17.
Die Gaben des Unholds1.
(Aus Liperi.)

[151] In einem Walde lag ein Gehöft, worin ein alter Mann mit seinem einzigen Sohne wohnte. In der Nähe der Hütte stand eine Anzahl grosser Birken, in denen gewöhnlich eine Schaar Birkhühner nistete. Schon oft hatte der Sohn seinen Vater um die Erlaubniss gebeten die Birkhühner zu schiessen; aber stets hatte ihm der Alte streng verboten auch nur ein einziges davon zu tödten. Endlich ward der Jüngling ungeduldig und mochte das Verbot nicht mehr beachten; er[151] griff ohne Wissen seines Vaters nach dem Bogen und schoss ein Birkhuhn auf der Birke an. Er hatte aber nicht ganz richtig getroffen, und das Birkhuhn flatterte weiter, bis es nach kurzer Zeit auf die Erde fiel. Der Bursche versuchte nun den Vogel einzufangen; doch stets, wenn er in dessen Nähe kam, flatterte das Birkhuhn eine Strecke weiter. Durch dieses Spiel verleitete es den Jüngling ihm immer tiefer in den Wald hinein zu folgen, bis er sich meilenweit vom Hause entfernt hatte. Dem Vogel immer nachjagend, befand er sich zuletzt in einem tiefen Dickicht, und da es bereits zu dunkeln anfing, so musste er das Birkhuhn verloren geben, welches plötzlich im Walde verschwand, so dass von dem Vogel nichts zu sehen noch zu hören war.

Nun versuchte der Jüngling den Heimweg zu finden, aber er kannte die Richtung nicht. Er schritt und hüpfte hierhin und dorthin, doch keine Menschenwohnung war zu sehen. Die Nacht kam heran, und der Jüngling hatte sich darein ergeben, im Walde schlafen zu müssen; da sah er plötzlich einen Unhold vorüberrennen, gefolgt von Wölfen, die ihm in die Fersen bissen. Sofort nahm der Jüngling seinen Bogen und schoss in das Rudel Wölfe hinein, sodass mehrere davon todt blieben; die anderen erschraken darüber und ergriffen die Flucht. Wie freute sich da der Unhold, dass er der Gefahr entgangen war! Er trat zu dem Jüngling heran, bedankte sich für die Wohlthat, dass er ihm das Leben gerettet hatte, und versprach ihm einen guten Lohn, wenn der Jüngling ihm nach Hause folgen wollte.

»Das wäre ja schön, wenn ich ein Nachtlager bekommen könnte! Den ganzen Tag lang bin ich im Walde umhergeirrt, ohne mich heimfinden zu können«, antwortete der Jüngling und ging auf den Vorschlag ein.

»Nun, so komm mit mir«, sagte darauf der Unhold und führte den Burschen in sein Haus. Dort angelangt, legte sich der Jüngling sofort schlafen, da er vom vielen[152] Laufen müde war; aber der Hausherr selbst ging in den Wald, um Nahrung zu schaffen, die er seinem Befreier vorsetzen könnte.

Während dessen versuchte des Hauses Schaffnerin den Jüngling aus dem Schlafe zu wecken; sie rüttelte und schüttelte ihn und rief ihm zu, dass er an einem gefährlichen Orte sei, und wollte ihn zur Flucht antreiben. Doch der Jüngling wachte nicht auf; ein paar Mal öffnete er ein wenig die Augen und schloss sie sofort wieder zum Schlummer.

Nun kam auch der Alte aus dem Walde und befahl dem Mädchen das Essen eilends zu bereiten. Bald war das Mahl fertig und man rief den Jüngling dazu; aber er war nicht zu erwecken, und die beiden Anderen mussten die Speisen allein verzehren. Wieder ging der Alte in den Wald hinaus und brachte Nahrung. Doch auch jetzt kam der Bursche nicht zum Essen, und man konnte ihn trotz aller Versuche nicht wecken; da ging der Alte zum dritten Mal in den Wald.

Während der Zeit erwachte der Jüngling aus seinem Schlafe und fing an mit der Magd zu plaudern. Diese rieth ihm nicht mehr zu fliehen, denn sie hatte bereits vernommen, welche Wohlthat er ihrem Hausherrn erwiesen, einen Dienst, der reich belohnt werden sollte; sie sann statt dessen darüber nach, was der Jüngling als Lohn fordern könnte, und rieth ihm zuletzt, vom Unholde das Pferd zu verlangen, welches sich rechts im dritten Stand des Stalles befand.

Jetzt kam der Alte heim, und als er den Jüngling wach sah, liess er ihm gute Speisen vorsetzen und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Nach dem Mahle fragte er ihn: »Was wünschest du nun, mein Söhnchen, zum Lohne?«

»Ich will weiter nichts haben,« antwortete der Bursche, »wenn ich nur das Pferd bekommen könnte, welches im dritten Stand rechts in Eurem Pferdestalle steht, denn ich[153] habe einen langen Weg bis nach Hause und vermag nicht zu Fuss hinzuwandern.«

»Ach, mein Jüngelchen!« klagte der Unhold. »Wohl verlangst du hohen Lohn, denn dies ist meine allerbeste Stute; nimm statt ihrer, was du sonst willst, die möchte ich dir jedoch auf keinen Fall geben!«

Aber der Jüngling sagte, dass er keinen andern Lohn begehre, und zuletzt musste ihm der Unhold das Pferd überlassen, das er verlangte. Als Zugabe schenkte er ihm noch eine Kantele,2 eine Fiedel und eine Flöte, indem er sagte: »Solltest du irgend einmal in Gefahr gerathen, so spiele die Kantele; erscheint keine Hülfe, so streiche die Fiedel; kommt auch dann noch keine Hülfe, so blase nur ein wenig die Flöte, dann erhältst du gewiss Beistand.«

Nun, was weiter? Der Jüngling dankte dem Hausherrn für diese Gaben, nahm die Musikinstrumente zu sich und ritt auf der Stute davon. Er war schon eine Weile vorwärts geritten, als die Stute zu sprechen anfing und sagte: »Du musst jetzt nicht in dein Heim zurückkehren, denn dort würde dich dein Vater elendiglich durchprügeln. Lass uns lieber in die und die Stadt gehen; dort werden wir gut empfangen werden.«

Der Bursche bedachte die Sache, fand, dass des Pferdes Rath gut war, und ritt der Stadt zu, wie es die Stute gewünscht hatte. Dort angelangt, ward er bald bei allen Stadteinwohnern wegen seines schönen Pferdes bekannt; selbst der König hörte davon und kam, sich's mit eigenen Augen anzuschauen. Sogleich wollte er das Pferd kaufen und versprach jeden Preis zu zahlen, den der Jüngling fordern würde. Doch die Stute verhinderte den Handel, indem sie zum Burschen sagte: »Verkaufe mich nicht, sondern bitte den König, dass er dich zum Stallburschen[154] annehmen und auch mir Nahrung zukommen lassen möchte; dann würden seine übrigen Pferde ebenso schön werden, wie ich es bin.«

Der Jüngling redete darüber mit dem Könige, und dieser nahm ihn mitsammt dem Pferde in seinen eigenen Stall; den alten Stallknecht entsetzte er seines Amtes. Bald nach der Anstellung des Jünglings erhielten alle die Pferde des Königs ein wohlgenährtes, schönes Aussehen; aher der frühere Stallknecht ward desshalb dem Burschen gram und suchte nach einer Veranlassung ihn aus dem Dienste zu schaffen. Er hinterbrachte dem Könige allerlei Gerede über den Burschen, doch der König gab nicht Acht darauf und hörte gar nicht auf ihn. Zuletzt log er dem Könige vor, dass sich der Jüngling gerühmt hätte, das treffliche Kriegsross herbeischaffen zu können, welches vor einigen Jahren im Walde verschwunden war. Da überkam den König ein Verlangen nach seinem ehemaligen prachtvollen Kriegsross; er liess den Burschen rufen und gab ihm den strengen Befehl, nach drei Tagen das Pferd herbeizuschaffen, sonst würde es ihm schlecht ergehen.

Nun ward dem Jüngling angst! Er ging sofort zu seiner Stute und bat sie um ihren Rath. »Es hat keine Noth!« meinte die Stute. »Bitte zu allererst den König um hundert Ochsen und lass diese in Stücke zerhacken. Damit wollen wir uns auf die Reise begeben; wenn wir an eine gewisse Quelle gelangen, wird ihr ein Pferd entsteigen, das sollst du aber nicht nehmen. Bald darauf wird ein zweites erscheinen, das du ebenfalls verschmähen musst, bis ein drittes Ross heraussteigt, welches du festnehmen und dem du mein Zaumzeug anlegen musst.«

Der Jüngling that, wie ihm die Stute geheissen, und ritt an die Quelle. Hier entstiegen drei Pferde nacheinander dem Wasser; der Bursche wählte das letzte und zäumte es. Darauf sprach die Stute wieder zu ihm und[155] sagte: »Wenn wir jetzt von hier fortgehen, werden uns die Raben des Unholds fressen wollen; aber wirf nur die Fleischstückchen auf den Weg, so viel und so schnell du vermagst, und reite geschwind weiter, dann werden wir wohl den Fängen der Raben entkommen.«

Der Bursche befolgte wieder den Rath und brachte auf diese Weise das Pferd unverletzt dem Könige.

Der alte Stallknecht hörte jedoch nicht auf, den Jüngling vor dem Könige zu verleumden. Jetzt erzählte er, der Bursche habe sich gerühmt, die Gemahlin des Königs zurückbringen zu können, die schon seit langer Zeit verschwunden war. Darauf befahl der König dem Burschen die Frau herbeizuschaffen, da er mit seiner Macht geprahlt habe; wenn er es nicht zu thun vermöchte, wäre ihm der Tod gewiss.

Jetzt war die Angst des Burschen gross! Er ging in den Stall zu seiner Stute und klagte ihr sein Leid mit den Worten: »Des Königs Gemahlin soll nun herbeigeschafft werden; doch wie soll ich das vollbringen, da man seit langer Zeit nichts von ihr weiss?«

»Die werden wir finden!« antwortete die Stute. »Gräme dich nicht, sondern reite auf mir zu derselben Quelle, aus der wir das Pferd geholt haben, und wirf mich hinein; dann werde ich wieder zum Menschen, denn ich bin ja die Gemahlin des Königs, die gesucht wird, obgleich ich beim Unhold als Pferd leben musste.«

Nun, was hatte der Bursche noch für Noth, nachdem er solche Kunde vernommen? Er ritt sofort an die Quelle und warf die Stute hinein, die sich in ein so schönes Menschenweib verwandelte, wie sie früher gewesen war, und dann mit dem Jünglinge ins Schloss zurückkehrte. Da ward der König froh, dass er sein schönes Weib wiedererhalten hatte; er lobte den Burschen vor allen Schlossbewohnern und gab ihm reiche Gaben zum Lohne.[156]

Doch der Bursche sollte noch keine Ruhe haben. Wieder log der alte Knecht dem Könige vor, dass der Jüngling gedroht habe den König umzubringen und sich selbst auf dessen Thron zu setzen.

Darüber ergrimmte der König so sehr, dass ihm der Zorn aus den Augen sprühte, und er befahl den Jüngling auf der Stelle aufzuhängen. Es blieb nichts übrig, als den Burschen, dem Gebote zufolge, an den Galgen zu führen; aber der Jüngling erbat sich vom Könige als letzte Gunst vor dem Tode noch einmal seine Kantele spielen zu dürfen; er erhielt die Erlaubniss und fing an mit aller Macht zu spielen. Doch sowie die Kantele zu klingen begann, fingen auch die Henkersknechte an zu tanzen. Der Bursche spielte den ganzen Tag, und die Leute waren vom Springen so ermattet, dass sie sich nicht mehr von der Stelle rühren konnten, und die Hinrichtung auf morgen verschoben wer den musste.

Am folgenden Tage versammelte sich wieder viel Volks, um das Aufhängen des Burschen zu sehen; auch jetzt erbat sich dieser die Gnade, seine Fiedel noch einmal spielen zu dürfen, ehe er auf ewig von der Erde scheiden musste, und wiederum erlaubte es der König. Doch kaum hatte der Bursche einige Male über die Saiten seiner Fiedel gestrichen, als der König und das ganze Volk zu tanzen begannen, und der Bursche liess sie den ganzen langen Tag tanzen, sodass auch diesmal die Hinrichtung unterbleiben musste.

Endlich machte man sich am dritten Tage bereit, den Burschen am Galgen aufzuhängen; da bat er, dass ihm noch einmal vergönnt werden möchte seine Flöte zu spielen. Der König wollte es aber durchaus nicht zugeben und sagte zu ihm: »Du hast mich nun schon zwei Tage lang zu tanzen gezwungen; gebe ich dir diese Erlaubniss, so tanze ich mich zu Tode. Nein, wahrhaftig nicht! Jetzt ist keine[157] Zeit mehr an Spielen zu denken; geschwind, den Strick um den Hals!«

Doch der Bursche flehte so demüthig und auch die Herren sagten zum Könige: »Lasst doch den armen Jungen ein wenig spielen, da er ja so jung schon sterben muss!«

Da gewährte der König, wenn auch ungern, die Bitte des Burschen; er liess sich jedoch vorerst an einer grossen Tanne festbinden, aus Furcht tanzen zu müssen, wenn er frei bliebe.

Nun, nachdem man den König angebunden hatte, begann der Jüngling mit aller Macht seine Flöte zu blasen, und sofort tanzten Alle herum. Der König, der am Baume fest war, schnellte daran auf und nieder mit Hülfe seiner beiden Hände, sodass ihm die Kleider zerfetzt wurden und die Haut sich vom Rücken löste. Und jetzt kam auch der greise Unhold selber dem Burschen zu Hülfe und fragte: »Was hast du für Noth, mein Söhnchen, dass du solch einen Spektakel machst?«

»Die hier wollen mich aufhängen,« sagte der Jüngling, »und hier steht der Galgen, an dem sie mich aufzuknüpfen gedenken.«

»So –! also das will man dir anthun?« sagte der Unhold und ergriff den Galgen, der aus einem tiefgewurzelten mächtigen Fichtenstamme bestand, und warf ihn so hoch in die Lüfte, dass man ihn nie wieder zu sehen bekam. Dann fragte der Unhold den Jüngling: »Wer ist es, der dich hängen lassen will?«

Der Bursche zeigte auf den König, der an der Tanne festgebunden war; da packte der Alte den Baum mit seinen Fäusten und gab ihm einen solchen Segen, dass die Tanne mitsammt dem Manne in die Wolken hinaufflog und dort, wer weiss wohin, verschwand. Nun war der Jüngling befreit, und das Volk machte ihn zum Könige an Stelle des früheren Herrschers. – Hiermit endet die Geschichte.

1

Unhold – im Finnischen: paholainen – der Böse.

2

Musikinstrument der Finnen in Form einer Zither.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 151-158.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon