Der Betrüger und der Dieb.

[289] Es war einmal eine schlaue Frau, die hatte zwei Männer, doch keiner wusste von dem Dasein des anderen; des einen Handwerk war Betrug, des anderen Diebstahl, beide hatten es von der Frau gelernt. Einst ging der Dieb mit einem der gestohlenen Güter auf den Markt, verkaufte es und nahm das Geld nach Hause. Da ging der andere zum Käufer, packte ihn beim Kragen und sagte: »Das ist mein Gut; man hat mir auch noch mehr gestohlen, gewiss ist das auch bei dir. Ich will, dass du mir es sofort zur Stelle schaffst!« und hielt ihn fest. Der aber entgegnete: »O weh! ich bin kein Dieb! ich habe dies von einem anderen gekauft; nun sagst du, alle deine Sachen wären bei mir. Lass mich frei und suche den rechten Dieb.«

Es entsteht ein grosser Lärm; der Dieb muss einsehen, dass man ihm auf die Spur kommen wird. Er macht sich schnell aus dem Staube und eilt schnurstracks nach Hause. Seiner Frau sagt er, man habe seine Diebereien entdeckt und fahnde nun nach ihm. »Um nicht gefangen zu werden, entferne ich mich auf einige Tage,« sagte er, »gib mir etwas Brot mit.« Die Frau bereitet Brot und einen Hammelschwanz, schneidet ihn entzwei und gibt ihn ihrem Manne. Der Dieb macht sich nun mit dem Brote und den Hammelschwanz auf den Weg.[290]

Er geht und wandert eine geraume Zeit lang; unterdessen kommt der andere Mann der Frau, der Betrüger, heim. »Man ist mir heute hinter meine Betrügereien gekommen,« sagte er. »Gib mir etwas Brot, ich will einige Tage nicht gesehen werden und gehe anders wohin.« Die Frau hatte von dem Brote und dem Hammelschwanz, die sie bereitet hatte, die Hälfte verborgen, gibt sie jetzt dem andern; der Geselle nimmt sie und macht sich auf den Weg. Während er seines Weges wanderte, wird der andere, der Dieb, des Gehens müde und kommt an einen Fluss. »Ich werde mich ein wenig ausruhen,« sagt er und setzt sich unter einen Baum, bereitet sich zum Essen und nimmt das Brot und den Hammelschwanz hervor, den er von seiner Frau bekommen.

Da kommt auch der Betrüger hin, setzt sich am Ufer des Flusses nieder, nimmt seinen Mundvorrat hervor und beginnt zu essen. Der Dieb ruft ihm zu: »Heda Freund, wir könnten wohl miteinander essen!«; der Betrüger setzt sich zu ihm, doch kaum hat er sich neben ihm niedergelassen und sein und seines Gefährten Brot betrachtet, bemerkt er die Ähnlichkeit der beiden Brote. Sie fügen die beiden Stücke aneinander, und sehen, dass es ein Laib ist. Sofort passen sie die zwei Hammelschwanzstücke auch aneinander und wie sie bemerken, dass die eigentlich auch ein Stück waren, fragt der erstaunte Betrüger den Dieb: »Nichts für übel! Woher kommst du?« Der Dieb antwortet ihm hierauf, dass er aus dieser und dieser Stadt komme. »Wo wohnst du?« »In diesem und diesem Stadviertel lebt eine Frau; das Haus und die Frau sind mein,« versetzt der Dieb. Der Betrüger ruft betroffen: »Allah, Allah! was redest du? Jenes Haus und jene Frau sind die meinigen. Es ist schon an ein Jahr, dass ich dort wohne. Warum lügst du?« Der Dieb entgegnet wieder: »Mann, bist du von Sinnen, oder treibst du Possen? Seit langer Zeit ist jene Frau meine Gattin!« Da fahren sie[291] sich über die Sache in die Haare. Endlich meint der Betrüger: »Der Streit wird unsern Fall nicht entscheiden. Das beste ist, wir gehen zur Frau und fragen sie. Von ihr werden wir's schon erfahren, welcher von uns beiden ihr Mann ist.« So machten sich beide auf und gingen zur Frau.

Als die Frau die beiden kommen sah, wusste sie schon, um was es sich handelt. Sie empfängt sie, lässt sie Platz nehmen und setzt sich gegenüber. Da fragt sie der Betrüger: »Sag' 'mal, wessen Frau bist du?« Sie versetzte hierauf: »Bisher war ich beider Frau; von nun an werde ich dessen sein, dessen Gewandtheit grösser ist. Beiden habe ich je eine Kunst gezeigt. Der wird mein Mann, dessen Kunststück mir besser gefallen wird.« Das waren beide zufrieden. Da sagte der Betrüger: »Heute werde ich meine Kunst beweisen, dann magst du zeigen, was du kannst.« Damit brechen sie auf und gehen auf den Markt.

Der Betrüger bemerkt, dass ein Mann tausend Goldstücke in seinen Beutel tat, diesen in seinen Busen barg und auf den Markt ging. Wie der Betrüger dies bemerkt, schleicht er ihm nach, erreicht ihn in der Menschenmenge und stiehlt ihm unbemerkt den Beutel aus dem Busen. Dann geht er an einen abseitsgelegenen Ort, nimmt neun Goldstücke heraus, zieht seinen eigenen Siegelring vom Finger, tut ihn in den Beutel und steckt ihn jenem Manne wieder unbemerkt in seinen Busen zurück. Dies sieht sein Gefährte, der Dieb auch. Da entfernt sich nun der Betrüger und kommt dem erwähnten Manne nach einiger Zeit entgegen gegangen, packt ihn beim Halse und fängt an ihn zu hauen: »Du Spitzbube, warum hast du meinen Beutel mit den Dukaten gestohlen?« Der Mann wird verlegen und versteht von der Sache kein Wort. »Höre Freund, gehe deiner Wege und lass mich in Frieden. Wer bist du? Ich kenne dich nicht!« sagten Doch der Betrüger erwidert hierauf: »Es ist gar nicht nötig, mich[292] zu kennen; komm nur vor's Gericht.« Dem andern bleibt nichts übrig, als einzuwilligen und mitzugehen. Der Betrüger ist der Kläger. Der Richter fragt: »Wie viel Geldstücke hast du gehabt?« »Tausend« war die Antwort des Angeklagten. Da wendet er sich an den Betrüger: »Und wie viel hast du gehabt?« »Herr, es waren ihrer neun hundert einundneunzig Stück, doch war auch mein silberner Siegelring dabei im Beutel.« Der Richter nimmt den Beutel, zählt die Dukaten, und sieh! es waren genau neun hundert einundneunzig Stück und den Ring nimmt er auch heraus. Man versetzt dem anderen einige Schläge und jagt ihn fort; die Dukaten aber gibt man dem Betrüger. Dieser nimmt sie, und geht mit dem Diebe zur Frau. »Sieh, der Betrüger hat sein Kunststück gezeigt, das vor ihm noch keiner getan hat. Lass nun sehen, was du kannst.«

Gegen Abend nimmt der Dieb einen Strick und begibt sich mit dem Betrüger zum Palaste des Padischah. Der Dieb wirft den Strick hinauf, klettert daran in die Höhe, hilft auch seinem Gesellen und sie dringen so in den Palast ein. Die Tür der Schatzkammer öffnen sie mit verschiedenen Schlüsseln und treten ein. Der Dieb redete dem Betrüger zu, sich soviel Dukaten zu nehmen, als er nur kann; ihn selbst blendet auch der Anblick so vieles Goldes, er rafft so viel zusammen, als er auf seinem Rücken schleppen kann und so gehen sie hinaus. Der Dieb geht hierauf zum Hühnerstall, packt eine Gans, erwürgt sie, macht ein Feuer, steckt die Gans an einen Spiess und befiehlt seinem Gefährten: »Dreh« sie nur, »damit sie nicht verbrenne.« Er selbst geht zum Schlafzimmer des Padischah. Der andere ruft ihm nach: »Halt, wohin gehst du?« Der antwortete aber: »Ich will dem Padischah erzählen, was für ein geschicktes Kunststück ich vollbracht habe, um zu erfahren, wer etwas besseres getan hat, ob die Frau mir oder dir gehören wird.« Sein Spiessgeselle[293] ruft aus: »Um Allahs willen, gehen wir nur fort. Ich lass' die Frau stehen, ich brauche sie nicht, mag sie dir gehören.« Doch der Dieb entgegnete: »Jetzt sprichst du so; morgen aber wirst du's bereuen. Doch wenn der Padischah etwas ausspricht, so musst du dich drein ergeben.«

So schlich er nun behutsam zur Schlafzimmertür des Padischah. Von hieraus nimmt er das Innere gut in Augenschein und sieht, dass der Padischah im Bette liegt, ein Sklave ihm die Füsse kraut und dabei Harz kaut. Der Dieb nimmt ein Pferdehaar, das dort am Boden lag, steckt ein Ende dem Sklaven in den Mund, sodass er das Haar nun mit dem Harz zusammenkaut. Wie er nun immer schläfriger wird, fängt er an zu gähnen; kaum sperrt er seinen Mund auf, so zieht der Dieb das Harz an dem Pferdehaare heraus und stiehlt ihm's so aus dem Munde. Der Sklave macht die Augen auf, sucht überall sein Harz, doch umsonst, er kann's nicht finden. Nach einiger Zeit wird er wieder schläfrig und schläft auch ein. Da hält ihm der Dieb ein Fläschchen mit Geist unter die Nase, so dass er die Besinnung verliert und zu Boden fällt. Der Dieb hebt ihn nun sachte auf, tut ihn in einen Korb, hängt den an einen Balken und fängt jetzt an, selbst dem Padischah die Füsse zu krauen. Sein Gefährte sieht dies alles von der Türe her. Auf einmal rührte sich der Padischah; da sagte der Dieb leise: »Mein Schah, wenn du weiter ruhst, erzähl' ich dir eine Geschichte.« »Gut,« murmelt der Padischah, »lass' hören.«

Hierauf erzählt der Dieb, was sich zwischen ihm und seinem Gefährten zugetragen hat, ja er mahnt inzwischen noch seinen Genossen, der sich draussen niedergesetzt hat, die Gans zu drehen, damit sie nicht verbrenne. Ich will die Sache nicht viel drehen und wenden, kurz, er erzählt, wie sie in die Schatzkammer eingebrochen, wie der Betrüger draussen die Gans brät, wie er inzwischen dem Sklaven das[294] Harz aus dem Munde gestohlen. Während er dies alles erzählt, zittert draussen sein Gefährte vor Angst und sagt in einem fort: »Komm schon, lass uns gehen,« und winkt ihm zu. Der Dieb aber entgegnet: »Drehe nur die Gans, damit sie nicht verbrenne!«, wendet sich wieder zum Padischah und fragt: »O mein Fürst, wessen Kunststück ist nun grösser, meines, oder des Betrügers; welcher von uns ist der Frau würdig?« Der Padischah antwortet, das des Diebes Geschicklichkeit grösser ist, die Frau gehöre ihm.

Dieser kraut dem Padischah noch ein wenig die Füsse, schläfert ihn ein, steht sachte auf und geht zu seinem Gefährten: »Nun hast du's gehört, der Padischah hat es gesagt, dass die Frau mir gehört.« Jener entgegnet: »Gut, gut, ich hab's gehört.« Der Dieb fragt wieder: »Wem gehört also die Frau?« Jener versetzt: »Aber ja, sie ist dein. Jetzt lass' uns aber fortgehen, sonst ertappt uns jemand. Ich bin schon beinahe des Todes, ich muss den Verstand verlieren.« Der Betrüger war schon vor lauter Angst beinahe von Sinnen. Der Dieb behauptet wieder: »Du hast gelogen; ich werde noch einmal den Padischah fragen.« Jener erschrickt: »Man wird dich gefangen nehmen. Um alles auf der Welt, gehen wir! Nicht nur die Frau sei dein; wenn du willst, bin auch ich dein Leibeigener!« So gehen sie endlich und nehmen das Geld mit. Vom Palaste gehen sie geradeaus zur Frau, und erzählen ihr die Geschichte. Der Frau gefiel das sehr und sie heiratete den Dieb.

Morgens erwacht der Schah aus seinem Schlafe und ruft seinen Sklaven. Doch tiefe Stille herrscht überall. Wie er sieht, dass niemand kommt, wartet er ein wenig und ruft noch einmal; doch der Sklave kommt wieder nicht. Da gerät er in Zorn, steht vom Bette auf und bemerkt den Korb, der vom Balken herab hängt. »Was ist das?« sagt er, lässt den Korb herunter, schaut hinein und sieht den Sklaven besinnungslos[295] drin liegen. Sofort lässt er seine Sklaven rufen und man bringt den Betäubten zu Besinnung. Der Padischah frägt den Sklaven, was mit ihm geschehen sei; doch dieser konnte nichts sagen, da er von nichts wusste. Der Padischah denkt nun nach, und besinnt sich, dass abends ihm ein Dieb was erzählt habe; er setzt sich sofort auf seinen Thron und lässt seine Wezire kommen. Alle Wezire und Bejs, soviel ihrer nur waren, kamen und versammelten sich beim Padischah. Er erzählt ihnen zu ihrem Erstaunen die Ereignisse der Nacht. »Dieser Dieb muss gefunden werden,« sagt er; »Ausrufer sollen in der Stadt verkünden: wer immer das vollführt hat, er möge zu mir kommen. Bei Allah, es soll ihm kein! Leids geschehen, das Gold aus der Schatzkammer mag er behalten und ich gebe ihm noch so und soviel Monatsgeld dazu.«

Die Ausrufer verkünden den Willen des Padischah jedermann auf den Strassen. Der Dieb hört es auch und da er weiss, dass der Padischah, was er beschworen hat, nicht anders tun wird, geht er schnurstracks hin und meldet sich: »Ich habe das vollführt.« Die Ausrufer führen den Dieb vor den Padischah, der ihn fragt, worauf er antwortet: »O mein Schah! Du kannst mich töten, du kannst mich belohnen; ich habe das getan.« »Und warum hast du das getan?« fragt ihn der Padischah. Da erzählt der Dieb alles haarklein. Der Padischah belohnt ihn, schenkt ihm den gestohlenen Schatz, gibt ihm noch ein Monatsgeld und die Frau dazu. Der Dieb aber, im Genüsse solcher Gnade des Padischah, gelobt aus vollstem Herzen und vollster Seele, nie wieder zu stehlen und bis an sein Lebensende samt seiner Frau für den Padischah zu beten.

Quelle:
Kúnos, Ignaz: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden: E.J.Brill, (1905), S. 289-296.
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