanden, und so lief ich trocknen Fußes über sie hinweg und kam glücklich hier an. Natürlich hatte ich bei meinem Laufe laut gezählt, damit sie nichts merken sollten; doch als ich hier ans Land sprang, da war ich so unvorsichtig, sofort zu rufen: ihr seid angeführt, ich wollte nur auf euren Rücken hierher gelangen! Kaum hatte ich dies gesagt, so packte mich der letzte Drache und riß mir mein Kleid vom Leibe. Nun war ich übel daran und wußte mir nicht zu helfen. Ich klagte laut, als gerade deine Brüder vorüberzogen. Diese sahen mich und gaben mir den bösen Rath, mich im Meere zu baden und schnell im Winde zu trocknen. Ich that es, und nun ist mein ganzer Leib wund. Sieh, da hast du meine ganze Geschichte.« Ookuninuschi beklagte den Hasen sehr und war im Herzen aufgebracht über seine schlechten Brüder, doch sagte er nur: »Lauf, armer Bursch, und bade dich rasch im Flusse, und darauf wälze dich auf den weichen Schilfblumen umher, dann wirst du dich gleich besser fühlen.« Der Hase befolgte auch diesen Rath und ward nicht nur hergestellt, sondern er bekam auch sein schönes schneeweißes Haar wieder. Nun sah Ookuninuschi, daß es kein geringerer als der Hasengott von Inaba war, dem er durch guten Rath geholfen hatte, und er war doppelt froh, dies gethan zu haben. Der Hase aber kam auf ihn zu, dankte ihm und sprach: »Auf keinen Fall soll einer deiner Brüder die Hand der schönen Prinzessin Yakami erlangen, sondern du allein sollst sie haben. Wenn du auch jetzt die Bündel deiner Brüder trägst, so bist du doch würdiger, der Gemahl dieser Prinzessin zu werden; sei ohne Furcht und Sorge, ich will dir helfen und dir für deine Güte gegen mich danken.«

Und der Hasengott hielt Wort, denn kaum war Ookuninuschi[118] am Hofe der Prinzessin angelangt, so verwarf sie alle seine Brüder und erklärte, nur ihn zum Gemahle nehmen zu wollen. Seine Brüder erstaunten über diesen Ausspruch nicht wenig, da aber die Prinzessin dabei verblieb, so suchten sie in ihrem Aerger die Hochzeit auf alle mögliche Weise zu vereiteln. Sie schmiedeten fortwährend Rachepläne und kamen zuletzt überein, Ookuninuschi zu tödten. Um dies zu bewerkstelligen, suchten sie ihn durch Freundlichkeit zu täuschen und baten ihn, mit ihnen einen Jagdzug auf einen riesigen rothen Eber zu machen, der oben auf dem steilen Berge Tema hause. Sie alle wollten den Eber treiben, so sagten die bösen Brüder, und er, Ookuninuschi, sollte ihn dann erlegen und tödten. Ookuninuschi war mit allem einverstanden, und während seine achtzig Brüder oben auf dem Berge, wie er meinte, den Eber trieben, wartete er unten geduldig auf das Ungethüm, um es erlegen. Die achtzig Brüder lachten indessen über seine Einfalt und machten einen großen Felsblock, der die Gestalt eines Ebers hatte, rothglühend und wälzten ihn den steilen Berg hinab. Ookuninuschi, nichts ahnend, trat ihm entgegen und ward jämmerlich verbrannt. Seine Brüder aber frohlockten über den Ausgang und gingen fort, ohne sich um seinen Leichnam zu bekümmern. Und so wäre Ookuninuschi für immer verloren gewesen, wenn ihm nicht durch seine Mutter Hülfe geworden wäre. Diese war ihm aber gefolgt, weil sie die bösen Anschläge seiner Brüder vermuthete und deshalb stets in Sorge um ihn war. Jetzt kam sie eilig herzu und fand ihren Sohn verbrannt. Diese Unthat der achtzig Brüder aber schrie gen Himmel, und Ookuninuschi's Mutter begab sich, da sie keine andere Hülfe wußte, sofort hinauf zu den Göttern droben und flehte ihr Mitleid mit dem schmählich Gemordeten an. Die Himmelsgötter erhörten auch ihr Flehen und schickten sogleich zwei wunderthätige Göttinnen hinab, die Kisagai und die Umugi, welche beide Muscheln rösteten und eine Brühe daraus verfertigten, zu welcher sie Muttermilch zusetzten. Mit dieser Brühe machten sie den verbrannten Ookuninuschi wieder lebendig, und er war nicht allein gesund und frisch, sondern auch so schön wie zuvor.[119]

Die verrätherischen Brüder aber waren sehr verwundert, als sie Ookuninuschi wieder sahen, und erzürnten sich so sehr über seine Errettung, daß sie auf neue Tücke verfielen. Sie beriethen sich miteinander und fällten einen großen Baum; den sperrten sie mit einem dicken, langen Keil aus einander und steckten dann einen scharfen Pfeil hinein. Nun beredeten sie Ookuninuschi mit heuchlerischen Worten, in den Spalt zu kriechen, und als der Unbesonnene dies that, da zogen sie den Keil heraus, Ookuninuschi wurde geklemmt und von dem Pfeile, welcher ihn durch und durch spießte, unbarmherzig getödtet. Abermals fand ihn seine Mutter; sie zog ihn aus dem Baume hervor und machte ihn auch diesmal wieder lebendig. Aber traurig sagte sie: »Wenn du noch länger hier verweilst, so werden deine Brüder immer neue Tücke ersinnen, und schließlich werden sie dich trotz meiner Fürsorge zu Grunde richten. Deshalb geh in das Land der Bäume, Kii, wo du dich im Walde verbergen kannst.«

Ookuninuschi folgte freilich diesem guten Rathe, doch stellten auch hier seine Brüder ihm nach, und nur mit Mühe schützte er sich vor ihren Pfeilen, da er sich hinter den Bäumen verstecken konnte. Da nun seine Mutter einsah, daß er auch hier auf die Dauer nicht sicher war, so beredete sie ihn, in die Unterwelt zu seinem Ahn Sosanoo zu ziehen, der ihm Rath und Hülfe geben würde. So ungern auch Ookuninuschi diesen Rath befolgte, denn es wurde ihm schwer, sich von seiner geliebten Prinzessin Yakami zu trennen, sah er doch wohl ein, daß es das beste sei, der Weisung seiner Mutter zu folgen, und so machte er sich sogleich auf den Weg in die Unterwelt. Als er hinabgestiegen war, traf er zu seinem großen Glücke Suserihime, die Tochter Sosanoo's. Diese war sehr erschrocken, als sie den Prinzen sah, denn sie wußte, daß mit ihrem Vater schlecht zu spaßen war. »Du bist verloren,« sprach sie, »wenn er dich unvorbereitet sieht; deshalb will ich dich vorerst verbergen.« Dies that sie denn auch, und weil er so schön und stattlich war, vermählte sie sich mit ihm und hoffte, daß er nun einen besseren Empfang bei ihrem[120] Vater haben würde. So ging sie getrost zu diesem hin und kündigte den Besuch des Verwandten an. Sosanoo aber war sehr erzürnt, als er davon hörte; er gab ihm Schimpfnamen und sperrte ihn in der ersten Nacht in die Schlangenkammer. In dieser Kammer hausten giftige, bösartige Schlangen, die Jedermann zu tödten pflegten, der ihnen nahe kam. Suserihime, die hörte, daß ihr Gemahl in dieser gräßlichen Kammer schlafen sollte, gab ihm rasch einen Zaubergürtel gegen die Schlangen mit, und so kam er zu großer Verwunderung Sosanoos am anderen Morgen frisch und wohlgemuth wieder zum Vorschein. Aber noch war der grimme Sosanoo nicht besänftigt, sondern er steckte Ookuninuschi für die nächste Nacht abermals in eine unheimliche Kammer, in welcher allerhand giftiges Gewürm, Vielfüßer und Wespen hausten. Auch hier wäre er unrettbar verloren gewesen, wenn ihm nicht Suserihime einen neuen Zaubergürtel mitgegeben hätte, der ihn abermals schützte.

Jetzt aber machte Sosanoo, der immer noch nicht zufrieden mit seinem Verwandten war, eine dritte Probe. Er schoß einen stumpfen summenden Pfeil ab bis in ein sumpfiges, rings von Dornhecken umgebenes Feld und befahl Ookuninuschi, denselben zurückzuholen. Als dieser aber seinem Befehle gehorchte und sich auf dem eingehegten Felde befand, da zündete Sosanoo rings umher ein gewaltiges Feuer an, dessen Riesenflammen hoch aufschlugen. Ookuninuschi, der keinen Ausweg sah, sich aus dieser Gefahr zu erretten, gab sich schon verloren, als er zu seinen Füßen eine Ratte erblickte; er bückte sich zu dem Thierchen hinab und vernahm deutlich, wie es sagte: »Da innen ist es ganz hohl, der Zugang ist aber ganz eng.« Ookuninuschi begriff sofort, was die Ratte damit ihm kundthun wollte; er trat fest auf den Boden und stürzte auch sofort unter die Erde, wo er sich so lange verborgen hielt, bis die Flammen erloschen. Die gute Ratte aber brachte ihm noch den Pfeil, und alle ihre Kleinen brachten die Federn desselben herzu, so daß nichts daran fehlte.

Als nun Suserihime, seine Frau, die keine Ahnung von[121] dem ganzen Vorgange hatte, die riesigen Flammen sah und hörte, daß Ookuninuschi mitten darin stecke, da gab sie ihn verloren; sie weinte, klagte laut und legte Trauergewänder an. Sosanoo, ihr Vater, war auch davon überzeugt, daß Ookuninuschi todt sein müsse, und deshalb ging er mit seiner Tochter nach der Stelle hin, wo das Feuer eben ausgebrannt war. Aber zu beider Erstaunen trat ihnen Ookuninuschi ganz gesund und unversehrt entgegen und überreichte Sosanoo seinen Pfeil.

Nun hatte dieser endlich Achtung vor seinem Schwiegersohne und führte ihn in seinen acht Klafter breiten Prunksaal. Ookuninuschi war über die Gnade hoch erfreut; doch Sosanoo ließ ihn nicht müßig da sitzen, sondern befahl ihm, derweil er selbst sich zur Ruhe legte, ihn zu lausen. Ookuninuschi folgte dem Befehle, aber als er seine Arbeit beginnen wollte, sah er auf Sosanoos Kopfe giftige Vielfüßer umherkriechen. Als er dies bemerkte und rathlos aufblickte, da reichte ihm die wachsame Suserihime unschuldige Beeren und rothe Erde. Als nun Ookuninuschi beides kaute und ausspie, da glaubte Sosanoo, sein Schwiegersohn zerbisse die Vielfüßer, und nun ward er ihm vollends gewogen, denn er sah seinen Muth und seine Unerschrockenheit. In diesem Glauben schlief er fest ein, und als Ookuninuschi sich davon überzeugt hatte, stand er sachte auf, nahm Sosanoo's Haar und band es an alle Pfosten und Balken des Saales fest. Dann ging er hinaus, verschloß die Thür mit einem Felsblock, den fünfhundert Menschen kaum hätten heben können, und lief davon. Vorerst nahm er aber noch seine Frau auf den Rücken und Sosanoo's Schwert, Bogen und Pfeile in die Hand; auch nahm er noch den göttlichen Koto1 seines Schwiegervaters mit. So bepackt und ausgerüstet, lief er fort und fort durch die Gefilde der Unterwelt; doch der Koto sollte ihn verrathen, er stieß damit gegen einen Baum, und das große Saiteninstrument erdröhnte darob so stark, daß die ganze Erde bebte. Sosanoo erwachte[122] davon und fuhr so kräftig aus seinem Schlafe in die Höhe, daß das ganze Haus sammt dem großen Saale zusammenbrach. Da konnte freilich der Felsblock vor der Thür nicht mehr helfen, und Sosanoo wäre sicher sofort den Flüchtlingen nachgesprungen, wenn ihn nicht das Anbinden seiner Haare gehindert hätte. Nun mußte er erst dieselben von jedem einzelnen Balken und Pfosten loslösen, und das erforderte so lange Zeit, daß Ookuninuschi einen bedeutenden Vorsprung erhielt. Als Sosanoo endlich aus den Trümmern seines Hauses heraustrat und die Verfolgung begann, da sah er Ookuninuschi in weiter Ferne den Fluß, welcher die Unterwelt abschließt, durchschreiten, und als er sah, wie er gleich darauf die große Treppe zur Oberwelt hinanklomm, da rief er ihm mit lauter Stimme nach: »Trotzdem du mich überlistet, Ookuninuschi, bin ich dir gewogen, denn du hast Muth und Verstand. So zieh denn hin und bekriege mit dem guten Schwerte, das du mitgenommen, mit dem Bogen und den Pfeilen deine Brüder so lange, bis sie die Unterwelttreppe herunter laufen müssen und in meinen Grenzfluß gerathen. Dann wirst du, Schelm, Gebieter des Landes Japan werden; meine Tochter mache zu deiner ersten Gemahlin und baue dir ein Wohnhaus am Fuße des Uka-Berges.«

Ookuninuschi hörte die Worte Sosanoo's und vergaß sie nie. Mit dem wunderbaren Schwerte und den Pfeilen ging er seinen verrätherischen Brüdern zu Leibe und jagte sie schließlich in den Fluß der Unterwelt.

Nun begann er sein Reich einzurichten und machte die Prinzessin Yakami zu seiner zweiten Gemahlin. Suserihime aber ward darüber sehr aufgebracht und so eifersüchtig, daß es Yakami für gerathen hielt, das Feld zu räumen; sie ließ ihr Söhnchen zurück und kehrte in ihr Reich Inaba heim. Ookuninuschi ließ sie freilich ziehen, doch kümmerte er sich um Suserihime's Eifersucht sehr wenig, sondern zog aus, um sich eine andere Frau zu holen. Zu diesem Zwecke ging er ins Land Koschi, das weit im Norden liegt. Hier wollte er um die Prinzessin Nunakawa[123] werben und langte auch glücklich vor deren Palaste an. Es war zur Nachtzeit, und da er vor Sehnsucht brannte, sich mit der Prinzessin ins Einvernehmen zu setzen, so sang er vor der Thür des Palastes ein rührendes Liebeslied. Die Prinzessin hörte es und sang nun ihrerseits ein Lied, in dem sie ihm antwortete und Hoffnung auf ihre Hand gab. Ookuninuschi freute sich darüber sehr, doch mußte er sich bis zum nächsten Morgen gedulden, wo dann auch die Hochzeit gefeiert wurde.

Als er mit dieser Gemahlin heimkehrte, erwachte aufs neue Suserihime's Eifersucht und zwar dergestalt, daß sie Ookuninuschi sehr lästig fiel, und so beschloß er, sich von Suserihime zu trennen, von Idzumo fortzuziehen und sich in die Landschaft Yamato zu begeben. Suserihime sah dem gleichmüthig entgegen; als aber ihr Gatte nun wirklich Abschied nahm, die Hand auf den Sattel legte und den Fuß schon in den Steigbügel setzte, da überkam es ihn doch wie Wehmuth, und er sang Suserihime noch einmal ein Abschiedslied. Er sagte darin, wenn sie jetzt auch gegen ihn gleichgültig thue, so werde doch bald die Zeit kommen, wo sie ihn entbehren und über seinen Verlust klagen würde. Dies Lied rührte Suserihime so sehr, daß sie gleich darauf mit einer Schale Sake2 aus dem Hause trat; sie reichte ihrem Gatten diese zum Zeichen, daß sie sich auf immerdar versöhnen wollten. Auch bat sie ihn wegen ihrer Eifersucht um Verzeihung und gelobte, dieselbe abzulegen. Man sagt, sie habe die Sakeschale, aus der sie den Versöhnungstrank getrunken, in ihrem Gemache aufgehängt, und jedesmal, wenn ihre alte Eifersucht zurückkehren wollte, brauchte sie nur einen Blick auf die Schale zu werfen, und ihre guten Vorsätze kehrten wieder.

Nun heiratete Ookuninuschi in der Folge noch eine der Göttinnen, welche Amaterasu bei Gelegenheit des Wettstreites mit Sosanoo geschaffen und auf die Erde gesandt hatte, und von dieser stammt Ajischiki, der schönste der Söhne Ookuninuschi's, und eine[124] ebenfalls durch Schönheit hochberühmte Tochter Schitateru. Da er noch andre Göttinnen zu seinen Gemahlinnen machte, so bekam er noch viele Landesgottheiten zu Kindern, und eine lange Reihe edler Geschlechter stammt von Ookuninuschi ab.

Als er aber dem ferneren Rathe Sosanoo's zufolge damit umging, das Land schön zu bebauen und es herrlich auszustatten, da wußte er nicht recht, wie er das zu Stande bringen sollte. Rathlos ging er einher, und als er eines Tages am Strande von Idzumo spazierte und sich gerade anschickte, seine Mahlzeit zu halten, da hörte er eine Stimme vom Meere her deutlich zu ihm herüber tönen; als er aber aufblickte, sah er nichts. Da ihm dies unheimlich vorkam, sah er unverwandt auf die Fluthen und endeckte endlich eine ganz kleine Gestalt; sie war in Federn gekleidet und saß in einem Schiffchen, das aus einer gespaltenen Bohnenschote gemacht war. Das winzige Boot schaukelte auf den Wogen und landete endlich. Ookuninuschi nahm den kleinen Insassen heraus und setzte ihn auf seine Hand, um ihn in der Nähe zu betrachten; aber das verdroß ihn und er biß Ookuninuschi ins Gesicht. Dieser aber fragte den großen Himmelsgeist um Rath, was er mit dem kleinen Geschöpfe anfangen solle, und da ward ihm der Bescheid, daß der Kleine einer der Söhne des großen Himmelsgeistes sei, der wegen seiner Kleinheit abhanden gekommen wäre. Man möge ihn mit Liebe hegen und pflegen, dann werde der kleine Gott helfen, das Land in Ordnung zu bringen. Der Zwergprinz hieß Sukunabikona und wurde nun der treue Bruder und Genosse des Ookuninuschi. Mit einander bauten sie das Land zweckmäßig und immer besser an; ferner gaben sie Unterweisung, wie man Krankheiten heilen könne, und da sie auch die Menschen belehrten, wie man Unglück verhüten und vorherzusagen im Stande sei, so wurden sie damit die Erfinder der Heil- und Wahrsagekunst. So lebten sie lange Zeit zusammen und förderten mit einander ihr Werk. Als sie aber einstmals mit einander darüber redeten und Ookuninuschi dasselbe sehr rühmte, da sprach der kleine Prinz Sukunabikona[125] zu großer Verwunderung seines Freundes: »Das Werk ist noch lange nicht vollkommen eingerichtet, daran fehlt noch viel!« Und wie er so gesprochen, da lief er eine Anhöhe hinauf, stellte sich auf eine der Hirsestanden, die dort wuchsen, und schnellte sich in die Wolken empor. So entschwand er, um von nun an auf den glückseligen Inseln zu wohnen, wo Niemand altert und stirbt, wo ein steter Frühling herrscht, und wohin die Schwalben und die Wildgänse ziehen, wenn sie uns verlassen.

Nun war Ookuninuschi wieder allein und konnte den Verlust des kleinen Freundes nicht verschmerzen. »Wie soll ich allein in diesem Lande mein Werk fördern und alles fertig machen, was noch unvollkommen daliegt?« rief er verzweiflungsvoll aus. Da erglänzte plötzlich die See und ein herrlicher Gott stieg daraus hervor. »Wer bist du?« fragte Ookuninuschi. »Ich bin dein guter Geist,« war die Antwort; »nur weil ich dir beistand, dir immerfort half, ist dir alles wohlgerathen, und ohne mich kannst du dein Werk nicht vollenden.« »So bleibe bei mir!« sprach Ookuninuschi. »Das will ich,« entgegnete der Geist, »aber nur dann, wenn du mir versprichst, mir eine schöne Ruhestätte zu bauen; sonst ist mein Verbleiben bei dir unmöglich.« Und als Ookuninuschi darauf fragte, wohin er die Ruhestätte bauen sollte, da entgegnete der Geist: »Verehre mich, indem du mir einen Tempel auf dem Berge Mimoro in Yamato erbauest. Dahin will ich kommen und dort rasten.« Ookuninuschi erfüllte augenblicklich den Wunsch seines Schutzgeistes, der der Gott Omiwa war. Er baute den Tempel an die Stelle, die der Gott bezeichnet, und dieser zog dort ein. Er vermählte sich und ward der Vater vieler wohlthätigen Landesgottheiten. Er ließ nie ab, Ookuninuschi in allen seinen Anschlägen beizustehen und förderte dessen Werke, bis die Herrschaft desselben ein Ende erreichte.

1

Saiteninstrument, s. S. 56.

2

Reiswein.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 116-126.
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