Aus einer Handschrift des sechzehnten Jahrhunderts mitgetheilt von Jaek van de Velde.
Am Montage nach dem kleinen Tuindag (Kirmeß) des Jahres 1521 gingen drei Jungfrauen, Magdalena Ghyselin, Lucia Larmeson und Maxima van den Driessche, welche in der Recolletenstraße zu Ypern neben einander wohnten, gegen Abend zusammen durch die Stadt spazieren. In der Tempelstraße angekommen, bemerkten sie plötzlich ein kleines Pferd, welches herrenlos umherzuirren schien. Dieses Pferdchen war so wunderbar schön, daß die drei Mädchen staunend stehen blieben, um es zu beschauen. Es hatte eine schneeweiße Haut ohne Haare und ganz glatt; auf jedem Hinterschenkel stand, wie darauf gestickt, ein grüner Papagei und um den Bauch hingen viele Blumenranken; seine Beine waren rund, wie gedrehte Säulchen; goldene Franzen bildeten die Mähne und der Schwanz war aus bunten Bändern zusammengesetzt. Dazu lag auf dem Rücken des schönen Thieres ein kostbarer Sattel von rothem Damast.
Während die Jungfrauen nun so da standen und vor Verwunderung schier außer sich waren, kam von ferne ein Reitknecht zugelaufen, welcher der Herr des Pferdchens zu sein schien. Als derselbe die Mädchen bemerkte, wandte er sich freundlich zu ihnen und fragte sie, ob sie wohl schon ein so schönes Pferd gesehen hätten?[458] und alle drei antworteten einstimmig ein langes Nein. »Das glaube ich gerne«, fuhr darauf der Reitknecht fort, »denn dieß Thierchen stammt aus Japonien. Heute erst bin ich mit demselben in die Stadt gekommen, wo man über seine wunderbaren Eigenschaften wohl noch mehr staunen wird, als über seine Gestalt. Es läßt sich von keinem Manne bereiten und wird jeglichen alsbald abwerfen, der solches wagen sollte; Mädchen aber trägt es gar gerne und ihr sehet, daß auch der Sattel nur für Frauen gemacht ist. Wollen diese es besteigen, so beugt es alsbald seine Kniee, um auf dem Rücken sie zu empfangen. Gelüstet es euch, schöne Jungfrauen, einen kleinen Spaziergang mit dem Pferdchen zu machen, so setzet euch nur alle zusammen darauf und sagt, wo ihr wohnt, oder wohin ihr wollt, und es führt euch alsbald dahin, wie erfreut ob der edeln Last.«
Magdalena, welche das kühnste der drei Mädchen war, fragte ihre beiden Freundinnen, ob sie deß zufrieden wären, und erbot sich zugleich, vorne zu sitzen und den Zügel zu führen. Und die andern waren deß zufrieden, und der Reitknecht rief, das Thier streichelnd: »Sa, Malagyspferdchen, beuge deine Kniee, damit die Jungfrauen aufsitzen können.« Das Pferdchen that das, und der Reitknecht sprach, während die Mädchen in dem Sattel saßen: »Nun sagt nur, schöne Jungfrauen, wohin ihr wollt; ihr sollt alsbald an Ort und Stelle sein.« – »Nach Hause«, antworteten alle drei zugleich, »wir wohnen neben einander in der Recolletenstraße.« – »Sa, Malagyspferdchen, hast gehört?« frug der Reitknecht; »nun sei folgsam und führe die Jungfrauen hübsch sachte fort.«
Magdalena nahm den Zaum, der aus seidenen Schnüren geflochten war, in die Rechte, und das Pferdchen schritt fort, und so leise, daß man kaum seine Tritte[459] hören konnte. Nach und nach wurde sein Lauf immer schneller und endlich schoß es wie ein Pfeil fort, nicht aber auf dem Wege zur Recolletenstraße, sondern zum Thore hinaus und über das Feld weg, immer weiter und weiter. Der Abend nahte schon, es wurde dunkel und das Pferdchen lief noch stets auf Wegen, die den Jungfrauen durchaus unbekannt waren, bis es auf einmal vor einem hellerleuchteten Schlosse, aus dem schallende Musik tönte, stille hielt. Im selben Augenblicke öffnete sich das Thor und sie ritten willenlos hinein, gefolgt von dem Reitknechte, der das Thor hinter ihnen wieder schloß. Im Innern des Schlosses angelangt, sahen sie eine hohe Seitenthüre sich öffnen und viele reichgekleidete Frauen auf sich zukommen; in dem Saale, aus welchem diese traten, stand eine mit Speisen und Getränken wohlbesetzte Tafel, und am Ende derselben ein Sessel, auf dem ein großer Herr saß, wie sie alsbald erkannten, der Herr des Hauses. Die Frauen halfen den drei Mädchen von dem Pferde, welches dazu wieder die Kniee bog, und führten sie in den Saal. Anfangs baten die Jungfrauen höflich um Verzeihung für ihre unzeitige und plötzliche Ankunft auf dem Schlosse und entschuldigten sich mit vielen Worten, daß sie nicht in den Saal zu kommen wagten; aber das half alles nichts, sie mußten hinein. Noch hatten sie ihre erstaunten Blicke nicht sättigen können an den schönen Gewändern der vielen Frauen und Mädchen, als ihr Auge auf den großen Herrn fiel. Dieser trug einen weiten Talar von Damast und auf dem Haupte eine Art von Turban, der mit vielen Diamanten und andern Edelsteinen ganz bedeckt war; er empfing die Jungfrauen auf das zuvorkommendste und wußte ihnen so wohl zu schmeicheln, daß sie ein Plätzchen an dem Tische annahmen und die kostbaren Speisen mit verzehren halfen.[460]
Als das Mahl geendet war, da gedachten sie, sich wieder auf den Rückweg zu begeben, und wollten eben den freundlichen Herrn um einen Führer bitten, der sie wieder zu ihren Eltern brächte, als derselbe sich erhob und sprach: »Meine lieben Gäste, da das Malagyspferdchen uns das Glück verschaffte, diese schönen Jungfrauen in unserer Mitte zu sehen, so wollen wir streben, ihnen den Abend auch recht angenehm zu machen. Lasset uns darum Pfänder spielen.«
Kaum hatte der Herr die Worte gesprochen, als die Frauen und Mädchen aufsprangen und sich in einen Kreis stellten, in dem sie jedoch drei Stellen für die Jungfrauen offen ließen. Margaretha Ghyselin sah das wohl; sie wollte aber nicht in den Kreis treten und sprach: »Ich spiele nicht mit, denn meine Eltern würden zu unruhig, wenn ich länger hier bliebe«; und dasselbe sagten auch die beiden andern Mädchen; aber in demselben Augenblicke leuchteten die Augen des großen Herrn in so unheimlicher Gluth und überzogen sich seine Züge mit so düsterm Unmuthe, daß die drei Jungfrauen erschrocken und zitternd sich mit in die Runde setzten. Nun begann das Spiel; der Herr sprach einige Worte, welche die andern alle schnell nachsprechen mußten. Die Jungfrauen konnten aber nie die Worte behalten, und so mußten sie immer Pfänder geben, und das dauerte so lange, bis sie Ohrringe, Goldketten, Ringe, Armbänder und endlich selbst ihre Kleider gegeben hatten und in den Hemdärmeln da standen. Da erhob sich der große Herr abermals und sprach: »Ehe wir, meine lieben Gäste, zur Austheilung der Pfänder gehen, wollen wir zuvor auf die Gesundheit des Malagyspferdchens trinken, welches die Jungfrauen so wunderbar auf unser Schloß geführt hat.« Zu gleicher Zeit sprühten die Augen der anwesenden Frauen, wie von kleinen Flämmchen, welche[461] die drei Mädchen fast blendeten. Der Reitknecht trat in den Saal und goß aller Gläser frisch voll und reichte dieselben auf einem Brette rund. Dann hoben alle die Gläser und setzten sie an den Mund, aber kaum hatte der erste Tropfen die Lippen der Jungfrauen genetzt, als sie wie aus einem schweren Traume erwachten und um sich schauend zu ihrem großen Erstaunen bemerkten, daß sie in thaunassem Grase unter freiem Himmel lagen, und zwar am Boden einer tiefen Grube auf dem Kemmelberg, zwei Stunden Weges von Ypern. Das wußten sie aber nicht, daß sie so nahe an der Stadt waren, und darum waren sie doppelt untröstlich, denn was wollten sie halbnackt und mitten in der Nacht an dem unbekannten Orte beginnen? Sie kletterten langsam aus der Grube und irrten lange auf dem Berge umher, bis sie endlich an ein einsames Bauernhaus kamen, wo sie anklopften. Der Bauer stand auf und fragte: »Wer ist da?« Die Jungfrauen erzählten ihm offen alles. »Aha«, sprach da der Bauer, »ihr seid also auf dem Hexentanze da droben gewesen, wenn ich recht höre.« – »Ach lieber Mann«, baten die Mädchen da, »laßt uns doch ein und gebt uns Kleider.« – »Thu es nicht, Mann«, schrie das Bauernweib, »es sind Hexen! Pack sie nur, wir wollen sie verbrennen.« Und der Bauer sprach: »Du hast recht, Frau«, und griff Magdalena beim Rocke, während die beiden andern Mädchen flüchteten. Magdalena rang aus allen Kräften mit dem Manne und entkam nicht anders, als mit Zurücklassung ihres Rockes.
Lucia und Maxima waren hoch erfreut, sie wiederzusehen. Nachdem die armen Mädchen etwas ausgeruht, begannen sie ihre Wanderung von neuem. An einer kleinen Herberge hielten sie an und klopften, und als der Wirth fragte, wer sie seien, sprachen sie, daß Räuber sie überfallen und ausgeplündert hätten, und baten alsdann[462] um Aufnahme. Der Wirth war ein Mann von gar mitleidigem Herzen, und er öffnete alsbald seine Thüre und gab den Jungfrauen Speise und Trank und Kleider. Als sie ihm aber nun ihre Namen nannten, da wußte er vor Freude nicht, was er that, denn Magdalena's Vater war ein guter Bekannter von ihm, und er hieß dem Knecht zur Stunde die Pferde an den Wagen spannen, um die Mädchen also recht bequem nach Hause zu bringen.
Die Pferde waren schon über eine Stunde lang rüstig fortgeschritten, als der Wirth bemerkte, daß er den Weg verfehlt hatte. »Das ist doch schön«, sprach der brave Mann, »ich weiß den Weg von Kemmel nach Ypern so gut als mein Vaterunser, und verfehle ihn heute und kann auch die Pferde nicht zum Stehen bringen.« Das verhielt sich auch wirklich also, der Wagen flog fort, wie fortgeblasen, über Hecken und Sträuche, durch Bäche und Wiesen, durch Dick und Dünn. Der Wirth konnte das nicht begreifen, den drei Jungfrauen war es aber klar, denn sie sahen vor den Pferden eine Gestalt, die sie als die des Malagyspferdchens erkannten.
Endlich stand der Wagen auf einer breiten Heerstraße still; im selben Augenblicke sahen die Mädchen und der Wirth in der Ferne die ersten Strahlen der Morgendämmerung. »Die Hexen von dem Kemmelberge haben meinen Pferden das angethan«, sprach der Wirth und wandte sich alsdann schnell zu einem eben vorübergehenden Landmanne, den er fragte: »Sagt mir doch, Freund, was das hier für ein Weg ist und wohin der führt. Ich könnte den Weg von Kemmel nach Ypern blindlings machen, und dennoch weiß ich nicht, wo ich hier bin.« – »Das will ich euch gerne glauben«, antwortete der Bauer, »ihr seid sicherlich zehn Stunden von Ypern; der Weg hier führt von Steenvoorde nach Kassel.«[463]
Nur mit vieler Mühe konnte der brave Wirth die drei Jungfrauen noch an dem Tage nach Ypern bringen. Was die Eltern für Freude hatten, kann man sich leicht vorstellen.
Ein Jahr später heirathete Magdalena Ghyselin, und sie ließ bald nachher die wunderbare Geschichte auf die Wände ihres schönsten Zimmers malen und Jahr und Datum dazusetzen.
Die Grube, in welcher die drei Jungfrauen sich wiedergefunden hatten, bekam zum Andenken an die Begebenheit den Namen »Kinderput«.
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