1133. Weder lachen, noch weinen, noch singen.

[69] Auf einer Kreuzstrasse zu Schattdorf belästigte ein Gespenst die Leute. Man sagte, es sei eine arme Seele, und die wäre zu erlösen. Ein junger, tapferer Bursche wollte das wagen. Er musste eine ganze Nacht an einer bestimmten Stelle sitzend ausharren und durfte dabei, mochte kommen, was nur immer wollte, weder lachen, noch weinen, noch singen. Er setzte sich und wartete. Da wackelte ein krummes, altes Weib mit einem Zeintli voll Eier daher, setzte sich vor dem Burschen auf die Eier und zerrieb sie mit dem blutten Hintern. Das gab einen heillosen Brei, und der blieb ihm am Rocke und überall hängen, und so machte es sich wieder von dannen. Das wäre nun etwas zum Lachen gewesen, aber der Bursche liess sich da nicht verführen. Wie die zwei andern Proben lauteten, weiss ich nicht, aber er bestand beide. Am Morgen erschien ihm die erlöste Seele ganz im Weissen, doch seine Haare waren weiss geworden, und er starb bald hernach als ein Kind der Seligkeit.


Nikolaus Inderkum.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 69.
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