Denksteine der pflichtgetreuen Söhne.

[352] Zur Zeit, als der berühmte, vielgepriesene Schogun Yoritomo Japan beherrschte, ward ein Edler, Namens Kuwadzu, von einem bösen Feinde, Kudo, meuchlerisch umgebracht, und Kuwadzu's Freunde vermochten dessen Tod nicht zu rächen, da sich der hinterlistige Kudo in die Gunst Yoritomo's einzuschmeicheln gewußt hatte. Kuwadzu hinterließ zwei unmündige Söhne; der ältere derselben schien dem Mörder indessen schon einigermaßen gefährlich, da er alt genug war, den ganzen Vorgang zu begreifen. Es ward ihm daher von Kudo's Anhängern sehr nachgestellt, und um sein Leben zu retten und damit die Möglichkeit zu wahren, später die ihm obliegende Rachepflicht auszuüben, entschloß er sich, buddhistischer Priester zu werden. Er ließ sich das Haar abscheren und lebte nun in einem kleinen Tempel in der Nähe von Hakone unbeachtet und ungefährdet. Der jüngere Bruder ward von einem geschickten Fechtmeister adoptirt und in dessen Kunst unterrichtet; er war, als sein Vater umkam, so jung, daß Kudo ihn nicht weiter beachtete.

So ging Jahr auf Jahr dahin. Der ältere Sohn Kuwadzu's, der Priester, war beinahe herangewachsen und hatte sich zugleich, ohne Aufsehen zu erregen, in der Kunst des Fechtens und des Bogenschießens geübt und durch Streifzüge im Gebirge seinen Körper gestählt, um ihn zu der Ausübung der Rachethat geeignet zu machen, die sein einziges Dichten und Trachten war. Unablässig bemühte er sich auch, seinen Bruder aufzufinden, den er seit dem unseligen Tode seines Vaters nicht gesehen. Endlich gelang ihm dies auf einer Reise, die er weit nach Osten zu machen hatte, in der kleinen Stadt Oiso. Als er seinem Bruder Kunde von seiner Herkunft gegeben, als er ihm berichtet, wie schandbar Kudo an ihrem Vater gehandelt, und als er ihn aufgefordert, bei dem Rachewerke zu helfen, da loderte auch in dem jüngern Bruder, der bis dahin arglos dahingelebt,[353] die Wuth gegen den Mörder in hellen Flammen empor, und beide Brüder gelobten sich, nicht zu rasten, bis sie dem Kudo vergolten hätten, was er einstmals ihrem Vater angethan.

Die Zeit war gerade günstig, denn Yoritomo hatte mit seinem Gefolge eine der großen Jagden am Fujiyama veranstaltet, welche seine besondere Freude waren. Auch Kudo war dabei, und die Brüder durften hoffen, ihn in dem Lager, das man bei solchen Gelegenheiten oft im freien Felde aufzuschlagen genöthigt war, überfallen zu können und ihn in nicht allzu zahlreicher Begleitung anzutreffen. So wanderten sie heimlicher Weise heran und erspäheten eines Abends mit Geschick, wo Kudo's Zelt sich befand. Gewappnet, wie es Kriegern geziemt, stürzten sie auf dasselbe zu; die Diener und Wachen, welche es umstanden, fielen sehr bald unter ihren ergrimmten Hieben, und so drangen sie bei Kudo ein, den sie, bevor sie ihn tödteten, aus dem Schlafe erweckten, um ihm zu eröffnen, von wem und weshalb er getödtet werde. Kudo war Anfangs ergrimmt und rief unter Drohungen und Schmähungen gegen die Eindringlinge sein Gefolge herbei; als aber Niemand auf sein Rufen erschien und die zwei Brüder seiner Drohworte spotteten, verließ ihn der Muth. Schon ahnte er, daß sie die Rächer Kuwadzu's seien, allein sie ließen ihm nicht den geringsten Zweifel, sondern warfen ihm seine treulose That mit den härtesten Worten vor. Nun lähmte der Schrecken vollends seine Glieder; widerstandslos ließ er sich morden, und triumphirend hielten die tapferen Jünglinge das Haupt des Feiglings empor.

Dieselben verschmähten es, zu entfliehen; vielmehr gaben sie den herbeieilenden Jagdgefährten des Kudo genaue Kunde von allem, was geschehen, und verübten dann, bevor man sie daran hindern konnte, Selbstmord durch Bauchaufschlitzen, da sie meinten, ihre That würde, obwohl berechtigt, doch von Yoritomo bestraft werden, weil Kudo hoch in dessen Gunst gestanden habe.

Die Edlen des Gefolges des Schogun aber beweinten sie sehr, und das Volk pries ihre That noch mehr und setzte ihnen[354] zwei Steine zum ewigen Andenken in der Nähe eben jenes Tempels, dessen Priester der ältere der beiden Brüder längere Zeit hindurch gewesen war.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 352-355.
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