83. Das Eselsei

[277] Kirakos aus Kerkendj, noch, dazu Dorfschulze, ging einst in Dienstangelegenheit in die Stadt. Als er durch den Basar kam, sah er in dem Laden eines Tataren einen Haufen eiförmige Dinger liegen – Melonen waren es – und frug den Tataren, was denn das für sonderbare Dinger wären.

»Ja, Freund, das sind Eselseier«, sagte der.

»Was, Eselseier? Also kommen da kleine Eselchen heraus?«

»Und was für welche!«, sagte der Tatare, der nur mit Mühe das Lachen verbeißen konnte.

Kirakos kaufte um dreifachen Preis die größte Melone und machte sich auf den Heimweg.

Unterwegs mußte er einmal ein bißchen auf die Seite' gehen; er legte also die Melone auf den Boden, aber unglücklicherweise an einer etwas abschüssigen Stelle; die Melone kam ins Rollen und zerschlug sich an einer Baumwurzel. Hinter dieser aber war ein Hase gesessen, der erschreckt aufsprang und das Weite suchte. Kirakos lief ihm nach, in der Meinung, es sei das aus dem Ei geschlüpfte Eselchen, lief ihm nach und rief: Kuri, Kuri (Eselchen), komm, ich bin dein Herr, komm!

Der Hase aber hörte nicht, trotz seiner langen Ohren. Lange rief ihm Kirakos nach, bis er müde wurde, dann gab er's auf. Erst spät kam er nach Hause und erzählte seiner Frau, was ihm passiert war.

Frau Kirakos weinte ein paar Tränen über den Verlust des Esels und meinte dann, es wäre so schön gewesen, wenn sie am nächsten Sonntag auf dem Eselchen ins Kloster hätte reiten können, um dem Wartapet (Klostervorsteher) die Hand zu küssen.

»Was?« rief Kirako in höchster Wut, »gelt, das könnte dir passen, auf so einem jungen Tierchen in der Welt herumzureiten![278] Dem armen Vieh den Rücken durchdrücken, das könnte dir passen, gelt!«

Rief's, packte einen Prügel und ließ seinen Ärger an seiner Frau Rücken aus. Und hörte mit dem Zuschlagen erst dann auf, als sie ihm versprach, zu Fuß ins Kloster zu gehen.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 277-279.
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