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[13] Es war einmal eine Frau, die dachte am Weihnachtsabend bei sich selbst, sie wollte am Weihnachtsmorgen in die Frühpredigt gehen, denn sie war eine eifrige Kirchgängerin. Also gab sie Kaffee heraus, um am Morgen einen warmen Schluck zu haben und nicht nüchtern in die Kirche zu müssen. Als sie aufwachte, schien der Mond ins Zimmer, aber als sie aufstand, um nach der Uhr zu sehen, war sie stehengeblieben, und der Zeiger wies auf halb zwölf. Da wußte sie nicht, wie es an der Zeit war, und ging ans Fenster und schaute nach der Kirche hinüber. Dort sah sie Licht in allen Fenstern. Nun weckte sie das Mädchen und ließ sie Kaffee kochen, während sie sich anzog, und dann nahm sie ihr Gesangbuch und ging zur Kirche. Es war ganz still auf der Straße, und sie sah keinen Menschen auf dem Weg. Als sie in die Kirche kam, setzte sie sich auf ihren gewohnten Platz, aber als sie sich umsah, kamen ihr die Leute alle so bleich und wunderlich vor, gerade, als ob sie alle tot wären. Sie kannte niemanden, aber manche meinte sie schon früher gesehen zu haben, doch sie konnte sich nicht entsinnen wo. Als der Priester auf die Kanzel stieg, war es keiner von den Priestern in der Stadt, sondern ein großer, blasser Mann, der ihr auch bekannt vor kam. Er predigte sehr erbaulich, und es war keine solche Unruhe und kein Husten und Räuspern, wie es sonst am Weihnachtsmorgen in der Frühpredigt zu sein pflegt, es war so stille, daß man eine Nadel hätte fallen hören können, ja, es war so stille, daß ihr ganz angst und bange wurde.
Als sie wieder zu singen anfingen, beugte sich eine Frau, die neben ihr saß, zu ihr und wisperte ihr ins Ohr: »Wirf den Mantel lose um dich und geh, denn wenn du wartest, bis es vorbei ist, so machen sie dir den Garaus. Das ist die Totenmette.«
Da ängstigte sie sich sehr, denn als sie die Stimme hörte und[14] zu der Frau hinübersah, da erkannte sie sie; es war ihre Nachbarin, die seit langen Jahren tot war. Ihr Blut wurde zu Eis, so hatte sie Angst. Sie nahm den Mantel lose um, wie die Frau ihr gesagt hatte, und ging hinaus; aber es war ihr, als ob alle nach ihr griffen, und die Knie wankten ihr, und sie wäre fast auf den Kirchenboden niedergesunken. Als sie an die Treppe kam, packten sie schon ihren Mantel; sie ließ ihn los und eilte nach Hause, so rasch sie konnte. Gerade, als sie in der Tür stand, schlug es ein Uhr, und wie sie hineinkam, war sie halb tot vor Angst. Am Morgen, als die Leute zur Kirche gingen, lag der Mantel auf der Treppe, aber er war in tausend Stücke zerrissen.