Die Prophezeiung der Lerche.

[150] Es war einmal ein Kaufmann, der hatte einen einzigen Sohn, und die Eltern wußten gar nicht, was sie ihn lernen lassen sollten; denn sie wollten[150] ihn gern so recht gut erziehen, und er hatte auch einen guten Kopf. Kaufmann, – das gefiel ihnen nicht; und Pfarrer, – das schien ihnen auch nicht recht. Da hörten sie von einem Manne, der die Vögelsprache verstände,44 und sie beschlossen, ihn zu dem in die Lehre zu geben. Das geschah, und als er zwei Jahre bei ihm gelernt und den Eltern viel Geld gekostet hatte, kam er zurück mit einer Flöte, durch die er alle Vögel anlocken und sich mit ihnen unterhalten konnte. Die Eltern freuten sich sehr darüber und waren recht stolz auf ihn. Nun wollte er aber auch wandern, und die Eltern hatten es ihm auch schon erlaubt, da steht er einmal in der Hausthüre und spricht mit einer Lerche, und sein Vater tritt leise hinter ihn und hört, ohne daß der Sohn es weiß, der Unterredung zu. Er hörte den Sohn die Worte sprechen: »Na Lerche, wenn das wahr würde, was Du da sagst, das wäre doch sehr schlimm und traurig«. Nun wollte der Vater durchaus wissen, was die Lerche gesagt hätte, aber der Sohn wollte nicht mit der Sprache heraus, sondern sagte nur immer: »Sie hat ja nichts gesagt«. Da ging der Vater zur Mutter und sagte: »Frau, frage Du doch den Sohn, was die Lerche gesagt hat, denn ich hörte gerade, als der Sohn zu ihr sagte: Na Lerche, wenn das wahr würde, was Du da sagst, das wäre doch sehr schlimm und traurig. Vielleicht sagt er es Dir eher«. Die Mutter schmeichelte dem Sohn auch so lange, bis er es richtig sagte. »Wenn ich es denn sagen soll und muß«, erwiederte der Sohn, »so wisset, die Lerche hat gesagt: Wenn Du von Deiner Wanderschaft zurückkommst, dann wirst Du sehr reich sein, aber Dein Vater wird ganz verarmt sein, daß er Deiner Hülfe sehr bedürfen wird; Deine Mutter wird Dir die Füße waschen und Dein Vater wird das Wasser austrinken.« Als das die Eltern hörten, wurden sie wirklich sehr böse auf den Sohn und verabredeten sich, ihn umzubringen. Der Vater lockte ihn auf einen Speicher und schlug mit einer eisernen Stange auf ihn zu, traf ihn aber nur in die Hüfte, wo er ihm eine große Beule beibrachte, aber tödten konnte er ihn nicht. Da kam zu ihm ein Kaufmann aus England, um von ihm Waaren zu kaufen, und fragte nach den Preisen. Der hartherzige Vater antwortete ihm: »Ich will Dir die Waaren umsonst überlassen, wenn Du mir den Dienst erweisest, meinen Sohn zu tödten, und um Zeichen seine Augen und seinen kleinen Finger brächtest«, und erzählte ihm die ganze Geschichte. Der englische Kaufmann war dazu bereit und sagte: »Gebt mir den Sohn nur gleich mit, ich werde ihn, wenn wir auf dem Wasser sind, ermorden.« So wurde denn dem Sohne gesagt, er solle mit dem fremden Kaufmann mitreisen. Der Sohn freute sich darüber sehr, sie bestiegen das Schiff und fuhren ab. Der Kaufmann behandelte ihn im Anfange sehr schlecht und gab ihm[151] nichts zu essen; da nahm er seine Flöte und blies darauf, da kamen sogleich drei Tauben geflogen, von welchen er sich zwei fing und kochte. Als sie ein Paar Tage gefahren waren, gedachte der Kaufmann seines Versprechens, aber der junge Mensch gefiel ihm sehr. Er war so klug und immer so gehorsam, betete auch jeden Morgen und jeden Abend, so daß es dem Kaufmann leid that, ihn umzubringen. Er nahm ihn also auf die Seite, erzählte ihm alles und sagte endlich: »Von jetzt ab aber sollst Du wie ein Sohn gehalten werden, ich nehme Dich als meinen Sohn an«. Da freute sich der junge Mensch und er nannte den Kaufmann fortan seinen Vater. Nun näherten sie sich einer schönen Stadt, in welcher ein König wohnte. Schon von ferne sahen sie eine Kirche, auf der sehr viele Krähen und Raben saßen. Der Sohn bemerkte dies und befragte deshalb seinen Pflegevater. »Ja«, sagte dieser, »diese Kirche war einstmals sehr schön, sie hatte auch ein goldenes Dach, aber es kamen unreine Geister und nahmen von ihr Besitz, so daß jetzt Niemand sich hineinwagt. Die Krähen und Raben sind die unsauberen Geister. Der König hat demjenigen eine große Summe Geldes geboten, der sie ihm reinigen möchte, aber Niemand versteht es«. »O«, sagte der Pflegesohn, »ich möchte mir das wohl übernehmen«. Der Kaufmann suchte ihm das auszureden, aber er blieb dabei, und so wie sie die Stadt erreicht hatten, ging er sogleich zum Könige, meldete sich bei ihm und sagte: »Herr König, ich habe von der Kirche gehört, daß sie von den bösen Geistern eingenommen ist, und ich möchte sie davon reinigen«. »Wenn Du das thätest«, sagte der König, »so wollte ich Dich reichlich belohnen«. Der junge Mann ging in die Kirche und blieb da drei Tage ohne Essen und Trinken, hat sich nur immer mit den Geistern herumgestritten, so lange bis er sie besiegte, und die Glocken von selbst anfingen zu läuten, und die Altarlichte sich von selbst anzündeten. Als das der König hörte, war er sehr erfreut, ließ den jungen Mann rufen und sagte ihm: »Nun sage, was Du zur Belohnung haben willst, es soll Dir gewährt sein; auch habe ich eine Tochter, die will ich Dir zur Frau geben, und Du sollst mein Nachfolger in der Herrschaft sein«. Er aber dankte für alles, auch für die Tochter, weil er noch zu jung zum Heirathen war, und fuhr mit seinem Pflegevater weiter, und sie kamen nach England in des Kaufmanns Haus. Den König von England hatte ein großes Unglück betroffen. Er hatte einen Sohn und eine Tochter, und als die beiden einen Sonntag aus der Kirche kamen, so wurden sie ganz voll Schorf und konnten von keinem Arzte geheilt werden. Auch der junge Kaufmannssohn hörte davon. »O«, sagte er, »ich würde sie schon heilen«. Der Pflegevater hielt das für leeren Eigendünkel und schalt ihn wegen solcher Reden; er aber ließ sich nicht abhalten, ging zum Könige und sagte: »Herr König, ich will eure Kinder heilen, denn ich weiß, wovon sie diesen Schorf haben. Sie haben beim heiligen Abendmahle das Brod nicht aufgegessen, sondern an die Erde geworfen; da kam eine große[152] schorfige Kröte und fraß das Brod auf, und davon haben sie nun solchen Schorf, wie die Kröte. Der Herr König muß mir nur erlauben, den Altar aufzureißen, denn da sitzt die Kröte, und sie ist der Teufel.« Der König erlaubte es ihm, er ging hin, riß den Altar auf und fand richtig die Kröte sitzen. Da nahm er sie, stellte sie mit zwölf Stof Wasser aufs Feuer und ließ sie zu einem Halben einkochen, so daß eine Salbe davon wurde. Nun nahm er die Salbe und die beiden Kinder in eine Stube, die er von innen verschloß, und kurirte sie in drei Tagen. Den dritten Tag war der Schorf schon so los, daß er ihn mit einem Messer abschaben konnte, und die Kinder sahen so schön, wie neugeboren, aus.45 Der Vater, der König, hatte zuletzt schon keine Ruhe mehr und ging, um zu erforschen, was in dem Zimmer vorginge, an das Schlüsselloch; als er die Kinder sah und lachen hörte, wurde er vor Freuden ohnmächtig und fiel auf die Erde. Sobald er sich ermuntert hatte, und die wiederhergestellten Kinder ihm zugeführt waren, bot er dem jungen Menschen die Tochter und das Königreich an. Diesmal nahm er beides an, und bald war denn auch die Hochzeit. Als nun aber die andern Könige, die auch um diese Prinzessin gefreit hatten, hörten, daß ein so armer Kaufmannssohn ihr Mann und König geworden war, da wurden sie neidisch und kündigten ihm, ihrer zwölf, Krieg an. Da sagte er denn: Mit allen auf einmal Krieg zu führen, dazu ist mein Reich zu klein, aber mit jedem einzelnen will ich es aufnehmen. Das geschah auch, und er besiegte sie alle. Nun lebte er in Glück und Frieden, aber dennoch war er oft sehr traurig. Da fragte ihn seine junge Frau, was ihm denn fehle; es ginge ihm doch so gut, und er könne ja lustig sein. »Ja,« sagte er, »ich habe nun alles, was ich mir wünschen kann, aber etwas macht mir doch Sorgen,« und nun erzählte er ihr, was die Lerche ihm prophezeit hätte, und sagte auch, die Furcht verlasse ihn nicht, daß die Prophezeiung in Erfüllung gegangen sei. »Nun wir können ja hinfahren und uns überzeugen,« sagte sie, und so geschah es auch. Er nahm Soldaten mit und reiste hin. Am Thor fragte er[153] die Leute nach den Kaufmann, seinem Vater. »Ach,« sagten die Leute, »der ist jetzt ganz arm und hütet die Schweine, und seine Frau kocht für Herrschaften.« Da ging er denn in das Hüttchen, wo er nur die Mutter einheimisch fand, gab sich aber nicht zu erkennen, sondern verlangte bei ihr Quartier. Sie war sehr verlegen und sagte, daß sie so arm sei, und daß sie einen König unmöglich aufnehmen könne. Er aber beruhigte sie wegen ihrer Armuth, sagte, das schade nichts, er habe alles mit, und gab ihr gleich einen Dukaten. Sie war nun über die Ehre so erfreut, daß sie gleich für den Dukaten allerhand Weine und wohlriechende Wasser kaufte und dem Könige darin die Füße wusch. Nachher kam auch ihr Mann nach Hause, der die Schweine gehütet hatte, und sie erzählte ihm von ihrem hohen Gaste. Er aber sagte: »Ach, es ist auch heute so heiß gewesen, hast du nicht einen kühlenden Trunk?« »Nein,« sagte sie, »als das mit Wein gemischte Wasser, in dem ich dem Könige die Füße gewaschen habe.« »Gieb es nur her,« sagte er, »er hat ja wohl reine Füße gehabt.« »Ach ja,« sagte sie, »wie von Weizenmehl.« Sie gab ihm das Wasser, und er trank es aus. Der Sohn war sehr traurig und fragte sie, ob sie keinen Sohn gehabt hätten? »Ja,« sagten sie, »das war aber ein Taugenichts, und er lebt schon lange nicht mehr.« »Vielleicht,« sagte er, »lebt er doch noch, und ihr habt ihm Unrecht gethan?« Da gab er sich ihnen zu erkennen, ließ sie reinigen und gut ankleiden und nahm sie mit sich in sein Königreich, und vielleicht leben sie da noch, wenn sie nicht gestorben sind.

(Aus Klein-Jerutten.)

44

Vgl. Grimm, Kinder- und Hausmährchen, Bd. 1, S. 172. Töppen, Thiersprache und Thiermährchen, N. Pr. Prov.-Bl. 1846, Bd. 1, S. 435.

45

Ein ganz ähnlicher Zug kommt in einem Mährchen vor, welches mir als masurisches mitgetheilt ist, aber fast ganz mit dem Grimmschen Mährchen »der Teufel mit den drei goldenen Haaren,« Bd. 1, S. 152 übereinstimmt. Ich begnüge mich, die Hauptabweichung, an welche die oben berührten Wirkungen der Oblate erinnern, hier anzuführen. Der verachtete Schwiegersohn hört in einer der Städte, die er auf seiner Wanderschaft berührt, daß die Tochter des Königs immer mehr und mehr abnehme und zusammentrockene, und daß der König dem großen Lohn biete, der sie heilen könnte, und erfährt nachher von dem Götzen (so sagt das masurische Mährchen statt Teufel): Die Prinzessin hat beim heiligen Abendmahle das Brod fallen lassen, und ein Frosch hat es aufgefressen, der nun dick wird, wie die Prinzessin vertrocknet; er sitzt unter einem Stein am Altare; man dürfe nur den Stein aufheben, den Frosch tödten, das Brod aus seinem Magen nehmen und der Prinzessin zu essen geben, so würde sie wieder zunehmen. Das geschah denn auch.

Quelle:
Toeppen, M.: Aberglauben aus Masuren, mit einem Anhange, enthaltend: Masurische Sagen und Mährchen. Danzig: Th. Bertling, 1867, S. 150-154.
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