5. Der blättermagen.

[160] Einmal vor alten zeiten haben, sagt man, auch die tscheremissen ein buch in tscheremissischer sprache gehabt. Ein tscheremisse hat einer kuh brühhäcksel in der stube gemischt und hat seine kuh zum [160] füttern hereingebracht. Aber jenes tscheremissische buch hat der tscheremisse aus irgendeinem grunde auf den rand des ofens gelegt und hat vergessen [es da weg] zu nehmen. Während die kuh brühhäcksel frass, hat sie sein tscheremissisches buch verzehrt, aber das hat der tscheremisse nicht gewahrt. Nachdem er seine kuh gefüttert und sie hinausgeführt hatte, hat der tscheremisse in allen ecken und winkeln sein tscheremissisches buch gesucht, hat es aber nicht gefunden, und so ist das tscheremissische buch der tscheremissen irgendwohin verschwunden.

Hiernach, nach verlauf von einigen jahren, hat der tscheremisse seine kuh geschlachtet. Als er seine kuh schlachtete, hat er im innern der kuh den blättermagen erblickt. Ein solcher blättermagen im innern von rindern soll früher nicht vorhanden gewesen sein. Da hat der tscheremisse jenen blättermagen zum brunnen getragen, um [ihn] zu waschen. Während er dort wusch, hat er [ihn als] sein eigenes buch ersehen und erkannt, indem er sagte: »Dies ist [ja] wie mein altes buch!« Der tscheremisse hat geglaubt, [sein buch] wieder zuerkennen1, aber er hat [es] nicht lesen können. Und so hat er es zum fleisch, um es zu essen, gelegt.

[161] Hiernach ist im magen der rinder ein blättermagen gewesen, aber das tscheremissische buch der tscheremissen ist jetzt noch nicht da!

Fußnoten

1 eig. »Der tscheremisse hat [zwar] zum erkennen erkannt«.

Quelle:
Wichmann, Yrjö: Volksdichtung und Volksbräuche der Tscheremissen. Helsinki: Suomalais-Ugrilainen Seura, 1931, S. 160-162.
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