4. Von der Ziege.

Eine ziege hatte drei junge. sie hauste damit in einer tiefen höhle. einmal ging sie auf raub aus, doch bevor sie weg war sprach sie zu ihren jungen: »ich gehe vom hause, um euch speisen zu bringen. ihr aber schließt die thüre ab und laßt niemanden herein. nur mir werdet ihr die thüre öffnen, wenn ich euch sagen werde:


Drei junge

Wol geschopft

Macht der mutter die thür auf.

Die mutter bringt zu essen

Ein stück von salze

Auf dem rücken.[469]

Ein Malajasch1

In der ferse,

Milch in der brust,

Brinsa2 zwischen den lippen.«


Die ziege ging darauf weg, aber was sie gesagt hatte, hörte der gevatter bär, der nicht weit von der höhle war. der kam als die ziege fortgegangen war zur thüre und sagte mit seiner dicken stimme: »drei junge« u.s.w.

Aber die jungen erkannten den gevatter bär und sagten: »nein das ist unsere mutter nicht, denn das mütterlein hat eine feine stimme.« drauf ging der bär weg und bald kam die ziege. die ziege sprach: »drei junge« u.s.w. und die drei jungen ziegelein ließen sie ein. drauf gab die ziege ihren jungen zu essen und dann ging sie wieder weg. aber die jungen hatten vergessen, ihrer mutter zu sagen, daß der gevatter bär da war, und des anderen tages kam frühzeitig der gevatter bär und sprach schon mit einer gar feinen stimme: »drei junge« u.s.w.

Darauf machte ein ziegelein dem gevatter bär die thüre auf, weil es glaubte, daß die alte mutter es selbst gesagt hätte. aber der bär fing es auf der stelle und fraß es sammt haut und haar. die übrigen zwei versteckten sich geschwind, das eine ziegelein in den schornstein, das andere unter der molter. der bär aber kam und setzte sich auf die molter und ließ einen fahren, aber das junge ziegelein unter der molter sagte: »Dir in's gesicht!« drauf sagte der bär: »So! du bist dort?« und nahm die molter weg und fraß das ziegelein auf. dann ging der bär weg und das kleine ziegelein im schornstein, lief schnell zur thüre und verschloß sie gut. drauf kam das mütterlein und sagte: »drei junge« u.s.w.

Das ziegelein öffnete nicht so bald die thüre, denn es hatte noch gar große angst. da bat das alte ziegenmütterlein lange zeit bis das junge die thüre aufmachte. die[470] ziege kam in die höhle und fragte: »wo sind deine geschwister?« aber das junge antwortete: »der gevatter bär hat sie beide gefressen.« da bereitete sie ein todtenmal und lud den gevatter bär, die bärin und einen wolf dazu ein. sie machte aber vor dem tisch, wohin die speisen kamen, ein loch und über dieses loch einen stuhl nicht aus holz, sondern aus wachs. als alle gäste beisammen waren, stellte sie ihnen die speisen vor und machte heimlich unten im loch ein großes, großes feuer, über dem feuer aber auf dem wächsernen stuhle saß der gevatter bär. bald darauf schmolz der wächserne stuhl und der gevatter bär plumpste in's feuer. nun bat er gar wehmüthiglich, die ziege solle ihn retten, aber die ziege sagte: »du hast meine jungen gefressen, darum mußt du auch im feuer sterben.«

Fußnoten

1 Maisbrödchen.


2 Eine art gesalzenen käses, der mit der »Mamaliga« einer aus maismehl gekochten brodspeise, in sämmtlichen romanischen ländern zu einem der hauptnahrungsmittel des volkes gehört.

Quelle:
Staufe, L. A.: Romanische Märchen aus der Bukowina. In: Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde 1 (1853) 42-50, 469-472, Göttingen: Verlag der Dieterichschen Buchhandlung, S. 50-51,469-471.
Lizenz:
Kategorien: