|
[88] Es war einmal der Himmel weiss wo, irgendwo noch weit über dem operenzianischen Meere war einmal ein König. Dieser König hatte einen Sohn und der hiess Johann. Einmal da sagte der König zu seinem Sohne:
»Du musst jetzt auf Reisen gehen, mein Sohn, über siebenmal sieben Lande, damit du etwas von der Welt siehst, so wird dann schneller etwas aus dir werden.«
Prinz Johann machte sich also auf die Sohlen, warf ein Ränzel über den Rücken, nahm einen derben Knotenstock mit auf die Reise und zog aus über siebenmal sieben Lande, etwas von der Welt zu sehen. Wie er so nur immer weiter und weiter geht, begegnet er auf einmal einem langen, dünnen Mann.
»Gott gebe Euch einen guten Tag!« sagt der Dünne.
»Auch dir!« antwortete der Prinz – »wer bist du, und was ist dein Gewerbe?«
»Ich bin Blitzgeschwind und kein anderer. Wenn ich anfange zu laufen, bin ich so schnell wie der Blitz.«
»Nun, das wäre ja sehr schön« – sagt Johann – »wenn du wirklich so schnell laufen könntest, als du sagst.«
Gerade in diesem Augenblicke sprang ein wunderschöner, stattlicher Hirsch aus dem Walde; wie das der Prinz sieht, sagt er zu Blitzgeschwind:
»Wenn du also so schnell laufen kannst als der Hirsch, so fange ihn.«[88]
Das lässt sich Blitzgeschwind nicht zweimal sagen, er streift seine Gatya2 hinauf, springt dem Hirsch nach und mögt ihr's jetzt glauben oder nicht glauben, es ist so wahr, wie meine Faust, mein Ellbogen kann es bezeugen, dass es genau so ist, ich war selbst dabei, wie es erzählt wurde, kurz mit drei Schritten holte er den Hirsch ein.
»Hättest du nicht Lust, mein Kumpan zu werden?« frägt ihn der Prinz, wie er ihm den Hirsch hinbringt.
»Na und ob, mit tausend Freuden!«
Nun jetzt zogen sie also schon zu zweien ihre Strasse, und wie sie so unterwegs von dem und jenem sprechen und plaudern, begegnen sie einem starken, breitschultrigen Mann.
»Gott gebe Euch einen guten Tag!« – sagt der Breitschultrige.
»Auch dir,« antwortete der Prinz, »wer bist du und was ist dein Gewerbe?«
»Ich bin Bergträger und kein anderer, auf meinem Rücken kann ich mit Leichtigkeit jeden beliebigen Berg tragen, wie gross er auch sei.«
»Der Tausend! Versuchen wir das« – sagt ihm der Prinz Johann – »das wäre ja sehr schön, wenn es nur wahr ist.«
Da nahm Bergträger einen grossen Berg auf den Rücken und trug ihn, dass es eine helle Freude war.
»Ach, das ist schön, ach, das ist schön! Hättest du nicht Lust, unser Kumpan zu werden?«
»Na und ob, mit tausend Freuden!«
Nun jetzt zogen sie also schon zu dreien ihre Strasse. Nach einer Zeit begegnen sie einem Mann mit einer auffallend breiten Brust.[89]
»Gott gebe Euch einen guten Tag!« – sagt der mit der breiten Brust.
»Auch dir« – antwortete Prinz Johann – wer bist du und was ist dein Gewerbe?«
»Ich bin Blasebalg und kein anderer und kann so stark blasen, dass ich nur eins zu blasen brauche und gleich fliegen alle Hausdächer wie Flocken in die Luft. Mit einem Stosse kann ich zwei – dreihundert der stärksten und grössten Bäume aus der Erde blasen.«
»Ah, das müssen wir uns ansehen« – sagt Prinz Johann zu ihm – »versuche nur einmal! Dort stehen ohnehin ein paar grosse Eichen; wenn du etwas kannst, blase sie heraus!«
Da begann Blasebalg mit solcher Gewalt zu blasen, dass die paar Bäume, welche ihm Prinz Johann gezeigt hatte, aus der Erde flogen, wie die Motten und in der Luft herumwirbelten wie der Kehricht im Wirbelwinde, in dem die Hexe ihren Tanz hält.
»Hättest du nicht Lust unser Kumpan zu werden?«
»Na und ob, mit tausend Freuden!«
Nun jetzt waren sie schon viere zum Daraufloswandern. Wieder nach einiger Zeit begegnen sie einem Mann mit Pfeil und Bogen.
»Gott gebe Euch einen guten Tag!« – grüsst der mit dem Bogen.
»Auch dir« – dankt ihm der Prinz – »wer bist du und was ist dein Gewerbe?«
»Ich bin Triffgut und kein anderer, und kann so gut zielen, dass ich ein Erbsenkorn von einem Steine herunterschiesse, ohne den Stein mit meinem Pfeile auch nur im geringsten zu berühren.«
»Versuchen wir das« – sagt der Prinz zu ihm – »ob sich die Sache wohl wirklich so verhält, wie du sagst?«
Darauf legten sie ein Erbsenkorn auf einen Stein;[90] Triffgut aber schoss es so herunter, dass der Pfeil den Stein nicht auf flohnierenbreit berührte.
»Nein, so etwas habe ich aber mein Leben nicht gesehen« – sagt der Prinz – »hättest du nicht Lust, unser Kumpan zu werden?«
»Na und ob, mit tausend Freuden!«
Nun, jetzt waren sie schon fünfe; wie sie so weiter gehen, begegnen sie einem kleinen, stämmigen Mann.
»Gott gebe Euch einen guten Tag!« – grüsst sie der Kleine.
»Auch dir« – dankt ihm Prinz Johann – »wer bist du und was ist dein Gewerbe?«
»Ich heisse Peter, und wenn ich meinen Kopf auf die Erde lege, weiss ich alles, was die Menschen thun und denken.
»Hättest du nicht Lust, unser Kumpan zu werden?« – frägt ihn der Prinz.
»Na und ob, mit tausend Freuden!«
So gingen sie denn ihrer sechse über siebenmal sieben Lande, weit über die gläsernen Berge, auch darüber noch hinaus, wo das kleine Ferkel mit dem kurzen Schwänzchen wühlt, über jede Grenze hinwärts, von jeder Grenze herwärts, da mit einem Male kommen sie ins Feenreich. Hier herrschte ein sehr reicher und mächtiger König, dieser hatte eine wunderschöne Tochter, die so unglaublich schön war, dass kein Maler je etwas Schöneres hätte malen können, und die hinschwebte wie der Wind, nicht ihre Fussspitze berührte den Boden.
Der König liess also im ganzen Lande verkünden, dass, wer seine Tochter im Laufe besiegen könne, der sollte sie zum Weibe haben; wer aber kein Vertrauen in seine flinken Füsse setze, der solle sich das Wettlaufen nur gleich aus dem Kopfe schlagen, denn wer auch nur um einen Schritt hinter Windhauch[91] – denn so hiess nun einmal die Prinzessin – zurückbliebe, so würde er ihm sicher einen Platz anweisen lassen, wo er nicht mit der Fussspitze den Boden berühren werde. – Es kamen denn auch viele, arm und reich, einer ein grösserer Herr als der andere; aber bei allen ging die Sache darauf hinaus, dass sie halt schliesslich so tanzen und die Fersen so zusammenschlagen mussten, wie der Wind die Melodie pfiff.
Diese Geschichte kam nun einmal auch den sechs Kumpanen zu Gehör; sie zögerten also auch nicht lange, sondern sandten gleich Blitzgeschwind zum König, damit er sein Glück versuche und jetzt zeige, von wie weit her seine Kunst sei. Blitzgeschwind geht also flugs zum König und sagt:
»Herr König! ich möchte mit der Prinzessin eins zur Wette laufen.«
»Gut, mein Sohn!« – sagt ihm der König – »also komm nur morgen in aller Frühe her.«
Am andern Tage geht also Blitzgeschwind in aller Frühe in den königlichen Palast. Herr, du mein Gott! ist da überall ein Gedränge von Menschen, die alle gekommen sind, um zu sehen, wer denn eigentlich geschwinder sein werde, Windhauch oder der lange, dürre Fremdling. Ich sage euch, das war eine Flut von Menschen, dass man kein Ende sehen konnte. Sie begannen also zu laufen, aber Blitzgeschwind hatte Windhauch in drei Sätzen überholt und kam viel früher zum Ziele.
Das verdross die Prinzessin sehr, dass sie dieser Fremdling besiegt hatte; allein was war zu thun? Es war schon einmal geschehen, und wo ist dieses Kind Gottes, das Geschehenes ungeschehen machen könnte!
»Gut, mein Sohn!« – sagt der König zu Blitzgeschwind – »ich sehe, dass auch du etwas kannst. Aber meine Tochter dürfte sich heute kaum ganz wohl fühlen, denn ich glaube nicht, dass du ihr sonst auch nur das Wasser reichen könntest;[92] aber thue mir den Gefallen und laufe morgen noch einmal mit ihr um die Wette!«
Blitzgeschwind war es recht, und er gab sich auch so zufrieden. – Am folgenden Tage war das wäschetrocknende Gestirn (die Sonne) schon tüchtig heraufgestiegen, als sie den Wettlauf begannen; auch jetzt waren die Zuschauer zahlreich wie die Sterne am Himmel. Windhauch bot ihre ganze Kunst auf; aber es war rein umsonst, denn Blitzgeschwind liess sie auch jetzt weit zurück und kam viel früher an das Ziel. – Die Prinzessin sank beinahe unter die Erde vor Scham, aber was war zu thun? das Ganze war nun schon einmal geschehen.
»Nun, mein Sohn« – sagt der König zu Blitzgeschwind – »laufe doch morgen noch einmal mit mei ner Tochter zur Wette; dann wollen wir sehen, wer von euch es besser versteht; denn du weisst, das dritte Mal entscheidet, wie unter den Zigeunerjungen beim Ringen.«
Nun gut, Blitzgeschwind war auch das recht. Die Prinzessin aber sandte ihm, um sich nicht noch einmal beschämen zu lassen, einen goldenen Ring mit einem Diamanten, der die Eigenschaft hatte, dass derjenige, der ihn an den Finger steckt, bloss Schritt vor Schritt gar mühsam vom Flecke kam, vom Laufen gar nicht zu reden. Peter hatte die böse Absicht gleich heraus, doch er sagte davon niemandem ausser dem Triffgut.
Am folgenden Tage standen sich Blitzgeschwind und Windhauch von neuem gegenüber; aber da konnte Blitzgeschwind, weil er den Ring eben am Finger stecken hatte, auch Schritt vor Schritt kaum vom Flecke; Triffgut aber legte hurtig seinen Pfeil auf und schoss den Stein – denn, seht ihr, darin steckte ja eben der Zauber – so hübsch heraus, dass es eine Freude war. Auf das hin sprang Blitzgeschwind der Prinzessin Windhauch in drei Sätzen nach und kam viel früher an das Ziel. Die Prinzessin aber platzte beinahe vor Wut, kam ganz ausser Rand und Band, und biss sich vor Ärger beinahe die Zunge[93] ab, dass sie dieser Nichtsnutz von einem Landstreicher zuletzt doch besiegt hatte.
Die sechs Kumpane traten also jetzt vor den König und sagten ihm, er möge die Prinzessin nur behalten und ihnen statt ihrer so viel Silber und Gold geben, als einer von ihnen schleppen könne.
Die Prinzessin hatte aber den Prinzen kaum gesehen, da war ihr Zorn rein wie weggeblasen; mit einem Male wurde sie so zahm, so sanft und gut, wie sie vordem gewesen, und bekam vor lauter Liebe beinahe das kalte Fieber; denn ein Wort wie tausend, Prinz Johann war auch durchaus nicht als das hässlichste Küchlein aus der Schale gekrochen.
Der König liess sofort hundert Wagen voll Silber und Gold herbringen und Bergträger auf den Rücken laden, aber dem war das alles wie nichts; da liess der König also alle seine Schätze und Kostbarkeiten, alle Messer, Schüsseln, Löffel und Leuchter, mit einem Worte alles, alles herbringen, was nur aus Gold oder Silber war; und all diese Sachen wurden auf das übrige Gold und Silber hinaufgeworfen, und dann kehrten die Kumpane, alle sechse, dem Schlosse des Feenkönigs den Rücken.
Der König bereute gar bald, dass er diesen, weiss Gott woher hereingeschneiten Kumpanen die schwere Menge von Schätzen hingegeben. Er beschloss daher, seine Tochter zu ihnen zu senden, damit es den Anschein habe, als hätten sie die Prinzessin mit Gewalt entführt; und ihnen dann ein Regiment Soldaten nachzuschicken, um diese sechs Hallunken niederzumetzeln und Schatz und Prinzessin nach Hause zu bringen. Windhauch hatte aber schon früher als ihr Vater so ihre eigenen Gedanken gehabt; denn bis dieser sich seinen Plan zurecht gelegt, da war sie schon längst mit den sechs Kumpanen über alle Berge. Als das der Feenkönig erfuhr, kam er in schreckliche Wut und sandte ihnen sofort ein Regiment[94] Soldaten über den Hals; aber als Peter einmal seinen Kopf auf die Erde legte, kam er gleich dahinter, was diese im Schilde führten; er sagte also zu den anderen:
»Hallo, Kameraden! Das eine Mal werden wir aber kaum, mit heiler Haut davonkommen; denn der König schickt uns ein Regiment Soldaten nach, mit dem Befehle, uns sechse niederzumetzeln und Prinzessin Windhauch mit den geschenkten Schätzen nach Hause zu bringen!«
»Einfaltspinsel, der du bist!« sagte Blasebalg, »wie kann man nur gleich so erschrecken; das Ganze ist das reine Kinderspiel; setzt euch nur ein wenig, um zu verschnaufen; mit denen will ich schon fertig werden.«
Da begann er mit aller Macht zu blasen und blies in einem fort weiter, wie Gott ihm das Zeug dazu gegeben. Gleich war ein solcher Sturm los, dass der Staub die ganze Reiterei mit Mann und Ross unter sich begrub. Als Blasebalg endlich dachte, nun, die werden den gestirnten Himmel aber auch nicht wiedersehen, hielt er mit dem Blasen ein, und alle machten sich auf den Weg nach Hause. – Sie gehen und gehen also nur immer weiter, und auf einmal kommen sie in das Schloss von Prinz Johanns Vater, dort verteilten sie die Menge Reichtum unter sich und wurden alle gar grosse Herren.
Prinz Johann aber nahm die wunderschöne Feenprinzessin Windhauch zum Weibe und machte grosse Hochzeit; da wurde in Kesseln gekocht, in Mulden aufgetragen, Brühen allein gab's neunerlei, und erst die vielen Brühen ohne Braten!
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro