51.
An Braon Suan or.1

[102] Die liebliche Fiongalla war die Tochter von Glas, dem Fürsten von Desmond2, über dessen Familie seit mehr als zwei Jahrhunderten[102] der Fluch verhängt war, daß sich keine Jungfrau daraus verheiraten durfte, wenn ihr Geliebter nicht den »Craov Cuilleann« (Stechpalmenzweig), das »Luis Bui« (Dotter- und Ringelblume) und die rothen Beeren des »Uhar« (Eibenbaum) aus dem »Donn Thir« (dunkles Land) brächte. Ein »Corrochan« (mit Leder überzogenes Boot) lag seit Menschengedenken bereit, die waghalsigen Abenteurer aufzunehmen, aber Keinen von Denen, die hineingestiegen waren, sah man je zurückkehren. In dieser Familie lebte auch die Zauberin Amarach, von der kein Mensch sagen konnte, wie alt sie war, und sich auch Niemand erinnerte, sie jemals mit einem jüngeren Gesichte gesehen zu haben.

Nun kam eines Tages Feargal, der Sohn des Edelmannes Ciocal, der viel von der Schönheit und Anmuth Fiongalla's gehört hatte, zu Glas und bat ihn, sein Glück versuchen zu dürfen. Die edle Jungfrau bat ihn inbrünstig, doch von seinem Vorhaben abzulassen, da schon so viele tapfere Ritter dadurch ihren Tod gefunden hätten; Feargal aber stand unter dem Schutze der mächtigen Finncaev, die ihm ihren Beistand versprochen hatte, und so ließ er sich durch Nichts abhalten.

Auch die alte Amarach versuchte den Jüngling davon abzuhalten, aber aus ganz andern Gründen, denn sie war die Hexe, der die Glas'sche Familie diesen Fluch zu verdanken hatte, und sie wußte recht wohl, daß Feargal unter dem Schütze der Finncaev stand, die ihren Einfluß leicht untergraben könne.

Feargal machte sich also auf den Weg nach dem Strande. Er kam an mehreren Gräbern längst verstorbener Helden vorbei, wo sich ihm eine lange, weiße Gestalt entgegenstellte. Es war seine Schutzgöttin.

»Du hast,« sprach sie, »eine gefährliche Arbeit übernommen; folge daher meinem Rathe, damit du dabei nicht den Tod findest. Wenn du im Boote an die dunkle Küste kommst, darfst du nicht eher aussteigen, bis du meine drei Diener am Ufer siehst. Ich werde sie dir jetzt vorstellen.«

Darauf schlug sie einen großen, neben ihr liegenden Stein mit ihrer Zauberruthe, wonach derselbe in tausend Stücke brach. »Cusch fe Crisch« (festgebundener Fuß)! rief sie, »komm heraus!« Augenblicklich kroch ein großer Mann, der das eine Bein in der Hand hielt,[103] hervor. Dann schlug sie einen andern Stein und rief: »Fir na Saghaidh« (Mann der Pfeile), »komm heraus!«

Der Stein zertheilte sich und ein Bogenschütze mit einem wohlgefüllten Köcher kam hervor. Als sie den dritten schlug, kam »Fir na Mulla Headha«, ein Mann mit einem schrecklich großen Mund und dick aufgeblasenen Backen, hervor.

Alle neigten sich vor dem Jüngling und fragten ihn, womit sie ihm dienen könnten. Er sah nach Finncaev, aber sie war verschwunden.

»Ich weiß nicht, wie ihr mir helfen könnt,« sagte er, »was ich aber von euch haben muß, und zwar schon morgen Abend zur Zeit des Sonnenuntergangs, sind der Stechpalmenzweig, die rothen Beeren des Eibenbaumes und die Ringelblume aus dem dunklen Lande in der großen See.«

»Eine schwere Aufgabe ist es allerdings, die mächtige Amarach zu besiegen,« antwortete Cusch; »und damit ich mein Ziel nicht überspringe, werde ich den rechten Fuß festgebunden lassen. Du, Fir na Saghaidh, hast stets treffende Pfeile im Köcher und du, Fir na Mulla Headha, kannst durch die ganze Erde sehen und durch deinen Athem die schrecklichsten Stürme hervorrufen. Nun zur Arbeit! Ich eile zum Boot der Amarach und du, junger Ritter, hältst dich mit deinem Schifflein in der Nähe des Ufers, bis ich wieder zurück bin!«

Bald darauf stand Cusch vor dem Boote der Zauberin. Sie saß in der Gestalt eines blühenden Mädchens darin und lud ihn freundlichst ein, zu ihr hinein zu kommen. »Ich möchte dein Boot auf kurze Zeit haben,« sprach er, »denn ich will drei heilige Gaben für Feargal vom dunklen Strande holen; da ich aber erst morgen zurück sein muß, so habe ich Zeit genug übrig, um ein Stündchen mit dir zu verplaudern.«

Als er ihre Hand ergreifen wollte, glitt er unversehens aus und fiel hin. Sie gab ihm gleich einen magischen Schlaftrunk ein, der ihn der Besinnung beraubte, und dann zog sie die »Braon suan or«, oder die goldene Schlafnadel, aus ihrem Haare und steckte sie ihm in das seinige, wonach ihn keine Macht der Erde wieder erwecken konnte.

Seine beiden Gefährten kamen eine Stunde nach ihm an und waren sehr erstaunt, ihn regungslos im Boote liegen zu sehen. Doch[104] sahen sie auch gleich die Ursache seines Schlafes, und der Bogenschütze schoß einen gut gezielten Pfeil darauf ab, worauf die Nadel auf den Boden fiel. Nun fuhr Cusch in dem Boote mit Vogelschnelle nach dem dunklen Lande und Fir na Mulla Headha sah durch den Seenebel, wie er die verlangten Gaben holte.

Groß war die Freude der Beiden, als er wieder zurückkehrte. Doch Cusch sprach: »Die Amarach ist in einem andern Boote südlich gefahren und wird sicherlich Fiargal bewegen, an's Land zu steigen, ehe wir bei ihm sind. Setze dich, Mulla Headha, auf meinen Rücken und laß mich mit dir zu ihm eilen.«

Mulla Headha that's und im Nu hatte er das Boot Amarach's in Sicht. Gleich ließ er seinem Athem freien Lauf und die böse Hexe tanzte hoch in der Luft herum.

Als Feargal das Ufer betrat, wurden ihm die drei heiligen Gaben eingehändigt und Finncaev, die auch erschienen war, wünschte ihm Glück zu seiner baldigen Verheiratung. Sie und ihre drei Diener verschwanden darauf im Nebel und Feargal lag bald in den Armen der liebenden Fiongalla.

1

Die goldene Schlafnadel.

2

Süd-Münster.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 102-105.
Lizenz:
Kategorien: