[425] 350. Mattheken.

Vita Sanctae Beggae aut. J. de Ryckel. Lovan. 1631.

Van Duyse, Vaderlandsche Poezy.

Bilderzettel aus Gent.

F. Blieck im Kunst- en Letter-Blad.


In dem Beginenhofe zu Gent lebte vor vieler Zeit ein schönes, frommes Nönnlein, die dem Herrn in der Einfalt ihres Herzens getreulich diente. Obgleich sie keiner ihrer Mitschwestern das mindeste Leid zufügte, mußte sie doch von deren Neid viel leiden, und die argen Jungfrauen ließen keine Gelegenheit vorübergehen, dem armen Mattheken ihren Haß tief fühlen zu lassen.

Am Vorabende des Aschermittwochs waren die Schwestern einmal alle versammelt und erlustigten sich im Saale[425] der Aebtissin mit frischen Waffeln; nur Mattheken hatte man nicht geladen, nur sie sollte kein Theil an dem leckern Fastnachtsgebäcke haben. Das that ihr sehr wehe, und sie konnte es nicht mehr auf ihrer Zelle aushalten, so untröstlich war sie ob der Hintansetzung. Sie ging darum zur Kirche, stürzte unter hellen Thränen vor dem Bilde des Heilandes nieder und schluchzte und seufzte und sprach: »O mein lieber Herr Jesu, mein Herzfreund und mein Liebster, wirst du es denn ewig leiden, daß man deine Braut also schmähet und mißachtet? Bei dir finden alle Hülfe und Beistand, willst du mir allein denn nicht helfen?«

Wie sie aber so betete, da belebte sich plötzlich Jesu Auge und das starre Bild wurde wie von frischem Leben durchglüht, und öffnete den Mund und sprach: »Meine liebe Braut, ich kann es nicht länger anschauen, daß du verkannt seiest, denn ich habe dich dafür gar zu gern; aber ich wollte deine Treue prüfen, und darum ließ ich dich leiden. Gehe jetzt zu der Aebtissin und sage ihr, daß ich dich sende und daß du auch ein Plätzlein in dem Kreise der Schwestern haben müssest.«

Obwohl Mattheken herzlich erschrak ob dieser Anrede, fühlte sie sich doch zugleich von innigem Vertrauen durchdrungen, und sie antwortete also: »Aber, mein Gott und Herr, wie soll ich dieß sagen können, ohne daß man mich der Lüge zeihe?« Darauf entgegnete ihr Jesus: »Dann sprich diese Worte zu ihr: ›Frau Aebtissin, ich bin der Lüge nimmer hold gewesen, und so wahr, wie ihr heute weder an Brevier noch an Rosenkranz gedacht, so wahr, wie die Morgensonne euer für morgen bestimmtes Wollenhemd aufgetrennt auf eurem Bette fand, so wahr, wie meine Mutter dasselbe zugenähet und es mit einem rothen Seidenbändchen verziert hat, so wahr ist es, was ich euch sage.‹«[426]

Die Jungfrau dankte dem Herrn für seine Liebe und eilte alsdann zum Saale der Aebtissin, um dieser den göttlichen Willen kund zu thun. Kaum aber hatte sie das letzte Wort gesprochen, als die unfromme Frau in lautes Gelächter ausbrach und die Schwestern ihre alten Spöttereien begannen. Doch da erhob sich Matthekens Stimme, und sie bewahrheitete ihren Ausspruch nach dem Worte Jesu, und erblassend schwiegen alle. Das Gespötte hatte nun ein Ende und wandelte sich in tiefe Demuth, eine jede suchte dem frommen Mattheken sich dienstlich zu beweisen, und die Aebtissin ließ sie gar neben sich sitzen. Doch hatte die Jungfrau nicht Ruhe im Saale und sie eilte alsbald wieder zur Kirche zurück.

Noch saßen die Nonnen alle stumm ob des wunderbaren Vorfalles, als plötzlich alle Glocken der Kirche anfingen von selber zu läuten, und liebliche Gesänge vom Altare her bis in den Saal drangen. Von tiefem Schauer durchschüttert, eilten die Schwestern alle nach der Kirche, und da saß denn Mattheken mit fromm gefaltenen Händen auf ihren bloßen Knien vor dem Christusbilde, umflossen von himmlischem Scheine, doch kalt, eine Leiche.

Das Kreuz, so wie auch ihr Bildniß sind noch heute im Beginenhofe zu Gent zu schauen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 425-427.
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