[489] Unter den übrigen Mitgliedern der Sippe, welche sich durch starken Bart und kurzen, stummelhaften Schwanz auszeichnen, steht der Luchs oder Thierwolf (Lynx vulgaris, L. borealis, cervarius, lupulinus, Felis lynx und lupulina) an Schönheit, Stärke und Kraft oben an. Erst durch das Museum von Christiania bin ich über die Größe belehrt worden, welche ein Luchs wirklich erreichen kann; denn in unseren deutschen Sammlungen findet man gewöhnlich nur mittelgroße Thiere. Ein vollkommen ausgewachsener Luchs ist mindestens ebenso stark, nur etwas kürzer und hochbeiniger als die Leoparden, welche wir in unseren Thierschaubuden zu sehen bekommen. [489] Die Länge seines Leibes beträgt reichlich 1 Meter und kann wohl auch bis zu 1,3 Meter steigen, der Schwanz ist 15 bis 20 Centim. lang, die Höhe am Widerriste beträgt bis 75 Centim. An Gewicht kann der Luchskater bis 30, ja, wie man mir in Norwegen sagte, sogar bis 45 Kilogr. erreichen. Das Thier hat einen außerordentlich kräftigen, gedrungenen Leibesbau, stämmige Glieder und mächtige, an die des Tigers oder Leoparden erinnernde Pranken, verräth daher auf den ersten Blick seine große Kraft und Stärke. Die Ohren sind ziemlich lang und zugespitzt und enden in einen pinselförmigen Büschel von vier Centimeter langen, schwarzen, dichtgestellten und aufgerichteten Haaren. Auf der dicken Oberlippe stehen mehrere Reihen steifer und langer Schnurren.
Ein dichter, weicher Pelz umhüllt den Leib und verlängert sich im Gesichte zu einem Barte, welcher zweispitzig zu beiden Seiten herabhängt und im Vereine mit den Ohrbüscheln dem Luchsgesichte ein ganz seltsames Gepräge gibt. Die Färbung des Pelzes ist oben röthlichgrau und weißlich gemischt, auf Kopf, Hals und Rücken und an den Seiten dicht mit rothbraunen oder graubraunen Flecken gezeichnet; die Unterseite des Körpers, die Innenseite der Beine, der Vorderhals, die Lippen und die Augenkreise sind weiß. Das Gesicht ist röthlich, das Ohr inwendig weiß, auf der Rückseite braun und schwarz behaart. Der Schwanz, welcher überall gleichmäßig und gleich dick behaart ist, hat eine breite, schwarze Spitze, welche fast die Hälfte der ganzen Länge einnimmt; die andere Hälfte ist undeutlich geringelt, mit verwischten Binden, welche unten aber nicht durchgehen. Im Sommer ist der Balg kurzhaarig und mehr röthlich, im Winter langhaarig und mehr grauweißlich gefärbt; allein die ganze Färbung verändert sich in der mannigfaltigsten Weise, und auch die Flecken wechseln bei verschiedenen Thieren erheblich ab. Man hat deshalb nach den Bälgen mehrere Arten von Luchsen annehmen wollen, sich jedoch in der Neuzeit überzeugt, daß dies unthunlich ist; denn es sind in einem Gewölfe Junge von allen Farbenschattirungen, Veränderungen und Zeichnungen gefunden worden. Das Weibchen scheint regelmäßig durch röthere Färbung und undeutlichere Flecken von dem Männchen sich zu unterscheiden; die neugeborenen Jungen sind weißlich.
[490] Zwei sehr schöne Luchse des Berliner Thiergartens tragen ein Sommerkleid von fahlzimmetbrauner, unterseits durch Schmutzigaschgrau in Weiß übergehender Färbung, mit einer ausgeflammten, schwach dunkler gesäumten, innen röthlichen Flecken, Fleckenstreifen und schwarzbraunen bis schwarzen Tüpfeln gebildeten Zeichnung. Kinn, Kehle und Unterseite sind rein weiß, die erzgelben Augen weiß umrandet, die Ränder unten schwarz gesäumt, die Ohrränder, welche einen unregelmäßig dreieckigen weißgrauen Mittelfleck umgeben, und die Ohrpinsel schwarz, die Innenhaare der Lauscher weißgrau, die Schnurren weiß. Ueber die Stirn verlaufen vier bis fünf undeutliche dunklere Fleckenstreifen, über den Nacken und die Halsseiten drei (einer über die Halsmitte und je einer vom Ohre zur Schulter) breite, mit dem übrigen Fell verglichen, etwas dunklere Bandstreifen, über die Rückenmitte drei aus sehr verlängerten Flecken gebildete Fleckenstreifen, welche weiter hinten sich theilen, so daß hier zwei mittlere und je zwei seitliche Fleckenreihen sichtbar werden; auf den Seiten stehen geflammte, d.h. sehr verlängerte, dunkel umrandete Hofflecken, auf Oberarm und Schenkel bis zu den einfarbig rehbraun gefärbten Handwurzeln und Zehen herab verschieden große braune bis schwarzbraune Tüpfelflecken; den Schwanz zeichnen in der Wurzelhälfte oben schwärzliche Tüpfel, während die Spitzenhälfte schwarz aussieht. Vom Augenwinkel zieht sich ein schwarzer Streifen über die Wangen und durch die Mitte des graulichweißen Bartes; ein zweiter, gleichlaufender, entspringt unter dem Auge. Lippen und Jochbogengegend sind fein dunkelbraun getüpfelt; der Mundrand ist schwarz, ein hellerer Fleck am Mundwinkel nicht vorhanden. Auf der Oberbrust steht ein fast geschlossenes dunkles Querband; Innen- und Unterseite zeigen ziemlich große, unregelmäßig und verschieden gestaltete Tupfen.
Dieses Kleid tragen übereinstimmend zwei ältere und ein sehr junger Luchs, obwohl sie aus verschiedenen Ländern, jene aus Skandinavien, dieser aus Livland, stammen. Im Winterkleide wird die bräunliche Färbung durch Grau verdeckt, indem die im Spätherbste rasch wachsenden Grannenhaare an den Spitzen verbleichen und diese mehr und mehr zur Geltung kommen, je weiter ihre Verfärbung nach der Wurzel zu vorrückt.
Der Luchs war den Alten bekannt, wurde in Rom aber doch weit seltener gezeigt als Löwe und Leopard, weil es schon damals viel schwerer hielt, ihn lebend zu erlangen als einen der erwähnten Verwandten zu bekommen. Den, welcher unter Pompejus gezeigt wurde, hatte man aus Gallien eingeführt. Ueber sein Freileben scheint man nichts gewußt zu haben, deshalb war dem Aberglauben vielfacher Spielraum gelassen. »Kein thier ist«, sagt der alte Geßner, Schilderungen der Alten wiedergebend, »daß so ein scharpffe gesicht habe als ein Luchß, dann nach der sag der Poeten söllend sy auch mit jren augen durchtringen, die Ding so sunst durchscheynbar nit sind, als wänd, mauren, holtz, stein und dergleychen. Dargegen so jnen durch scheynbare Ding fürgehalten werdend, so hassend sy jr gesicht und sterbend daruon.« In der Götterlehre der alten Germanen spielte der Luchs ungefähr dieselbe Rolle wie die Katze; denn wahrscheinlich ist er es und nicht seine Verwandte, welcher als Thier der Freya aufgefaßt werden muß und deren Wagen zieht.
Noch im Mittelalter bewohnte er ständig alle größeren Waldungen Deutschlands und ward allgemein gehaßt, auch nachdrücklichst verfolgt. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts galt er, laut Schmitt, in Pommern als das schlimmste Raubthier. »Den Luchs«, so heißt es in Petersdorps Verordnung, »wiel he de aergste ist, moth man flitig by Wintertieden nahstellen, em mit Netten fangen, scheten.« Von dieser Zeit an hat er in Deutschland stetig abgenommen und kann gegenwärtig hier als ausgerottet gelten. In Bayern, dem an sein Wohngebiet, die Alpen, angrenzenden Lande Süddeutschlands, war er noch zu Ende des vorigen und zu Anfange unseres Jahrhunderts eine zünftigen Jägern wohlbekannte Erscheinung. Laut Kobell, dem wir so viele anziehende Jagdbilder verdanken, wurden in den Jahren 1820 bis 1821 allein im Ettaler Gebirge siebenzehn Luchse er legt und gefangen; im Jahre 1826 fing man im Riß ihrer fünf, bis 1831 noch ihrer sechs. Im Forstamte Partenkirchen erbeutete man 1829 bis 1830 in dem einen Reviere Garmisch drei, in Eschenloch fünf, in der Vorderriß ebenfalls fünf Luchse. Zwei bayerische Jäger, Vater und Sohn, [491] fingen in achtundvierzig Jahren, von 1790 bis 1838, dreißig Stück der gehaßten Raubthiere. Der letzte Luchs wurde im Jahre 1838 im Rottenschwanger Reviere erbeutet; seitdem hat man noch im Jahre 1850 auf der Zipfelsalpe ihrer zwei gespürt, und wahrscheinlich sind auch in den letzten zwanzig Jahren noch einzelne aus Tirol herübergestreift, ohne wahrgenommen worden zu sein. Im Thüringer Walde wurden zwischen den Jahren 1773 bis 1796 noch fünf Luchse erlegt, in diesem Jahrhundert meines Wissens nur ihrer zwei, einer im Jahre 1819 auf dem Gothaer Reviere Stutzhaus und einer im Jahre 1843 auf Dörenberger Revier, letzterer nach langen vergeblichen Jagden. In Westfalen endete der letzte Luchs erweislich im Jahre 1745 sein Leben; auf dem Harze erlegte man die letzten beiden in den Jahren 1817 und 1818, in Deutschland, mit Ausnahme der an Rußland grenzenden Theile überhaupt, im Jahre 1846, worüber ich später ausführlicher berichten werde. Anders verhält es sich in den deutsch-österreichischen Ländern und in den an Rußland grenzenden Theilen Preußens. Hier wird fast alljährlich noch ein oder der andere Luchs gespürt; dort hat man noch in der Neuzeit so viele erlegt, daß von einer Ausrottung desselben noch nicht gesprochen werden darf. In der Schweiz wird er, laut Tschudi, nicht häufiger gefunden als die Wildkatze, war aber noch vor dreißig Jahren keine Seltenheit, so daß allein in Bünden in einem Jahre sieben bis acht Stück getödtet wurden. Gegenwärtig ist er auch hier recht selten geworden, obschon die Hochwälder der Walliser-, Tessiner- und Bernergebirge, die Urner-, Glarner-, Oescher- und Böxeralpen ihn noch beherbergen. Ueber sein Vorkommen in Tirol fehlt mir die Kunde; von dem östlichen Theile der Alpen dagegen weiß ich zu sagen, daß er schon in Krain noch regelmäßig und in Kärnthen dann und wann einmal auftritt. So wurden in Rosenbach, einem Reviere des Fürsten Friedrich von und zu Liechtenstein, an der Krainer Grenze, im Jahre 1846 und im Jahre 1858 noch Luchse gespürt und beziehentlich gefangen. Nach Osten hin beginnt mit den Karpathen das derzeitige Wohngebiet unseres Raubthieres; von hier und der preußischen Grenze aus nach Norden und Osten findet man es regelmäßig, in ganz Rußland und ebenso in Skandinavien noch ziemlich häufig, hier vom Süden des Landes an, soweit geschlossene Waldungen nach Norden hinaufreichen. Außerdem aber bewohnt der Luchs, laut Radde, ganz Ostsibirien, wo das Land gebirgig und waldbedeckt ist und wird hier alljährlich noch in namhafter Menge erbeutet.
Bedingung für ständigen Aufenthalt dieses Raubthieres sind weite geschlossene, an Dickungen oder überhaupt schwer zugänglichen Theilen reiche, mit Wild der verschiedensten Art bevölkerte Waldungen. In dünn bestandenen Wäldern zeigt sich der Luchs, laut Nolcken, dem wir die beste Lebensschilderung des Thieres verdanken, nur ausnahmsweise, namentlich im Winter, wenn es sich für ihn darum handelt, einen solchen Wald nach Hasen abzusuchen, oder aber, wenn ihn ein allgemeiner Nothstand, ein Waldbrand z.B., zum Auswandern zwingt. Unter solchen Umständen kann es vorkommen, daß er, wie es im Jahre 1868 im Petersburger Gouvernement geschah, bis in die Obstgärten der Dörfer sich flüchtet. Im Gegensatze zum Wolfe, welcher fast jahraus, jahrein ein unstätes Leben führt, hält sich der Luchs oft längere Zeit in einem und demselben Gebiete auf, durchstreift dasselbe aber nach allen Richtungen, wandert in einer Nacht meilenweit, nicht selten ohne alle Scheu befahrene Wege annehmend, bis in die Nähe der Dörfer sich wagend und selbst einsam liegende Gehöfte besuchend, kehrt auch nach mehreren Tagen wieder in eine und dieselbe Gegend zurück, um sie von neuem abzuspüren. Der eine von den beiden Luchsen, welcher sich in dem fürstlich Liechten stein'schen Gebiete aufhielt, wurde zwei volle Jahre in einem und demselben Reviere gespürt, war zwar manchmal zwei bis drei Wochen abwesend, kam dann aber zurück und verschwand wiederum für geraume Zeit. Von anderen Luchsen hat man dasselbe beobachtet, so daß es oft wochen- und monatelanger Verfolgung bedurfte, um das Gebiet von dem unliebsamen Gaste zu säubern.
In der Regel lebt der Luchs nach Art seiner Verwandten ungesellig, da wo er häufiger auftritt, wie in Livland, so vertheilt, daß ein Gebiet von zehntausend Morgen etwa vier oder fünf Stücke beherbergt. Nolcken behauptet geradezu, daß man ihn immer nur einzeln finde, spricht aber [492] auch ausschließlich von seinen eigenen Wahrnehmungen, während wir durch andere Mittheilungen glaubwürdiger Beobachter wissen, daß unter Umständen auch das Gegentheil der Fall sein kann. So wurden, laut einem Berichte der Jagdzeitung, im Jahre 1862 in Galizien vier Luchse hinter einander erlegt, am ersten Tage die beiden Alten, am zweiten deren zwei Junge, und ebenso sah ein Jäger in Galizien bei einem Treiben drei Luchse an sich vorübergehen. Auch Frauenfeld spürte einmal die Fährten von vier Luchsen ab, welche gemeinschaftlich zur Jagd ausgezogen waren. Indessen mögen solche Fälle immerhin zu den Seltenheiten gehören und Nolckens Angaben als die Regel gelten.
An Begabung leiblicher und geistiger Art scheint der Luchs hinter keiner einzigen anderen Katze zurückzustehen. Der trotz der hohen Läufe ungemein kräftige Leib und die ausgezeichneten Sinne kennzeichnen ihn als einen in jeder Hinsicht trefflich ausgerüsteten Räuber. Er geht sehr ausdauernd, so lange es die Noth nicht fordert, nur im Schritt oder im Katzentrabe, niemals satzweise, springt, wenn es sein muß, ganz ausgezeichnet in wahrhaft erstaunlichen Sätzen dahin, klettert ziemlich gut und scheint auch mit Leichtigkeit Gewässer durchschwimmen zu können. Unter seinen Sinnen steht unzweifelhaft das Gehör obenan, und der Pinsel auf seinen Ohren darf demnach als eine wohlberechtigte Zierde gelten. Kaum weniger vorzüglich mag das Gesicht sein, wenn auch die neuzeitlichen Beobachter keine unmittelbaren Belege für die Entstehung der alten Sage gegeben haben. Der Geruchsinn aber ist, wie bei allen Katzen, entschieden schwach; der Luchs vermag wenigstens nicht auf größere Entfernungen hin zu wittern und sicherlich nicht durch seinen Geruch irgend ein Wild auszukundschaften. Daß er Geschmack besitzt, beweist er durch seine Leckerhaftigkeit zur Genüge, und was Tastsinn und Empfindungsvermögen anlangt, so bekunden Gefangene deutlich genug, daß sie hierin den Verwandten nicht nachstehen. Als Tastsinn offenbart sich sein feines Gefühl bei jeder Bewegung, und jedenfalls auch beim Aufspüren und Aufnehmen einer bereits erkundeten und getödteten Beute. Wie allen Katzen sind ihm die Schnurrhaare im Gesichte geradezu unentbehrlich; mit ihnen muß er alles betasten, mit dem er sich näher befassen will. Die geistigen Eigenschaften unseres Raubthieres sind niemals unterschätzt worden: »Ist sunst ein röubig thier gleich dem Wolff, doch vil listiger«, sagt der alte Geßner und scheint vollständig Recht zu haben, da auch alle neueren Beobachter, welche mit dem Luchse verkehrten, ihn als ein außerordentlich vorsichtiges, überlegendes und listiges Thier schildern, welches niemals seine Geistesgegenwart verliert und in jeder Lage noch bestmöglichst seinen Vortheil wahrzunehmen sucht und wahrzunehmen weiß. Macht sich dies schon bei dem freilebenden Luchse bemerklich, so tritt es, wie wir später kennen lernen werden, bei gefangenen nur um so schärfer hervor, so daß wir jedenfalls berechtigt sind, ihn den klügsten Katzen beizuzählen.
Frühere Beobachter vergleichen die Stimme des Luchses mit dem Geheule eines Hundes, bezeichnen sie damit aber sehr unrichtig. Ich habe nur Gefangene schreien hören und muß sagen, daß die Stimme sehr schwer beschrieben werden kann. Sie ist laut, kreischend, hochtönig, der verliebter Katzen entfernt ähnlich. Oskar von Loewis, welcher die Güte gehabt hat, mir verschiedene Mittheilungen zu Gunsten der Bearbeitung der zweiten Auflage des Thierlebens zu machen, kann genaueres mittheilen. »Ich habe nicht nur«, sagt er, »meine gezähmte Luchskatze, sondern auch wilde Luchse zur Nachtzeit in einsamen Wäldern schreien zu hören vielfach Gelegenheit gehabt. Aber niemals erlaubte die Stimme des Luchses auch nur eine entfernte Aehnlichkeit mit der des Hundes herauszufinden. Sein Geschrei ist vielmehr ein plärrend und brüllend hervorgestoßener Ton, welcher hoch und fein anhebt und dumpf und tief endet, im Klange eher dem Gebrülle des Bären gleichend. Ursachen des Geschreies waren bei meinem gezähmten und frei umherlaufenden Luchse Hunger und Langeweile. Das Knurren und Fauchen bei hochgekrümmtem Rücken war stets ein Zeichen der Wuth, der kampfbereiten Vertheidigung. Ein leises, feines, katzenartiges, unendlich sehnsüchtiges Miauen ließ meine Luchskatze bei lüsternem, mordlustigem Beobachten der Tauben und Hühner oder bei schmiegsamem Anschleichen zum Wilde hören. Das anhaltende [493] Spinnen und Schnurren während Wohlbefindens, beziehentlich Streichelns mit der Hand, war ganz katzenartig, nur gröber, derber als das der Hauskatze.«
Der Luchs ist, laut Nolcken, ein durchaus nächtliches Raubthier, versteckt sich mit Tagesanbruch und liegt, wenn er nicht gestört wird, bis zur Dunkelheit, wodurch er vom Wolfe, welcher meist schon gegen Mittag wieder zu wandern beginnt, wesentlich sich unterscheidet. Zu seinem Lagerplatze wählt er eine Felsenkluft oder ein Dickicht, unter Umständen vielleicht auch eine größere Höhlung, selbst einen Fuchs- oder Dachsbau. Wenn er sich decken oder lagern will, geht er gern auf irgend einem Wege in die Nähe der Dickung, welche er ausgewählt hat und setzt in mehreren weiten Sprüngen in das Gehölz. Geht der Weg hart an einem Dickichte vorbei, so wirft er sich manchmal so weit in dieses hinein, daß man die Spur von außen gar nicht sieht. Immer und unfehlbar wählt er die allerdichtesten Schonungen, junges Nadeldickicht und dergleichen, ohne sich dabei im übrigen viel um etwa stattfindenden Verkehr zu kümmern. Falls es gestattet ist, von dem Betragen des gefangenen Luchses auf das des freilebenden zu schließen, darf man annehmen, daß er den Tag über möglichst auf einer und derselben Stelle liegen bleibt. Er gibt sich einem Halbschlummer hin, nach Art unserer Hauskatze, welche in gleicher Weise halbe Stunden zu verträumen pflegt, aber doch auf alles achtet, was um sie her vorgeht. Seine feinen Sinne schützen ihn auch während solcher Träumerei vor etwaigen Ueberraschungen. Ich habe mich an dem Gefangenen, welchen ich pflegte, wiederholt überzeugt, daß gerade der Sinn des Gehöres auch dann in voller Thätigkeit war, wenn der Luchs im tiefsten Schlafe zu liegen schien. Das leiseste Rascheln verursachte bei ihm ein Drehen und Wenden nach der verdächtigen Gegend, und die geschlossenen Augen öffneten sich augenblicklich, wenn das Geräusch stärker wurde. Am tiefsten scheint er in den Früh- und Mittagsstunden zu schlafen; nachmittags reckt er sich gern, wenn ihm dies möglich ist, im Strahle der Sonne, legt sich dabei auch, falls er es haben kann, stundenlang auf den Rücken wie ein fauler Hund. Bei eintretender Dämmerung wird er munter und lebendig. Während des Tages schien er zur Bildsäule erstarrt zu sein, mit Einbruch des Abends bekommt er Leben und Bewegung, erst in der Nacht aber macht er sich zur Jagd auf, bleibt jedoch, laut Nolcken, häufig stehen, um zu sichern, wie eine Katze, wenn sie über einen freien Platz will, welcher ihr unsicher erscheint. Soviel als möglich hält er dabei seinen Wechsel ein. Im Winter scheint er dies, nach den Angaben Frauenfelds, Nolckens und Radde's, regelmäßig und zwar in der Weise zu thun, daß er stets auf das genaueste in seine Spur wieder eintritt. Ein Verwechseln seiner Fährte mit der eines anderen Thieres kann wohl nur dem Unkundigsten geschehen; denn die Spur ist, nach Nolcken, sehr groß, im Einklange mit den unverhältnismäßig starken Pranken größer als die eines starken Wolfes, auffallend rund und, weil der Abdruck der Nägel fehlt, vorn stumpf, der Schritt verhältnismäßig kurz. So bildet die Spur eine Perlenschnur, welche Jeder, der sie nur einmal gesehen, leicht wieder erkennen muß. Beim Wechseln nun tritt der Luchs auf dem Hin- und Rückwege in die Spur ein, ja es thun dies in der Regel mehrere, welche gemeinschaftlich zur Jagd ausgehen. Frauenfeld, welcher, wie bemerkt, einmal vier Luchse spürte, sagt hierüber Folgendes: »Bei der ersten Entdeckung der Spur dieser Thiere waren nur zwei Fährten sichtbar, sodaß wir anfangs auch bloß zwei Luchse beisammen vermutheten, ja später zeigte sich gar nur eine einzige Spur, in der sie alle vier einer in des anderen Fußstapfen traten. Auf einer Wiese im Walde, wo sie nach Raub ausgespäht zu haben schienen, ehe sie auf dieselbe heraustraten, zeigte sich die Spur von dreien, und erst auf einer lichten Stelle im Walde, wo sie ein Reh überraschten, fanden wir, natürlich mit immer größerem Erstaunen, daß ihrer vier beisammen waren; denn erst dort hatten sie sich alle getrennt, und der eine, unzweifelhaft der vorderste, hatte dieses Reh in zwei gewaltigen Sprüngen erreicht. Unmittelbar nach dem übrigens verunglückten Jagdversuche waren die Luchse mit schwach geschränkten Schritten wieder ruhig und nach einer kurzen Strecke abermals in einer einzigen Spur fortgezogen«. Bei weiterem Abspüren am nächsten Tage fand Frauenfeld, daß die vier Luchse nicht nur ganz denselben Weg, sondern auch, wenige schwierige Stellen [494] abgerechnet, in der nämlichen Fährte zurückgekehrt waren, welche sie auf dem Herwege gebildet hatten, »sodaß, nachdem sie alle vier hin und zurück, also achtmal, die Stelle berührt hatten, doch auf lange Strecken nur eine einzige Spur sichtbar war. In Bezug auf diese besondere Eigenthümlichkeit erinnere ich mich einer Erzählung, daß in dem Reviere der dortigen Gegend der betreffende Jäger im Winter eine Luchsfährte da antraf, wo mehrere Wildwechsel mit Prügelfallen vorgerichtet waren, und daß diese Spur gerade einer solchen zuführte. Der Luchs lag richtig todt in der Falle. Zu seinem größten Erstaunen aber bemerkte der Jäger, daß die Fährte darüber weg sich noch weiter spürte. Er folgte dieser mit erhöhter Theilnahme und fand, daß in einer nicht weit davon entfernten zweiten Falle noch ein anderer Luchs sich gefangen hatte. Beide waren daher vielleicht vereint, vielleicht unabhängig von einander, so genau einer in des anderen Spur eingetreten, daß der Jäger nicht im entferntesten diese zwei Thiere vermuthet hätte, wenn nicht der Fang beider ihn auf die überraschendste Weise überzeugt hätte«.
Die eigenthümliche Gestalt des Luchses läßt jede seiner Bewegungen auffallend, im gewissen Sinne sogar plump erscheinen. Man ist gewöhnt, in der Katze ein niedrig gebautes, langgeschwänztes Säugethier zu sehen und Bewegungen wahrzunehmen, welche den kurzen Läufen entsprechen, d.h. welche gleichmäßig, nicht ungestüm, weich und deshalb wenig bemerklich sind. Beim Luchse ist dies anders. Er tritt scheinbar derb auf und schreitet im Vergleiche zu anderen Katzen merklich weit aus. Fehlt ihm nun aber auch die Anmuth seiner Verwandten, so steht er diesen an Gewandtheit durchaus nicht nach und übertrifft sie, obgleich er keineswegs zu den ausgezeichnetsten Läufern zählt, doch in der Schnelligkeit und Ausdauer seiner Bewegungen. Was er leisten kann, sieht man bei frisch gefallenem Schnee am deutlichsten, da wo er auf eine Beute gesprungen ist. In dem ziemlich ausführlichen Jagdberichte, welcher gelegentlich der Erlegung des letzten Harzer Luchses veröffentlicht wurde, heißt es. »Am merkwürdigsten erschien der in der Nacht auf den 17. März erfolgte Fang eines Hasen, welcher durch die hintere Spur vollkommen deutlich wurde. Der Hase hatte am Rande einer jungen Tannendichtung, welche an eine große Blöße stieß, gesessen. Der Luchs war in dem Dickichte, wahrscheinlich unter Wind, an ihn herangeschlichen; der Hase aber mußte solches noch zu früh bemerkt haben und war möglichst flüchtig über die Blöße dahingerannt. Demungeachtet hatte ihn der Luchs ereilt und zwar durch neun ungeheuere Sprünge von durchschnittlich je dreizehn Fuß Weite. Das Raubthier hatte also sein Wild förmlich gehetzt und diesem, wie aus der Fährte ersichtlich, alles Hackenschlagen, sein gewöhnliches Rettungsmittel, nichts genützt. Man fand nur die Hintertheile des armen Lampe noch vor«. Auch Frauenfeld erfuhr aus eigener Anschauung, welch ungeheuere Sprünge der Luchs machen kann. »Ein Hase, auf den die vier erwähnten Luchse stießen, mußte von einem derselben schon weit wahrgenommen worden sein; denn wohl an hundert Schritte sah man keine einzelnen Tritte, sondern war nur eine breite, gezogene Furche sichtbar, welche der vorderste, vielleicht vorausgeeilte, beim tiefgedrückten Schleichen im Schnee gebildet haben mochte. Zwischen ihm und dem Hasen war ein mehr als meterhohes Gehege, und noch beiläufig zwölf Schritte von diesem Hage entfernt, wagte er den Sprung darüber hinweg nach dem Hasen, den er jedoch nicht erreichte, da sein Sprung, obwohl gut zwanzig Schritte weit, beinahe eine Klafter zu kurz war.« Daß der Luchs mit mehreren Sprüngen ein Wild verfolgt, ist übrigens eine große Ausnahme: bei beiden Raubanfällen, welche Frauenfeld abspürte, war der Räuber seiner Beute nicht weiter gefolgt, sondern unmittelbar nach verunglücktem Sprunge ruhig, als wäre nichts geschehen, weiter gegangen. Auch Nolcken, dem es mehrmals vergönnt war, Stellen zu finden, wo der Luchs geraubt hatte, und von wo aus er auf seine Beute angesprungen war, beobachtete nie, daß jener mehr als drei oder vier weite Sätze gemacht hätte, und bemerkt ausdrücklich, daß der Luchs seine entgangene Beute niemals verfolge. »Sonderbarerweise«, fügt unser Gewährsmann noch hinzu, »habe ich noch nie eine Stelle gesehen, wo ihm sein Fang geglückt wäre. Es scheint demnach, als ob auch im Leben des Luchses Jagdunglück nicht ganz selten sei.«
[495] Nach den gegebenen Mittheilungen kann man sich von der Jagd des Luchses ein ziemlich richtiges Bild machen. Möglichst gut sich deckend, jeden hierzu dienenden Gegenstand benutzend und alles Geräusch vermeidend, schleicht er, unter Umständen tief gebückt, an sein Wild heran, springt mit einem oder mit mehreren gewaltigen Sätzen auf dasselbe zu, faßt glücklichenfalls die Beute, sich einbeißend, im Genicke, schlägt seine Krallen tief ein, hält sich so fest und beißt nun mit seinen scharfen Zähnen die Schlagadern des Halses durch. Bis das Thier verendet, bleibt er auf ihm sitzen; ja man kennt ein Beispiel, daß ein solcher furchtbarer Reiter wider seinen Willen mit seinem Reitthiere und Schlachtopfer weiter getragen worden ist, als ihm lieb war. Eine norwegische Zeitung berichtete, daß eines Tages eine Herde Ziegen mitten am Tage aus dem benachbarten Walde in höchster Eile nach dem Gute zugelaufen kamen. Ein Thier der Herde trug auf seinem Rücken einen jungen Luchs, welcher seine Klauen so tief und fest in den Hals der Ziege eingeschlagen hatte, daß er nicht wieder loskommen konnte. Die Ziege rannte in der Angst hin und her, bis es den inzwischen hinzugekommenen Söhnen des Gutsbesitzers gelang, das Raubthier zu erschießen, ohne die Ziege zu verletzen.
Als Beutestück scheint dem Luchse jedes Thier zu gelten, welches er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Vom kleinsten Säugethiere oder Vogel an bis zum Reh und Elch oder Auerhahn und Trappen hinauf ist schwerlich ein lebendes Wesen vor ihm gesichert. Größeres Wild zieht er kleinerem entschieden vor; mit Mäusefangen z.B. scheint er sich nicht zu befassen: Nolcken wenigstens hat aus seiner einförmigen, geschnürten Spur nie ersehen können, daß er sich mit Mausen abgegeben hätte. Demungeachtet glaube ich, daß auch ein Mäuschen, welches seinen Weg kreuzt, ihm nicht entgeht. Um die Gewandtheit der Luchse zu erproben, habe ich den von mir gepflegten wiederholt lebende Sperlinge, Ratten und Mäuse vorgeworfen, in keinem Falle aber beobachtet, daß eines dieser Thiere rasch genug gewesen wäre, der Klaue des Räubers zu entschlüpfen. Der fliegende Sperling wird mit ebenso großer Sicherheit aus der Luft geholt, wie die im Bewußtsein der Gefahr eiligst dem Käfiggitter zuflücht ende Ratte gefangen. Der Luchs stürzt sich mit einem einzigen Satze auf die Beute und schlägt höchst selten mehr als einmal nach ihr. Gewöhnlich hängt sie nach dem Schlage fest, ist im Nu auch mit den Zähnen gepackt und einige Augenblicke später bereits eine Leiche. Nunmehr beginnt das Spiel mit der Beute nach Katzenart. Die Ratte oder der Vogel wird vergnügt betrachtet, sorgfältig berochen und mit einer Pranke hin- und hergeworfen. Im Verlaufe des Spielens führt der Luchs dabei verschiedene Sprünge und Sätze aus, wie man sie sonst nicht von ihm bemerkt, schnuppert behaglich und wedelt fortwährend mit dem kurzen Schwanzstummel, welcher auch bei ihm seine Gefühle ausdrücken hilft. An das Fressen denkt er erst später, selbst in dem Falle, daß er sehr hungerig ist.
In dem an Hochwild armen, an Niederwild reichen Norden verursacht der Luchs verhältnismäßig wenig Schaden; in gemäßigten Landstrichen dagegen macht er sich dem Jäger wie dem Hirten gleich verhaßt, weil er nicht allein weit mehr erwürgt, als er zur Nahrung braucht, sondern auch von einer Beute nur das Blut aufleckt und die leckersten Bissen frißt, das übrige aber liegen läßt, Wölfen oder Füchsen zur Beute. Hier kehrt er höchst selten zum Luder zurück, während er, laut Nolcken, in dem wildarmen Livland dieses sehr gern annimmt und sogar derartig darauf versessen ist, daß er sich für einige Zeit in der Nähe desselben festlegt und die Jagd so ziemlich an den Nagel zu hängen scheint. Auch dem Viehstande fügt er in Livland wenig Schaden zu, wobei freilich zu berücksichtigen, daß alles Vieh vor Abend hereingetrieben und ihm somit keine Gelegenheit geboten wird, aus zahmen Herden Beute zu gewinnen. Ganz anders macht er in wild- und herdenreichen Gegenden sich bemerklich. In den Schweizer Alpen lauert er, laut Schinz, Dachsen, Murmelthieren, Hasen, Kaninchen und Mäusen auf, schleicht den Rehen in den Waldungen, den Gemsen auf den Alpen nach, berückt Auer-, Birk-, Hasel- und Schneehühner und fällt räuberisch unter die Schaf-, Ziegen- und Kälberherden. Der beste Rehstand wird von einem Luchse, welcher dem rächenden Blei des Jägers geraume Zeit sich zu entziehen weiß, vernichtet, die zahlreichste [496] Schaf-oder Ziegenherde mehr als gezehntelt. Jener Luchs, welcher vom Förster Wimmer im Liechtenstein'schen Forste bei Rosenbach gefangen wurde, hatte sich hauptsächlich von Rehen und Schneehasen ernährt, aber auch die Gemsen sehr beunruhigt und in einer Nacht einmal sieben Schafe gerissen, sodaß man zuerst nicht auf ihn, sondern auf den Bären Verdacht warf, bis der weidgerechte Jäger an der Art des Risses ihn erkannte. Einmal riß er acht Schafe, ohne das geringste von ihnen zu fressen. Solche Fälle stehen keineswegs vereinzelt da. Nach Bechstein tödtete ein Luchs in einer Nacht dreißig Schafe, nach Schinz ein anderer in geringer Zeit deren dreißig bis vierzig Stück, nach Tschudi ein dritter, welcher im Sommer des Jahres 1814 in den Gebirgen des Sunthales sein Unwesen trieb, mehr als hundertundsechszig Schafe und Ziegen. Kein Wunder daher, daß Jäger und Hirt gleichmäßig bemüht sind, eines Luchses baldmöglichst habhaft zu werden.
Ueber die Fortpflanzung unseres Raubthieres fehlt noch genügende Kunde. Im Januar und Februar sollen die Geschlechter sich zusammenfinden, mehrere Luchskater oft unter lautem Geschrei um die Luchskatze kämpfen und diese zehn Wochen nach der Paarung in einer tief verborgenen Höhle, einem erweiteten Dachs- oder Fuchsbau unter einem überhängenden Felsen, einer passenden Baumwurzel und an ähnlichen versteckten Orten zwei, höchstens drei Junge bringen, welche eine Zeitlang blind liegen, später mit Mäusen und kleinen Vögeln ernährt, sodann von der Alten im Fange unterrichtet und für ihr späteres Räuberleben gebührend vorbereitet werden. So ungefähr steht es in Jagdbüchern und Naturgeschichten; nirgends aber finde ich eine Angabe von einem glaubwürdigen Augenzeugen. Selbst diejenigen Beobachter, welche alljährlich mit dem Luchse zusammenkommen, bekennen ihre Unkunde hinsichtlich der Fortpflanzung. »Obgleich ich«, sagt ein Berichterstatter der Jagdzeitung, »in Galizien jedes Jahr mit Luchsen zusammentreffe, obschon in der Gegend, in welcher ich zu jagen pflege, fleißig Aufsicht gehalten wird, ist doch nie daselbst ein Lagernest oder auch nur die Spur eines Ortes, in welchem die Luchskatze wölft, entdeckt worden. Es scheint mir also dieser Umstand den Beweis zu liefern, daß das Fortpflanzungsgeschäft bloß in den undurchdringlichen Karpathenurwäldern vor sich geht, und daß junge Luchse, mit denen der Jäger in den Ausläufern dieses Gebirges zusammentrifft, bloß um Raubausflüge zu unternehmen, sich herauswagen.« Gleichlautend spricht sich Nolcken aus. »Ueber die Vermehrung des Luchses ist mir nichts bekannt, da ich noch nie von einem gefundenen Gehecke dieser Thiere gehört habe. Dieses ist um so merkwürdiger, als unser Landmann im Mai und Juni mit Leidenschaft und in Masse dem Aufsuchen von Wolfsgehecken sich hingibt. Die Wälder werden bei dieser Gelegenheit auf das genaueste und häufig mit Erfolg durchstöbert. Ich schenke daher der Meinung, die Luchse erziehen ihre Jungen in alten Fuchs- oder Dachsbauen, allen Glauben, denke jedoch, daß auch so manches Gehecke in den unzugänglichsten Stellen der morastigen Urwälder, wie es deren noch so manche in meiner engeren Heimat gibt, jeder Nachsuche spotten mag«. Demungeachtet muß es doch dann und wann gelingen, ein solches Gehecke aufzufinden, da wir jung eingefangene Luchse erhalten und zwar in letzterer Zeit, wenn auch immer ungleich seltener als alle großen Katzen Afrika's, Südasiens und Amerika's, so doch fast alljährlich in einzelnen Stücken.
Gefangene Thiere dieser Art zählen unbedingt zu den anziehendsten aller Katzen. Gelangen sie in den Besitz eines Pflegers, ohne in ihrer Jugend eine sorgfältige Erziehung genossen zu haben, so zeigen sie sich zwar nicht immer von ihrer liebenswürdigsten Seite, verfehlen aber nie, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ich habe wiederholt Luchse gepflegt und einmal auch die beiden nächstverwandten Arten, unseren und den kanadischen Luchs, zusammengehalten, mehrere andere in verschiedenen Thiergärten beobachtet und kann somit aus eigener Erfahrung sprechen. »Sie erscheinen«, so habe ich mich in meinen »Thieren des Waldes« ausgedrückt, »im Vergleiche zu ihren Familiengenossen mürrisch, eigensinnig und faul, liegen, einem in Erz gegossenen Bilde vergleichbar, fast bewegungslos halbe Tage lang auf demselben Aste und beweisen nur durch Zusammenrümpfen der Lippen, durch Bewegen der Lauscher und Lichter und endlich durch Wedeln und Stelzen der Lunte, daß der Geist an der Ruhe des Leibes nicht Theil nimmt, sondern ohne Unterlaß [497] beschäftigt ist.« Jede Handlung führen sie mit würdigem Ernste, verständiger Ueberlegung und eiserner Ruhe aus. Niemals denken sie daran, wie die übrigen Katzen, gierig nach einer Beute zu schauen oder zu springen, fassen vielmehr das ihnen vorgeworfene Fleischstück ruhig und fest ins Auge, nähern sich langsam, greifen blitzschnell zu, wedeln dabei rasch und kräftig mit der stummelhaften Lunte und fressen scheinbar ebenso mäßig und gelassen, wie ein wohlerzogener Mensch, nicht mehr und nicht weniger, als sie bedürfen, dem übrigbleibenden verächtlich den Rücken kehrend. Ganz anders ist ihr Gebaren, wenn sie ein lebendes Thier an sich vorübergehen sehen. Jeder an ihrem Käfige vorüberschleichende Hund, jeder vorüberfliegende Vogel, ja selbst jede dahinhuschende Maus erregt ihre Aufmerksamkeit aufs höchste. Die Augen heften sich augenblicklich auf die durch das feine Gehör erspähte Stelle, von welcher ein leises Rascheln wahrnehmbar war; sie nehmen eine malerische Stellung an und gewähren ein Bild des achtsamen Raubthieres, wie man ein schöneres kaum sich denken kann. Entfernt sich ein großes Beutestück von ihnen, so wird die Ungeduld ihrer Herr, und sie führen dann wie andere gefangene große Katzen die zierlichsten und gewandtesten Sätze aus, drehen und wenden sich in ihrem Käfige mit bewundernswürdiger Schnelligkeit, springen übereinander weg, ohne daß man die geringste Anstrengung bemerkt, nehmen von neuem eine lauernde Stellung an usw. Jetzt sind sie ganz und vollständig bei der Sache und lassen sich durch den Beobachter dicht vor ihrem Käfige nicht im geringsten stören. All ihr Sinnen und Trachten beschäftigt sich ausschließlich mit dem verlockenden Wilde.
Zum Kummer aller Thiergärtner zählen sie nicht zu den Katzenarten, welche sich gut in Gefangenschaft halten, verlangen vielmehr die allersorgfältigste Pflege. Rauhe Witterung ficht sie allerdings wenig an, vorausgesetzt, daß sie einen allzeit trockenen Lagerplatz haben und vor dem Zuge geschützt sind; dagegen stellen sie weit höhere Ansprüche an die Nahrung als andere Katzen ihrer Größe, nehmen nur das beste Fleisch und verlangen einen Wechsel in dem ihnen dargereichten Futter, sollen sie dauernd sich wohl befinden. Auch bei sehr sorgsamer Behandlung erliegen sie oft plötzlichen Krankheiten, von denen man durch ihr verändertes Betragen vielleicht erst wenige Stunden vorher Kunde bekam, und gelten deshalb bei allen erfahrenen Thiergärtnern als höchst empfindliche und hinfällige Thiere. Ganz das Gegentheil scheint der Fall zu sein, wenn dem gefangenen Luchse größere Freiheit gewährt werden kann. Wir verdanken Loewis einen ausgezeichneten, ebenso anziehend geschriebenen als lehrreichen Bericht über eine von ihm gefangen gehaltene Luchskatze. »Namentlich dreierlei«, sagt unser Gewährsmann, »ist es, was ich mir als einer Erwähnung werth zu erachten erlaube: zuvörderst, daß der herrschenden Annahme zuwider auch ein katzenartiges Thier wie der Luchs in Bezug auf geistige Befähigung eine hervorragende Stellung unter den Raubsäugethieren einzunehmen berechtigt ist; zweitens, daß die Gesundheit eines gefangenen, an menschliche Behandlung gewöhnten Luchses nicht, wie man allgemein anzunehmen leider so oft gezwungen wurde, immer zart und schwer zu erhalten ist, und endlich, daß es keinen größeren Feind für die Hauskatzen gibt als den Luchs, was vielleicht das Nichtvorkommen des Luchses und der Wildkatze in gleichen Jagdgebieten und Bezirken erklärlich machen dürfte.
Wenige Monate genügten, meinem jungen Luchse seinen Namen Lucy genau unterscheiden zu lehren. Unter vielen Hundenamen, welche auf der Jagd von mir genannt wurden, fand er den seinen stets heraus und leistete mit musterhaftem Gehorsame dem Aufrufe Folge. Seine Abrichtung war ohne alle Mühe eine so feine geworden, daß er in der wildesten, leidenschaftlichsten, aber verbotenen Jagd nach Hasen, Geflügel oder Schafen inne hielt, falls mein drohender Zuruf ihn erreichte, beschämt sich zu Boden warf und nach Art der Hunde Gnade für Recht erwartete. Die Bedeutung des Flintenschusses für Befriedigung seines Appetits lernte er rasch kennen. War er zu weit fort, um die rufende Stimme zu hören, so genügte das Knallen des Gewehres, ihn in angestrengter Eile herbeizuführen. Besonders wesentlich für Anerkennung seines Denkvermögens war mir auch die Art seiner thatkräftigen Jagd nach Hasen und Tauben, deren Fleisch als Kennerer gar wohl zu würdigen wußte.
[498] Lucy machte freiwillig, sogar mit Liebhaberei, mir auf dem Fuße folgend, alle Herbstjagden mit. Stand ein armer Hase vor uns auf, oder gelangte sonst ein von der Meute verfolgter in die Nähe, so begann die hitzigste Jagd; und trotz seiner unbeschreiblichen Aufregung bei solcher Gelegenheit behielt er stets so viel Ueberlegung bei, um das Verhältnis seiner Geschwindigkeit und Ausdauer zu der des Hasen, scheinbar wenigstens, zutreffend abzuschätzen. Denn nur, wenn letzterer ihm entschieden überlegen war, folgte er der so oft beschriebenen, den Katzenarten eigenthümlichen, abweichenden Weise des Jagens, welche bekanntlich in nur wenigen, aber gewaltigen Sprungsätzen besteht. Waren aber die Kräfte gleichartig, dann jagte er durch Dick und Dünn, über Zäune und Hecken fort, wie ein Windhund dem Wilde folgend, und das Ergebnis war sodann oftmals ein günstiges. Nachdem er häufig bei mordlustigen Sprüngen nach am Boden sitzenden Tauben leer ausgegangen war, änderte er wohlweislich den Angriffsplan und sprang nicht mehr dem Sitzplatze des beflügelten Zieles zu, sondern fing nunmehr, durch einen tüchtigen Satz in die Höhe sich werfend, mit richtig eintreffender Berechnung die Taube auf ihrem luftigen Fluchtwege mit scharfen Krallen ab.
Gewöhnlich spricht man den Katzen die Fähigkeit und Eigenthümlichkeit ab, an bestimmte Personen sich zu gewöhnen, von denselben Befehle anzunehmen, ihnen Gehorsam zu zollen. Mit welchem Rechte solches von der Hauskatze gilt, kommt hier nicht in Betracht; daß aber der Luchs dem Menschen gegenüber anders sich verhält, hat der von mir bezeichnete, jung aufgezogene genügend dargethan. Er hörte nur auf meines Bruders oder meine Stimme und bewies Zurückhaltung und Achtung auch nur uns gegenüber. Fuhren wir beide auf einen Tag in die Nachbarschaft, so konnte Niemand Lucy bändigen; dann Wehe jedem unbedachten Huhne, jeder sorglosen Ente oder Gans! Beim Dunkelwerden kletterte er auf das Dach des Wohnhauses, wo er, an einen Schornstein gelehnt, seine Ruhe hielt. Rollte spät abends oder in der Nacht der Wagen vor die Haustreppe, so war das Thier in einigen Sätzen vom Hausdache hinab auf das der Treppe gesprungen; rief ich nun seinen Namen, so schwang sich das anhängliche Geschöpf eilig an den Säulen hinab und flog in weiten Bogensätzen mir an die Brust, seine starken Vorderbeine um meinen Hals schlagend, laut schnurrend, mit dem Kopfe nach Art der Katzen an mich sich stoßend und reibend, und folgte uns sodann in die Stube, um auf dem Sopha, dem Bette oder am Ofen sein Nachtlager aufzuschlagen. Mehrere Male theilte er mit uns das Lager und verursachte einmal seinem Herrn, quer über dessen Hals liegend, beunruhigende Träume und Alpdrücken.
Einst mußten mein Bruder und ich eine ganze Woche abwesend sein. Der Luchs ward unterdessen menschenscheu, suchte uns laut schreiend mit großer Unruhe und wählte, schon am zweiten Tage auswandernd, einen nahe gelegenen Birkenwald zu seinem Aufenthalte, ohne Nahrung aus der Küche zu erhalten. Nur des Nachts kehrte er noch auf seinen gewohnten Platz am Schornsteine des Hauses zurück. Seine Freude bei unserer nächtlichen Rückkehr nach so langer Trennung kannte keine Grenzen. Wie ein Blitz flog er vom Dache hernieder an meinen Hals, bald meinen Bruder, bald mich mit seinen innigen Liebkosungen fast erdrückend. Von Stunde an kehrte er zu seiner gewohnten Lebensweise zurück und gab abends wieder, hinter dem Rücken meiner uns vorlesenden Mutter, auf dem Sopha lang ausgestreckt, gemüthlich schnurrend, gähnend oder tüchtig schnarchend, allen Gästen ein seltenes, äußerst fesselndes Schauspiel ab.
Sein Ehr- und Schamgefühl war ebenfalls nicht unbedeutend entwickelt. Aus den Fenstern des Gutsgebäudes beobachtete ich eine eigenthümliche, das Gesagte darthuende Scene. Der große Teich war im November mit einer Eisdecke belegt, nur in der Mitte war für die Gänseherde ein Loch ausgehauen worden und von der schnatternden Schar dicht besetzt. Mein Luchs erblickte dies mit lüsternen Augen. Platt auf die Eisdecke gedrückt, schiebt er sich nur rutschend weiter heran, mit seinem Schwänzchen vor Begierde hastig hin- und herwedelnd. Die wachsamen Nachkommen der Kapitolserretter werden unruhig und recken die Hälse bei der drohend nahenden Gefahr. Jetzt duckt sich unser Jagdliebhaber, und wie ein Schleudergeschoß fliegt mit gespreizten Pranken [499] im Bogen mitten in die erschreckte Sippe der grimme Feind, nicht ahnend, auf welch trügerischem Elemente die heißersehnte Beute ruht. Statt mit jeder Tatze eine Gans zu erfassen, klatscht der Luchs ins kühle Naß; denn alles Federvieh war rasch zum Loche hinausgesprungen oder geschwind untergetaucht. Jetzt gab ich die auf dem spiegelhellen Eise verwirrten Gänse als verloren auf; aber statt nun leicht Herr über die armen Vögel zu werden, schlich triefend, mit gesenktem Kopfe, Scham in jeder Bewegung zeigend, nicht rechts und links schauend, mitten durch die Wehrlosen der Luchs sich fort und verbarg sich auf viele Stunden an einem einsamen Platze. Hunger, Jagdlust und angeborene Blutgier konnten die Beschämung über den verfehlten Angriff nicht unterdrücken.
Bei der diesem Luchse stets gewährten freien Bewegung war er immer munter, ausdauernd und zum Spielen aufgelegt. Durchaus Feinschmecker, nahm er gern nur frisches Schlachtfleisch, Wildpret und Geflügel entgegen. Ob auch unregelmäßig genug gefüttert wurde, da auf dem Lande frisches Fleisch zuweilen mangelt, und er nach Tagen, deren Ordnung oft Hunger und Prügel für lose Streiche war, nicht immer Leckerbissen erhielt, so war seine Gesundheit dennoch dermaßen in gutem Stande, daß, als er einst im Winter stark gesalzenes, gebratenes Schweinefleisch reichlich genossen, die Nacht darauf bei 10 bis 12 Grad Kälte auf dem Dache geschlafen und dadurch einen sehr heftigen, bei gefangenen Wildthieren sonst tödtlich wirkenden Darmkatarrh sich zugezogen hatte, er ohne alle Arzneien in kurzer Zeit wieder hergestellt war, ohne später je Folgen dieser gefährlichen Krankheitserscheinung zu verspüren.
Der eigenthümlichste Zug an Lucy war der glühende Haß gegen die verwandte Hauskatze. Bis Wintersanfang waren alle Katzen auf dem Panten'schen Gehöfte ausgerottet. Mit gräßlicher Wuth wurden sie zerfleischt. Eine einzige, sehr beliebte Katze blieb, von den Hofleuten in der Gesindeherberge sorgfältig geschützt, längere Zeit unversehrt. Der Luchs durfte nie dorthin, und die Katze wurde nie herausgelassen. Eines Tages bemerkte ich Lucy unweit des Hauses auf einem großen Haufen von Findlingsblöcken zusammengekauert liegen. Kein Rufen, kein Locken konnte das sonst so gehorsame, gern gesellige Thier entfernen. Mit einer Geduld und Ausdauer, welche man an dem stets unruhigen, beweglichen Geschöpfe sonst nicht wahrgenommen, verharrte dasselbe auf seinem Posten. Schon fürchtete ich ein Unwohlsein, da auch ein schwacher, sonst sehr gemiedener Regen den Luchs nicht zur Veränderung seiner Stellung brachte, und legte mich auf das Beobachten, als er plötzlich nach stundenlangem Lauern wie ein Blitz herniederfuhr. Ich hörte ein entsetzliches Geschrei, und hinzueilend, fand ich die letzte der verhaßten Katzen zerrissen, unter des Luchses furchtbaren Krallen zuckend. Ob er den Feind unter den Steinen gewittert oder denselben hatte hineinkriechen sehen, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. Nur einmal wagte ich es, Lucy zu einem Besuche auf ein benachbartes Gut mitzunehmen. Wir waren kaum eine Stunde dort, so meldete schon der Diener, daß die weißbunte Katze soeben vom Luchse erwürgt worden sei. Auch auf Bauernhöfen war immer sein erstes Geschäft das Aufsuchen und Tödten der Katzen, welche instinktiv einen ärgeren Abscheu und größere Furcht vor ihm als vor dem bissigsten Jagdhunde zeigten, dem sie niemals ohne heftige Gegenwehr unterlagen, während der Luchs mit allerdings größerer Gewandtheit widerstandslos ohne Unterschied des Geschlechtes und der Größe alle Katzen augenblicklich zerriß.
Nachdem ich diesen Luchs dem damaligen Bürgermeister zu Walk, einem großen Thierfreunde, geschenkt hatte, konnte ich ihn nicht mehr selbst beobachten; doch brachte ich noch Nachstehendes in Erfahrung. Unsere Luchsin begehrte während des vierjährigen Aufenthaltes in der Stadt kein einziges Mal. Die Ranzzeit ging in der Gefangenschaft scheinbar spurlos an ihr vorüber. Wildheit oder Bosheit traten niemals hervor. Durch den sehr hohen Preis verlockt, hatte der Bürgermeister, welcher leider auch Kaufmann war, unbegreiflicher Weise das schöne Thier schließlich an eine durchziehende Thierbude unter der Bedingung verkauft, es einige Wochen später zur Empfangnahme nachzuschicken. In den Holzkäfig gesetzt, erhielt der arme Luchs auf dem schneeüberfüllten [500] löcherreichen Wege einige durch Rütteln verursachte, scheinbar unbedeutende Stöße, infolge deren er noch vor Erreichung des Reisezieles mit Tode abging.«
Nicht allein des großen Schadens halber, welchen der Luchs in wohlgepflegten Wildgehegen oder auf herdenreichen Alpen anrichtet, sondern auch um des Vergnügens willen, welches solches Weidwerk jedem zünftigen Jäger bereitet, wird der Luchs aller Orten, wo er vorkommt, eifrigst gejagt. Wenn man in den Schweizeralpen einen Luchs spürt, bietet man, laut Tschudi, alles auf, des gefährlichen Räubers habhaft zu werden; doch finden regelmäßige Luchsjagden bei der Seltenheit des Raubthieres nicht statt, und in der Regel ist es der glückliche Zufall, welcher dem Schützen die Beute liefert. Anders verhält es sich in zugänglicheren, leichter jagdbaren Gegenden, insbesondere im Norden, wo allwinterlich regelmäßig Luchsjagden angestellt werden. Man erbeutet das Raubthier auf viererlei Weise: durch gestellte, gut geköderte Eisen, vermittels der Reize, auf Treibjagden und mit Hülfe der Koppelhunde. Mit dem Stellen von Eisen ist es ein misliches Ding; denn der Luchs streift, so sicher er auch einen passenden Wechsel einhält, im ganzen doch zu weit umher, als daß man auf sicheren Erfolg rechnen könnte, vermeidet auch oft, wie der im fürstlich Liechtenstein'schen Reviere Rosenbach hausende allen Jägern zum Ueberdrusse bewies, Fallen sehr vorsichtig, nimmt sogar den Köder vom Eisen weg, ohne sich zu fangen, bis er es im günstigen Falle endlich doch einmal versieht. Gefangen verfällt er in beispiellose Wuth, ja in förmliche Raserei. »Diejenigen«, sagt Kobell, »welche lebende Luchse im Schlageisen getroffen haben, sind oft Zeuge ihrer Wildheit gewesen, besonders wenn das Eisen nur eine Vorderpranke gefaßt hatte. Kam der Jäger dazu, so zog der Luchs, rückwärts kriechend, das Eisen, welches immer mittels einer Kette an einem starken Baume oder einer Latschenwurzel befestigt ist, mit sich, soweit er konnte und richtete, furchtbar grinsend, seine wüthenden Blicke auf den Herannahenden. Glaubte er, den Feind erhaschen zu können, so versuchte er es, wenn er dessen noch fähig, mit einem so gewaltigen Satze, daß es gräulich zu schauen war. Meist hatte er sich die Krallen an einer freien Pranke von der gewaltigen Anstrengung, sich zu befreien, ausgerissen und die Fänge gebrochen. Und dennoch hat der Jäger Maier vom Oberwinkel einige gefangene Luchse lebend aus dem Eisen gelöst und geknebelt im Rucksacke nach Tegernsee getragen. Er führte es in der Art aus, daß er eine gefällte junge Tannenstange über dem Luchse unter die Baumwurzel steckte, welche das Eisen hielt, den Luchs dann damit auf den Boden niederdrückte, und, indem er sich auf die Stange legte, gegen ihn hinrutschte. Dann fing er die Pranken mit starken Schlingen und steckte ihm einen Knebel in den Rachen. Ein so gebändigter Luchs wurde einmal bis München getragen, wo ihn König Maximilian I. besah.« Sicherer dürfte die Reize zum Ziele führen, obgleich sie im Norden, laut Nolcken, niemals angewendet wird. Daß aber der Luchs auf den nachgeahmten Ruf eines Rehes, Hasens oder Kaninchens herbeikommt und einem gut verborgenen Jäger zur Beute werden kann, unterliegt, nach dem was von seinem Verwandten, dem Pardelluchs, uns bekannt geworden, keinem Zweifel, wird auch durch Kobell unmittelbar bestätigt; denn dem noch Ausgang der fünfziger Jahre lebenden Jäger Agerer kam im Jahre 1820 auf den Rehruf eine Luchsin mit drei Jungen zum Schuß. Ueber Treibjagden berichtet neuerdings Nolcken in ebenso eingehender wie sachgemäßer Weise. »In den meisten Fällen«, sagt er, »ist es leicht, den Luchs zu kreisen; doch hat dies auch manchmal seine Schwierigkeiten. Er schleicht gern auf stark zertretenen Hasenwechseln, wo seine Spur oft nur schwer zu erkennen ist, liebt befahrene Wege zu begehen und wirft sich, wie schon bemerkt, von ihnen aus mit gewaltigen Sprüngen in ein Dickicht hinein, sodaß man seine Spur plötzlich verliert. Beim Treiben selbst hat man ganz anders zu verfahren als beim Fuchstreiben. Nur wenige Thiere lassen sich selbst durch eine geringe Treibwehr leichter treiben als der Fuchs, kein einziges aber schwerer als der Luchs. Dies begründet sich auf das durchaus verschiedene Wesen beider Thiere. Der Luchs ist ein scheues und vorsichtiges Raubthier, besitzt aber in hohem Grade jene Ruhe und jene besonnene Geistesgegenwart, welche allen Katzenarten eigen zu sein scheint. Er meidet den Menschen, fürchtet jedoch keinen Lärm. Daher kommt es, daß er sein [501] Lager häufig hart an einem viel befahrenen Wege aufschlägt. Man kann daher, wenn man nur vermeidet in die Dickung einzudringen, alle lichten Theile getrost abschneiden, denn man macht ihn durch solche Kleinigkeiten gewiß nicht rege. Aber man muß über eine große Menge Treiber verfügen, sonst nimmt das Versteckenspielen kein Ende, und wen man nicht zu Gesicht bekommt, ist der Luchs. Selbstverständlich hängt dies von der Oertlichkeit ab. Befinden sich Dickungen im Rücken der Schützen, hängen dieselben vollends durch einen mehr oder weniger breiten Streifen, in welchem dann unfehlbar der Wechsel zu suchen ist, mit dem Dickichte des Treibens zusammen, so ist Hoffnung da. Ist letzteres dagegen inselartig von lichtem Walde umgeben oder gar von Flächen umschlossen, so ist meist alle Mühe vergebens. Der Luchs läßt die Treibwehr sehr nahe heran, merkt sich die Zwischenräume und bleibt häufig ruhig liegen. Muß er aber heraus, so eilt er durchaus nicht schnurstracks davon, sondern überlegt, horcht, vermeidet den einzelnen Treiber, duckt sich in einen der Zwischenräume und läßt die Treiber vorbei. Man muß daher nach mislungenem Treiben mit bereitgehaltenem Schlitten so rasch als möglich wieder kreisen; denn der Luchs geht am Tage nicht weit und kann gekreiset und getrieben werden, so lange es hell ist. Ein zweiter oder dritter Trieb bietet manchmal mehr Aussicht als der erste, indem der Luchs seine Nothschlupfwinkel leichter verläßt als seine Lagerplätze. Die Schützen müssen besonders aufmerksam sein, wenn die Treibwehr schon beinahe durch ist; denn kommt der Luchs, so erscheint er meist so spät als möglich. Er kommt im Dickichte fast immer im Schritte, katzenartig geschlichen, gewöhnlich unhörbar und schlägt sehr leicht und blitzschnell um. Bemerkt er den Jäger, oder hat er sonst Mistrauen, so springt er so unvermuthet und blitzschnell über den Schußraum, daß man nicht zum Schusse kommt, geht dann aber bald darauf, wenn er den gefährlichen Uebergang bewerkstelligt hat, meist wieder langsamer und minder vorsichtig seines Weges fort. Die Jagd mit dem Koppelhunde ist anziehender und sicherer als die Treibjagd. Der dazu nothwendige Hund muß ein guter, möglichst starker und rascher Hasenhund sein; besitzt er noch dazu die Eigenschaft, dazwischen still zu jagen, so erfüllt er alle zur Luchsjagd nöthigen Bedingungen. Hauptsache ist jedoch die Schnelligkeit; denn mit einem langsamen Schnüffler ist nicht viel zu machen. Ein guter Hund, welcher einige Male den Luchs gejagt hat, wird so fest, daß er sich durch keine Hasenspur mehr stören läßt. Hat man nun einen Luchs gekreist, so besetzt man die muthmaßlichen Wechsel mit Schützen, läßt den Hund an der Leine bis zum Lager führen und dort frei jagen. Es kann sodann der Luchs dem Schützen auf dem Wechsel vor den Lauf kommen, sich irgendwo dem Hunde stellen oder zu Baum gehen, und in beiden letzteren Fällen dem Jäger verhältnismäßig leicht zur Beute werden, da ihn der heisere, wüthende Standlaut des Hundes verräth. Bei strenger Kälte oder wenn der Schnee sehr trocken ist, jagt übrigens der Hund schlecht und verliert häufig die Spur. Doch auch bei günstigen Verhältnissen geht die Jagd nicht immer gleich gut. Der Luchs versteht sich auf Haken, Widergänge und Absprünge, läuft auf den Stämmen halb umgestürzter Bäume dahin, die ganze Länge des Baumes durchmessend und schließlich mit gewaltigem Satze seitwärts in die Büsche sich schlagend, und wendet noch unzählige andere Kunststückchen an, um den Hund zu täuschen. Einem langsamen Rüden gegenüber gelingt ihm dies in den meisten Fällen, auch wenn er selbst nicht eben rasch ausschreitet. Letzteres thut er überhaupt nur, wenn ihm ein rascher Hund auf den Fersen ist und ihn sehr beschäftigt; denn vor einem langsamen beeilt er sich durchaus nicht: ist er sich doch seiner überlegenen Kraft und seiner furchtbaren Waffen wohl bewußt und vermeidet den Hund eigentlich nur des lieben Friedens willen. Bloß vor einem raschen Hunde entschließt er sich in der Regel, die Dickungen zu verlassen. Hört man den Hund Standlaut geben, so beeilt man sich, birscht sich aber vorsichtig an ihn an, um ihn nicht zu verscheuchen, falls er sich auf den Boden gestellt haben sollte. Hat er gebäumt, so fängt man vor allen den Hund ein und schießt erst dann, um den Hund zu verhindern, den vielleicht noch nicht ganz todten Feind anzupacken und sich größerer Gefahr auszusetzen.« Nolcken räth, immer nur mit einem Hunde zu jagen, weil dieser allein schwerlich dazu sich entschließen wird, den Luchs anzupacken, eine Meute hingegen das Raubthier angreift und [502] gewöhnlich empfindlichen Verlust erleidet. Wie einer der Bediensteten des genannten trefflichen Jägers beobachtete, wirft sich der Luchs bei Vertheidigung gegen die Hunde auf den Rücken und gebraucht dann alle vier Pranken mit staunenswerther Sicherheit und oft verhängnisvollem Erfolge.
Wie wenig der Luchs aus dem Jagdlärmen sich macht, geht aus einem Geschehnis hervor, dessen Wahrheit Nolcken verbürgt. »Der Höllenlärm der Treiber war bereits ganz nahe zu hören, als ein Luchs erschien. Noch war er etwas zu weit entfernt von den Schützen, um eine Ladung zu erhalten, als ein weißer Hase, gleichfalls durch die Treiber gehoben, schräg zwischen ihm und den Schützen hindurch rutschte. Unbeirrt durch all den Lärm konnte der Luchs nicht sich enthalten, auf denselben zu fahnden und that seine gewohnten drei bis vier Sätze. Er bekam den Hasen zwar nicht, wohl aber eine wohlgezielte Postenladung, wie er es auch verdiente.«
In der Regel vermeidet der Luchs es ängstlich, mit dem Menschen näher sich einzulassen; verwundet oder in die Enge getrieben aber greift er denselben tapfer oder verzweiflungsvoll an und wird dann zu einem keineswegs zu verachtenden Gegner. »Es war in den letzten Tagen des Februar«, schildert der Schwede Aberg, »als ich eine Luchsspur fand. Da die Gegend stark von Wölfen besucht wurde, so hatte ich dem Hunde das Stachelkleid angelegt. Nach einer Jagd von zwei bis drei Stunden wurde der Luchs endlich müde und stellte sich unweit einer Birke, wo der Hund Standlaut gab, bis ich hinzukommen und schießen konnte. Wohl mochte indeß die Entfernung zu groß sein; denn der Schuß hatte nicht gleich die entscheidende Wirkung, und mit dem anderen Laufe zu schießen war unmöglich, indem der Luchs mit einem Satze auf den Hund sich warf. Nun entstand ein heftiger Kampf, welchen ich durch meine Dazwischenkunft abzubrechen suchte. Dies gelang auch insofern, als der Luchs zwar den Hund losließ, dafür aber mit seinen Klauen auf der Stelle in eine meiner Lenden sich vergriff. Da ich die Klauen sehr scharf und unbehaglich fand, machte ich einen kräftigen Versuch, mich dem Luchse zu entreißen, was aber nicht besser gelang, als daß ich mit dem Gesichte in den Schnee fiel. Dabei bekam ich das Thier, welches seinen Fang nicht fahren lassen wollte, auf mich; der Hund aber, welcher sich frei und ledig fand, befreite mich von dem ungebetenen Gaste und setzte den Kampf so lange fort, bis der Luchs endlich die Segel streichen mußte. Der Hund ist übel zugerichtet, und hätte ihm nicht das Stachelkleid Leib und Hals geschützt, so würde er den Kampf gewiß nicht überlebt haben. Eine andere Geschichte ähnlicher Art erzählt die Jagdzeitung. Ein Hirt in Galizien wurde durch den Angstschrei seines Viehes aufmerksam gemacht und sah, daß ein ihm unbekanntes Raubthier in die Herde gerathen und aus deren Mitte ein Schaf sich ausgesucht hatte. Nur mit einem Knittel bewaffnet, stürzte er auf den Räuber los, wähnend, es sei ein feiger Wolf, wie er solchem schon oft den Schädel mit dem Knüppel gestreichelt. Diesmal aber gings nicht so. Als das Raubthier den Hirten herankommen sah, ließ es rasch das Schaf zur Erde fallen, nahm den Mann mit einigen Sätzen an und umfaßte ihn so unsanft mit den Vorderkrallen beim Oberleibe, daß der Hirt, welcher seinen Irrthum hinsichtlich des Wolfes erkannt hatte, laut um Hülfe zu rufen begann. Einige in der Nähe beschäftigte Arbeiter eilten herbei und fanden Hirt und Luchs noch immer in der früheren Stellung. Sie hieben sofort mit Knüppeln auf den Räuber los, bis dieser endlich von seinem Opfer sich trennte und halb todt zu Boden sank, wo ihm einige Dutzend Hiebe den Garaus machten.«
Um den letzten Luchs, welcher in Deutschland erlegt wurde, nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, will ich seine Jagdgeschichte hier folgen lassen, so wie sie mir der glückliche Jäger, Förster Marx aus Wiesensteig in Würtemberg, mitgetheilt hat. »Der Winter von 1845 auf 1846 war gelinde und schneearm; dennoch hauste zur Zeit in den würtembergischen Wäldern ein Wolf, welcher unter dem Namen ›Abd el Kader‹ bei den Forstleuten wohl bekannt war, eifrig verfolgt und endlich auch erlegt wurde. Mitte Januars hörte man wenig von ihm, aber gerade in dieser Zeit fand ich im Staatswalde Pfannenhalde unweit Reißenstein eine Stelle, wo ein Reh zerrissen worden war. Die großen Fetzen, welche von der Haut dalagen, ließen mich alsbald auf ein [503] größeres Raubthier schließen. Natürlich hatte ich den Wolf in Verdacht und verdoppelte nun meine Aufmerksamkeit. Da es aber keinen Schnee gab, konnte ich nur an der steten Flüchtigkeit der Rehe beobachten, daß es im Reviere nicht sauber sei, vermochte jedoch nicht, etwas verdächtiges zu bemerken. In der Nacht vom 11. zum 12. Februar 1846 fiel endlich ein neuer Schnee, und ich stellte alsbald meine Untersuchungen an. Am 13. Februar fand ich eine verdächtige Fährte; das Raubthier hatte auf einer lichten Stelle ein Reh geraubt und es an dem nahgelegenen Bergabhange gegen die Ruine Reißenstein hingeschleppt. Das Reh hatte auf einer holzlosen Stelle Heide geäßt und war von seinem Mörder beschlichen worden. Derselbe hatte sich durch einen Buchenbusch verdeckt und von diesem aus, wie sich im Schnee deutlich zeigte, einen Satz von etwa fünf Meter Weite gemacht. Das Reh hatte zu entrinnen versucht, war aber durch einen zweiten Satz erreicht worden. Das Raubthier hatte es dann getödtet und weiter geschleppt.
Die Fährte war mir räthselhaft, zumal ich an dem Gange wohl erkannte, daß sie nicht von einem Wolfe herrühre. In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar fiel Thauwetter mit Sturm ein, und der wenige Schnee war denn auch bald geschmolzen. Ich machte mich aber mit Anbruch des Morgens in Begleitung zweier Waldschützen schon vor Tagesanbruch auf den Weg, um zu kreisen. Lange Zeit spürten wir vergebens; nachmittags aber konnten wir sagen, daß das fremde Thier in der Bergwand von der Neidlinger-Reißensteiner Steige an bis zum sogenannten Pfarrensteig liege. Es war zweimal aus den Bergabhängen auf die Ebene und dreimal auf den Berg hinauf zu spüren; doch entdeckten wir die Fährte, welche infolge des Sturmes verweht und theilweise schon ganz verwischt war, nur nach sehr langem Suchen. Es war ein Stück schwerer Weidmannsarbeit.
Ich schickte nun nach Neidlingen nach Schützen; diese aber antworteten mir, sie würden nicht mit gehen, außer wenn man den Wolf frisch spüre, nur dann wollten sie kommen. Ich wußte gewiß, daß das Raubthier in der fraglichen Bergwand steckte, allein es war schon nachmittags drei Uhr, und so blieb mir nichts weiter übrig, als den Verwalter von Reißenstein um einen Knecht zu bitten, welchen ich als Treiber verwandte. Derselbe wurde unterrichtet, möglichst still an den Felsen hinzugehen; ich aber stellte mich mit meinen zwei Waldschützen vor. Der erste Trieb blieb erfolglos; im zweiten jedoch und zwar ganz in der Nähe der Ruine Reißenstein kam mir das Raubthier auf der nordöstlichen Ecke der Ruine zu Gesicht. Es schlich sich so nahe an dem Felsen hin, daß ich es nur einen Augenblick sehen konnte, und zwar bloß am Hindertheile, doch war mir dies genug, zu erkennen, daß es kein Wolf sei; denn für einen solchen war die Ruthe viel zu kurz. Gleichwohl wußte ich noch immer nicht, welchen Gegner ich vor mir habe. Ich stand auf einem Felsen und hatte eine ziemlich weite Umschau; allein das Thier mochte mich wohl auch gesehen haben, denn es fiel plötzlich in eine große Flucht; doch bekam ich weiter bergabwärts Gelegenheit, in dem Augenblicke, als es wieder einmal auf den Boden sprang, zweimal zu feuern. Es stürzte in die vorhandenen Büsche und verendete dort nach wenigen Schritten. Jetzt erkannte ich freilich, mit welchem Feinde meiner Schutzbefohlenen ich es zu thun gehabt hatte. Es war ein starker männlicher Luchs von der Größe eines mittleren Hühnerhundes und sehr schöner Färbung, prachtvoll getigert an den Vorderläufen, dem Gebisse nach höchstens vier bis fünf Jahre alt; sein Gewicht betrug achtundvierzig Pfund. Mein Schuß war ihm durchs Herz gegangen.
Erst später konnte ich im Schnee noch ausspüren, daß der Luchs auf der nordwestlichen Ecke der Ruine in einer kleinen Felsenhöhle sein Lager hatte. Dasselbe war vortrefflich gewählt; denn das Thier lag versteckt und ganz trocken.«
Der Balg des Luchses gehört zu dem schönsten und theuersten Pelzwerke, obwohl die Haare spröde sind und nach längerem Gebrauche springen. Ein Balg kostet 45 bis 60 Mark, und die schönsten, nämlich die, welche aus Sibirien kommen, werden selbst an Ort und Stelle mit 6 bis 16 Rubeln bezahlt, weil die reichen Jakuten sehr gern damit ihr Kleid verzieren. Dabei sind die Häute der Vorderläufe noch nicht einmal mitgerechnet; denn diese werden abgenommen[504] und mit 4 1/2 bis 3 1/2 Rubel das Paar bezahlt. Ein Fell des Luchses wird dort drei Zobelfellen (ohne Schnauze) oder sechs Wolfs-, zwölf Fuchs- und hundert Eichhornfellen im Werthe gleichgestellt. Die Luchse des östlichen Sibiriens kommen, laut Radde, ausschließlich in den chinesischen Handel und werden von den mongolischen Grenzvölkern besonders begehrt. Man tauschte noch vor etwa zwanzig Jahren bei den Grenzwachen am Onon vorzüglich die hellen Felle vortheilhaft ein und trieb deren Werth bis auf 25 und 30 Rubel Silber oder 60 bis 70 Ziegel Thee. Rothe Luchse sind viel billiger, werden aber immer noch mit 4 bis 7 Rubel Silber bezahlt. Nach Aussage der Dauren kaufen nur die hohen chinesischen Beamten derartige Felle. Lomer gibt an, daß alljährlich aus Sibirien 15,000, aus Rußland und Skandinavien 9000 Luchsfelle in den Handel kommen.
Luchsfleisch galt und gilt überall als schmackhaftes Wildpret. Ende des sechszehnten Jahrhunderts sandte Graf Georg Ernst von Henneberg, laut Landau, zwei von seinen Jägern erlegte Luchskatzen nach Kassel an Landgraf Wilhelm. »Als thun wir Euer Liebden«, schreibt er, »dieselbigen wohl verwahrt und in dem Verhoffen, daß sie Euer Liebden nach Gelegenheit dieser noch währenden Winterszeit frisch zugebracht werden können, überschicken. Freundlich bittend, daß Euer Liebden wolle solche für lieb und gut annehmen und deroselben neben Ihrer Gemahlin und junger Herrschaft in Fröhlichkeit und guter Gesundheit genießen und wohlschmecken lassen.« Kobell, dessen Wildanger ich diese Angabe entnehme, bemerkt auch, daß noch zur Fürstenversammlung zu Wien im Jahre 1814 öfters Luchsbraten auf die Tafel der Herrscher gebracht wurde, sowie daß im Jahre 1819 Auftrag gegeben wurde, einen Luchs zu fangen, da dessen Wildpret dem König von Bayern als ein Mittel gegen den Schwindel dienen sollte. »Auch in Livland«, schreibt mir Oskar von Loewis, »wird das Luchsfleisch von vielen Leuten, nicht nur der arbeitenden Klassen, sondern auch der besseren Stände, gern gegessen und sogar geschätzt. Es ist zart und hellfarbig, dem besten Kalbfleische ähnlich und hat keinen unangenehmen Wildbeigeschmack, läßt sich vielmehr etwa mit dem der Auerhühner vergleichen. Die Amur-Eingeborenen sowohl wie alle zu ihnen kommenden mongolischen und mandschurischen Kaufleute erklären es, laut Radde, für besonders schmackhaft, und auch die Weiber sind von dem Genusse dieses Fleisches nicht ausgeschlossen, wie dies beim Tigerfleische der Fall ist.«
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Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«
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