319. Der Todtengräber.

[397] Berthoud, Chron. et trad. surnat. de la Flandre. p. 329.


Es war am Allerheiligentag, und der Todtengräber war krank und hatte das Fieber, und sein Gevatter kam ihn besuchen. Da sprach der Todtengräber: »Ist es nicht ein Unglück, daß ich krank bin, ich muß heut noch ein Grab machen gehn, und das in dem Schnee und in der Kälte.« – »Hoho, das will ich schon für euch machen«, sagte der Gevatter, »das ist ein kleiner Dienst«, und der Todtengräber nahm das gern an.

Nachdem der Gevatter sich mit Schaufel und Hacke versehen und sich in der Schenke noch ein Bischen eingeheizt hatte, ging er um zehn Uhr Abends auf den Kirchhof und war um halb zwölf mit seinem Grabe fertig. Eben wollte er wieder nach Hause gehen, da kam eine lange Procession von weißen Mönchen, die alle eine Kerze in der Hand hatten, und die machten die Runde auf dem Kirchhofe, und als sie an dem Gevatter vorbei kamen, ließen sie ihre Kerzen alle vor ihm[397] niederfallen und der letzte warf ihm gar eine große Kugel mit zwei Dochten hin.

Der Gevatter dachte: »Holla, von den Mönchen hat mir der Todtengräber nichts gesagt; das Wachs soll für meine Mühe sein und will's verkaufen nach einem Monat oder zweien, und löse draus ein artig Sümmlein, davon ich meinem Weib nichts zu geben brauche.« Und er raffte das Wachs zusammen und that's in ein Tuch und versteckte es zu Hause unterm Bette.

Am andern Tage war Allerseelenfest. Der Gevatter hatte sich früh zu Bette gelegt, aber er konnte nicht schlafen. Als es eben zwölf Uhr schlug, da klopfte einer dreimal an seine Thüre. Der Gevatter sprang flink aus dem Bette und machte auf, und sieh, es waren die weißen Mönche vom vorigen Abend, nur daß sie keine Lichter hatten. Sie drangen je zwei durch die Thür ins Haus und dann in die Kammer, gingen rund in derselben herum und stellten sich rings um das Bett, auf welches der Gevatter vor Schrecken rücklings gefallen war. Plötzlich sanken ihnen da die weißen Mäntel von den Schultern, und der Gevatter sah unter der Decke, die er sich über die Ohren gezogen hatte, daß es alles Todtengerippe waren, deren jedem aber etwas fehlte, diesem ein Arm, dem ein Bein, dem der Rücken und dem letzten gar der Kopf. Zu gleicher Zeit regte sich's unter dem Bette; das Tuch kam von selbst heraus und that sich auf in der Mitte der Kammer, und da sah denn der Gevatter, daß die vermeinten Wachskerzen all Knochen und die große Kugel mit den zwei Dochten ein grinzender Schädel war. Die Gerippe aber schrieen all zusammen, das eine: »Gieb mir mein Knochenbein«, die an dern: »Gieb mir meinen Knochenarm; gieb mir meinen Rückenknochengrat; gieb mir meinen Rippenknochen!« und das alles mußte der Gevatter ihnen zurückgeben bis[398] zum letzten Stück, welches der Kopf war, den er dem letzten wieder aufsetzte. Als das aber seinen Kopf wieder hatte, sah es an der Wand eine Violine hängen, und die nahm es und gab sie dem Gevatter, daß er darauf spielte, und stellte sich selbst hinter ihn mit ausgereckten Armen, wie wenn's hätte den Takt schlagen wollen. Die andern Gerippe aber nahmen sich alle bei den Händen und tanzten, daß es ein gräulich Geklapper gab. Dem armen Gevatter verging fast Hören und Sehen, aber er durfte nicht aufhören zu spielen, sonst gab das Gerippe hinter seinem Rücken ihm Maulschellen, eine nach der andern. Und das hat gedauert bis zum Morgen, da haben die Gerippe all ihre Mäntel wiedergenommen und sind fortgegangen.

Der Gevatter und seine Frau aber haben kein Wort mehr in ihrem Leben gesprochen bis zu ihrer letzten Beichte, wo sie dem Geistlichen alles erzählt, und sind im Spital gestorben.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 397-399.
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