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[281] In uralter Zeit, im Zeitalter der Feen, als ich ging und ging, und verbotene Gärten durchschweifte, kam ich endlich in einen derselben sehr schlecht an. Ich färbte mein Pferd und glaubte, dass es von natürlicher Farbe sei; ich kaufte mir einen Esel und dachte, dass er nun meine Frau werde; er versetzte mir aber einen so gewaltigen Hufschlag, dass ich glaubte, er liebkose mich. Auf meinem Wege schritt ich immer vorwärts, in von Eulen bewohnten Ruinen schlief ich, bis es mir wieder einmal schlecht ankam. Top-hanes grosse Kugel steckte ich gleich einer Frucht in die Tasche; Galatas grossen Turm steckte ich gleich einer Trompete in den Mund; die Burg des Mädchen-Turmes (Kyz Kulesi) nahm ich gleich einen Bären in den Schoss; auf die Mitte des Meeres trat ich wie auf einen Felsen hin; zuletzt gelangte ich als Narr unter Narren. Das war meine Sünde, dass ich dies Märchen, dies Lügenmärchen erzählt habe.
Es hatte einmal ein Padischah eine Tochter. Schön war sie wie der Vollmond, schlank wie eine Cypresse, ihe Augen waren kohlengleich, nachtschwarz ihr Haar; ihre Augenbrauen bogengleich, dem Pfeile glichen ihre Augenlider. Ein grosser Garten befand sich im Palast, in der Mitte des Gartens war[282] ein grosses Wasserbecken, neben demselben sass den ganzen lieben Tag hindurch die Maid und stickte und nähte. Einmal legte sie ihren Ring auf das Sticktischchen und da flog eine kleine Taube herbei, packte den Ring und flog damit fort. Die kleine Taube war so schön, dass sich das Mädchen in sie ganz verliebte. Am anderen Tage legte die Maid ihr Armband hin, das von der Taube ebenfalls fortgetragen wurde. So sehr brannte die Maid die Glut ihrer Liebe, dass sie weder ass, noch trank und den nächsten Tag kaum erwarten konnte. Am dritten Tag trennte sie vom Sticktischchen die Spitzengewebe ab and legte sie neben sich. Sie wartete nun auf ihre Taube, die gar bald erschien und mit den Spitzen davonflog. Die Maid hatte kaum Kraft zum Aufstehen; weinend ging sie in den Palast zurück und brach dort zusammen. Eilig kam die Hofdame herbei und rief: »O Herrin, warum weinest du, wer hat dir ein Leid zugefügt?« – »Ich bin krank! krank am Herzen!« antwortete die Sultanstochter und weinte und seufzte in einem fort.
Die Jungfrau war das einzige Kind des Padischah und die Hofdame fürchtete sich, ihn von der Krankheit zu benachrichtigen. Als sie aber sah, dass die Maid bleicher wird, fortwährend seufzt, so ging sie zum Padischah und benachrichtigte ihn. Der Vater erschrak, eilte zum Mädchen, ihm folgten viele Hodschas, Ärzte, nach, aber keiner konnte die Krankheit erraten. Am nächsten Tage sprach der Wezir des Padischah: »Arzt, Hodscha, helfen dieser Maid nimmer; anderswo muss das Heilmittel gesucht werden.« Er riet dem Padischah, er möge ein grosses Bad errichten lassen, dessen Wasser jeden Kranken heilt; dann solle er jeden, der sich darin badet, seine Lebensgeschichte erzählen lassen. Der Padischah liess das Bad errichten und überall verkünden, dass darin der Kahlköpfige Haare erlange, der Taube hörend, der Blinde sehend, der Lahme wieder gerade werde. Das Volk[283] strömte nun in's freie Bad und jeder liess darin seine Krankheit und seine Lebensgeschichte zurück.
Es hatte ein Kahlköpfiger eine gelähmte Mutter. Auch sie hörten von der Heilkraft des Bades. »Gehen auch wir hin«, sagte der Sohn, »vielleicht finden wir beide Heilung darin.« – »Wie soll ich gehen,« keuchte die alte Frau, »wenn ich auf meinen Füssen nicht einmal stehen kann.« – »Dem lässt sich abhelfen,« sagte der Kahlköpfige und seine Mutter auf die Schultern hebend, ging er in's Bad.
Als sie nun vorwärts gingen, ward der Sohn auf dem Felde in der Nähe eines Flusses müde und setzte seine Mutter auf die Erde nieder. Da schritt an ihnen ein Hahn vorüber, der auf seinem Rücken einen Krug voll Wasser irgendwohin trug. Der Sohn war neugierig, wohin der Hahn das Wasser wohl trage und er ging ihm nach. Der Hahn gelangte zu einer grossen Burg, in deren Mauer sich ein Loch befand, durch welches er mit dem Wasser hineinschlüpfte. Der Junge kroch ihm nach und als er nun umherblickte, stand ein so grosser Palast vor ihm, dass ihm Mund und Ohren aufgingen. Nirgends eine Seele, niemand hinderte ihn und er ging daher in den Palast hinein. Von der Stiege ging er in die Vorhalle und dann aus einem Zimmer in das andere und bewunderte so lange den vielen Zierat, bis er endlich müde ward. »Es wird ja doch bald etwas Lebendiges sich zeigen,« dachte er sich und kroch in einen grossen Kasten, damit er von dort aus alles beobachte. Nach einer Weile flogen drei Tauben zum Fenster herein, und nachdem sie sich einmal geschüttelt, gerüttelt hatten, verwandelten sie sich in so schöne Jungfrauen, dass der Junge gar nicht wusste, welche er mehr bewundern solle.
Die drei Tauben sagten: »Ei, wir sind gar lange ausgeblieben; bald wird unser Padischah hier sein und noch ist gar nichts fertig.« Eine nahm nun den Besen und fegte das[284] Gemach, die andere deckte den Tisch und die dritte brachte viele Speisen herein. Dann schüttelten sie sich wieder einmal und die drei Tauben flogen zum Fenster heraus. Inzwischen war der Kahlköpfige hungrig und dachte sich, dass ihn ja ohnehin niemand sehe, er könne sich doch einige Bissen von den Speisen nehmen. Er steckte also die Hand aus dem Kasten heraus und als er nach den Speisen griff, wurde ihm ein solcher Schlag auf die Hand versetzt, dass sie ihm anschwoll. Er steckte nun die andere Hand hervor und erhielt einen noch herberen Schlag darauf. Der Junge erschrak nun und kaum dass er sich zurückzog, so flog eine weisse Taube in die Stube herein. Sie schüttelte ihr Gefieder und verwandelte sich in einen schönen Jüngling.
Er trat an einen kleinen Schrank heran und nahm aus demselben einen Ring, ein Armband und ein Spitzengewebe hervor. »O du Ring, wie glücklich bist du, denn an ihrem Finger hat sie dich getragen; o Armband, wie glücklich bist du, denn an ihrem Arm trug sie dich.« Also seufzte der schöne Jüngling und wischte sich die Tränen mit dem Spitzentuche ab. Dann legte er alles in das Schränkchen zurück, kostete die Speisen und legte sich dann nieder. Der hungrige Kahlköpfige erlebte gar, schwer den nächsten Morgen. Der schöne Jüngling stand auf, rüttelte sich und die weisse Taube flog hinaus. Auch der Junge kroch aus dem Schranke hervor, ging in den Hof hinab und kroch durch das Mauerloch in's Freie hinaus. Dort weinte und klagte seine arme Mutter, aber bald tröstete sie der Sohn, nahm sie auf seinen Rücken und so gingen sie in's Bad. Sie badeten und die Frau verlor ihre Lähmung, der Kahlköpfige bekam Haare. Dann erzählten sie ihre Geschichte und als die Sultanstochter hörte, was alles der Junge gesehen und gehört habe, so kam frisches Leben in sie. Sie stand aus dem Bette auf und versprach dem Jungen das Bad und Schätze, wenn er sie zu jener[285] Burg hinführe. Der Junge machte sich nun mit der Maid auf den Weg; er zeigte ihr die Burgmauer, half ihr durch's Loch, führte sie in's Zimmer der Taube und zeigte ihr den Schrank, in dem sie sich verstecken könne. Der Junge kehrte zurück und mit Schätzen und Gesundheit gesegnet, lebte er mit seiner Mutter weiter fort.
Es mochte gegen Abend sein, als die drei Tauben hereinflogen. Sie fegten, reinigten alles, brachten die Speisen herein und flogen dann wieder hinaus. Bald flog die weisse Taube herein und die Maid wurde fast ohnmächtig, als sie ihre geliebte kleine Taube erblickte. Aber ganz und gar kraftlos wurde sie erst dann, als aus der Taube ein schöner Jüngling ward, so schön wie der Vollmond. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, als sie sein volles Antlitz erblickte. Der Jüngling trat an das Schränkchen heran, öffnete es und nahm den Ring, das Armband und das Spitzentuch der Sultanstochter hervor. »O du Ring,« seufzte er, »wie glücklich bist du, denn dich hat ihr schöner Finger getragen; o du Armband, wie glücklich bist du, denn dich trug ihr Arm,« Dann nahm er das Tuch und trocknete sich damit seine Tränen. Das Herz der Maid zersprang beinahe vor Leid. Sie klopfte mit ihrem Finger an den Schrank. Der Jüngling trat heran, öffnete den Schrank, und vor ihm stand seines Herzens Geliebte, in seinen Armen ruhte seine Glückseligkeit.
Der Jüngling erkundigte sich, auf welche Weise sie hergelangt sei, in den Palast der Peris. Die Maid erzählte ihm nun die Art und Weise und ihre Liebeskrankheit. Der Jüngling hingegen erzählte ihr, dass auch er einer sterblichen Mutter Kind sei; als er aber drei Tage alt gewesen, hätten ihn die Peris gestohlen, in ihren Palast hergebracht und zu ihrem Padischah gemacht. Den ganzen Tag sei er bei ihnen, nur zwei Stunden lang sei er frei. Heute könne die Maid[286] noch bei ihm verweilen, könne den ganzen Tag über ein- und ausgehen, gegen Abend aber müsse sie sich verbergen, denn wenn er zu dieser Zeit mit seinen dreissig Peris herankäme und diese sie erblicken würden, so würden sie sie töten. Morgen würde er ihr den Konak seiner Mutter zeigen, wo sie in Frieden leben und seine zwei freien Stunden jeden Tag mit ihr zubringen könne.
Am nächsten Tage zeigte der Padischah de Peris der Maid den Konak seiner Mutter. »Wenn du hingehst,« sagte ihr der Padischah, »so sage, dass man sich beim Andenken Bachtijar Bejs, deiner erbarmen und dich aufnehmen solle. Wenn meine Mutter meinen Namen hört, so schlägt sie deine Bitte nicht ab.« Die Maid ging also hin und klopfte an der Türe. Eine alte Frau kam heraus und als sie die Maid erblickte und den Namen ihres Sohnes hörte, begann sie zu weinen und nahm sie auf. Eine lange Zeit hindurch befand sich die Maid dort, jeden Tag besuchte sie der kleine Vogel, so lange bis die Sultanstochter einen kleinen Sohn gebar. Die alte Frau wusste nicht, dass ihr Sohn das Haus besuche, auch das nicht, dass die Maid niedergekommen sei.
Am anderen Tag kam der kleine Vogel, flog an's Fenster und rief hinein: »O Herrin, was macht mein kleiner Sprössling?« Da antwortete die Maid: »Nichts fehlt unserem Sprössling, er wartet Bachtijar Bejs Ankunft!« – »O wenn dies meine Mutter wüsste,« seufzte der Jüngling, »ihr schönstes Gemach würde sie dir einräumen!« Dann flog er in's Gemach, verwandelte sich in einen Menschen und koste seine Gattin und sein Kindlein. Nach Ablauf der zwei Stunden schüttelte er sich und eine kleine Taube flog zum Fenster hinaus.
Die Mutter hatte des Sohnes Rede gehört und war ausser sich vor Freude. Sie eilte zu ihrer Schwiegertochter, liebkoste[287] sie, pflegte sie, führte sie in ihr schönstes Gemach und erkundigte sich nach den Geschäften ihres Sohnes. Sie erfuhr nun, dass ihn die dreissig Peris geraubt hatten und nun berieten sie, wie man ihn zurückrauben könnte. »Wenn morgen mein Sohn kommt, so trachte, dass er sich bei dir verspätet, das übrige ist meine Sache.«
Am nächsten Tage flog der Vogel an's Fenster und sah, dass sich die Maid nicht im Gemache befinde. Er flog somit zum schönsten Gemache hin und rief hinein: »O meine Herrin, was macht mein kleiner Sprössling?« Die Maid antwortete: »Viel fehlt unserem Sprössling, er wartet auf Bachtijars Ankunft.« Er flog nun in die Stube hinein, verwandelte sich in einen Menschen und nun hielt ihn seine Gattin mit Reden so lange hin, dass er den Lauf der Zeit gar nich wahrnahm. Aber was tat indessen seine Mutter?
Ein grosser Cypressenbaum stand vor dem Hause, auf dem pflegten sich bisweilen dreissig Tauben niederzulassen. Mit giftigen Nadeln bespickte die Frau den ganzen Baum. Gegen Abend, kaum dass die Zeit des Padischah ablief, kamen die Tauben, die dreissig Peris, suchten ihren Padischah und setzten sich auf den Cypressenbaum. Aber kaum traten sie in die Nadeln, so fielen sie vergiftet herab.
Dem Jüngling fiel indessen die Zeit ein und gross war seine Angst, dass er sich in dem Palaste verspätet habe. Er haschte nach links, er haschte nach rechts und als er hinaus auf den Cypressenbaum blickte, da sah er die dreissig Peris nicht mehr dort. So gross seine Angst war, so gross wurde nun seine Freude. Er fiel seiner Gattin um den Hals, seine Mutter trat ein, er umarmte sie und gross war seine Seligkeit, dass er den Peris endlich entronnen.
Überall lautes Weinen, laute Freude überall; die Mutter[288] hatte ihren Sohn, die Gattin ihren Gemahl gefunden. Sie feierten ihre Hochzeit, die selbst am vierzigsten Tage noch nicht zu Ende war. Sie hatten ihr Ziel erreicht, hatten gegessen, getrunken, sich gut unterhalten; auch wir mögen unser Ziel erreichen und zu guter Speise, zu gutem Trank gelangen.
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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
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