57. Pipète

[165] Einst lebten ein Mann und eine Frau, die schon sehr alt waren, jedoch kein Vermögen besassen. Sie hatten zwei Söhne, von denen sie den älteren, Anton, in den Dienst gaben, den jüngeren, Pipète, jedoch zu ihrer Unterstützung zuhause behielten.

Anton hatte kein Glück. Er handelte mit seinem Herrn, einem bösartigen Mann, aus, dass er täglich soviel Brot essen könne, als man mit einem Ei einschmiere. Am St. Johannstag trat er den Dienst an und sollte ihn nicht früher verlassen dürfen, als bis der Kuckuck schreit. Der Herr und sein Diener kamen auch dahin überein, dass der erste, der sich über den andern beklage, sich einen drei Finger breiten Streifen Haut längs des Rückgrates herausschneiden lassen müsse.

Nach vierzehn Tagen zog der Herr dem armen Anton die Haut vom Rücken und setzte ihn vor die Türe. Als er nach Hause kam, sprach Pipète zu ihm: »Lieber Bruder, du bist ein dummer Esel. Ich werde nun bei diesem Schinder in Dienste treten und in kurzer Zeit werde ich seine Rückenhaut mitbringen, um deine wiederherzustellen.«

Pipète ging und verdingte sich an Stelle seines Bruders dem Herrn.


* * *


Am ersten Tag sprach der Herr zu Pipète: »Hier hast du ein Ei, reibe damit das Brot, das du zum Frühstück nötig hast, ein.« Das Ei war jedoch hart gekocht und der arme Pipète konnte nur ein Stück Brotrinde, das nicht dicker als die Hand war, damit einreiben. Er ging an die Arbeit und starb beinahe vor Hunger, denn es dauerte lange bis es Abend wurde.

Am folgenden Tag sprach Pipète zum Herrn: »Ich mag die harten Eier nicht, ich will sie lieber roh.« Man gab ihm ein ganz frisches Ei. Er bohrte ein Loch hinein, nahm eine Gänsefeder und überstrich nun einen grossen Laib Brot damit. »Aber,« rief der Herr, »du nimmst dir zuviel.« – »Wenn du damit nicht einverstanden bist, brauchst du mir nur deinen entblössten Rücken zu zeigen.« – »Ich bin schon zufrieden!«

Pipète stiess seinen Ochsenstachel durch das Brot, nahm es auf die Achsel und ging ins Feld. Als er wegging, rief[166] ihm der Herr zu: »Nimm diese kleine Hündin mit. Du wirst nicht eher zurückkehren, als bis sie zurückkommt.«

Im Feld angekommen, machte er sich an sein Brot. Er ass etwas davon, gab auch der Hündin einen Teil und begann nun zu arbeiten. Um zehn Uhr wurde es sehr heiss. »Diese verfluchte Hündin geht nicht fort,« sprach er zu sich. Da kam ihm plötzlich ein grossartiger Gedanke. Er zwickte ihren Schwanz zwischen Pflugschar und Griff ein und drückte fest darauf. Das Tier heulte furchtbar. Gleich darnach liess er die Hündin los und rannte sie den geraden Weg nach Hause. Pipète spannte die Ochsen aus und kehrte ebenfalls zu seinem Herrn zurück. Als er nach Hause kam, war es noch nicht zwölf. –

»Warum kommst du schon so zeitig heim?« frug der Herr. – »Du hast doch gesagt, ich soll heimkehren, sobald mich die Hündin verlässt.« – »Ja, aber du hast ihr unzweifelhaft etwas getan.« – »Nicht im geringsten, übrigens, wenn es dir nicht recht ist, brauchst du mir nur deine Rückenseite vorzuzeigen!« – »Ich bin es schon zufrieden!«


* * *


Der Alte begriff, dass er da einen vor sich habe, der sehr kaltblütig sei. Er sagte sich daher: »Ich muss ihm etwas befehlen, das er nicht ausführen kann, dann kann ich ihn vor die Türe setzen.« Er rief den Diener herbei. – »Da du früher, als ich wollte, kamst, so führe die Ochsen noch auf die Wiese, allein ich verbiete dir, die Türen zu öffnen und eine Bresche in die Hecke, welche die Wiese umgibt, zu schlagen.« – »Ich habe verstanden,« sprach Pipète und zog mit den Ochsen ab.

Als er zur Wiesentür kam, tötete er die Ochsen, zerlegte sie in vier Teile und warf diese über die Türe in die Wiese hinein. Als er nach Hause kam, frug ihn der Herr, ob er sich seiner Aufgabe gewissenhaft entledigt habe. – »Ich habe das, was du mir befahlst, ausgeführt. Die Ochsen sind in der Wiese und ich habe weder die Türe geöffnet, noch die Hecke beschädigt.«

Erstaunt begab sich der Herr zur Wiese, doch als er die Leistung des Pipète sah, fiel er beinahe um. Wütend kam er zurück und schrie: »Du Teufel Du Bestie! Was hast du getan?« – »Ich habe das ausgeführt, was du mir befohlen hast«, erwiderte ruhig der Junge. »Bist du nicht[167] zufrieden damit?« – »Nein!« – »So, dann kehre mir deinen Rücken zu.« – Bei diesen Worten nahm Pipète sein Taschenmesser heraus. Als aber das der Alte sah, schrie er; »Ich bin ja so ganz zufrieden.«


* * *


Der Herr, der sich des Pipète gern entledigen wollte, kam, wie er glaubte, auf ein vorzügliches Mittel. Er schickte ihn als Schweinehirt in den Teufelswald. Von dort war noch keiner zurückgekommen.

Pipète zog vergnügt wie ein Neuvermählter mit seinen Schweinen ab. Er stiess auf eine Frau, die einen Korb voll Käse zu verkaufen hatte. – »Wo ziehst du hin?« frug sie ihn. – »Ich soll im Teufelswalde Schweine halten.« – »Armer Junge, geh nicht hin, denn es kehrte noch nie jemand von dort zurück.« – »Ich weiss es, liebe Frau; gib mir einen deiner Käse und ich versichere dich, dass ich mich vor dem Teufel zu schützen weiss.« – »Lieber Junge, da hast du einen.«

Pipète nahm den Käse unter den Arm und zog weiter. Er traf eine Frau, die lebende Rebhühner verkaufte; er liess sich eines geben, steckte es in seine Tasche und zog weiter. Nach kurzer Zeit begegnete er eine Frau, die an einer Leinwand webte; er liess sich einen dicken Knäuel Garn geben. Bald nachher begegnete er einen bekannten Jäger, der ihm seine Flinte, Pulver und Blei überliess.

Endlich kam er in den Teufelswald. Während seine Schweine Eicheln frassen, von denen es dort eine schwere Menge gab, kletterte Pipète auf den Gipfel eines Baumes. Kaum war er oben, erschien Luzifer. Dieser war gross, rot gekleidet und hatte auf der Stirne zwei Stierhörner. Er schrie Pipète an: »Junger Mann, was machst du da?« – »Wie du siehst, lieber Teufel, bewache ich die Schweine.« – »Was hast du denn auf deinem linken Arm?« – »Das«, es war der Käse, »ist Speichel«. – »Spucke, damit ich es sehe.« – Pipète nahm seine Flinte und schickte dem Teufel eine Kugel in den Leib. – »O, verflucht«, schrie der Teufel, »aus deiner Art zu spucken, ersehe ich, dass du sehr stark bist. Komm herunter und messen wir uns.«

Pipète kletterte vom Baum herunter. Der Teufel nahm einen Stein und schleuderte ihn gegen einen Baum. Der Stein zerbrach in tausend Stücke. Pipète hob scheinbar ebenfalls[168] einen Stein auf, in Wirklichkeit aber nahm er seinen Käse und schleuderte den gegen einen Baum; der Käse zersplitterte noch mehr als der Stein des Teufels.

Der Teufel hob neuerdings einen Stein auf und schleuderte ihn in die Luft. Eine Meile weiter weg fiel er zur Erde, doch man sah ihn fallen. Pipète nahm an Stelle eines Steines sein Rebhuhn und warf es in die Luft; dieser angebliche Stein ging so weit, dass man ihn nicht mehr herabfallen sah. – »Du bist stärker als ich«, rief Luzifer. »Versuchen wir aber doch, wer das grössere Holzbündel tragen kann.« – Der Teufel trug ein ungeheuer grosses Bündel Holz, das mindestens fünf oder sechs Wagenladungen in sich enthielt.

»Was, so wenig trägst du nur?« frug ihn Pipète ironisch. »Sieh zu, was ich leiste.« Er befestigte das eine Ende des Fadens des Garnknäuels, das ihm eine der guten Frauen überlassen hatte, an einem Baum am Waldrand und ging nun, seinen Knäuel abwindend, um den Wald herum. Als das der Teufel sah, schrie er: »Höre, lieber Freund, lasse den Wald stehen, ich sehe schon, dass du alle meine Bäume wegtragen willst. Du bist stärker als ich, das habe ich gesehen und erprobt. Ich lasse dich daher unbehelligt und du kannst deine Schweine hüten, wie du willst.«

Der Teufel ging beschämt, gesenkten Hauptes davon. Es war das erstemal in seinem Leben, dass er einer Person begegnete, die stärker war als er.


* * *


Pipète, von seinem Erfolg befriedigt, nahm die Schweine, führte sie auf den Markt, verkaufte sie und steckte das Geld ein. Als er zu seinem Herrn kam, erblasste dieser: »Wie, du bist hier?« – »Bist du darüber verwundert?« – »Nein. Aber wo sind die Schweine?« – »Die Sehweine hat der Teufel genommen als Entschädigung für den Schaden, den sie in seinem Wald angerichtet haben.« – »O, ich Unglücklicher!« schrie der Herr in Tränen ausbrechend. »Deinetwegen habe ich meine Ochsen und meine Schweine verloren.« – »Wenn es dir nicht recht ist, so brauchst du mir nur deinen Rücken zu zeigen. Mein Messer ist geschliffen und ich versichere dich, dass die Sache bald vorbei ist.« – »Ich bin ja so zufrieden.«
[169]

* * *


Die Frauen sind immer schlauer als die Männer. Die Herrin des Pipète sagte zu ihrem Mann: »Ich steige auf den Zwetschkenbaum vor unserer Türe und rufe: ›Kukuck! Kukuck!‹ Du rechnest dann mit diesem bösartigen Diener ab und schickst ihn weg.«

Eine Viertelstunde nachher hörte man: »Kucku, kucku, kucku!« – »Schau«, sagte Pipète, »ein Kuckuk, der schon vor April schreit. Den muss ich mir ansehen.« – Er ging mit seiner Flinte vor das Haus. Als er die Frau auf dem Zwetschkenbaum sah, legte er an und erschoss sie.

Als der Herr das sah, wurde er aus Zorn und Schmerz beinahe ein Narr. – »Bist du nicht zufrieden damit?« – »Nein, das ist mir zu viel.« – »Dann zeige mir deinen Rücken.« – Pipète schnitt ihm einen drei Finger breiten Hautstreifen aus dem Hintern aus.


(Auvergne.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 165-170.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon