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[173] Auf der Balz37 begegnete Chämyts einem Jungen. Der bat ihn, er solle ihm erlauben, drei Tage in seiner Gesellschaft zu wandern. Chämyts willigte ein und sie setzten ihren Weg selbander fort. Als es Abend wurde, fehlte es ihnen noch an Speise. Da sagte der Junge zu Chämyts: »Hungrig legen wir uns nicht schlafen. Bleib' du hier bei den Pferden; ich bringe etwas.« Dann kletterte er den Berg hinauf und trieb das Wild vor sich her; das beste daraus tötete er und nahm es auf den Rücken, das andere aber trieb er auf Chämyts zu. Der aber war inzwischen eingeschlafen. »Ich hatte dich für mannhafter gehalten«, sagte der Junge, leistete ihm aber doch an diesem Abend Dienste.
Als es Morgen geworden war, sagte der Junge zu Chämyts: »Mit dir kann ich nichts anfangen«, und verließ ihn. Chämyts aber tat es nachher leid, daß er den Jungen nicht nach seiner Herkunft gefragt hatte, »denn,« dachte er, »aus seinem Geschlecht ein Mädchen, das wäre eine Frau für mich.« Er rief ihm also nach: »Junge, he! Ich hab' noch was mit dir zu besprechen.« Der Junge blieb stehen, bis Chämyts näher kam und ihn frug, aus welchem Geschlecht er sei, denn er möchte aus seinem Geschlecht ein Mädchen freien. »Ich bin aus dem Geschlecht der Chädmäst-Psäl. Eine Schwester hab' ich und die geben wir dir; aber wenn ihr jemand einen Vorwurf macht, so bringt sie sich entweder um oder du mußt sie ins Elternhaus zurückbringen.« Chämyts war's zufrieden, begleitete den Jungen nach Hause, freite um das Mädchen und zog auch gleich den Brautpreis aus der Tasche und bezahlte. Dann nahm[173] er seine Frau mit sich und führte sie hinauf auf einen kupfernen Turm, wo sie längere Zeit lebte.
Aber, wann ließ Syrdon eine Gelegenheit unbenutzt, den Narten Schlimmes zuzufügen? So auch diesmal. Eines Morgens kam er daher, schaute zur Frau Chämyts hinauf und schrie: »He, du Verfluchte, du Hure! War deinesgleichen noch nie bei den Narten zu finden? Wie lang wirst du noch da droben sitzen? Warum kommst du nicht 'runter?«
Die Frau Chämyts' aber suchte ihren Gatten auf und sagte ihm in weinerlichem Tone: »Syrdon ist euer Sauläg38, und da er mich beleidigt hat, kann ich nicht länger hier bleiben. Führe mich in mein Elternhaus zurück. Ich hätte dir einen Sohn geboren, wie nie einer auf Erden war. Ich will ihn dir zwischen die Schultern einblasen. Du wirst eine Geschwulst da bekommen; zähle die Monate und wenn die Zeit gekommen ist, laß sie aufschneiden. Ein Junge wird herauskommen; den wirf gleich ins Meer!«
Dann führte Chämyts seine Frau in ihr elterliches Haus zurück. Als ihm aber der Rücken zwischen den Schultern schwoll, bedauerten ihn die Narten, weil sie glaubten, es sei ein böses Geschwür. Chämyts zählte die Monate, und als die Zeit der Geburt herankam, stieg er auf seinen kupfernen Turm, rief Soslan zu sich und befahl ihm, die Geschwulst aufzuschneiden. Als der kleine Knabe heraus war, trugen sie ihn ans Meer und warfen ihn hinein. Da wurde er so groß wie ein Berg. Die Mysyrbi und Badri aus dem Geschlechte der Bora kamen ans Meer und baten den Jungen, er möge ihnen einen der Ochsen, die im Meere sind, herauswerfen. Der Junge aber sagte: »Führt mir den Urýsmäg her, rasiert ihm den Kopf, und wenn ihr damit fertig seid, werfe ich euch Ochsen heraus und komme selbst!« So gingen sie zu Urýsmäg und erzählten ihm alles. Urýsmäg[174] stand am folgenden Morgen auf und ging mit ihnen ans Meeresufer. Dort rasierte man ihm den Kopf. Batrás aber – dies war der Name des Jungen – stieg aus dem Meere auf und sagte: »Schämt ihr euch denn nicht, ihm den Kopf zu rasieren?« packte mit beiden Händen je einen Meerochsen, kam ans Ufer, zog ein Rasiermesser aus der Tasche und rasierte den Urýsmäg weiter. Dann befahl er, seines Vaters Pferd zu holen, damit er darauf nach Hause reiten könne. Das taten sie, und als er aufgestiegen war, drückte er ihm mit seinen Knien die Rippen ein, so daß das Tier starb. »Führt mir Urýsmägs Pferd her!« sagte Batrás. Auch dies konnte ihn kaum tragen. Als er nach Hause kam, sagte er: »So, wie ich bin, aus Knochen und Fleisch, kann ich mit den Leuten nicht Krieg führen. Ich lasse mich stählen.« Sprach's, steckte 60 Tuman39 in die Tasche und ging zu Kurdálägon40 und sagte: »Gott schenke uns deine Gnade! Stähle mich, daß ich Stahl werde.« »Ich würde es wohl tun, aber du verbrennst«, wandte Kurdálägon ein. »Was auch aus mir wird, ich muß mich unbedingt stählen lassen.«
Dann holte Kurdálägon Steine, baute einen Ofen daraus, legte Batrás hinein, zündete Feuer an und blies von einem Sonnabend bis zum andern hinein. »Jetzt will ich nachsehen, was aus Batrás geworden ist«, sagte er dann, sah nach und siehe! Batrás sitzt im Feuer und schaut. »Nein,« sagte er, »wenn du mich stählen willst, so stähle mich ordentlich, wenn nicht, so scherze nicht mit mir, gib mir einen Fändýr41 zum Spielen!« Kurdálägon fing also von neuem mit dem Stählen an und blies das Feuer wieder eine Woche lang an. Als er dann nachsah, sagte Batrás: »Sei gnädig, wirf mich ins Meer!«
Das tat Kurdálägon denn auch, und das Meer trocknete aus von der Hitze; eine ganze Woche lang war kein Wasser darin. Als Batrás aus dem Meere stieg, kam auch das Wasser wieder.
37 | »Balz« heißen die Kriegs- und Beutezüge der Narten, überhaupt jede längere Abwesenheit vom Hause mit dem Zwecke des Reisens (Besuche Verwandter, Salzholen usw.) |
38 | Es gab im alten Ossetien verschiedene soziale Klassen. Sauläg heißt wörtlich »Schwarzer Mensch«. Die Sauläg standen zwischen den Sklaven und den Äldar, doch waren sie freie Leute, nur einige, die sich auf den Ländereien der Äldare niedergelassen hatten, zahlten diesen dafür Abgaben. |
39 | Tuman, ursprünglich persische Münze, jetzt nominell im Kaukasus 10 Rubel. |
40 | Der mythische Schmied der Osseten; er wohnt im Himmel oder im Totenreich. |
41 | Zweiseitiges, gitarrenartiges Instrument. |