16. Hennenpfösl.

[77] Es ist schon lange her, da lebte einmal in einem prachtvollen Schlosse ein Graf mit seiner Frau und mehreren Kindern. Die Kinder waren den Eltern so recht ins Herz hineingewachsen und bekamen alles, was sie nur wünschten. Nur die jüngste Tochter, die weit schöner war als alle ihre Schwestern, konnten der Graf und die Gräfin nicht ausstehen und taten ihr Leides an, wo sie nur konnten. Das tat ihr nun recht wehe in ihrem Herzen und sie weinte bei Nachtzeit die hellen Tränen auf ihr Bett. Wenn sie dann in der Frühe mit verweinten Augen vor ihren bösen Eltern erschien, bekam sie Scheltworte und Schläge die schwere Menge. Das verdroß endlich das Mädchen so sehr, daß es beschloß, die Heimat zu verlassen und bei fremden Leuten Unterkunft zu suchen. »Schlimmer,« dachte es sich, »kann es mir nimmermehr gehen als hier bei meinen Eltern; denn weniger lieb haben kann mich niemand als Vater und Mutter!«

Es ging also zu seinem Schranke, packte sich drei schöne Kleider in sein Bündel, ein blaues, ein rotes und ein weißes, legte sich ein kostbares Gewand an und so machte es sich eiligst aus dem Staube.

Es war ihm recht wohl, als es einmal die unliebe Heimat eine gute Strecke hinter sich sah, und immer froher und flinker ging es seines Weges. Bald kam ein Bauernweib daher, das hatte ärmliche Kleider an, die alt und zerlumpt aussahen. »Wollt Ihr nicht mit mir das Gewand tauschen?«[78] redete die Grafentochter das Bauernweib an. Dieses meinte, das schöne Mädchen sei leichtsinnig und wolle nur arme Leute zum besten haben, schaute ihm daher ernst ins Angesicht und wollte frisch vorwärtsgehen. Die Grafentochter aber beteuerte, daß es ihr voller Ernst sei, und da schlug das Bauernweib keinen Handel mehr aus, sondern gab seine Kleider her und legte sich das herrliche Gewand des schönern Mädchens an. Dieses hüllte sich nun in die ärmlichen Kleider des Bauernweibes und ging vergnügt wieder vorwärts.

Es dauerte nicht lange, da stund es vor einem steilen Felsen, von dem ein großes, großes Schloß ins Tal herabschaute. »Wer weiß,« dachte sich das Mädchen, »ob ich im Schlosse nicht zu etwas zu brauchen bin, wofür ich mein Brot verdienen kann?« Weil am Fuße des Felsens eine Höhle war, trug es sein Bündel in dieselbe, versteckte es dort, und nachdem es so sein Hab und Gut aufgehoben hatte, stieg es wohlgemut auf einem engen Pfade zum Schlosse hinauf. Es zog nun ganz leise an der Klinke und bald ging die Türe auf und der Schloßvogt trat heraus. Dieser war ein gar finsterer Mann und fragte das Mädchen mit barschen Worten, was es wolle. Die Grafentochter, wie sie den finstern Mann sah und die barschen Worte hörte, wurde fast verzagt und antwortete schüchtern: »Ich möchte einen Dienst bekommen; sind denn in diesem Schlosse hier alle Plätze schon besetzt?«

Wirst schon wieder abziehen müssen, erwiderte der Vogt, »da stehen wir auf dich nimmer an, denn es ist alles schon besetzt. Aber richtig, das Hennenpfösl1 ist uns neulich durchgegangen, und wenn du etwa an seine Stelle treten willst, kannst du meinetwegen hier bleiben.«[79]

»Ei,« erwiderte das Mädchen mit Freude, »wenn ich nur einen Dienst bekomme, so will ich mir's nicht zu schlecht sein lassen, die Hähnchen und Hühnchen zu hüten und zu füttern.«

Nun wurde die Grafentochter in das Schloß gelassen und das Geflügel wurde ihrer Obsorge übergeben. Sie verrichtete fleißig ihre Arbeiten und war bei dem Gackern der Hennen viel fröhlicher als daheim bei den Scheltworten der Eltern.

Der Besitzer des Schlosses war noch unverheiratet und dachte daran, sich eine Braut zu wählen. Er veranstaltete daher einen glänzenden Ball, wozu er alle Herren, Frauen und Fräulein aus der ganzen Nachbarschaft einlud, und das schönste von allen Fräulein wollte er sich dann zur Frau nehmen. Wie nun der Tag des Festes herankam, da zogen viele Ritter und Grafen mit ihren Frauen und Töchtern in das Schloß. Da war ein Hin- und Wiedergehen in den Sälen, ein Glänzen und Glitzern an den Kleidern, daß einem Hören und Sehen verging. Bald begann die Musik, und wie das Hennenpfösl die Hörner und Trompeten hörte, da konnte es sich nimmer halten, sondern ging zum Pförtner und bat ihn um die Erlaubnis, nur auf einige Augenblicke in den Ballsaal treten zu dürfen. »Was denn etwa nicht noch?« erwiderte zornig der Pförtner, »so ein schmutziges Ding wird man zu den vornehmen Leuten in den Saal lassen! Bist du denn nicht gescheiter?«

»O, Ihr braucht Euch meiner nicht zu schämen,« antwortete etwas schnippisch das Mädchen, »ich will mich schon reinigen und putzen, bevor ich in den Saal gehe; dann laßt Ihr mich aber hinein, nicht wahr?«

»Ja nun, so sollst du halt deinen Vorwitz büßen und auf einen Augenblick hineinkommen.«

Das Hennenpfösl eilte nun freudig davon, putzte und reinigte sich, ordnete sich das goldgelbe Haar zu schönen Flechten und lief[80] dann den Schloßberg hinab zu jener Höhle, wo es sein Hab und Gut verborgen hatte. Es öffnete nun das Bündel und nahm das himmelblaue Gewand heraus. Dieses tat es sich an, den armseligen Bauernkittel aber ließ es in der Höhle liegen. Nun stieg Hennenpfösl wieder zum Schlosse hinauf und trat in den herrlich beleuchteten Saal. Eben fingen die Musikanten an zu einem neuen Tanze aufzuspielen und die Herren suchten sich neue Tänzerinnen. Wie der Schloßbesitzer die Jungfrau im blauen Gewande eintreten sah, eilte er auf sie zu; denn sie war bei weitem die schönste unter allen Mädchen, die beim Balle zugegen waren. Er tanzte nun mit ihr und während des Tanzes schaute er ihr immer in die schönen blauen Augen und er konnte sich nicht satt daran sehen. Aber kaum war dieser Tanz vorbei, so war die schöne Jungfrau schon zur Türe hinausgeflogen und niemand wußte zu sagen, wer oder woher sie sei. Das tat dem Schloßherrn sehr wehe und während des ganzen Balles konnte er nimmer fröhlich sein. Hennenpfösl aber war indes wieder zur Höhle hinabgelaufen, hatte das himmelblaue Kleid ausgezogen und den armseligen Bauernkittel angetan und war so in die Burg zurückgekehrt.

Der Schloßherr dachte von nun an immer nur an die schöne Jungfrau im blauen Kleide und wie er dieselbe erfragen und zur Braut bekommen könnte. Er gab daher bald wieder einen glänzenden Ball in der Hoffnung, die schöne Jungfrau möchte auch diesmal erscheinen; und daß sie ihm nimmer entrinnen könne, gab er den Wächtern den Auftrag, niemanden aus dem Schlosse zu lassen. Wie das Hennenpfösl die Tanzmusik hörte, da hatte es wieder keine Ruhe, sondern ging zum Pförtner und bat ihn um die Erlaubnis, auf einige Augenblicke in den Ballsaal treten zu dürfen. »Ihr braucht Euch nicht zu schämen,« sagte es, »ich will mich schon reinigen und putzen, bevor ich in den Saal gehe.« Der Pförtner gab ihm die Erlaubnis und Hennenpfösl[81] eite freudig davon, putzte und reinigte sich, ordnete sich das goldgelbe Haar zu schönen Flechten und lief dann den Schloßberg hinab zu jener Höhle, wo es sein Hab und Gut verborgen hatte. Es öffnete sein Bündel und nahm das rosenrote Gewand heraus. Dieses tat es sich an, den armseligen Bauernkittel aber ließ es in der Höhle liegen. Nun lief Hennenpfösl wieder zum Schlosse hinauf und trat in den herrlich beleuchteten Saal.

Wie der Schloßbesitzer die schöne Jungfrau eintreten sah, erkannte er sie sogleich wieder, eilte auf sie zu, nahm sie bei der Hand und führte sie zum Tanze. Kaum war der erste Tanz vorbei, so flog die schöne Jungfrau zur Türe hinaus, unter die Wächter aber, die sie zurückhalten wollten, warf sie Geld aus, und während sie das Geld auflasen, war Hennenpfösl schon auf und davon und lief zur Höhle hinab. Hier zog es das rosenrote Kleid aus, tat sich den armseligen Bauernkittel an und kehrte so in die Burg zurück.

Der Besitzer des Schlosses aber wurde mißgestimmt und traurig, weil ihm niemand sagen konnte, wer oder woher die schöne Jungfrau sei. Immer und immer dachte er nur an sie und seine einzige Sorge war, wie er sie erfragen und zur Braut bekommen könnte. Er gab daher zum dritten Male einen glänzenden Ball, in der Hoffnung, die schöne Jungfrau möchte auch diesmal wieder erscheinen.

Wie das Hennenpfösl die Tanzmusik hörte, hatte es wieder keine Ruhe, sondern ging zum Pförtner und bat ihn um die Erlaubnis, auf einige Augenblicke in den Ballsaal treten zu dürfen.

»Ihr braucht Euch nicht zu schämen,« sagte es, »ich will mich schon reinigen und putzen, bevor ich in den Saal gehe.«

Der Pförtner gab ihr die Erlaubnis und Hennenpfösl eilte freudig davon, putzte und reinigte sich, ordnete das goldgelbe Haar zu schönen Flechten und lief dann den Schloßberg hinab zu jener Höhle, wo es[82] sein Hab und Gut verborgen hatte. Es öffnete sein Bündel und nahm das weiße Gewand heraus. Dieses tat es sich an, den armseligen Bauernkittel aber ließ es in der Höhle liegen. Nun stieg Hennenpfösl wieder zum Schlosse hinauf und trat in den herrlich beleuchteten Saal. Wie der Schloßbesitzer die schöne Jungfrau sah, erkannte er sie sogleich wieder, eilte auf sie zu, nahm sie bei der Hand und führte sie zum Tanze. Während des Tanzes steckte er ihr heimlich einen goldenen Ring an den Finger; als aber der erste Tanz vorbei war, flog die schöne Jungfrau zur Türe hinaus, warf unter die Diener, die sie zurückhalten wollten, Geld aus, und während sie das Geld auflasen, war Hennenpfösl schon auf und davon und lief zur Höhle hinab. Hier zog es das weiße Gewand aus, tat sich den armseligen Bauernkittel an und kehrte in die Burg zurück.

Eines Tages befahl der Schloßherr seiner Köchin, auf Mittag Strauben2 zu kochen. Als die Köchin die Strauben buk, war Hennenpfösl gerade in der Küche und rührte einen Hennenkoch. Wie es das Schmalz in der Pfanne brodeln hörte, schaute es, was es gebe, und da es die Köchin Strauben backen sah, bat es dieselbe, sie möchte ihm doch erlauben, eine einzige Straube für den Schloßherrn zu backen. Die Köchin wollte anfangs nicht »ja« sagen; als aber Hennenpfösl nicht nachgab, so gewährte sie ihm endlich seine Bitte.

Hennenpfösl ließ nun den Teig zu der Straube in das brodelnde Schmalz laufen, und als die Köchin einen Augenblick wegschaute, warf es auch den Ring, den ihm der Schloßherr an den Finger gesteckt hatte, in den Teig und buk ihn ein.

Mittags wurden die Strauben aufgetragen und der Schloßherr aß mit großem Appetit, denn sie waren seine Leibspeise. Als er die[83] erste Straube gegessen hatte, nahm er die zweite heraus und dann die dritte, und wie er diese auseinanderriß, guckte ein Ring heraus. Er schaute den goldenen Reif genau an und war wie vom Himmel gefallen, als er sah, daß derselbe kein anderer sei als jener, welchen er der schönen Jungfrau an den Finger gesteckt hatte. Augenblicklich ließ er die Köchin vor sich kommen und fragte sie, wer die Strauben gebacken habe. Die Köchin aber wollte nicht sagen, daß sie das schmutzige Hennenpfösl zum Kochen zugelassen hatte, und behauptete kurzweg, sie selbst habe alle Strauben gebacken, von der ersten bis zur letzten. Der Schloßherr aber gab nicht nach und drohte ihr sogar mit Blut und Leben, wenn sie nicht bekennen würde, wer denn die Strauben gebacken habe. Sie gestand endlich ein, daß das Hennenpfösl nicht nachgegeben habe, und da habe sie ihm erlaubt, eine Straube zu backen.

Wie der Schloßherr das hörte, ließ er das Hennenpfösl rufen, dieses aber putzte sich recht hübsch auf und trat in das Zimmer. Auf den ersten Blick erkannte der Schloßherr im Hennenpfösl die schöne Jungfrau, die im himmelblauen, dann im rosenroten, dann im weißen Kleide zum Balle gekommen war und um derenwillen er so viel Herzenspein hatte erdulden müssen. Er stund rasch von seinem Sitze auf, nahm die errötende Jungfrau bei der Hand und sagte: »Du bist meine Braut!«

In wenigen Wochen wurde Hochzeit gehalten und dabei wurde musiziert und getanzt und gegessen, daß es eine Art hatte.


(Passeier.)

1

Hennenpfösl bedeutet in Passeier, wo das Märchen erzählt wird, Hennendirne.

2

Strangähnliche Pfannkuchen. Schöpf 718.

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 77-84.
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