4.
Das Teufelsschiff.
(Aus Karelen.)

[27] Es war einmal ein Jäger, der nahm seinen Bogen auf die Schulter, ging in den Wald und wanderte lange drin herum; endlich kam er an den Teufelsberg. Den Teufeln waren die Eltern gestorben, und eine grosse Schaar Erben hatte sich versammelt. Es lagen viele Schätze, Goldgeräthe, Goldlöffel auf dem Berge, und Jedermann hatte einen goldenen Wagen, und alle gemeinsam ein goldenes Schiff, welches von selbst über das Land dahinfuhr, sobald man sich ins Schiff setzte. Als die Teufel des Jägers mit der Armbrust auf seinem Rücken gewahr wurden, riefen sie schnell: »Komm, guter Mann, vertheile diese Sachen unter uns gegen Geld und gute Worte!« Er trat heran und fragte: »Wie bringt man diese goldenen Wagen und das Goldschiff zum Fahren?« – Nun, man belehrte den Mann und sagte: »Wenn man auf die oberste Segelstange klettert und mit den Füssen die unterste tritt, dann laufen die Wagen und das Schiff von selber.« Als der Mann diesen Kunstgriff erfuhr, spannte er seinen Bogen, schoss ab und rief: »Sucht, ihr Männer, den Pfeil, der von meinem Bogen abschnellte; der erste der ihn findet, erhält einen Wagen und das goldene Schiff auf seinen Antheil.« Da sprangen die Teufel dahin um den Pfeil zu suchen, und liefen so weit, dass man sie nicht mehr sah noch hörte. Der Mann sah wohl, dass sie weit fort waren, dachte aber doch: »Wer weiss, ob sie nicht zu ihren Sachen zurückeilen.« Er füllte schnell das Schiff bis an den Rand mit den Sachen, zog alle goldenen Wagen und die andern Schätze mit hinauf, sprang selber in das Schiff, kletterte auf die oberste Segelstange und trat die unterste mit den Füssen. Da fing das Schiff an über Land und Meer zu laufen, bis es zu des[28] Königs Schloss kam und davor stehen blieb. Es traf sich, dass des Königs Tochter eben auf der Schlosstreppe sass. Als sie das Goldschiff kommen sah, winkte sie mit dem Finger und sagte: »Das muss der höchste Kaiser auf dieser Erde sein, der in solchem Goldschiff fährt! Nimmst du mich, lieber Kaiser, in dein Schiff? Ich will dafür deine Braut werden.« Wie der Mann solches hörte, öffnete er die Thür zu seinem Schiffe und sagte: »Königliche Prinzessin! Ich bin nur ein Bauernknecht, der nicht werth ist, Euch die Schuhe auszuziehen. Ihr habt ja Könige genug!« Aber obgleich das Mädchen vernahm, dass er nur ein Bauernknecht sei, hörte sie nicht auf zu bitten und sagte: »Lass mich nur ein! Ich will gern deine Braut werden.« Der Mann erwiderte jedoch: »Ihr spottet meiner nur, wie ich merke; es sind doch Könige genug da.« Endlich brachte die Königstochter dem Manne allerlei Speisen und Getränke ins Schiff, dazu schöne Kleider, Mützen, Stiefel und alles Mögliche; aber der ganze Haufen blieb auf dem Verdecke liegen, denn der Mann getraute sich nicht einmal die Sachen mit der Hand zu berühren. Während der Zeit ging das Mädchen mit bitter traurigem Sinne auf dem Schiffe herum, weil der Mann sie verschmähte.

Dieser sah sich die Sache eine Woche lang an und merkte, dass es der Prinzessin Ernst darum war; da sagte er endlich: »Nun, liebste Prinzessin, wenn Ihr Euch wirklich mit einem Bauernknechte verbinden wollt, so steigt in mein Schiff!« Und alsbald kam sie in sein Schiff. Da kniete der Mann vor ihr nieder und fragte: »Wohin sollen wir jetzt, liebste Prinzessin, in dem guten Schiffe fahren?« – Die Königstochter antwortete: »Lass uns ins weite Meer hinausfahren, da liegt eine Insel, die zehn Meilen lang ist; auf der wachsen Beeren in Fülle, und Früchte bedecken den Boden.« Gut, man brachte das Schiff in Bewegung und es lief bis in die Mitte der Insel; da blieb es stehen.[29] Darauf ging der Mann aus, um Beeren zu suchen; aber kaum hatte er ein Beerchen gekostet, als er in einen tiefen Schlaf verfiel: er schlief und schnarchte und brachte keine Beeren aufs Schiff. Endlich ward die Prinzessin zornig. »Magst du auf der Insel sterben, du elender Bauernknecht!« sagte sie. »Ich wende das Schiff und fahre heim!« Gesagt, gethan; sie wandte das Schiff und fuhr nach Hause; aber der Mann blieb in tiefem Schlafe auf der Insel.

Als er endlich aus diesem Schlummer erwachte, war vom Schiff nichts zu sehen, noch zu hören; die von den Teufeln erhaltenen Schätze und Alles war dahin; ihm blieb nur ein Beutelchen mit Geld. Dabei fühlte er einen grimmigen Hunger im Leibe und hatte doch nichts zu essen. Da ging er zu einem Beerenbusch, füllte seine linke Tasche mit den Früchten und steckte eine Beere in den Mund, zerbiss sie und ass sie auf. Aber es waren schlechte Beeren, denn danach wuchsen ihm so ungeheure Hörner auf dem Kopfe, dass der Nacken sie kaum tragen konnte. Nun befiel ihn eine grosse Angst. »Es wäre ja noch Alles zu ertragen«, meinte er, »obgleich mein Hunger schlimm genug ist, wenn mir nicht diese Hörner auf dem Kopfe stünden! Wenn Schiffsleute herkommen, werden sie mich gar für ein wildes Thier halten und mich schiessen!« So klagend kam er an einem andern Beerenbusche vorbei, blieb stehen und füllte die rechte Tasche mit den Früchten. Eine Beere steckte er wieder in den Mund und zerbiss und ass sie. Diesmal traf es sich, dass es gute Beeren waren, denn alsbald, nachdem er gegessen, fielen ihm die Hörner ab und hinterliessen nicht einmal eine Spur. Der Mann wurde dabei so schön, dass man im ganzen Reiche keinen schönern finden konnte.

Nun wartete er auf der Insel, bis Seeleute vorüberkamen; kein Schiff konnte über das Meer fahren, ohne an ihr vorbeizukommen, – und als er endlich sah, dass sich[30] ein Segel der Insel näherte, rief er laut: »Nehmt mich auf, lieben Freunde, rettet mich für Geld und gute Worte vom Tode auf dieser Insel! Lasst mich mit euch ziehen und zeigt mir den Weg zu dem Königsschlosse, von wo ich mit meinem Schiff einst ausgefahren bin!« – Gut, sie nahmen ihn mit ans Land und zeigten ihm den Weg zum Königsschlosse.

Da trat der Mann auf den Hof des Schlosses. Der König hatte dort einen Trinkbrunnen mit klarem Wasser und mit einem Krahn an der Oeffnung. An den Rand dieses Brunnens setzte sich der Mann und fing an mit seinen schmutzigen Füssen darin zu plätschern und das Wasser zu trüben. Zufällig trat des Königs Oberkoch auf die Schlosstreppe. Wenn er ein böser Mann gewesen wäre, hätte er gleich geschrieen: »Warum hast du unsern Trinkbrunnen verunreinigt? Es ist schlimm genug für uns daraus zu trinken, wie viel schlimmer für den König und seine Gemahlin!« Dann hätte es der König gehört und hätte befohlen, dem Manne den Kopf abzuschneiden. Aber der Koch war ein gutmüthiger, sanfter Mann; er trat zu dem Andern, nickte ihm zu und sagte: »Ach du Unglücksmensch, der du unsern Trinkbrunnen getrübt hast! Es ist schlimm genug für uns daraus zu trinken, wie viel schlimmer für den König und die königlichen Herrschaften! Wenn der König es wüsste, würde er dir den Kopf abschneiden lassen, und ich selber hätte auch die Macht dazu!« Und er hätte sie wahrlich gehabt.

Da bat der Mann: »Lieber Herr, sagt es niemand; dann will ich Euch ein Mittel geben, dass Ihr eben so schön werdet wie ich!« – »Gut, ich will nichts sagen«, antwortete der Koch, »wenn du mir solch ein Mittel angeben kannst.« Der Mann gab ihm darauf von den Beeren zu essen. Als der Andere eine davon zerbiss und ass, ward auch er so schön, dass es im ganzen Reiche keinen[31] schönern gab; aber der Mann selber versteckte sich, dass ihn Niemand sehen konnte. Während dessen bereitete der Oberkoch des Königs Mittagsmahl im Schlosse; es wurde gegessen, getrunken, gelacht, bis das Mahl zu Ende war. Nach dem Essen trat die Prinzessin zu dem Oberkoch und fragte: »Woher seid Ihr, lieber Oberkoch, plötzlich so schön geworden?« – Der Oberkoch sagte: »Es war ein fremder Mann dort auf dem Hofe, der versteht die Kunst Jeden, der sich verschönern lassen will, so schön zu machen.« Da sagte das Mädchen, welches das Schiff entführt hatte: »Wenn er mich auch so verschönerte, wollte ich seine Braut werden!« – »Er wird wohl schon fort sein«, meinte der Oberkoch, »er wagte gar nicht sich zu zeigen, denn er fürchtete in der fremden Stadt getödtet zu werden.« Aber das Mädchen liess dem Manne sagen: »Um Alles in der Welt soll sich der gute Mann nicht fürchten, ich werde ihn beschützen; er möge nur in das fremde Schloss kommen, ich werde ihm Speise und Trank geben.« Der Mann kam herauf und wurde in eine abgelegene Kammer geführt. Dorthin brachte ihm die Prinzessin Speisen, Getränke und allerlei Leckerbissen; während er ass und trank, stellte sie sich neben ihn, redete ihn an und sagte: »Guter Mann, macht mich so schön wie den Oberkoch! Ich will dafür Eure Braut sein.« Aber im Herzen des Mannes kochte der Groll darüber, dass sie ihn auf der Insel verlassen hatte. Er ass und trank aber doch und sagte: »Liebste Prinzessin, ich elender Bauernknecht tauge nicht zu Eurem Gemahl; es sind ja Könige da!« – »Wenn du mir nicht anders traust«, sagte das Mädchen, das nicht mehr den erkannte, welchen sie auf dem Meere verlassen hatte, »so will ich dir die Kleider eines obersten Feldherrn schenken, und dazu Gold und goldene Schalen, ich habe ja dies Alles. Ich besitze auch noch ein goldenes Schiff und goldene Wagen; die gebe ich dir auch, wenn du mich schön[32] machst!« Der Andre dachte in seinem Sinn: »Die sind so wie so mein eigen!« Aber er sagte nichts. Doch die Königstochter redete ihm immer zu und sagte: »Ich lasse Euch nicht gehen, bis Ihr mich verschönert habt!« Da begann der Mann sie zu verschönern. Der Schelm nahm aber von den Beeren in seiner linken Tasche, gab der Königstochter von den schlechten Beeren zu essen und verbarg sich darauf; er ass und trank und blieb in der Nähe. Als das Mädchen die Beere zerbiss und ass, wuchsen ihr alsbald zwei mächtige Hörner auf dem Kopfe. Der König sah die Hörner auf dem Kopfe seiner Tochter und versuchte sie schnell herunterzusägen; aber die Sägen glitten davon ab. Da wurden zwei Krieger, aber feste, dazu bestellt die Hörner hinten zu tragen, damit sich das arme Mädchen doch bewegen konnte. Es ist einmal so: wer eine Sorge im Hause hat, zu dem kommt die zweite aus dem Walde. Endlich liess der König in seinem Reiche ausrufen, dass, wenn ein lediger Mann seine Tochter heilen und ihr die Hörner fortschaffen könnte, er die Prinzessin heirathen und der oberste Feldherr werden sollte. Wenn aber ein verheiratheter Mann oder ein Weib sie zu heilen vermöchte, dann wollte er ihnen Reichthum genug für ihr ganzes Leben schenken.

Nun, da füllte sich der Königssaal mit Doctoren, Männern und Weibern; die curirten an dem Mädchen herum, aber die Hörner konnten sie nicht fortschaffen. Endlich trat auch der Mann aus dem Volkshaufen heraus, kniete vor dem Könige nieder und sagte: »Gnädigster König, lasst mich versuchen, ob ich nicht Eure Prinzessin heilen und sie von den Hörnern befreien kann!« – Der König erwiderte: »Mein lieber Knabe, glaubst du denn, dass du die Kraft dazu haben wirst? Hier sind sie Alle, die es ebenfalls versuchen wollten, und haben doch nur im Essen und Trinken Glück gehabt.« – Was nun? – Der Mann entfernte[33] sich auf eine Weile, kam dann wieder und sagte: »Gnädigster König, das sind keine Leute, welche Hörner abbrechen können, nur ich allein vermag es.« – »Nun, versuche es, mein lieber Sohn«, antwortete der König. »Ich ernenne dich zum obersten Feldherrn, sobald die Hörner vom Kopfe meiner Tochter abfallen.« Darauf sagte der Mann zum Könige: »Entlasst alle die übrigen Heilkünstler und lasst durch Eure Krieger Freude verkünden, denn ich werde Eure Tochter heilen.« Sogleich wurden alle die Andern fortgeschickt, und das Kriegsheer zog aus, um Freude zu verkünden; aber der Mann blieb bei dem Mädchen, und es wurden ihm Diener zur Hülfe beigesellt. Darauf befahl er einer Magd: »Gehe hin, Mädchen, thue Holz in den Ofen der Badstube und wärme das Bad.« Zum Knechte sagte er: »Gehe hin, guter Knabe, bringe mir aus dem Walde drei feine, schlanke Weidenruthen und weiche sie in Wasser ein; damit will ich die Hörner vertreiben.«

Nun gut, die Ruthen waren eingeweicht, in der Badstube stand das warme Wasser und alles Nöthige bereit; der Mann führte die Königstochter ins Bad, schickte die Magd fort und verschloss die Thür. Während dessen jubelte draussen das Kriegsheer. Da hob der Mann die Prinzessin in die Höhe, liess sie an den Hörnern von einem Bret herunterhängen und fing an sie mit den eingeweichten Weidenruthen zu bearbeiten, indem er dabei sagte: »Werdet Ihr mich noch mitten im Meere sterben lassen wollen? Werdet Ihr noch mit meinem Eigenthum davonlaufen? Hier bin ich, Euer Verlobter, dessen Ihr jetzt wohl nicht mehr spotten werdet!« – Die Königstochter bat und flehte: »Ach, lieber Mann, schlagt mich nicht! Solange ich lebe, will ich Euch nie mehr etwas zu leide thun!« – Da gab ihr der Mann eine Beere aus der rechten Tasche, eine von den guten Beeren; danach fielen die Hörner ab,[34] dass man ihre Spur nicht mehr sah, und das Mädchen ward so schön, dass man im ganzen Reiche nicht zwei so schöne Menschen finden konnte wie die beiden.

Nun entstand grosse Freude im Schlosse: es wurde gegessen, getrunken und getanzt. Der Mann ward zum obersten Feldherrn ernannt und bekam die Prinzessin. – Somit endet die Geschichte.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 27-35.
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