|
[237] Es war einmal, was einmal war, wäre es nicht gewesen, würde es nicht erzählt.
Es war einmal ein Kaiser, ein großer und mächtiger Kaiser; sein Reich war so groß, daß Keiner wußte, wo es anfing und wo es aufhörte. Einige meinten, es sei ohne Grenzen, Andere jedoch sagten, daß sie sich dunkel erinnerten, von alten Leuten gehört zu haben, daß der Kaiser einstmals mit seinen Nachbarn in Krieg gelegen hätte, und daß Einige von diesen größer und mächtiger, Andere aber kleiner und schwächer als er gewesen seien.
Ueber diesen Kaiser ging durch die weite Welt die Kunde, daß er mit dem rechten Auge immer lache und mit dem linken immer weine. Vergebens fragte das Land, welche Bewandtniß es damit habe, daß sich die beiden Augen des Kaisers gar nicht mit einander vertragen könnten und einander so gar nicht verstünden.
Wenn die Helden zum Kaiser gingen, um ihn zu befragen, lächelte er abweisend und sagte nichts. So blieb die Feindschaft zwischen des Kaisers beiden Augen ein großes Geheimniß, von dem Niemand nichts wußte außer dem Kaiser.[238]
Und die Söhne des Kaisers wuchsen heran. Was für Kaisersöhne! Drei Kaisersöhne im Lande, wie drei Morgensterne am Himmel!
Florea, der älteste, war eine Klafter groß, mit Schultern, die man in der Quere nicht mit vier Spannen hätte messen können.
Ganz anders war Costan: klein von Wuchs, untersetzt gebaut, mit männlichem Arm und starker Faust.
Der dritte und jüngste Sohn des Kaisers war Petru, groß, aber schlank, mehr Mädchen als Knabe. Petru spricht nicht viel: er lacht und singt und singt und lacht vom Morgen bis zum Abend. Nur manchmal sieht man ihn ernster: dann streicht er mit der Hand die Locken rechts und links aus der Stirn, und dann sieht er Dir aus, wie ein Alter aus des Kaisers Rath.
»Du, Florea, Du bist jetzt erwachsen, gehe hin und frage den Vater, warum sein eines Auge immer weint und das andere immer lacht!« so sagte Petru eines schönen Morgens zu seinem Bruder Florea. Florea aber ging nicht: er wußte noch von früher her, daß der Kaiser sich erzürnte, wenn ihn Jemand danach fragte.
Gerade so erging es Petru auch mit seinem Bruder Costan.
»Nun gut, wenn Keiner es wagt, werd' ich es wagen«, sagt schließlich Petru. Gesagt, gethan. Petru ging hin um zu fragen.
»Mög' Dir die Mutter erblinden! Was geht Dich das an!« entgegnete ihm der Kaiser zornig und gab ihm eine Ohrfeige rechts und eine andere links.
Petru ging betrübt davon und erzählte seinen Brüdern, wie es ihm beim Vater ergangen sei.[239]
Seitdem aber Petru nach der Bewandtniß, die es mit den Augen habe, gefragt hatte, schien es, als ob das linke Auge weniger weine, das rechte aber mehr lache.
Petru faßte sich ein Herz und ging noch einmal zum Kaiser. Eine Ohrfeige ist eine Ohrfeige, und zwei sind zwei! Dachte es und that es.
Es erging ihm wiederum, wie es ihm schon einmal ergangen war.
Das linke Auge aber weinte jetzt nur hin und wieder, das rechte aber schien um zehn Jahre verjüngt.
»Wenn die Sachen so stehen«, dachte sich Petru, »so weiß ich auch, was ich zu thun habe. So lange werde ich gehen, so lange fragen und so lange Ohrfeigen hinnehmen, bis alle beiden Augen lachen.«
Gesagt, gethan! Petru sagte nie etwas zweimal!
»Mein Sohn Petru!« sprach der Kaiser, diesmal freundlich und mit beiden Augen lachend: »Ich sehe, daß Dir diese Sorge nicht aus dem Kopf geht; so werde ich Dir die Bewandtniß mittheilen, die es mit meinen Augen hat. Sieh, dies Auge lacht, wenn ich sehe, daß ich drei solche Söhne habe, wie ihr seid, das andere aber weint, weil ich mich fürchte, daß Ihr nicht im Stande sein werdet, in Frieden zu herrschen und das Land vor den bösen Nachbarn zu schützen. Wenn Ihr mir aber das Wasser aus dem Brunnen der Fee der Morgenröthe bringt, damit ich mir die Augen darin wasche, werden mir beide Augen lachen, weil ich dann weiß, daß ich tapfere Söhne habe, auf die ich mich verlassen kann.«
So sagte der Kaiser. Petru nahm seinen Hut von der Ofenbank, und ging, um seinen Brüdern mitzutheilen, was er gehört habe.
Die Kaisersöhne hielten Rath unter sich und entschieden[240] die Sache bald, wie es sich unter leiblichen Brüdern geziemt. Florea, als der älteste unter den dreien, ging in den Stall, wählte das beste und schönste Pferd aus, sattelte es und nahm dann Abschied von Haus und Hof.
»Ich mache mich auf«, sagte er zu seinen Brüdern, »und wenn ich nach einem Jahre, einem Monat, einer Woche und einem Tage nicht mit dem Wasser vom Brunnen der Fee der Morgenröthe heimgekehrt bin, dann komm Du, Costan mir nach.« Und damit zog er von dannen.
Drei Tage und drei Nächte hielt Florea gar nicht an; das Pferd flog wie ein Gespenst über Berge und Thäler, bis es an die Grenzen des Kaiserreichs kam. Rund herum um das Kaiserreich aber war ein tiefer Abgrund, und über diesen Abgrund nur eine einzige Brücke. An dieser Brücke hielt Florea noch einmal an, um zurückzuschauen, und um Abschied von dem Heimathland zu nehmen.
Möge der Herrgott sogar eine Heidenseele vor dem bewahren, was Florea jetzt erblickte, als er weiter ziehen wollte: einen Drachen! aber einen Drachen mit drei Köpfen, mit furchtbaren Gesichtern, mit einem Kiefer im Himmel und dem anderen auf der Erde!
Florea wartete nicht ab, daß der Drache ihn in Flammen bade, sondern gab seinem Pferde die Sporen und verschwand, als ob er nie da gewesen sei.
Der Drache seufzte einmal auf und verschwand, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Eine Woche verging; Florea kehrte nicht heim, zwei vergingen, von Florea hörte man nichts mehr. Ein Monat verging; Costan begann sich unter den Pferden nach einem für sich umzusehen. Als die Morgenröthe nach einem Jahre,[241] einem Monat, einer Woche und einem Tage anbrach, bestieg Costan sein Pferd, nahm Abschied von seinem jüngeren Bruder, »komm Du, wenn auch ich zu Grunde gehe«, sagte er, und zog davon, wie sein Bruder davon gezogen war.
Der Drache an der Brücke war jetzt noch schrecklicher, seine Köpfe waren furchtbarer, – und der Held entfloh noch schneller.
Man hörte von den beiden Brüdern nichts mehr; Petru blieb allein.
»Ich werde jetzt auch meinen Brüdern nachgehen«, sagte Petru eines Tages zu seinem Vater.
»So geh' mit Gott«, entgegnete ihm der Kaiser, »der allein weiß, ob Du mehr Glück haben wirst, als Deine Brüder!«
So nahm auch der jüngste Sohn des Kaisers Abschied und machte sich nach den Grenzen des Reiches auf.
Auf der Brücke stand jetzt ein noch größerer und schrecklicherer Drache, mit noch furchtbareren und noch weiter geöffneten Kiefern. Der Drache hatte jetzt nicht drei, sondern sieben Köpfe.
Petru blieb stehen, als er dies schreckliche Ungethier erblickte. »Geh aus dem Weg!« rief er dann. Der Drache ging nicht. Petru rief noch ein Mal und noch ein drittes Mal; darauf warf er sich mit gezücktem Schwert auf ihn. Augenblicklich verdunkelte sich ihm der Himmel, so daß er nichts als Feuer sah: Feuer rechts, Feuer links, Feuer vor ihm, Feuer hinter ihm. Der Drache spie Feuer aus allen sieben Köpfen.
Das Pferd begann zu wiehern und auf zwei Beinen zu stehen, so daß der Held nicht mit dem Schwerte zuhauen konnte.[242]
»Halt! so geht's nicht!« sagte Petru und stieg vom Pferde ab. In der linken Hand das Pferd am Zügel, in der Rechten das Schwert.
Auch so ging es nicht. Der Held sah nichts als Feuer und Rauch.
»Nach Hause – um ein besseres Pferd zu holen!« Petru sagte es, bestieg sein Pferd und ging, um wieder zu kommen.
Als er zu Hause anlangte, erwartete ihn seine Amme, die alte Birscha, am Hofthor.
»Sieh an, mein Sohn Petru! ich wußte, daß Du wieder kommen mußtest, weil Du nicht gut fortgezogen warst!«
»Wie hätte ich denn fortziehen sollen?« fragte Petru halb ärgerlich, halb traurig.
»Sieh', mein lieber Petru«, begann die Alte ihn zu belehren: »Du kannst nicht zum Brunnen der Fee der Morgenröthe gelangen, wenn Du nicht auf dem Pferde reitest, auf dem Dein Vater, der Kaiser, in seiner Jugend ritt; geh, frage wo und welches jenes Pferd ist, dann besteige es und mache Dich auf.«
Petru dankte ihr für die Belehrung und ging dann, um wegen des Pferdes zu fragen.
»Das Licht möge Dir schwarz werden!« sprach jetzt der Kaiser. »Wer hat Dich gelehrt, daß Du mich so fragst? Gewiß jene Hexe von Birscha! Bist Du bei Sinnen? Fünfzig Jahre sind vergangen, seitdem ich jung war, wer weiß, wo die Knochen meines Braunen von damals faulen. Mir ist, als ob auf dem Boden des Stalles noch ein Riemen vom Zügel liegt. Den habe ich noch und weiter nichts vom Pferd.«[243]
Petru ging ärgerlich davon und sagte der Alten das Wie und Was.
»Warte nur«, rief die Alte lachend. »Wenn die Sachen so liegen, ist's gut. Geh und hole das Stück vom Zügel. Ich werde schon wissen, wie ich daraus etwas zu Wege bringe.«
Der Boden war voll von Zügeln, Satteln und Riemen: Petru wählte die zerfressensten, gerostetsten und schwärzesten und brachte sie der Alten, damit sie daraus machen sollte, wovon sie gesprochen.
Die Alte nahm die Zügel, räucherte sie mit Weihrauch, murmelte über ihnen einen Spruch kurzer Formeln und sagte darauf zu Petru: »Nimm die Zügel und schlage mit ihnen an die Säulen1 des Hauses.«
Petru that, wie ihm geheißen.
Die Besprechung der Alten war gut gewesen. Kaum schlug Petru mit den Zügeln an die Säulen, geschah auch ... ich weiß nicht wie ... etwas, vor dem Petru erstarrt stehen blieb! Ein Pferd stand vor ihm, ein Pferd, wie die Welt kein schöneres gesehen! Mit einem Sattel aus Gold und Edelsteinen, mit Zügeln, die man nicht anschauen konnte, um nicht das Augenlicht zu verlieren. Schönes Pferd, schöner Sattel und schöne Zügel für den schönen Prinzen!
»Springe auf den Rücken des Braunen, junger Held«, rief die Alte, ein Kreuz über Pferd und Reiter schlagend; dann, sprach sie noch einen kurzen Spruch und trat in's Haus.
Nachdem Petru auf's Pferd gesprungen, fühlte er seinen[244] Arm dreimal so kräftig und um ebenso viel mal mehr Männlichkeit im Herzen.
»Halte Dich gut, Herr, denn wir haben einen langen Weg und müssen schnell reiten.«
So sagte der Braune; und der Held hat es bald gemerkt, sie ritten, sie ritten, sie ritten, wie nie vorher Pferde und Helden geritten.
Auf der Brücke stand jetzt ein Drache, wie er noch nie gestanden, ein Drache mit zwölf Köpfen, von denen der eine immer schrecklicher, immer voller von Feuer als der andere. Ja, aber er fand auch seinen Gegner. Petru erschrak nicht, sondern begann die Aermel hoch zu streifen und in die Hände zu spucken: »Geh aus dem Weg!« Der Drache begann Feuer zu speien. Petru machte darum nicht viel mehr Worte, sondern zog das Schwert und machte sich bereit, auf die Brücke los zu stürzen.
»Halt ein, mäßige Dich, Herr«, sprach jetzt der Braune, »thu wie ich Dir sage: drücke die Sporen fest an meinen Leib, zieh das Schwert und halte Dich bereit, denn wir müssen jetzt über die Brücke und den Drachen fortspringen. Wenn Du dann siehst, daß wir gerade oberhalb des Drachen sind, schneide ihm den großen Kopf ab, wische das Schwert an Deinem Aermel vom Blute rein und steck's in die Scheide, damit Du fertig seiest, wenn wir wieder auf dem Erdboden anlangen.«
Petru drückte die Sporen an, zog das Schwert, hieb den Kopf ab, wischte das Blut ab, steckte das Eisen in die Scheide und war fertig, als er den Erdboden wieder unter des Pferdes Hufen fühlte.
So gelangten sie über die Brücke.[245]
»Jetzt müssen wir weiter«, begann Petru die Rede, nachdem er noch einmal auf sein Heimathland zurückgeblickt hatte.
»Vorwärts«, entgegnete der Braune, »nur mußt Du mir jetzt sagen, Herr, wie wir eilen wollen? Wie der Wind? Wie der Gedanke? Wie die Sehnsucht? oder gar wie der Fluch?«
Petru schaute vor sich und sah nichts als Himmel und Erde, ... eine Wüste, bei deren Anblick ihm das Haar zu Berge stand.
»Wir wollen abwechselnd reiten, nicht zu schnell, um nicht zu ermüden, nicht übermäßig, um uns nicht zu verspäten.«
Sagte es – dann ritten sie, ritten einen Tag wie der Wind, einen wie der Gedanke, einen wie die Sehnsucht und einen wie der Fluch, bis sie beim Morgengrauen des vierten Tages am Rande der Wüste anlangten.
»Jetzt halt an und gehe im Schritt, damit ich anschaue, was ich noch nicht gesehen habe«, rief Petru, sich die Augen reibend, wie ein vom Schlaf Erwachender, oder wie Einer, der etwas sieht, was ihm so vorkommt, als schiene es ihm nur .... Vor Petru's Augen dehnte sich ein Wald aus Kupfer aus, mit Bäumen, Bäumchen und Bäumlein aus Kupfer, mit Blättern aus Kupfer, mit Gebüschen, Kräutern und Blumen allerschönster Art, Alles aus Kupfer.
Petru stand und schaute, wie so ein Mensch schaut, der sieht, was er noch nie gesehen und von dem er noch nie gehört hat.
Er ritt in den Wald hinein.
Die Blumen am Rande der Wege begannen sich anzupreisen[246] und suchten Petru zu verführen, daß er sie breche und sich einen Kranz aus ihnen winde.
»Nimm mich, denn ich bin schön und gebe Kraft dem, der mich bricht«, sagte die Eine.
»Ach nein, nimm mich, denn wer mich am Hute trägt, den liebt die schönste Frau der Welt«, sagte die Andere .... Und wiederum eine andere und noch eine bewegten sich, eine immer schöner als die andere, und mit süßen Stimmen wollten sie Petru verführen, sie zu brechen.
Der Braune sprang zur Seite, als er sah, daß sein Herr sich nach den Blumen bückte.
»Warum hältst Du Dich nicht ruhig?« fuhr Petru ihn etwas hart an.
»Brich keine Blumen, denn es geht Dir schlecht, wenn Du sie pflückst«, rieth ihm der Braune.
»Warum würde es mir schlecht gehen?«
»Auf diesen Blumen ruht ein Fluch: wer sie pflückt, der muß mit der Welwa2 des Waldes kämpfen!«
»Mit was für einer Welwa?«
»Jetzt laß mich in Frieden!« Aber höre: »schau Dir die Blumen an, aber pflücke keine von ihnen, sondern halte Dich ruhig.« So sagte das Pferd und ging im Schritt weiter.
Petru wußte durch Erfahrung, daß er gut that, auf den Braunen zu hören; so riß er seine Gedanken von den Blumen los.
»Aber vergebens! Wenn Jemand mal Unglück hat, wird er es nicht los, wenn er sich auch mit aller Macht darum[247] bemüht. Die Blumen boten sich ihm immer noch an und sein Herz wurde schwach und schwächer.«
»Mag kommen, was kommen soll«, sagte Petru nach einer Weile. »So werde ich doch wenigstens die Welwa des Waldes sehen, damit ich weiß, wie sie ist und mit wem ich zu thun habe? Wenn es mir bestimmt ist, durch sie zu sterben, würde ich es so wie so, wenn nicht, werde ich durchkommen und wären ihrer hundert und tausend!« Dann machte er sich daran, die Blumen abzurupfen.
»Du hast nicht recht daran gethan!« sagte der Braune sorgenvoll. »Da es nun aber mal geschehen, ist's nicht zu ändern, so gürte Dich und halte Dich kampfbereit, denn hier ist die Welwa!«
Kaum hatte der Braune gesprochen, kaum hatte Petru seinen Kranz gewunden, als sich auch ein leichter Wind aus allen Richtungen erhob. Aus dem Wind erwuchs ein Sturmwind. Der Sturmwind schwoll an, schwoll, bis man nichts als Dunkelheit und Nacht sah und wiederum nur Nacht und Dunkelheit. Petru war zu Muthe, als habe Jemand die Welt auf den Rücken genommen und schleppte sie im Entfliehen mit sich, so dröhnte und bebte der Boden unter ihm.
»Fürchtest Du Dich?« fragte der Braune, die Mähne schüttelnd.
»Nicht doch!« entgegnete Petru, sich Muth zuredend, obgleich ihm die Gänsehaut den Rücken entlang lief. »Wenn es einmal sein muß, gut, so sei's, wie es ist.«
»Du brauchst Dich auch nicht zu fürchten«, fing der Braune an, ihm zuzureden. »Nimm mir den Zaum vom Hals und suche die Welwa mit ihm einzufangen.«[248]
Das konnte er gerade noch sagen, und Petru hatte nicht einmal Zeit, den Zaum ordentlich loszubinden, ehe die Welwa vor ihm stand. Petru konnte sie nicht anschauen, so furchtbar und schrecklich war sie.
Einen Kopf hat sie nicht, aber ohne Kopf ist sie auch nicht, durch die Luft fliegt sie nicht, aber auf der Erde geht sie auch nicht. Hat eine Mähne wie das Pferd, Hörner wie der Hirsch, ein Gesicht wie der Bär, Augen wie der Iltis, und der Körper hat von allen etwas, nur von einem lebenden Wesen nichts! Das war die Welwa, die sich auf Petru stürzte.
Petru stellte sich in seinen Steigbügeln auf, und begann bald mit dem Schwerte, bald mit dem Arm zu hauen, der Schweiß aber lief ihm wie ein Bach herunter.
Ein Tag und eine Nacht verging; der Kampf konnte sich nicht entscheiden.
»Halt an, daß wir uns ein bischen erholen«, sagte die Welwa, schwer Athem holend.
Der Held ließ den Säbel fallen.
»Halt nicht ein!« rief der Braune schnell. Petru begann wieder aus ganzer Macht zu arbeiten.
Die Welwa wieherte jetzt einmal wie ein Pferd, heulte dann wie ein Wolf und stürzte sich von Neuem auf Petru. Der Kampf dauerte noch einen Tag und eine Nacht und fürchterlicher als bisher. Petru konnte sich vor Müdigkeit kaum noch bewegen.
»Halt jetzt ein, denn ich sehe, daß ich es mit Einem, der's versteht, zu thun habe. Halt ein«, sagte die Welwa zum zweiten Male, »halt ein, damit wir uns ausgleichen.«
»Halt nicht ein«, rief der Braune.[249]
Petru kämpfte weiter, obgleich er kaum noch athmen konnte. Aber auch die Welwa stürzte sich nicht mehr wie bisher auf ihn, sondern begann sich mit mehr Bedacht und Umsicht zu benehmen, wie sich die zu benehmen pflegen, die nicht mehr viel Kraft in sich fühlen.
So dauerte der Kampf bis zum Morgengrauen des dritten Tages. Als die Morgenröthe zu glimmen begann, warf Petru, – wie, weiß ich nicht, genug aber, daß er es that, er warf den Zügel über den Kopf der ermüdeten Welwa. Augenblicklich wurde aus der Welwa ein Pferd, .... das schönste Pferd der Welt.
»Süß sei Dir das Leben, denn Du hast mich aus der Verzauberung erlöst«, sagte jetzt die in ein Pferd verwandelte Welwa und begann den Braunen zu liebkosen.
Darauf verstand Petru aus Rede und Gegenrede, wie die Welwa nichts anderes als ein Bruder des Braunen sei, den die heilige Mittwoch3 vor so und so viel Jahren verhext hatte.
Petru band die Welwa an sein Pferd, schwang sich auf dasselbe und begab sich von Neuem auf den Weg ... Wie ritt er? Das brauche ich gar nicht erst zu sagen. Schnell ritt er, bis er aus dem Kupferwald herauskam.
»Steht still, laßt mir Zeit, daß ich mir anschaue, was ich noch nie gesehen«, sagte Petru noch einmal, als sie aus dem Kupferwald hinausgelangten. Vor ihm erstreckte sich jetzt ein noch wunderbarerer Wald als der von Kupfer,[250] mit glänzenden Gebüschen, mit den schönsten und verführerischsten Blumen: er betrat den Silberwald!
Die Blumen begannen noch süßer und anlockender zu reden, als die im Kupferwald gethan.
»Pflück' keine Blumen mehr«, sagte die an den Braunen gebundene Welwa, »denn mein Bruder ist sieben Mal stärker als ich.«
Mein furchtloser Held aber, bezwang er sich? Kaum ein, zwei Minuten vergingen, da fing Petru an Blumen zu brechen und einen Kranz aus ihnen zu winden.
Der Sturmwind heulte stärker, die Nacht wurde schwärzer und die Erde erzitterte noch mehr, als im Kupferwalde; die Welwa des Silberwaldes warf sich auf Petru mit sieben Mal größerer Furchtbarkeit, als diejenige des Kupferwaldes es gethan. Aber auch er war nicht faul. Der Kampf dauerte wieder drei Tage und drei Nächte, und beim Morgengrauen des vierten Tages zügelte Petru auch die zweite Welwa.
»Süß sei Dir Dein Glück, denn Du hast mich aus der Verzauberung erlöst!« sagte auch diese Welwa, dann machten sie sich wieder auf den Weg, wie sie bisher gekommen.
»Halt, steht still, geht in Schritt, damit ich mir anschaue, was ich noch nie gesehen«, rief der Reiter jetzt zum dritten Male, hielt dann aber die Hand vor die Augen, weil er fürchtete, das Augenlicht zu verlieren von den Strahlen, die vom Goldwalde ausgingen. Er hatte schon wunderbare Dinge gesehen, aber von so etwas hatte er bisher nicht einmal geträumt.
»Bleiben wir hier stehen, denn sonst geht's uns schlecht!« riefen die Pferde wie aus einem Munde.[251]
»Warum sollte es uns schlecht gehen?« fragte Petru.
»Du wirst wiederum von den Blumen pflücken. Ich weiß, daß Dein Herz Dir nicht eher Ruhe läßt! Und unser jüngster Bruder ist sieben mal siebenmal stärker und schrecklicher, als wir drei zusammengenommen. Drum laß uns den Wald umgehen!« So sprach der Braune.
»Gewiß nicht!« entgegnete Petru, »laß uns gehen! Nun laß uns Alles sehen, da wir etwas gesehen; und Alles durchmachen, nun wir etwas durchgemacht. Habt keine Angst, ich habe auch keine!«
Ich brauche gar nicht erst zu sagen, daß Petru wiederum that, was er schon zweimal gethan. Du lieber Gott! wie sollte er es auch nicht thun?
Kaum war der Kranz gewunden, als etwas begann, was noch nie gewesen. Jetzt war es nicht etwa stärkerer Sturmwind, nicht mehr Nacht, die Erde erbebte nicht stärker. Nein! Es geschah, ich weiß nicht was und weiß nicht wie, genug, daß es Petru schien, als sei Jemand in die Mitte der Erde gestiegen, um sie umzukehren. Schrecklich war was geschah und fürchterlich und Gott behüte Einen davor!
»Siehst Du!« sagte der Braune ärgerlich, »warum konntest Du nicht Frieden halten?«
Petru sah, daß er nichts mehr sah, begann zu fühlen, daß er nichts mehr fühlte, und verstand, daß er nichts mehr verstehen konnte: so schwieg er also und sagte nichts, sondern umgürtete sich mit dem Schwert und machte sich kampfbereit. »Jetzt kann die Welwa kommen«, rief er darauf. »Entweder sterbe ich, oder ich werfe ihr den Zügel über den Kopf!«
Kaum hatte er das Wort gesprochen, als er etwas noch[252] nie Gesehenes erblickte, das sich ihm näherte. Ein dichter Nebel kam auf Petru zu. So dicht war dieser Nebel, daß Petru sich selbst in ihm nicht sehen konnte.
»Was ist das?« rief Petru etwas erschreckt, als er zu fühlen begann, daß es ihm überall weh that. Er erschrak aber noch mehr, als er merkte, daß er sein eigen Wort in diesem dichten Nebel nicht hörte. So begann er nach rechts und links mit dem Schwert um sich zu schlagen, nach vorn und nach hinten, nach allen Seiten und aus allen Kräften, die er noch hatte, – so nämlich wie es der Mensch thut, wenn er sieht, daß es ernst wird. So kämpfte er einen Tag und eine Nacht, ohne etwas anderes zu sehen, als daß es ihm schwarz vor den Augen war, ohne etwas anderes zu hören, als das Rieseln seines Schweißes auf den Pferdeleibern. Seit einiger Zeit war ihm sogar zu Muthe, als lebe er nicht mehr, sondern sei längst gestorben. Plötzlich begann der Nebel sich zu zertheilen. Beim Morgengrauen des zweiten Tages entwich der Nebel ganz, und als die Sonne sich am Himmel erhob, war das Licht vor den Augen Petru's wiederum Licht. Ihm schien es, als sei er von Neuem geboren.
Die Welwa? Die war wie vom Erdboden verschwunden!
»Athme jetzt einmal auf, denn der Kampf wird gleich von Neuem beginnen«, sagte der Braune.
»Was war das?« fragte Petru.
»Die Welwa«, entgegnete der Braune, »die Welwa war es, in Nebel verwandelt! Hole nur Athem, denn sie kommt wiederum.«
Der Braune hatte kaum ausgesprochen, und Petru kaum Zeit gehabt aufzuathmen, als er auch schon sah, daß etwas[253] von der Seite kam, etwas, von dem er nicht wußte, was es sei. Ein Wasser, aber es ist nicht wie Wasser, denn es scheint nicht auf der Erde zu fließen, sondern auf irgend eine Art zu fliegen, oder was es sonst thut! – Genug, daß es keine Spur hinterläßt, und nicht in die Höhe fliegt ... So etwas, was nicht ist!
»Weh mir!« rief Petru.
»Halte Dich und wehre Dich, steh nicht still«, sagte der Braune, und weiter sagte er nichts mehr, denn das Wasser füllte ihm den Mund an.
Der Kampf begann von Neuem. Petru schlug um sich einen Tag und eine Nacht, ohn' Unterlaß, ohne daß er gewußt hätte auf was, und kämpfte ohne zu wissen mit wem. Als das Morgengrauen des nächsten Tages anbrach, fühlte er, wie seine Füße erlahmten.
»Jetzt geh' ich zu Grunde!« rief er, etwas ärgerlich; doch darum begann er sich doppelt zusammen zu nehmen und schlug noch kräftiger .... Die Sonne ging am Himmel auf, das Wasser verschwand, ohne daß man wußte wie und wann.
»Hol' Athem!« sprach der Braune, »hol' Athem, denn Du hast nicht viel Zeit zu verlieren. Die Welwa kommt gleich wieder.«
Petru sagte nichts mehr, denn der Arme wußte gar nicht mehr, was er vor Müdigkeit thun sollte. Er setzte sich also besser in den Sattel, faßte das Schwert besser und erwartete so vorbereitet, daß herankam, was er sich nähern sah.
So etwas, ich weiß nicht wie? wie wenn der Mensch träumt, daß er etwas sieht, das hat, was es nicht hat, und nicht hat, was es hat ... so erschien dem Petru jetzt die[254] Welwa. O Himmel, o Himmel, wie konnte die Welwa jetzt ein Goldwald sein, nachdem sie zweimal mit Schanden davongegangen war? Sie flog mit den Füßen und ging mit den Flügeln, sie war mit dem Kopf im Rücken und dem Schweif voran, mit den Augen auf der Brust und der Brust auf der Stirn, – und wie sie sonst noch war, das würde nur noch der liebe Gott zu sagen wissen!
Den Petru überliefen Schauer zu gleicher Zeit von oben nach unten und von unten nach oben, einmal überkreuz und einmal überquer, darauf faßte er sich ein Herz und begann zu kämpfen, so wie er schon einmal gekämpft und, so, wie er noch nicht gekämpft.
Der Tag verging, die Kräfte verließen Petru. Der Abend brach herein, dem Petru fingen sich die Augen an zu verschleiern. Als die Mitternacht kam, fühlte Petru, daß er nicht mehr auf dem Pferde saß. Er selbst wußte nicht, wie und wann er zur Erde gelangt; genug, daß er nicht mehr zu Pferde war. Als der Tag sich der Nacht zu entkleiden begann, konnte Petru sich nicht mehr auf den Füßen halten, sondern ließ sich auf die Kniee nieder.
»Halte Dich aufrecht, nimm Dich noch einmal zusammen!« rief der Braune, als er sah, daß seinen Herrn die Kräfte verließen.
Petru trocknete sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß, spannte alle seine Kräfte an und stand noch einmal aufrecht.
»Schlag jetzt die Welwa mit dem Zügel über das Maul!« sagte der Braune.
Petru that, wie ihm geheißen.
Die Welwa wieherte einmal wie ein Hengst, so daß Petru glaubte taub zu werden, dann sprang sie auf Petru[255] zu, obgleich auch sie sich vor Müdigkeit kaum rühren konnte.
Der Kampf dauerte nicht mehr lange. Petru brachte es zu Stande, auch dieser Welwa den Zaum über den Kopf zu werfen.
Als der Tag vollkommen hell wurde, ritt der Held auf dem vierten Pferde.
»Schön möge Dein Weib sein, denn Du hast mich aus der Verzauberung erlöst!« sagte die Welwa.
Und sie machten sich auf und ritten weiter, und als die Nacht den Tag einhüllte, kamen sie an die Grenze des Goldwaldes.
Wie sie so den Weg dahin zogen, fing Petru an, sich zu langweilen, und damit er doch etwas thäte, fing er an, die schönen Kränze zu beschauen.
»Was soll ich mit den Kränzen anfangen?« begann er so zu sich selbst zu reden. »Mir genügt einer. Ich behalte den schönsten.« So warf er den aus Kupfer fort, dann den aus Silber, und behielt nur den aus Gold für sich.
»Halt«, sagte der Braune. »Wirf die Kränze nicht fort. Steig ab und hebe sie auf, denn sie können Dir noch von Nutzen sein.«
Petru that, wie er ihm gesagt und ritt weiter.
Als die Sonne nur noch eine Hand hoch über der Erde stand, so gegen Abend, wenn die kleinen Fliegen zu schwärmen beginnen, gelangte unser Reiter an den Rand des Waldes. Vor ihm erstreckte sich eine große Haide. So weit das Auge reichte, sah man nichts auf ihr.
Die Pferde blieben stehen.
»Was ist?« fragte Petru.
»Jetzt kann's uns schlecht gehen«, entgegnete der Braune.[256]
»Warum sollte es uns schlecht gehen?«
»Wir kommen jetzt in das Reich der heiligen Mittwoch. So lange wir durch dasselbe reiten, werden wir nur auf Kälte und wiederum Kälte stoßen. Am Rande des Weges sind lauter Feuer aus Feuer, und mir ist bange, daß Du hingehst und Dich erwärmst.«
»Und warum soll ich mich nicht erwärmen?«
»Es geht Dir schlecht, wenn Du Dich erwärmst«, sagte der Braune sorgenvoll.
»Nur vorwärts«, sagte Petru ohne Furcht, »wenn es sein muß, werde ich auch Kälte ertragen.«
Je tiefer Petru in das Reich der heiligen Mittwoch eindrang, je mehr fühlte er, daß es nicht gut so war, wie es war. Mit jedem Schritt wurde es kälter, frostiger, aber so viel Kälte und Frost, daß auch das Mark in den Knochen Einem einfror. Aber auch Petru war kein Hasenfuß, tapfer war er im Kampf gewesen, tapfer blieb er auch im Ertragen.
Am Rande des Weges war immer ein Feuer nach dem andern und neben ihnen Menschen, welche Petru zu sich riefen mit den schönsten und verführerischsten Worten. Der Athem im Munde fror Petru ein, aber er gab nicht nach, sondern befahl dem Braunen Schritt zu gehen.
Wie lange unser Held mit der Kälte und dem Frost gekämpft, kann man nicht einmal sagen, denn Jeder weiß, daß das Reich der heiligen Mittwoch nicht ein oder zwei Steinwurf groß ist. Die Kälte ist da nicht etwa nur so so, sondern kalt, kalt, daß das Kalb in der Kuh erfriert, daß auch die Felsen bersten vor dem Frost, der da herrscht.
So ist es da, wahrhaftig! Aber Petru war auch nicht[257] ohne Ungemach groß geworden, er knirschte mit den Zähnen, weiter nichts, obgleich er so erstarrt war, daß er nicht einmal mit den Augen blinken konnte.
So gelangten sie zur heiligen Mittwoch. Petru stieg vom Pferde, warf den Zügel über des Braunen Kopf und trat in die Hütte der heiligen Mittwoch ein.
»Guten Tag, Mütterchen!«
»Danke schön, mein erfrorener Held!«
Petru lachte auf, aber entgegnete nichts.
»Tapfer hast Du Dich gehalten«, sagte ihm jetzt die heilige Mittwoch, indem sie ihn auf die Schulter klopfte. »Jetzt werde ich Dir den Lohn geben.« Darauf ging sie an einen eisernen Schrein, öffnete ihn und nahm aus demselben eine kleine Schachtel. »Schau«, sagte sie weiter, »diese Schachtel ist von Alters her dazu bestimmt, Dem zu gehören, der durch das Reich der Kälte durchgedrungen ist. Da nimm sie und behüte sie, denn sie kann Dir zu Vielem nutzen. Wenn Du sie öffnest, kommt Dir Kunde woher Du nur willst und sichere Nachricht über Dein Heimathland.«
Petru dankte ihr für die Worte und das Geschenk, bestieg sein Pferd und ritt weiter.
Nachdem er sich einen guten Steinwurf von ihr entfernt hatte, öffnete er die Zauberschachtel.
»Was steht zu Befehl?« fragte irgend etwas aus der Schachtel.
»Gieb mir Nachricht vom Vater«, befahl Petru etwas furchtsam.
»Er sitzt im Rath mit den Alten«, entgegnete die Schachtel.
»Geht es ihm gut?«[258]
»Nicht gerade besonders, er hat Aergerniß?«
»Wer ärgert ihn?« fragte Petru jetzt etwas scharf.
»Deine Brüder Costan und Florea«, antwortete es wieder aus der Schachtel. »Wie mir scheint, verlangen sie die Herrschaft von ihm, und der Alte sagt, daß sie ihrer noch nicht würdig sind.«
»Vorwärts, Brauner, denn wir haben keine Zeit zu verlieren«, rief jetzt Petru. Darauf schloß er die Schachtel und steckte sie in den Reisesack.
Sie eilten, wie die Gespenster ziehen, wenn die Wirbelwinde gehen und um Mitternacht die Vampyre jagen.
Wie lange sie so geritten sind, läßt sich nicht einmal sagen. Lange sind sie so geritten, sehr lange.
»Halt! laß mich Dir noch einen Rath geben«, sagte der Braune nach einer Weile.
»Laß hören!« sprach Petru.
»Du hast Dich mit der Kälte geplagt, jetzt wirst Du mit einer Hitze, wie sie noch nie dagewesen ist, zu thun bekommen. Bleib tapfer! Laß Dich nicht zur Kühle hinziehen, sonst geht es Dir schlecht.«
»Vorwärts!« entgegnete Petru. »Laß Dir nicht bange sein: wenn ich nicht erfroren bin, werde ich auch nicht schmelzen!«
»Wie nicht! Hier ist eine Hitze, bei der Dir das Mark aus den Knochen ausläuft, eine Hitze nämlich, wie sie nur im Reich der heiligen Donnerstag4 sein kann.«
Je weiter sie eindrangen, desto größer wurde die Hitze. Sogar die Eisen von des Braunen Hufen begannen zu schmelzen,[259] aber Petru gab nicht nach. Der Schweiß rann ihm herunter, er trocknete ihn mit dem Aermel und ritt eilig weiter. Was die Hitze anlangt, heiß hätte es noch sein können, es war aber ein anderer Umstand, der Petru mehr quälte. Am Wege, immer einen guten Steinwurf von einander entfernt, lagen kühle Thäler, mit kalten durstlöschenden Quellen. Wenn Petru auf sie schaute, fühlte er, daß ihm das Herz verdorrte und die Zunge im Munde vertrocknete vor Durst. An den Quellen standen Lilien, Veilchen und Rosen in weichem Gras und auf ihnen ruhten schöne Mädchen, so schön, Himmel, wie sie gar nicht schöner sein können. Petru hätte am liebsten die Augen geschlossen, um so verführerische Dinge gar nicht mehr zu sehen.
»Komm, Held, komm zur Kühlung, komm, laß Dich von uns zerstreuen!« lockten ihn die Mädchen an.
Petru schüttelte mit dem Kopfe und sagte nichts mehr, denn ihm war auch die Sprache abhanden gekommen.
Lange ritten sie so, sehr lange. Plötzlich fühlten sie, daß die Hitze etwas nachzulassen begann, in der Ferne auf einem Hügel wurde eine Hütte sichtbar. Hier wohnte die heilige Donnerstag. Petru nähert sich ihr. Als sie beinahe angelangt waren, kam ihnen die heilige Donnerstag entgegen und bewillkommnete Petru.
Petru dankte ihr, wie es Brauch ist unter angesehenen und gesitteten Leuten; darauf ließen sie sich in ein Gespräch ein, wie es Leute, die sich noch nie gesehen haben, zu thun pflegen. Petru brachte Kunde von der heiligen Mittwoch, sprach von seinen Erlebnissen und von dem Ziel, zu dem er sich aufgemacht, und sagte ihr dann Lebewohl, denn er hatte wahrhaftig keine Zeit zu verlieren. Denn,[260] wer weiß, wie weit er noch bis zur Fee der Morgenröthe hatte!
»Bleib ein wenig, daß ich Dir noch ein Wort sage«, sprach die heilige Donnerstag. »Jetzt kommst Du in das Reich der heiligen Freitag5: gehe auch zu ihr heran und sage ihr, daß ich ihr Gesundheit und Glück wünschen lasse. Wenn Du dann heimkehrst, komm wieder zu mir, dann will ich Dir etwas geben, was Dir von Nutzen sein wird.«
Petru dankte für ihre Worte und für Alles und ritt weiter.
Kaum ritt er so lange, wie eine Pfeife Tabak brennt, als er auch in ein neues Land kam.
Hier war es nicht heiß und auch nicht kalt, sondern so zwischen Beiden, wie's im Frühling ist, wenn die Lämmer entwöhnt werden. Petru begann jetzt behaglich aufzuathmen, er war aber in einer Haide, nur Sand und Disteln.
»Was kann dies sein?« fragte Petru, als er etwas einem Hause Aehnliches, aber weit, sehr weit weg erblickte; da gerade, wo sein Auge das Ende der leeren Haide sah.
»Das ist das Haus der heiligen Freitag«, antwortete der Braune, »wenn wir zureiten, können wir es noch vor völliger Dunkelheit erreichen.«
So geschah es auch. Die Nacht brach herein, und unser Held näherte sich langsam dem entfernten Hause.
Auf der Haide erblickte man eine große Anzahl Gespenster, die sich rechts, links, vor und hinter Petru jagten.
»Aengstige Dich nicht«, sagte der Braune. »Es sind die[261] Töchter der Wirbelwinde, sie tanzen durch die Luft und erwarten den Mondfresser.«
So gelangten sie bis zum Hause der heiligen Freitag.
»Steige jetzt ab und tritt in's Haus«, sagte der Braune.
Petru wollte thun, wie ihm gesagt war.
»Halt, sei nicht so hastig«, sprach der Braune weiter. »Laß mich Dir erst weiter Bescheid sagen, wie und was Du machen sollst. Bei der heiligen Freitag kannst Du nicht so ohne Weiteres eintreten, sie ist ringsherum von den Wirbelwinden bewacht.«
»Was soll ich also machen?«
»Nimm den Kupferkranz und gehe mit ihm dorthin, siehst Du, auf jenen Hügel. Wenn Du auf ihm sein wirst, beginne zu rufen: ›Himmel, was für schöne Mädchen, was für Engel, was für Feenseelen!‹ Darauf hebe den Kranz hoch und sage: ›Wenn ich wüßte, ob Jemand diesen Kranz von mir annimmt ... wenn ich das wüßte! wenn ich das wüßte!‹ und wirf den Kranz von Dir.«
»Und warum soll ich das thun?« fragte Petru, wie so ein Mensch zu fragen pflegt, der wissen will, warum er das thut, was er thut.
»Schweig! Geh und handle«, entgegnete ihm kurz der Braune, und Petru that ohne weiter etwas zu sprechen, wie ihm geheißen.
Kaum hatte Petru den Kranz von sich geworfen, als sich auch schon die Wirbelwinde auf denselben stürzten und sich um ihn rissen.
Petru wandte sich jetzt zum Hause.
»Halt«, rief der Braune noch einmal. »Ich habe Dir noch nicht Alles gesagt. Nimm den Silberkranz und gehe und klopfe an's Fenster der heiligen Freitag. Wenn die[262] Alte Dich frägt: Wer da? sage, daß Du zu Fuß kommst und in der Haide herumgeirrt bist. Sie wird Dich zurückweisen. Du mußt Dich aber nicht vom Fleck rühren, sondern ihr sagen: Ich gehe gewiß nicht fort, denn seitdem ich klein war, habe ich immer von der Schönheit der heiligen Freitag (Venus) reden hören, und ich habe mir nicht Schuhe aus Stahl mit Riemen aus Kalbsleder machen lassen, bin nicht neun Jahre und neun Monate weit gereist, habe nicht um diesen Silberkranz gekämpft, den ich ihr geben wollte, habe nicht alles das gethan und geduldet, um umzukehren, nun ich bei ihr angelangt. So thu es und so rede; was dann folgt, laß Deine eigene Sorge sein.«
Petru sagte kein Wort weiter, sondern ging auf's Haus zu.
Da es finstere Nacht war, sah Petru nicht einmal das Haus der heiligen Freitag, sondern ging nur nach den Lichtstrahlen, die durch's Fenster bis zu ihm drangen. Als er an's Haus gelangte, fingen einige Hunde an zu bellen, weil sie etwas Fremdes in der Nähe fühlten.
»Wer balgt sich da mit den Hunden? Möge ihm das Leben bitter sein«, rief die heilige Freitag wirklich erzürnt.
»Ich bin es, heilige Freitag, ich!« sagte Petru schwer Athem holend, wie ein Mann, der möchte, aber auch wieder nicht recht möchte, was er thut. »Ich bin auf der Haide herumgeirrt, und weiß nicht, wo ich für die Nacht unterkommen kann.« Hier schwieg er, er wagte nicht mehr zu sagen.
»Wo hast Du Dein Pferd gelassen?« fragte die heilige Freitag etwas scharf.
Petru blieb in Gedanken: er wußte nicht, ob er lügen sollte, oder die Wahrheit reden. So antwortete er nichts.[263]
»Geh mit Gott, mein Sohn, ich habe keinen Platz für Dich«, sagte die heilige Freitag und zog sich vom Fenster zurück.
Petru sagte jetzt, was ihn der Braune zu sagen geheißen hatte.
Kaum hatte er seine Sache gesagt, als er auch schon sah, daß die heilige Freitag ihm das Fenster öffnete und in süßen Worten mild mit ihm sprach:
»Laß mich den Kranz sehen, mein Sohn!«
Petru reichte ihr den Kranz.
»Komm in's Haus«, sagte darauf die heilige Freitag, »fürchte Dich nicht vor den Hunden, denn sie kennen meinen Willen.«
So war es auch. Die Hunde begannen mit den Schwänzen zu wedeln und folgten dem Petru, wie sie einem Menschen nachgehen, der Abends vom Acker nach Hause kommt.
Petru sagte »guten Abend« als er in's Haus trat, legte seinen Hut oben auf den Backofen und setzte sich auf die Ofenbank, nachdem sie ihm gesagt, Platz zu nehmen.
Nun sprachen sie so über alltägliche Dinge, über die Welt, über die Schlechtigkeit der Menschen und über andere ähnliche Dinge, ohne besondere Bewandtniß und Bedeutung. Es erhellte daraus, daß die heilige Freitag sehr aufgebracht über die Menschen war; Petru aber gab ihr in Allem Recht, – nämlich so geziemt es sich für Jemand, der an eines Anderen Tische sitzt.
Himmel, aber wie alt war diese Alte!
Ich weiß nicht, warum der junge Petru sie so mit den Augen verschlang, daß er ihr den bösen Blick hätte geben[264] können! Wollte er ihr etwa die Runzeln im Gesicht zählen? Vielleicht! Er hätte aber sieben Mal hinter einander geboren werden müssen und jedes Mal sieben Mal so lange leben müssen, als ein Menschenleben lang ist, um sie alle zählen zu können.
Der heiligen Freitag aber lachte das Herz vor Freude, als sie sah, daß Petru sich ganz in ihren Anblick verlor.
»Als noch nicht war, was ist«, begann die heilige Freitag zu reden, »als die Welt noch nicht Welt war, da bin ich geboren, und ich war so schön als Kind, daß meine Eltern die Welt werden ließen, damit Jemand sei, der meine Schönheit anstaunen könne. Als dann die Welt gemacht wurde, war ich erwachsen, und vor all dem Wundern über meine Schönheit traf mich der böse Blick. Seitdem bildet sich alle hundert Jahre eine Runzel auf meinem Gesicht. Und jetzt bin ich alt!«
Die heilige Freitag konnte vor Aerger und Betrübniß nicht weiter reden.
Im weiteren Gespräch sagte die heilige Freitag dem Petru, wie ihr Vater einmal ein großer und mächtiger Kaiser war, und wie er, als einmal zwischen ihm und der Fee der Morgenröthe, welche das Nachbarland beherrschte, Streit ausbrach, von der bösen Nachbarin ungebührlich verspottet worden war. Dann begann sie, Schlechtigkeiten über die Fee der Morgenröthe zu sprechen.
Was sollte Petru dabei thun? er hörte schweigend zu. Hin und wieder nur sagte auch er: »Ja, ja, so ist es wahrhaftig hinieden.« Was konnte er anderes thun?
»Ich will Dir aber eine Aufgabe stellen, wenn Du tapfer bist und sie mir vollbringen willst«, redete die heilige Freitag,[265] als sie beide schläfrig zu werden begannen. »Bei der Fee der Morgenröthe ist ein Brunnen: wer aus dem Wasser dieses Brunnens trinkt, der erblüht wie die Rose und das Veilchen. Bringe mir einen Krug davon, und ich werde mich Dir dankbar zu erweisen wissen. Die Sache ist schwer! das weiß der Himmel! Das Reich der Fee der Morgenröthe ist von allerhand wilden Thieren und schrecklichen Drachen bewacht. Ich will Dir aber noch etwas sagen und Dir auch etwas geben.«
Nachdem die heilige Freitag so gesprochen, ging sie an einen von allen Seiten mit Eisen beschlagenen Schrank, und zog aus ihm eine kleine, ganz kleine Flöte heraus.
»Siehst Du diese Flöte«, sagte sie dem Petru, »ein alter Greis hat sie mir gegeben, als ich noch jung war. Wer den Ton dieser Flöte hört, der schläft ein und schläft, bis er ihn nicht mehr hört. Nimm Du die Flöte und blase auf ihr, so lange du im Reich der Fee der Morgenröthe bist. Niemand wird Dir ein Leid anhaben, denn Alle werden schlafen.«
Petru sagte jetzt, was er zu thun vorhabe. Die heilige Freitag freute sich noch mehr. Weiter sprachen sie nicht mehr viel. Wie sollten sie auch noch, war doch die Mitternacht vorüber, schon reichlich vorüber.
Petru sagte »Gute Nacht«, steckte die Flöte in das Futteral und ging auf den Boden des Hauses, um auch endlich einmal zu schlafen.
Als die Morgenröthe anbrach, war Petru schon wach; der Morgenstern war noch nicht ordentlich am Himmel heraufgekommen, als er schon aufgestanden war. Er nahm eine große Krippe, füllte sie mit glühenden Kohlen,[266] und ging um seine Pferde zu füttern. Nachdem der Braune drei mal drei und jedes der anderen Pferde drei volle Krippen Gluth gefressen, zog Petru sie an den Brunnen, tränkte sie und machte sich wegbereit.
»Halt«, rief ihm die heilige Freitag aus dem Fenster zu. »Ich habe Dir noch ein Wort zu sagen! Ich will Dir noch einen Rath geben.«
Petru näherte sich dem Fenster.
»Laß ein Pferd hier und mach' Dich nur mit dreien auf den Weg. Reite langsam, bis Du zu dem Reich der Morgenröthe gelangst. Dort steig ab und tritt zu Fuß ein. Wenn Du dann heimkehrst, komme so, daß alle drei Pferde Dir im Wege liegen bleiben und Du zu Fuß anlangst.«
»Ich werde jedes Wort genau befolgen«, sprach Petru und wollte davon gehen.
»Eile Dich nicht, ich bin noch nicht zu Ende«, sprach die heilige Freitag weiter. »Sieh die Fee der Morgenröthe nicht an, denn sie hat Augen, die verhexen, und Blicke, die den Verstand rauben. Sie ist häßlich, so häßlich, wie es sich gar nicht sagen läßt. Sie hat Eulenaugen, ein Fuchsgesicht und Katzenkrallen. Hörst Du? schau sie nicht an. Und der Herrgott führe Dich heil und gesund zurück, mein Sohn Petru.«
Petru dankte für die Worte und die Lehren und hielt sich nicht länger auf. Wo hatte er auch Zeit, mit alten Weibern zu schwatzen! Er ließ den Braunen dort auf der Weide und machte sich auf den Weg.
In der Ferne, in der Ferne, wo der Himmel sich zur Erde niederläßt, wo die Sterne mit den Blumen kosen, dort sah man eine helle Röthe, beinahe so, wie der[267] Himmel beim Anbruch des Frühlings ist, nur schöner, nur wunderbarer.
Dort war das Schloß der Fee der Morgenröthe. Von hier bis dorthin und von dort bis zurück war nichts als Wiese und Blumen. Und dann war es nicht warm, nicht kalt, nicht hell, nicht dunkel, sondern etwas zwischen Allem, wie es so am heiligen Petritag ist, wenn man früh aufsteht, um das Vieh auf die Matten zu führen. Petru ritt mit Herzenslust durch dies schöne Land.
Wie lange unser Held so geritten ist, das kann man in menschlicher Sprache nicht ausdrücken, denn in jenem Lande folgt die Nacht nicht dem Tage und der Tag nicht der Nacht: es war immer Morgendämmerung mit weichem, kühlem Winde, mit unsichtbarer Sonne und halbem Licht; die Herrschaft von Tag und Nacht begann erst am Hause der heiligen Freitag.
Nach langer Wanderung und langer Reise sah Petru etwas Weißes an der Röthe des Himmels auftauchen. Je mehr er sich näherte, desto klarer entfaltete sich das, was er vor seinen Augen sah. – Es war das Schloß. Petru schaute und schaute. Er athmete dann einmal tief auf, wie ein Mann, der betet: »Herr, ich danke Dir«. Aber wie schön war dies Schloß! Hohe Thürme, die hoch über das Reich der Wolken reichten, Wände, weiß wie Meermuscheln und höher als die Sonne um Mittag steht, ein Dach aus Silber, aber wie aus Silber? so daß es nicht mal in der Sonne glänzte, und Fenster alle aus Luft gesponnen und in Rahmen von dunklem Gold gewebt. Ueber allem diesem spielten nun noch die lustigen Sonnenstrahlen, wie der Wind mit dem Schatten der Zweige[268] spielt, zur Frühlingszeit, wenn er sich vor Trägheit kaum bewegt.
Petru hielt erstaunt an, um sich über so viel angehäufte Schönheit zu wundern.
Lange konnte er nicht stehen bleiben, denn er war eilig, so stieg er ab, ließ die Pferde auf dem thaugetränkten Gras weiden, nahm seine Flöte, wie ihn die heilige Freitag geheißen, sagte einmal »Mit Gott!« und machte sich an das große Werk.
Kaum war er allein zu Fuß drei Steinwürfe weit gegangen, als er auf einen Riesen stieß, der lag da von den süßen Tönen der Flöte eingeschläfert. Dies war einer von den Wächtern des Schlosses der Fee der Morgenröthe. Wie in aller Welt hatte er so groß wachsen, wie hatte sich so viel Kraft verkörpern, und wie hatten seine Arme so sehnig werden können! Wie er so auf dem Rücken dalag, fing Petru an, ihn mit Schritten zu messen.
Ich will nicht übertreiben, aber er war furchtbar groß; so groß war er, daß Petru einmal aufathmete, als er von den Füßen zum Kopf gelangte, er wußte jetzt nicht genau war es vor Müdigkeit, war es vor Staunen? Es wäre auch kein Wunder gewesen, wenn er sich erstaunt hätte. Der Mond beim Aufgang ist nicht so groß, wie das Auge des Riesen war. Und wenn dies wenigstens so gewesen wäre, wie bei aller Welt, aber nein, es saß mitten auf der Stirn. So war das Auge! Wie konnte nun das Uebrige sein! Petru war ein tapferer Held, aber wahrhaftig, er dankte dem lieben Gott, der Flöte und der heiligen Freitag, daß er mit diesem Unmenschen von Menschen nicht aneinander gekommen, und ging leise weiter.[269]
So weit, wie ungefähr der Mensch geht, bis er Lust bekommt, sich in's Kühle zu setzen, ging Petru, bis er auf noch furchtbarere Dinge stieß. Drachen, jeder mit sieben Köpfen, waren in der Sonne ausgestreckt und schliefen dort fest, bald rechts, bald links. Wie diese Drachen aussahen, sage ich gar nicht mehr: das weiß heute die ganze Welt, Drachen sind keine Dinge, über die man scherzen oder lachen kann. Dies war die zweite Wache der Umgebung des Hofes. Petru eilte geschwind an ihr vorbei jetzt weiß ich wirklich nicht, war es aus Eile oder Grauen?
Und es wäre auch weiter kein Wunder gewesen, wenn ihm gegraut hätte! Drache ist Drache!
Jetzt gelangte der Prinz zu einem Fluß. Aber denke Niemand, daß dies ein Fluß wie andere Flüsse gewesen wäre; kein Wasser, sondern Milch floß hier, nicht über Sand und Kiesel, sondern über Edelsteine und Perlen, und rann nicht langsam oder schnell, sondern langsam und schnell zu gleicher Zeit, wie die Tage der Glücklichen verrinnen. Das war der Fluß, der rundherum um das Schloß floß der fließt und fließt ohne still zu stehen und ohne je vom Fleck zu kommen. Am Rande des Flusses schliefen, immer Einer einen Sprung vom Andern entfernt, Löwen mit Klauen. Aber was für Löwen! Mit Goldhaaren und an den Zähnen und den Klauen mit Eisen beschlagen. Dies waren die Wächter des Flusses Jenseits, auf der anderen Seite des Flusses, war ein schöner Garten, sehr schön, wie er eben nur bei der Fee der Morgenröthe sein kann. Am Ufer die schönsten Blumen; auf den Blumen schlief süß und sanft eine Fee neben der anderen, eine immer schöner als die[270] andere, bezaubernder und süßer anzuschauen. Petru wagte gar nicht, dorthin zu blicken.
Der Prinz fragte sich jetzt, wie er über den Fluß kommen sollte. Der Fluß war breit und tief und über ihn führte nur eine Brücke; aber auch sie war so, wie es in dieser Welt keine giebt. Diesseits und jenseits, auf dem einen Ufer und auf dem anderen, je ein Brückenkopf, jeder von 4 schlafenden Löwen bewacht; die Brücke jedoch! über die konnte keine Menschenseele gehen. Mit den Augen sah man sie, aber man fühlte in die Leere, wenn man sie mit dem Fuß betreten wollte. Wer weiß, woraus die nun wieder gefertigt war! Vielleicht aus einem Lämmerwölkchen.
Genug, Petru blieb am Ufer des Flusses. Hinübergehen? das konnte er nicht. Hinüberschwimmen? daran war nicht zu denken. Was sollte er also machen! Na, um Petru braucht uns nicht bange zu sein, so leicht läßt er sich nicht abschrecken.
Er kehrte um und ging bis zu dem Riesen zurück. »Wir wollen es darauf ankommen lassen!« dachte er so in sich, »nun wollen wir uns einmal unterhalten! Wach' auf, mein Tapferer«, rief er darauf dem Riesen zu, ihm am Aermel des Ueberrockes zupfend.
Als der Riese vom Schlaf erwachte, streckte er die Hand nach Petru aus ... so, als wenn wir eine Fliege fangen wollen.
Petru blies auf der Flöte – der Riese fiel wiederum zur Erde.
So weckte Petru ihn dreimal und ließ ihn immer wieder einschlafen; dreimal nach einander, das heißt dreimal hat er ihn geweckt und dreimal wieder eingeschläfert.[271] Als es zum vierten Mal geschehen sollte, knüpfte Petru sein Halstuch ab, band mit ihm die beiden kleinen Finger des Riesen aneinander, zog das Schwert und rief, den Riesen an der Brust fassend, noch einmal: »Wach' auf, mein Tapferer!«
Als der Riese sah, was für ein schlechter Possen ihm gespielt worden war, sagte er zu Petru: »Hör', Du kämpfst keinen ehrlichen Kampf! Kämpfe ehrlich, wenn Du ein Held bist!«
»Wart' ein Weilchen, erst hab' ich mit Dir zu reden«, sprach Petru. »Schwöre, daß Du mich über den Fluß bringen willst, dann laß ich Dich los zu ehrlichem Kampf.«
Der Riese that den Schwur, und Petru ließ ihn aufstehen.
Als der Riese sich ganz wach fühlte, stürzte er sich auf Petru, um ihn mit einem Schlage zu zerquetschen. Er hatte aber seinen Mann gefunden! Petru war nicht von gestern oder ehegestern; auch er stürzte sich heldenhaft auf den Gegner.
Drei Tage und drei Nächte lang kämpften sie, der Riese nahm Petru und schlug mit ihm auf den Boden, daß er bis an die Kniee in die Erde drang, der Petru aber den Riesen, daß jener bis zum Gurt in der Erde steckte; darauf der Riese ihn bis zur Brust und schließlich Petru jenen bis zum Hals.
Als der Riese sich so in die Enge getrieben sah, rief er erschrocken: »Laß mich, laß mich, ich ergebe mich als geschlagen!«
»Bringst Du mich über den Fluß?« fragte Petru.
»Ich bringe Dich!« erwiderte jener aus dem Loche in der Erde heraus.[272]
»Was soll ich Dir thun, wenn Du Dein Wort brichst?«
»Tödte mich, mach' mit mir, was Du willst, nur laß mich jetzt leben!«
»So soll es also sein!« sagte Petru, nahm dann die linke Hand des Riesen und band sie an den rechten Fuß, stopfte ihm das Tuch in den Mund, damit er nicht schreie, band ihm das Auge zu, damit er nicht sähe, und führte ihn an der Hand bis zum Fluß.
Als sie am Fluß anlangten, schritt der Riese mit einem Fuß auf das jenseitige Ufer des Flusses, mit dem anderen blieb er auf dem diesseitigen, nahm Petru in die Handfläche und setzte ihn schön nieder auf das jenseitige Ufer.
»Jetzt ist's gut!« sagte Petru; blies darauf auf der Flöte und der Riese fiel der Länge nach auf das Ufer des Flusses.
So gelangte Petru über den Fluß.
Als die Feen, die sich in der Milch des Flusses badeten, den Laut von Petru's Flöte hörten, wurden sie schläfrig, stiegen aus der Milch und schliefen auf den Blumen des Ufers ein. So schlafend fand sie Petru, als er aus der Handfläche des Riesen herunter stieg Er wagte nicht, sich lange bei ihnen aufzuhalten. Schön waren sie, Himmel! Wie konnte danach die Fee der Morgenröthe selbst erst sein? Oder war sie etwa die Häßlichste unter den Schönen? Der Prinz fragte sich nicht viel, sondern machte sich auf, um zu sehen.
Als er in den Garten trat, begann er sich von Neuem zu verwundern. Wie viel er auch herumgekommen und wie viel er auch erlebt, so etwas Schönes hatte er noch nie gesehen. Die Bäume waren alle mit Goldzweigen[273] bewachsen, die Quellen flossen klarer als Thau, die Winde wehten singend und die Blumen murmelten süße, liebe Worte! Petru wunderte sich noch mehr darüber, daß in dem ganzen Garten keine entfaltete Blume war, sondern nur Knospen. Es war, als hätte hier die Welt still gestanden und sollte es immer Frühling sein. Wann aber sollen hier die Blumen erblühen, wenn sie bisher nicht Zeit gehabt haben, aufzublühen? Und wenn sie nicht erblüht sind, warum nicht? So fragte Petru, so und auch noch anderes, auf seinem Wege zum Schloß. Niemand stand ihm im Wege, Niemand hielt seine Gedanken auf, die ganze Welt schlief: die Nymphen an den Quellen, die Vögel auf den Zweigen, die Rehe in den Gebüschen und die Schmetterlinge auf den Blumen, Alle waren traumverloren durch den Laut der Flöte. Ja, auch der Wind spielte nicht mehr mit den Blättern, die Sonnenstrahlen saugten nicht mehr den Thau vom Grase auf, und die Flüsse hörten auf zu rinnen. Petru allein war wach, Petru mit seinen Gedanken und mit der Verwunderung über seine Gedanken.
Er gelangte in den Hof. Rund herum um den Hof dehnte sich ein dichter und schöner Rasenplatz aus, ein Rasen, der sich wie der Wind bewegte. Das Thor lag vor ihm, ein Thor ganz aus Blumen und andren schönen Dingen. Unter dem Thor und neben ihm wieder Blumen, eine schöner als die andere, so daß Petru auf Wolken zu treten glaubte, als er über sie hinging. Rechts und links schliefen Feen, welche den Eingang des Hofes bewachen sollten. Petru sah sich nach allen Seiten um, sagte noch einmal: »Mit Gott!« und trat in's Schloß.
Was Petru in diesem gesehen, das sage ich gar nicht[274] mehr: das weiß ja die ganze Welt, daß der Hof der Fee der Morgenröthe kein alltäglich Ding sein kann! Rund herum versteinerte Feen, Bäume mit Goldblättern und Blumen aus Perlen und Edelsteinen, Säulen aus Sonnenstrahlen, glatt wie Espen; Stufen, leuchtend und weich wie die Lagerstätten von Kaisertöchtern, und eine süße, einschläfernde Luft. Ich will nicht einmal sagen, daß nur der Stall, in dem die Pferde der heiligen Sonne standen, schöner war, als das Schloß des größten Kaisers dieser Welt. So war es also bei der Fee der Morgenröthe, und es hätte ja auch gar nicht anders sein können. Wie hätte es etwa sein sollen?
Petru stieg die Stufen hinauf und trat in's Schloß. Die ersten zwölf Zimmer waren mit Leinwand bekleidet, die nächsten mit Seide, ihnen folgten zwölf mit Silber und zwölf mit Gold. Petru ging schnell durch alle achtundvierzig: dann fand er die Fee der Morgenröthe im neunundvierzigsten Zimmer, welches das schönste von Allen war.
Es war groß, breit und hoch, wie eine der schönsten Kirchen. Die Wände waren rund herum mit allen Arten von Seiden und wunderbaren Dingen bedeckt, unten, auf dem Boden, wo man mit den Füßen hintritt, war etwas, ich weiß nicht was, leuchtend wie ein Spiegel und weich wie Kissen und außerdem waren noch viele, viele schöne Dinge da, wie es so bei einer Fee der Morgenröthe sein muß. Wo sollte es denn schön sein, wenn nicht bei ihr! Wie gesagt, dem Petru stand der Athem still, als er sah, daß er sich in Mitten so furchtbar schöner Dinge befand.
Mitten in dieser Kirche, oder was es sonst war, sah Petru den berühmten Brunnen, um dessentwillen er so viele Welten weiten Weg zurückgelegt, ein Brunnen, wie alle Brunnen[275] sind, nichts besonderes! Man mußte sich wundern, daß die Fee der Morgenröthe ihn in ihrem Zimmer duldete .... Er hatte Dauben, die noch aus der Väter und Urgroßväter Zeit waren, man sah, sie waren mit Absicht daran gelassen, damit Alles so bliebe.
Und jetzt will ich ein großes Wort aussprechen: am Brunnen ruhte die Fee der Morgenröthe selbst ... die wirkliche Fee der Morgenröthe, so wie sie ist!
Da war, Himmel, was für ein Ruhebett aus Gold und Gott allein weiß aus was noch, genug daß es schön war; hier in diesem Ruhebett schlief die Fee der Morgenröthe auf Seidenkissen, die mit Frühlingswindeswehen gefüllt waren. Sie war gewiß nicht schön. Aber woher sollte sie es auch sein? Hatte die heilige Freitag etwa nicht gesagt, daß sie ein Ausbund von Häßlichkeit und Schrecklichkeit wäre?
Warum wollen wir uns lange mit Worten aufhalten? Vielleicht hatte die heilige Freitag Recht! Es konnte sein. Genug, als Petru sie anschaute, so, wie sie da im Ruhebett schlief, blieb er mit angehaltenem Athem und blies nicht mehr auf der Zauberflöte, er war versteinert vor Wunder über all das Wundern. Nein, schön war sie, schön! viel schöner noch, als man glaubt, daß die Fee der Morgenröthe sein müßte! mehr will ich nicht sagen!
Rechts und links vom Ruhebett schliefen je zwölf der auserwähltesten Feen. Man merkte, daß sie eingeschlafen, indem sie ihre Kaiserin wiegten. Petru sah sie nicht vor all dem Schauen, mit dem er auf die Fee der Morgenröthe blickte, bis sie im Schlummer zitterten, als sie die Flöte nicht mehr hörten. Auch Petru zitterte und begann von[276] Neuem zu blasen. Wiederum versank die Welt in Schlummer; der Prinz trat drei Schritte vorwärts.
Zwischen dem Ruhebett und dem Brunnen war ein Tisch, auf dem Tisch ein weißes, weiches Brot, mit Rehmilch geknetet, und ein Pokal rothen Weines, süß wie ein Traum am Morgen. Das war das Brot der Kraft und der Wein der Jugend. Petru sah einmal auf das Brot, einmal auf den Wein und einmal auf die Fee der Morgenröthe, dann näherte er sich dem Bett, dem Tisch und dem Brunnen um drei Schritte.
Als Petru an das Ruhebett trat, verlor er seine Sinne – er konnte sich nicht bezwingen, sondern mußte die Fee der Morgenröthe beißen. Die Fee öffnete ihre Augen und schaute Petru an mit einem Blick, bei dem er seine Sinne noch mehr verlor. Er blies darauf seine Flöte, damit die Fee der Morgenröthe einschliefe; ergriff den Goldkranz und legte ihn um die Stirn der Fee, nahm ein Stück Brot vom Tisch und trank einen Schluck vom Verjüngungswein, dann biß er sie wieder, nahm wieder ein Stück und trank wieder einen Schluck. So dreimal hintereinander. Drei Mal biß er die Fee der Morgenröthe, dreimal aß er vom Brot und dreimal kostete er vom Wein. Darauf füllte er den Krug mit Wasser aus dem Brunnen und verschwand, wie eine gute Kunde verschwindet.
Als Petru in den Garten kam, stieß er auf eine ganz neue Welt. Die Blumen waren Blumen, die Knospen hatten sich geöffnet, die Quellen rannen schneller, die Sonnenstrahlen spielten lustiger auf den Wänden des Schlosses, und den Feen stand mehr Lust auf dem Antlitz geschrieben! Dies Alles war von den drei Bissen![277]
Wie Petru hineingelangt, so kam er auch wieder hinaus, zwischen Feen und Blumen, auf dem Handteller des Riesen, zwischen Löwen, Drachen und Ungeheuern. Als er dann im Sattel saß, schaute er einmal zurück und sah, daß sich die ganze Welt hinter ihm her aufgemacht hatte. Heh! sie hatten aber auch Jemand vor sich, um den sich's lohnte. Nicht wie der Wind, nicht wie der Gedanke, nicht wie die Sehnsucht, nicht wie der Fluch, sondern noch schneller als das Glück vergeht, eilte Petru seines Weges. Die Verfolger blieben zurück, und Petru kam zu Fuß bei der heiligen Freitag an.
Die heilige Freitag wußte, daß Petru kommen würde, aus des Braunen Wiehern, der drei Tagereisen weit das Herannahen seines Herrn gefühlt hatte, darum kam sie ihm mit weißem Brot und rothem Wein entgegen.
»Willkommen zurück, Prinz!«
»Guten Tag, dank schön, heilige Mutter!«
Petru gab ihr den Krug mit Wasser aus dem Brunnen der Fee der Morgenröthe. Die heilige Freitag dankte ihm schönstens. Sie sprachen noch einige Worte über Petru's Weg, über den Hof der Fee der Morgenröthe, und über die Schönheit der Sonnenschwester, – und dann sattelte Petru den Braunen, denn er hatte wahrhaftig nicht viel Zeit zu verlieren. Die alte Freitag hörte bald mit Frohsinn, bald mit Bitterkeit, bald freudig, bald ärgerlich zu; als sie dann sah, daß Petru gehen wollte, wünschte sie ihm Gesundheit und Glück.
Petru hielt nicht eher an, als bis er zur heiligen Donnerstag gelangte. Hier stieg er ab und trat ein, wie es ausgemacht war. Auch bei der heiligen Donnerstag blieb[278] er nicht lange, sagte guten Tag, redete noch ein wenig und nahm dann Abschied.
»Halt an, laß mich Dir noch etwas sagen, ehe Du Dich auf den Weg machst«, sagte die heilige Donnerstag besorgt. »Nimm Dein Leben in Acht; knüpfe mit keinem Menschen ein Gespräch an, reite nicht schnell, nicht übereilt, gieb das Wasser nicht aus der Hand; glaub' nicht dem Wort und fliehe süß sprechenden Lippen! Geh, wie Du gekommen, der Weg ist lang, die Welt ist schlecht und Du hast etwas Großes in Deiner Hand, höre also auf mich! Hier gebe ich Dir ein Tuch, es ist nicht aus Gold, nicht aus Silber, nicht aus Seide, nicht aus Perlen, es ist aus gestreiften Linnen, trag's, es ist verzaubert. Wer es trägt, den erreicht der Blitz nicht, den durchbohrt die Lanze nicht, das Schwert ersticht ihn nicht, und die Kugeln springen von seinem Körper ab.«
So sprach die heilige Donnerstag. Petru nahm das Tuch und horchte auf; dann schwang er sich mit dem Braunen in den Wind und eilte vorwärts, eilte, wie so die Märchenprinzen eilen, wenn sie das Heimweh packt.
Bei der heiligen Mittwoch stieg Petru nicht einmal ab, sondern sagte nur vom Pferde herab: »Guten Tag« und ritt weiter. Zu guter Zeit fiel ihm seine verzauberte Schachtel ein, und da er Kunde über die Welt haben wollte, zog er sie aus dem Futteral. Er hatte sie noch nicht ordentlich herausgezogen und noch nicht ganz geöffnet, als es schon aus ihr sprach.
»Die Fee der Morgenröthe zürnt, daß Du ihr das Wasser entwendet, die heilige Freitag zürnt, weil sie ihren Krug zerbrochen, Deine Brüder Florea und Costan zürnen, weil Du ihnen das Reich genommen.«[279]
Petru fing zu lachen an, als er von so viel Zorn hörte. Er wußte nicht einmal, was er noch weiter fragen sollte. »Wie hat die heilige Freitag den Krug zerbrochen?«
»Vor Freude hat sie zu tanzen begonnen und ist mit dem Krug hingefallen!«
»Wie habe ich meinen Brüdern die Herrschaft fortgenommen?«
Die Schachtel begann nun zu erzählen, daß Florea und Costan, da der Kaiser jetzt alt und auf beiden Augen blind sei, zu ihm gegangen seien und ihn gebeten hätten, das Reich unter sie zu theilen. Der Kaiser hatte ihnen entgegnet, daß nur der das Land beherrschen würde, der das Wasser vom Brunnen der Fee der Morgenröthe geholt habe. »Da die Brüder den Sinn verstanden, gingen sie zur alten Birscha, und diese sagte ihnen, daß Du dort gewesen, es gethan und Dich auf den Heimweg gemacht hättest. Die Brüder haben sich berathen und sind Dir nun entgegen gegangen, um Dich umzubringen, das Wasser an sich zu nehmen und über das Land zu herrschen.«
»Du lügst, Du verhexte Schachtel«, rief Petru wüthend, als er all das hörte und warf die Schachtel auf den Boden, daß sie in siebenundsiebzig Stücke zerbrach.
Lange ritt er nicht mehr, bis er die Wolken seines Landes erblickte, den Heimathwind wehen fühlte und in der Ferne hie und da einen Berg von den Grenzen seines Landes sah. Petru hielt an, um besser zu sehen, was ihm schien, als scheine es ihm nur, daß er es sähe.
Er wollte gerade über die Brücke setzen, die an der Grenze des Kaiserreichs ist, als ihm war, als hörte er etwas von ferne, als wenn ihn Jemand riefe, als riefe ihn Jemand[280] sogar bei seinem Namen: »Du, Petru!« Er wollte anhalten.
»Vorwärts, vorwärts«, rief der Braune. »Es geht Dir schlecht, wenn Du still hältst.«
»Nicht doch, halt! laß sehen, wer und was es ist und wozu? Laß mich der Welt ins Angesicht blicken!«
Petru sagte es und wandte des Braunen Zügel.
O Petru, Petru! Wer hat Dich anhalten heißen? Wäre es nicht besser, Du dächtest an das, was die heilige Donnerstag Dir gesagt hat? Wäre es nicht besser, Du hörtest auf des Braunen Rath? ... So ist die Welt, Du kannst nichts dazu thun, sie zu ändern!
Als er sich umgedreht, sah er, Himmel, wen sah er? seinen Bruder Florea und seinen Bruder Costan!
Beide waren es und zusammen näherten sie sich Petru. Petru, vorwärts, eile weiter! Oder hat Dir die heilige Donnerstag etwa nicht gesagt, Du solltest mit Niemand ein Gespräch anknüpfen? Oder weißt Du etwa nicht mehr, was Dir die Schachtel der heiligen Mittwoch für Kunde gebracht hat?
Die Brüder kamen mit schönen Worten und mit Honig auf den Lippen! Und was hat die heilige Donnerstag gesagt? Petru, Petru, hast Du vergessen, was sie sagte?
Als Petru seine lieben Brüder sah, flog er herab von des Braunen Rücken in ihre Arme. Himmel, wie sollte er nicht fliegen? Seit wie lange hatte er kein menschliches Gesicht gesehen und keine Erdensprache gehört!
Und die Rede floß, wie sie unter Brüdern fließt. Petru war heiter und glücklich; Florea und Costan waren voll[281] guter Worte, mit Honig auf den Lippen. Der Braune nur war traurig, er allein ließ den Kopf zur Erde hängen.
Nachdem die Brüder lange über den alten Kaiser, über das Land und Petru's Weg gesprochen, begann Florea die Stirn in Falten zu ziehen.
»Bruder Petru! Die Welt ist schlecht: wäre es nicht besser, wenn Du uns das Wasser gäbest, damit wir es trügen?« so sagte der böse Bruder. »Dir kommt man entgegen, über uns weiß aber Niemand etwas, woher wir kommen, wohin wir gehen und was wir bringen.«
»Ja wohl«, sagte Costan, »Florea spricht vernünftig.«
Petru schüttelte einmal, zweimal mit dem Kopfe, dann sagte er seinen Brüdern von der Bewandtniß, die es mit seinem Tuche habe. Die beiden Brüder sahen jetzt, daß es für Petru nur einen Tod gäbe; Florea begann darum auf den Sattel zu schlagen, und meinte die Stute.
So an drei Steinwürfe von da war ein Brunnen mit kalten, klarem Wasser.
»Hast Du nicht Durst, Costan?« fragte Florea, Costan mit dem Auge zuwinkend.
»Ja«, entgegnete Costan und verstand, was und wie es sein sollte. »Komm, Petru, laß uns erst einmal unsern Durst löschen, und dann wollen wir uns mit Gott auf den Weg machen. Wir wollen hinter Dir hergehen, um Dich vor Aergerniß und Gefahr zu beschirmen.«
Geh nicht, Petru, geh' nicht, sonst ergeht es Dir schlecht! Der Braune wieherte einmal. Ja, aber Petru verstand ihn nicht.
Was geschah darauf? Was sollte geschehen? Nichts ist geschehen! –[282]
Der Brunnen war breit und tief.
Die Brüder machten sich mit dem Wasser auf nach Hause, als ob sie es von der Fee der Morgenröthe geholt hätten.
Der Braune wieherte noch einmal, so wild und so schmerzlich, daß sich sogar die Wälder erschraken, dann eilte er bis zum Brunnen und blieb schmerzerstarrt stehen.
So war die Geschichte von Petru dem Tapferen, dem heldenhaften Prinzen. Es sieht aus, als wäre es ihm so bestimmt gewesen, daß es ihn zu böser Stunde treffen sollte!
Am Hof des Kaisers wurde ein Gastmahl und große Herrlichkeit hergerichtet. Die Kunde ging durch's ganze Land, daß die Söhne des Kaisers, Florea und Costan, das Wasser von der Fee der Morgenröthe geholt hätten.
Der Kaiser wusch sich die Augen mit dem Wasser, und sah, wie noch nie ein Mensch gesehen hat. Es war da im Zimmer des Kaisers hinter dem Heerd ein Faß mit Kraut, in der Daube dieses Fasses sah er einen Wurm: der Kaiser sah also durch das Holz hindurch, so gut konnte er sehen.
Nachdem der Kaiser das Land unter seine beiden tapferen Söhne getheilt, zog er sich auf seinen großen Hof zurück, um seine alten Tage in Frieden zu verleben.
So endete die Geschichte mit dem Wasser aus dem Brunnen der Fee der Morgenröthe. Das Land feierte drei Tage und drei Nächte, dann machte es sich wieder an die Arbeit, als ob nichts vorgefallen sei.
* * *[283]
Nachdem Petru sich vom Ruhebett entfernt hatte und, aus Haus und Hof gegangen war nachdem der Klang seiner Flöte nicht mehr zu hören, dämmerte die Fee der Morgenröthe ins Bewußtsein zurück, öffnete die Augen, hob den Kopf und blickte nach allen Seiten, um etwas, sie selbst wußte nicht recht was, zu suchen. »Was war das?« fragte sie halb wach, halb noch im Traume. »Wer?« Ihr schien, als habe sie etwas im Traum, nein, in Wirklichkeit, gesehen, etwas süßes, angenehmes! ein Wesen, das wie menschlich gewesen, aber stärker im Blick, etwas anderes als das, was bis dahin von ihr gesehen worden war.
»Wißt Ihr nicht, was das war? Habt Ihr es auch gesehen? Oder habt Ihr geschlafen, habt Ihr geträumt?« So fragte die Fee der Morgenröthe die Feen und sich selbst. Ihr schien, als ob sie, seitdem sie erblickt, was sie gesehen hatte, nicht einmal mehr dieselbe Seele hätte. Und Niemand antwortete ihr, die ganze Welt blieb erstarrt.
Sie erblickte den Kranz: »Welch ein schöner Kranz! Wer hat die Blumen für ihn gepflückt, wer hat sie zum Kranz gewunden? und wer hat den Kranz hierher gebracht und ihn mir auf's Ruhebett gelegt.« Und die Fee der Morgenröthe wurde traurig.
Sie sah das Brot auf dem Tisch. Es fehlten drei Bissen davon, einer von rechts, einer von links und einer aus der Mitte ... Ebenso vom Wein der Jugend, da fehlten drei Schlucke, einer von oben, einer von unten und einer aus der Mitte.
Es mußte Jemand dagewesen sein. Die Fee der Morgenröthe wurde immer trauriger, es schien ihr, als fehle ihr etwas, und sie wußte nicht was und wo.[284]
Das Wasser im Brunnen war trübe. Wasser! Wasser hat Jemand von hier geholt?! Und die Fee der Morgenröthe erzürnte sich.
Wie hatte Jemand eintreten können, ohne daß man es bemerkt? Wo waren alle die scharfen Wachen? die Riesen die Drachen, was hatten die eisenbeschlagenen Löwen gethan, und die Feen und die Blumen und die Sonne? Niemand hatte aufgepaßt? Niemand war an seiner Stelle gewesen? Die Fee der Morgenröthe gerieth nun ganz und gar in Zorn: »Löwen, Drachen, Riesen! macht Euch auf, verfolgt, erreicht, erfaßt und bringt ihn zurück!« so befahl die Fee der Morgenröthe in ihrem höchsten Zorn.
Der Befehl erging, und die ganze Welt setzte sich in Bewegung. – Petru war aber so eilig entflohen, daß nicht einmal die Sonnenstrahlen ihn mehr einholen konnten.
Alle kehrten traurig heim; Alle brachten traurige Kunde. Petru war über die Grenzen des Reiches der Morgenröthe hinaus, war dort, wo die Wachen keine Macht mehr ausübten.
Die Fee der Morgenröthe vergaß jetzt ihren Zorn über ihrer Traurigkeit und sandte die heilige Sonne aus, in die Welt zu wandern, aus sieben Tagen einen zu machen, zu suchen, zu sehen und Kunde zu bringen. Einen solchen siebentägigen Tag lang hat die Fee der Morgenröthe nichts anderes gethan, als auf den Weg der Sonne geschaut: hat geschaut und geschaut, bis ihr die Thränen aus beiden Aeugelein zu rinnen begonnen, wir wissen nicht genau, ob von dem vielen Ausschauen, oder von dem großen Schmerz und der großen Sehnsucht.
Und sieh da, am siebenten Tage kehrt die heilige Sonne[285] heim, roth, traurig und müde. Wieder schlimme Kunde. Ach! daß Petru da ist, wohin die Sonnenstrahlen nicht dringen können.
Als die Fee der Morgenröthe sah, daß auch der letzte Versuch vergebens gewesen war, gab sie scharfen Befehl im Lande aus, daß die Feen nicht mehr lächeln, die Blumen nicht mehr duften, die Winde sich nicht mehr rühren, die Quellen nicht mehr klar sprudeln und die Sonnenstrahlen nicht mehr leuchten sollten.
Dann befahl sie, daß zwischen der Welt und dem Reich der Morgenröthe der schwarze Schleier der Finsterniß heruntergelassen werde, durch den nur ein einziger Sonnenstrahl noch durchdringen solle, um der Welt die Kunde zu bringen, daß die Sonne sich nicht am Himmel bewegen würde, bis der nicht käme, der das Wasser aus dem Brunnen geholt. Und diese Kunde ging in die dunkle Welt.
Die Menschen verstanden, daß das große Licht nur für das Augenlicht des Kaisers gewesen war. Niemand sah in der Welt, außer dem Kaiser, Niemand sah die Aergernisse der Dunkelheit außer dem Kaiser, und Niemand war unglücklicher als der Kaiser. So gab er seinen Söhnen Florea und Costan Rath und Befehl, sich aufzumachen und hinzugehen, um die Welt von der Dunkelheit zu befreien.
Wer einmal gelogen hat, lügt auch zum zweiten Mal: Florea setzte sich zu Pferd und ritt jetzt zum Reich der Morgenröthe, nun durch Petru der Weg geebnet war.
Als Florea fast am Hof der Fee angelangt war, fühlte die Fee der Morgenröthe, das etwas Fremdes sich näherte.
»Kommt Jemand?« fragte sie etwas scharf.[286]
»Es kommt Jemand«, entgegneten die Drachen, die an der Brücke Wache standen.
»Wie kommt er? Ueber oder unter der Brücke?«
Die Brücke war so, wie wir schon wissen. Florea zog unter der Brücke durch.
»Der Held kommt unter der Brücke!« entgegneten die Drachen, etwas belustigt.
»Sorgt für ihn, sonst werde Euch das Licht schwarz«, sagte jetzt die Fee und empfing Florea bei seinem Eintreten. Florea überliefen Schauer, als er soviel Schönheit sah.
»Willkommen, Held! Du hast das Wasser gestohlen?«
»Mög's Euch recht sein, so ist es, ich hab's genommen.«
»Hast Du den Wein getrunken?«
Florea blieb stumm.
»Hast Du das Brot gegessen?«
Florea sagte: »Nein!«
»Hast Du mich gebissen?«
Florea verlor die Sprache.
»So möge Dein Augenlicht erblinden! ich will Dich lehren noch einmal lügen!« sagte jetzt die Fee erzürnt, und gab Florea zwei Ohrfeigen, eine rechts und die andere links, daß diesem schwarz wie die große Sünde vor Augen wurde.
Zwei Drachen führten dann den blinden Florea nach Hause, und die Sache war abgemacht.
Nun machte sich Costan auf, um seines Bruders Beispiel zu folgen.
Machte sich auf und kam an; es erging ihm gerade so, auch er kehrte blind zurück.
In der Welt blieb jetzt kein Strahl Licht mehr. So ward die ganze Welt blind wegen Eines Kaisers Augen.[287]
Nachdem die Fee der Morgenröthe gesehen, daß sie Petru nicht auffinden konnte, rief sie ihr ganzes Land zu sich: die Feen, alle Blumen, alle ihre Untergebenen rief sie zu sich. Sogar die heilige Sonne mußte vom Himmel herabsteigen, die Pferde aus dem Wagen spannen, sie in den Stall stellen und zur Fee der Morgenröthe eintreten. Als so Alle miteinander versammelt waren, gab die Fee der Morgenröthe ihnen keine Befehle weiter, sondern traurig und gequält wie sie war, nahm sie Abschied von allen ihren Untergebenen, dankte ihnen für ihre Liebe und ihr Vertrauen und sandte sie in die Welt, auf daß ein Jeder nach seinem Kopf und seinem Verständniß handle; nur zwei Löwen, zwei kleine und zwei große Drachen und ebensoviel Riesen behielt sie bei sich, damit sie Jemand habe, der ihr die Brücke bewache. Alle Feen schickte sie in den Garten und sagte, daß sie nicht eher wieder in den Hof kommen sollten, als bis sie wieder heiter geworden wäre, dann gab sie den Befehl aus, daß die Blumen von jetzt ab so süß duften sollten, daß jedes menschliche Wesen davon benommen würde, die Winde so schmerzlich singen sollten beim Wehen, daß jede Menschenseele bei ihrem Hören weinen müsse, die Quellen bitteres Wasser sprudeln sollen, – befahl, daß die Sonne jeden Tag, den der Herrgott werden ließe, sieben Mal sieben kalte Strahlen in die Welt sende. Nachdem sie Alles dies geregelt, ging sie an das große Rad, auf das der Faden des menschlichen Lebens gewickelt war, hielt es an, daß es sich nicht mehr drehen und das menschliche Leben nicht mehr werden solle. Darauf verbarg sich die Fee der Morgenröthe vor der Welt in die Tiefe des großen Hofes an der dunkelsten und wüstesten Stelle.[288]
Die großen und die kleinen Drachen und die Riesen gingen in die weite Welt und verbargen sich vor Scham in die tiefsten Wüsten und Höhlen, damit kein menschliches Auge sie mehr sähe; die Löwen schüttelten ihre Goldmähnen ab, den Eisenbeschlag von den Tatzen und Zähnen und wurden wild vor Zorn; die Feen bargen sich in Gärten, die Blumen, Quellen und Winde ergaben sich in den Willen der Fee der Morgenröthe, und die kalten Strahlen der Sonne, ohne Wärme, ohne Licht, kann man noch heute in Sommernächten am Himmel erblicken. Das Menschenleben blieb still stehen, und die Zeit hörte auf zu verrinnen. Zwei Löwen, zwei große und zwei kleine Drachen und zwei Riesen stellten sich zur Wache an der Brücke auf.
Wie lange das Reich der Morgenröthe in diesem Zustand geblieben, das weiß man nicht und kann man auch nicht sagen. Viel Zeit verging, ohne aber zu verrinnen.
Auch die heilige Freitag merkte endlich, daß die Fee der Morgenröthe erzürnt war; der dürre Strahl und die Wirbelwinde, welche die ganze Welt durchschüttelten, hatten ihr längst diese Kunde gebracht. Halb ärgerte sie sich, halb aber freute sie sich: sie ärgerte sich, weil sie nun nicht mehr um sich sehen konnte, und freute sich, weil ihr schöner tapfrer Prinz entkommen und ihre schöne Nachbarin traurig war Dann ärgerte sie sich auch, daß ihr der Krug mit dem wunderbaren Wasser zerbrochen war.
Als die heilige Freitag jedoch sah, daß die Dunkelheit nicht mehr aufhörte, das Licht nicht wiederkam, und auch der letzte Strahl auf Erden erlosch, als die heilige Freitag sah, daß es der Fee der Morgenröthe über den Spaß gegangen war, befahl sie den Wirbelwinden, sich insgesammt[289] aufzumachen, um den großen Schleier an den Grenzen des Reiches vom Fleck zu bewegen, damit das Licht in die Welt dringen könne.
Die Wirbelwinde machten sich auf, Einer immer stürmischer als der Andere, immer schrecklicher, immer furchtbarer ... wie so Wirbelwinde sind! Es scheint Einem, als nähmen sie die Welt mit sich und hielten sich gar nicht weiter mit ihr auf.
Sie kamen am Schleier an, sie prallten gegen ihn an! Und wie stark! Aber der Schleier rührte sich nicht. Die Wirbelwinde bliesen noch einmal dagegen und noch einmal, also dreimal hinter einander, dann gaben sie es auf. Sie sahen, daß der Schleier fester hing, als die Erde in ihren Angeln. Einige Augenblicke hielten sie an, dann müde und mit Schande bedeckt, kehrten sie zurück, umkreisten noch einmal die Welt in ihrer tollen Wuth. Was ihnen in den Weg kam, das kann sich jetzt Jeder vorstellen, wie es dem erging. Gut kann's jedenfalls nicht gewesen sein. Weh und Jammer!!
Die Wirbelwinde kehrten zur heiligen Freitag heim und sagten ihr, was es für eine Bewandtniß mit dem Schleier habe.
Die heilige Freitag ärgerte sich jetzt nicht nur halb, sondern ganz und gar; so sandte sie die Wirbelwinde zum Hof des Kaisers, um Petru Nachricht und Rath zu geben, er möge doch bei der Fee der Morgenröthe vorsprechen und thun was sie verlange, damit wieder Licht in die Welt käme.
Die Wirbelwinde machten sich zum zweiten Mal auf, – diesmal etwas langsamer, etwas weniger überstürzt,[290] so wie wenn man sich in guter Sache zu einem verträglichen Menschen aufmacht.
Sie kamen am Hofe an. Petru war nicht da. Die Wirbelwinde begannen sich etwas eigener zu benehmen. Petru war unterwegs umgekommen! –
Die Wirbelwinde umkreisten den Hof von links, dann von rechts, dann aus der Mitte, wandten ihn, drehten ihn, hoben ihn und warfen ihn, bis nichts mehr von ihm übrig blieb. Darauf kehrten sie mit der Nachricht von Petru's Tode zur Hütte der heiligen Freitag zurück. »Gehet Alle in die Welt, rührt Alles um, was zu rühren ist und findet Petru. Todt oder lebend bringt ihn mir her!« so befahl die heilige Freitag, nachdem sie die traurige Kunde vernommen.
Drei Tage und drei Nächte hielten die Wirbelwinde nicht an. Dreimal entwurzelten sie Bäume, dreimal trieben sie die Flüsse aus ihrem Lauf; dreimal zerstreuten sie die Wolken, indem sie dieselben an die Felsen anschlugen, dreimal fegten sie den Grund des Meeres und dreimal vernichteten sie die Oberfläche der Erde. Alles war vergebens. Sie kamen nach Hause zurück, Einer immer müder als der Andere, immer wüthender, immer beschämter.
Nur ein Einziger war noch nicht heimgekehrt: der Frühlingswind, der träge, weiche, laue Frühlingswind. Was war wohl aus ihm geworden? Alle wußten, daß er doch nicht viel hatte ausrichten können. Wer weiß? müde wie er gewesen, hatte er sich gewiß irgend wo in's Kühle gelegt. Niemand zerbrach sich weiter den Kopf um ihn.
Da, plötzlich, nach einem Weilchen, nachdem sich alle in Gedanken ergangen, wie Petru zu finden sei, fingen sich die Blätter leise zu bewegen an.[291]
Die heilige Freitag fühlte die Weichheit des Hauches und ging hinaus: »Was bringst Du für Kunde?« fragte sie den liebsten der Wirbelwinde.
»Traurig ist sie, gar traurig, aber gut ist sie, gar gut«, flüsterte der junge Wind. »Nachdem ich von so viel Suchen, von so viel Zerbrechen und Rauben müde geworden, stieß ich auf einen leeren Brunnen und dachte mich darin, von meinen Brüdern befreit, ein wenig auszuruhen, ehe ich mich nach Hause aufmachte.«
»Und am Grunde des Brunnens fandest Du Petru?« rief die heilige Freitag voll Freude.
»Ja, und den Braunen an seiner Seite.«
»Süß möge Dir die Rede sein, lieb Dein Wehen, und mögest Du stets gute Kunde bringen!« sagte jetzt die heilige Freitag zum Frühlingswinde; dann befahl sie ihm, zur heiligen Donnerstag zu eilen und ihr zu sagen, sie möge sich mit dem Goldtiegel bereit halten, denn mit Petru stünde es schlecht; von dort solle er zur heiligen Mittwoch springen und ihr sagen, sie möge mit dem Wasser des Lebens zum Brunnen kommen.
»Hast Du verstanden?« sagte ihm noch einmal die heilige Freitag. – »Und nimm die Beine in die Hand«, und sie machten sich Alle auf.
Sie kamen bei dem verlassenen Brunnen an.
Von Petru war nur noch Knochen und Asche.
Die heilige Mittwoch nahm die Knochen, paßte sie aneinander, ... es fehlte kein einziger.
Die heilige Freitag befahl den Wirbelwinden, den Brunnengrund zu durchstöbern, den Staub aufzuwirbeln und Petru's Asche zu sammeln. Alles wurde so ausgeführt.[292]
Die heilige Donnerstag machte Feuer, sammelte den Thau von den Blättern im Goldtiegel und stellte den Tiegel auf's Feuer.
Als das Wasser zu kochen begann, sagte die heilige Mittwoch drei Sprüche, schaute einmal gegen Sonnenaufgang einmal gegen Sonnenuntergang, einmal gegen Mittag und einmal gegen Mitternacht, und warf das Kraut des Lebens in das kochende Wasser.
Ganz dasselbe that die heilige Freitag mit Petru's Asche.
Die heilige Donnerstag zählte darauf eins, zwei, drei und nahm den Tiegel vom Feuer.
Aus Petru's Asche und aus dem Kraut des Lebens wurde so eine wohlriechende Salbe gemacht. Der Frühlingswind wehte einmal über sie und machte sie erstarren. Darauf bestrichen sie die Knochen Petru's mit der Salbe sieben mal von unten nach oben, sieben mal von oben nach unten, sieben mal überkreuz und eben so oft überquer, und als sie damit fertig waren, sprang Petru auf, ein hundert und ein tausend mal schöner, als er gewesen, ein hundert und ein tausend mal muthiger und stolzer als zuvor.
»Spring auf's Pferd!« sagte die heilige Freitag.
Sowie der Braune seinen Herrn auf sich fühlte, begann er zu wiehern und mit den Füßen auszuschlagen. Er war lebendiger als je zuvor!
»Wohin?« fragte er lustig.
»Nach Hause«, entgegnete Petru.
»Wie wollen wir reiten?«
»Wie der Fluch.«
Petru dankte für Wort und That und machte sich dann auf den Weg, er ritt und ritt, wie eben der Fluch reitet! bis er zum Hof des Kaisers kam.[293]
Von der Hofburg war nur noch der Platz, wo sie gestanden, übrig. Keine Spur von einem Menschen war zu finden, der ein Wort sagen oder Kunde hätte geben können. Da kam nach einer Weile die alte Birscha aus der Tiefe eines verfallenen Kellers hervor.
Petru verstand, was war, wie und woher, wandte den Zügel seines Braunen und ging schneller davon, als er gekommen. Er holte nicht einmal Athem, ehe er nicht in das Reich der Morgenröthe gelangt war.
Wie viel Zeit vergangen war, seitdem Alles im Lande der Morgenröthe stehen geblieben, wie es befohlen worden war, das kann man mit Wort und Rede nicht sagen.
Lange Zeit hatte vergehen müssen!
Als Petru an der Brücke anlangte, waren in der Sonne nur noch drei helle, sieben warme und neun kalte Strahlen, alle anderen hatte sie nach und nach verloren.
Als Petru mit dem Braunen anhielt, stand die ganze Welt mit ihm still, um zu sehen, was jetzt geschehen sollte.
Die Fee der Morgenröthe fühlte, daß sich etwas ganz besonderes nähern müsse, denn ihr war gerade so, als erwache sie jetzt von dem Traume, der sie so traurig gemacht. Sie sehnte sich, sie wußte nicht wonach, gerade so wie damals.
»Wer kommt?« fragte sie so mit halber Stimme.
»Halt Dich gut, Herr«, sagte der Braune.
Petru drückte die Sporen an, zog am Zügel, und fühlte nichts, bis er an der anderen Seite der Brücke war.
»Der Held kommt! Ueber die Brücke!« riefen die Wächter und schwenkten ihre Hüte in der Luft.[294]
Die Fee der Morgenröthe rührte sich nicht vom Fleck und sprach kein Wort mehr.
Ganz unerwartet sprang Petru auf sie zu, schloß sie in seine Arme und küßte sie – wie so die Märchenprinzen liebreizende Feen küssen!
Die Kaiserin der Morgenröthe fühlte, was sie noch nie gefühlt. Sie sprach nicht mehr, sie frragte nicht mehr, sondern machte ein Zeichen, daß man den Braunen in den Stall der Sonne führe, dann trat sie mit Petru in's Haus.
Die Feen begannen froh zu lächeln, die Blumen süß zu duften, die Quellen sprudelten klar, die Winde wurden zu Freudengesängen; das Rad des Lebens drehte sich schneller als ein Kreisel, der schwarze Schleier senkte sich zur Erde und die strahlende Sonne stieg am Himmel empor, hoch, höher als sie je gewesen. Und in der Welt war ein Licht gleich dem der Sonne, so daß die Menschen neun Jahre, neun Monate und neun Tage nichts sahen vor der erschrecklichen Helle.
Petru ritt nach Hause, holte seinen alten Vater und seine alte Mutter, machte eine Hochzeit, von der die Kunde durch ueunundneunzig Länder ging, und wurde Kaiser über alle beiden Reiche.
Seinen Brüdern Florea und Costan wurde aber das Augenlicht wiedergegeben, damit sie auch Petru's Glück schauen konnten.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[295]
»Das, meine lieben Guten, war das Märchen vom schönen Prinzen Petru und der Fee der Morgenröthe aus dem Lande der Sonne.
Petru hat in Frieden und Gesundheit gelebt und geherrscht, – und wer weiß, ob er mit Gottes Hülfe nicht noch regiert!«
1 | Rumänische Bauernhäuser haben meistens einige Säulen vor dem Hause, welche das überstehende Dach tragen. |
2 | Welwa, ein undefinirbares Ungethüm, das in der Phantasie des rumänischen Bauern lebt. |
3 | Miercuri = Mittwoch, und Mercuria, d.h. weibliche Form des Mercur. |
4 | Joi, Donnerstag und Jupiter. |
5 | Vineri ist sowohl Freitag wie Venus. |
Buchempfehlung
Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.
82 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro