Der Schlangen-Prinz.

[325] In alten Zeiten, da lebte ein Besenbinder, der hatte drei Töchter. Dieser Mann verdiente sich durch Besenverkauf sein Brot. Als er einst damit herumhausierte, wurde er müde und setzte sich auf einen Stein in der Strasse mit dem Ausrufe, »Oh« nieder Da öffnete sich plötzlich der Stein, aus dem ein Araber vor ihm erschien und ihn fragte: »Was wünschest du?« Dieser Araber war der Lala des Schlangenprinzen, der »Oh« hiess und deshalb erschien, weil er glaubte, dass man ihn gerufen. Der Besenbinder sagte ihm, dass er ihn nicht gerufen, sondern sich nur niedersetzte, um auszuruhen, da er müde geworden, »Was bist du und wozu bist du hergekommen?« fragte ihn der Araber. »Ich bin ein Besenbinder,« antwortete der Mann, »und bin vom vielen Herumgehen müde geworden und dachte gerade darüber nach, da ich heute noch nichts verdient habe, was ich meinen Kindern nach Hause bringe.« »Wen hast du denn zu Hause?« setzte der Araber fragend fort. »Ich habe drei Töchter« sagte der Mann. Hierauf gab ihm der Araber ein Handvoll Gold und bat ihn, morgen eine seiner Töchter mit sich zu bringen.

Der Besenbinder ging hierauf nach Hause und Tags darauf sagte er seiner ältesten Tochter, dass er sie dorthin mitnehme, wo er diese Goldstücke bekommen. Das Mädchen machte[326] sich fertig und ging mit, und als sie zum Steine kamen, öffnete sich der Stein auf den Ruf »Oh«. Der Araber erschien, nahm das Mädchen und führte sie fort. Er brachte sie in einen grossen Seraj, führte sie in ein Zimmer hinein und als es Abend wurde, legte sich das Mädchen schlafen. Da erschien der Schlangenprinz und fragte seinen Lala, ob er das Mädchen gebracht habe, »Ja wohl,« sagte der Araber und zeigte auf die Türe, in dem sich das Mädchen befand. Der Araber hatte dem Mädchen, ehe es sich niederlegte, einen Humpen Scherbet hingestellt, das Mädchen hatte ihn aber nicht ausgetrunken. Als der Jüngling in das Zimmer des Mädchens eingetreten war, stach er ihr eine Nadel in den Fuss. Das Mädchen schrie auf, worauf sich der Jüngling entfernte.

Am nächsten Morgen war der Besenbinder wieder dort beim Stein, der Araber erschien, übergibt ihm das Mädchen, damit er es nach Hause führe und seine mittlere Tochter bringe. Er gab dem Manne wieder ein Handvoll Gold. Tags darauf nahm er seine mittlere Tochter mit sich, zu der die älteste sagte: »Wenn man dir einen Humpen Scherbet bringen wird, so trinke ihn ja nicht aus.« Das Mädchen versprach es und machte sich mit ihrem Vater auf den Weg. Auch dieses Mädchen wurde dem Araber übergeben, der es in denselben Palast brachte und als ihr der Araber, bevor sie sich niederlegte, den Scherbet hinstellte, fiel ihr ein, was ihr ihre Schwester gesagt hatte und sie trank ihn nicht aus. Der Prinz erschien wieder und als er ihr die Nadel in den Fuss stach, nun, da schrie auch sie auf. Der Prinz liess sie ebenfalls im Stiche und befahl seinem Lala, sie Tags darauf zurückzuführen.

Am nächsten Tage gab sie der Araber zurück und verlangte die jüngste Tochter. Der Mann ging nach Hause und brachte Tags darauf das jüngste Mädchen hin. Der Araber[327] übernahm sie und nachdem er den Mann mit noch einer Handvoll Gold beschenkt hatte, kehrte er mit dem Mädchen in den Palast zurück. Als es Abend wurde, brachte der Araber dem Mädchen den Scherbet. Das Mädchen trank ihn aus und legte sich nieder. Der Peri-Jüngling erschien und fragte seinen Lala, ob er sie gebracht habe. »Jawohl«, sagte der Araber und nachdem der Jüngling in das Gemach des Mädchens eingetreten war, stach er sie mit einer Nadel in den Fuss, was die Schlafende nicht wahrnahm. Er blieb bei ihr bis zum Morgen und ging dann fort, ohne dass das Mädchen es wahrgenommen hatte. In der Früh erwachte das Mädchen, am Abend legte sie sich wieder nieder und sie verbrachten ungefähr vierzig Tage die Nächte zusammen, ohne dass das Mädchen es gewusst hätte.

So oft der Jüngling kam, liess er ihr immer einen Schlüssel unter dem Polster, so dass vierzig Schlüssel zusammen kamen. Das Mädchen nahm diese Schlüssel und als sie sie an verschiedenen Türen probierte, öffnete sie damit eine Türe an der Haupttreppe. Sie ging zur Türe hinein, da sah sie dort noch eine Türe, sie öffnete auch diese, da war wieder eine Türe und dies ging so fort bis zur vierzigsten Türe. Als sie auch diese öffnete, erblickte sie eine Treppe, die nach innen führte. Sie ging dieselbe hinab und gelangte in einen Garten, wo sie einen schlafenden Jüngling und ein schlafendes Mädchen nebeneinander liegend erblickte; neben ihnen stand eine Wiege, in dem ein Kind lag. Der Jüngling war der Schlangenprinz, das Mädchen hingegen die Tochter des Padischah der Peris. Das Mädchen nahm ihren Shawl und deckte sie zu; von ihrem Kopf aber zog sie ihr Tuch herunter, breitete es über das Kind aus und ging in ihr Zimmer zurück. Als dann später der Prinz und die Sultanstochter erwachten, erblickte das Peri-Mädchen den Shawl auf sich und sprach also zum Jüngling: »So, also mit einem[328] sterblichen Mädchen treibst du Liebelei; dann ist für mich hier mehr kein Platz.« Damit entfernte sie sich.

Als es Abend wurde, erschien der Prinz wieder im Zimmer des Mädchens. Das Mädchen hatte aber an jenem Abende das Scherbet nicht ausgetrunken und blieb so munter. Als der Prinz neben ihr einschlief, stand das Mädchen auf und bemerkte, dass an der Nabelstelle des Jünglings ein Schloss war. Das Mädchen sperrte das Schloss auf, ging durch dasselbe hinein und sah einen grossen Tscharschi, worin man allerlei Decken, Daunen und Polster verfertigte. Das Mädchen fragte, wozu man diese Dinge verfertige; man antwortete ihr, dass der Schlangenprinz ein sterbliches Mädchen zur Frau genommen, die ein Kind zur Welt bringen wird, deshalb wird diese Kinderbett-Wäsche verfertigt. Damit ging das Mädchen wieder hinaus und sperrte wieder das Schloss zu. Als der Jüngling erwachte, bemerkte er, das jemand das Schloss aufgesperrt hatte; sofort befahl er seinem. Lala, das Mädchen aus dem Palaste zu jagen. Der Befehl wurde sofort vollzogen.

Als das Mädchen ging und ging, erblickte sie einen grossen Seraj. Dieser war der Konak der ältesten Schwester des Schlangenprinzen. Als man das Mädchen gewahr wurde, fragte man sie, woher sie sei und wohin sie wolle. Das Mädchen erzählte alles, was mit ihr geschehen. Jene merkten wohl, dass sie zu ihnen gehöre, allein da man sie weggejagt hatte, so jagten auch sie sie fort. Als das Mädchen weiter ging, kam sie wieder zu einem Seraj. Dieser war der Palast der mittleren Schwester des Prinzen. Das Mädchen kehrte auch hier ein, allein es erging ihr auch hier so, wie auf dem vorigen Platze.

Inzwischen hatte der Jüngling seine Tat sehr bereut. Er eilte dem Mädchen nach und als er in den Konak seiner älteren Schwester kam, fragte er, ob sie nicht ein Mädchen[329] hier gesehen haben. Man erzählte ihm, was geschehen. »O, wenn ihr sie nur nicht hinausgeworfen hättet,« seufzte der Jüngling und ging damit traurig weiter. Unterdessen kam das Mädchen zum Palast der jüngsten Schwester des Prinzen. Dort wurde sie aufgenommen, da man sah, dass sie schon der Entbindung nahe war. Man rief rasch eine Hebamme und das Mädchen brachte einen Knaben zur Welt, aber einen solchen, der ebenso wie sein Vater, auf dem Nabel ein Schloss hatte. Die Hebamme sagte sofort der Schwester des Prinzen, dass dieses Kind zu ihnen, den Peris gehöre, woraus das Mädchen wusste, dass dieses Kind ihrem Brüder gehöre.

Inzwischen langte auch der Prinz dort an. Er erzählte seiner Schwester, wie sehr er schon seine Tat bereute und dass er nun so lange keine Ruhe haben kann, bis er seine Frau nicht wieder finde. Der Prinz war in Schlangengestalt hieher gekommen, trat aber, nachdem er seine Schlangenhaut draussen liess, in Menschengestalt in's Haus ein. Da die Schwester des Prinzen dies wusste, ging sie zur Frau und sagte ihr: »Wisse, dass dein Gebieter, der Prinz angekommen ist. Ich werde dich später rufen, dann nimmst du, ehe du hereinkommst, das Schlangenkleid deines Mannes, wirfst es in's Feuer und kommst dann herein.« Damit ging das Mädchen zu ihrem Bruder zurück und liess nicht lange hernach die Frau hereinrufen.

Die Frau nahm, ehe sie hineinging, das Schlangenkleid des Prinzen und warf es in's Feuer. Im selben Augenblick schrie der Prinz: »O weh, es ist mit mir aus, ich verbrenne!« Allein, kaum hatte er dies ausgerufen, da öffnete sich die Türe und hereintrat seine verstossene Frau, sein Kind auf ihren Armen haltend. Wie der Prinz sie anblickte, erkannte er sie sofort und mit dem Rufe: »O mein liebes Weibchen« stürzt er auf sie zu und presste sie in seine Arme. Dann[330] nahm er das Kind in seinen Schoss, koste und hätschelte auch dieses. Hierauf nahm er beide und ging mit ihnen hinaus. Da bemerkte er, dass seine Schlangenhaut nicht mehr da war. Jetzt erst begriff er, was der Schmerz bedeutete, den er vordem verspürte. Als nämlich die Schlangenhaut verbrannte, fühlte er in eben derselben Zeit die Brandschmerzen. Nun wusste er auch, dass er keine Schlangengestalt mehr annehmen könne und dass auch er ein sterblicher Mensch geworden. Allein er fühlte sich auch so glücklich und als sie in seinen Palast zurückgekehrt waren, lebten sie bis zu ihrem Ende glücklich.

Quelle:
Kúnos, Ignaz: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden: E.J.Brill, (1905), S. 325-331.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon