Rackelhuhn (Tetrao hybridus)

[47] Das Rackelhuhn oder Mittelhuhn (Tetrao hybridus, medius, intermedius, urogallides, urogalloides, urogallo-tetricides und urogallo-tetrix), der Blendling zwischen Auer- und Birkhuhn, steht, was Gestalt und Färbung anlangt, ziemlich in der Mitte zwischen seinen beiden Stammeltern, gibt sich aber keineswegs »auf den ersten Blick hin« als Blendling zu erkennen. Besonders merkwürdig wird es aus dem Grunde, weil seine Färbung eine sehr regelmäßige, d.h. bei den einzelnen Stücken im wesentlichen gleichartige ist. Der Hahn ist auf dem Oberkörper entweder rein schwarz und glänzend oder auf schwarzem Grunde überall mit grauen Punkten und seinen Zickzacklinien gezeichnet, auf dem Oberflügel schwärzlichbraun und grau durch einander gewässert; über die Schwungfedern zweiter Ordnung verläuft eine breite, unreinweiße Binde und eine solche Spitzenkante; der seicht ausgeschnittene Schwanz ist schwarz, am Ende der Federn zuweilen weiß gesäumt, das Gefieder der Unterseite schwarz, auf dem Vorderhalse und Kopfe purpurschillernd, an den Seiten grau überpudert, auch wohl weiß gefleckt, die Befiederung des Beinen weiß, die der Fußwurzel aschgrau.


Rackelhuhn (Tetrao hybridus). 1/4 natürl. Größe.
Rackelhuhn (Tetrao hybridus). 1/4 natürl. Größe.

Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel hornschwarz. Das Weibchen ähnelt bald der Auer-, bald der Birkhenne, unterscheidet sich aber von jener immer [48] durch geringere, von dieser durch bedeutendere Größe. Sehr häufig mag es für eine Birkhenne angesehen werden. Die Länge des Männchens beträgt fünfundsechzig bis fünfundsiebzig, die des Weibchens fünfundfunfzig bis sechzig Centimeter.

Das Rackelhuhn ist überall gefunden worden, wo Auer- und Birkhähne neben einander leben: in Deutschland, in der Schweiz, vornehmlich aber in Skandinavien. Hier werden, laut Nilsson, alljährlich derartige Blendlinge gefangen oder erlegt. Am häufigsten hat man sie in dem nördlichen Theile von Wermeland beobachtet; auch in Norwegen können sie nicht selten sein, da, laut Collett, allwinterlich einige auf den Wildmarkt zu Christiania gebracht werden. Der Rackelhahn hat keine besonderen Balzplätze, sondern findet sich auf denen des Birkhahnes, seltener auf denen des Auerhahnes, ein, regelmäßig zum Aerger der balzenden Hähne und der Jäger; denn im Bewußtsein seiner Stärke geht er mit allen Birkhähnen Kämpfe ein, jagt sie auseinander und treibt sie schließlich in die Flucht, stört mindestens das gewöhnliche Zusammenleben der balzenden Hähne auf das empfindlichste. Die Laute, welche er beim Balzen aufstößt, bestehen in einem röchelnden und grobgur gelnden »Farr, farr, farr«, welches etwas mehr Aehnlichkeit mit dem Balzen des Birkhahnes als mit dem des Auerhahnes hat. Er schleift aber weder, noch thut er einen Hauptschlag wie der Auerhahn, sondern bläst gegen das Ende des Balzens hin wie der Birkhahn, nur weit stärker. Kein einziger Beobachter will gesehen haben, daß er nach dem Balzen die Birkhennen betritt; doch hat diese Behauptung wenig zu bedeuten, da man auch von der Begattung des Auer- und Birkwildes nur in Ausnahmefällen Zeuge wird und das vereinzelte Vorkommen des Rackelhahnes die Beobachtung noch besonders erschwert.

Ueber sein Freileben danke ich dem Kronprinzen Rudolf von Österreich, welcher das Glück hatte, im April 1877 in Böhmen einen dieser Blendlinge zu erlegen, bemerkenswerthe Mittheilungen. Eingeladen von dem Jagdherrn, diesen Rackelhahn abzuschießen, wurde der hohe Herr von den betreffenden Jagdbeamten zu einem Balzplatze von Birkwild geleitet, auf welchem der Rackelhahn die einstiebenden Birkhähne stets zu überfallen und nach kurzem Kampfe zu vertreiben pflegte. »Als ich mich dem Waldrande näherte und auf ein kleines, vom offenen Felde nur durch ein Wäldchen geschiedenes Feld gelangt war«, erzählt der Erzherzog, »begegnete ich einem Jäger, welcher mir sagte, daß er soeben den Rackelhahn am anderen Ende dieses Feldes am Waldsaume entdeckt habe. Ich blickte hin und sah wirklich die Gestalt eines großen Vogels, dessen dunkles Gefieder sich deutlich vom hell beleuchteten Sandboden abhob. Im ersten Augenblicke erinnerte mich sein Aussehen an das eines kleinen Auerhahnes, nicht aber an das eines Birkhahnes; je mehr ich ihn betrachtete, um so deutlicher fiel mir jedoch, so weit ich auf die große Entfernung hin urtheilen konnte, das von beiden Stammeltern so überaus verschiedene Wesen auf. Der langsame Gang mit großen, bedächtigen Schritten, die Art, Nahrung vom Felde zu suchen, die mehr wagerechte Haltung: alles dies war ganz eigenthümlich und eher dem Gebaren eines Fasanes als eines Rauchfußhahnes ähnlich; auch erstaunte ich, ein Waldhuhn in den ersten Nachmittagsstunden auf dem Felde umherlaufen zu sehen. Doch trug ich in dieser Beziehung der Ebene Rechnung, welche bekanntlich die Sitten und Gewohnheiten der vorwaltend im Hochgebirge lebenden Thiere wesentlich verändert, um so mehr, als ich später Gelegenheit hatte, zu beobachten, daß auch die Birkhähne der Gegend den Wald verlassen, um in den frühen Morgenstunden oder abends in die Felder zu streichen. Die Jäger sagten mir, der Hahn halte sich immer in der Nähe des Platzes auf, bei welchem ich ihn gesehen hätte, komme erst des Abends in das Moor, oft bis in unmittelbare Nähe des Dorfes, woselbst sein und mehrerer Birkhähne eigentlicher Balzplatz war, streiche beim Beginn der Dunkelheit dann in bedeutende Höhe über das Moor hinweg und dem nahen Walde zu, um tief drinnen in einem höheren Föhrenbestande, meistens auf derselben Stelle, zu übernachten, sei aber morgens, mit Beginn der Morgenröthe, stets auf dem Balzplatze im Sumpfe zu sehen.« Der Erzherzog schildert nun seine glückliche Jagd und fährt dann fort wie folgt: »Die Gestalt dieses Vogels kann, wenn er steht, als eine schlanke bezeichnet werden; denn der Körper, welchen er besonders [49] beim Gehen ziemlich wagerecht hält, sieht länglich gestreckt aus. Trippelt er, sich sicher fühlend, ruhig umher, so hebt er die Füße hoch auf und schreitet mit den allen größeren Hühnerarten eigenen Hahnschritten umher. Bei dieser Gelegenheit erinnerten mich seine Bewegungen am meisten an die des Fasanes. Als ich ihn anschlich und vom Walde aus erblickte, bevor er mich gewahrt hatte, stand er mit tief eingezogenem Kopfe und schlaff herabhängenden Flügeln, und das ganze Bild war das eines überaus trägen und verschlafenen Vogels. Da die Menschen ihm bisher nichts zu Leide gethan hatten, und er unter den Vögeln seines Wohngebietes der stärkste war, schien er sich für unüberwindlich zu halten und trat deshalb nicht allein unvorsichtig, sondern dummdreist auf. Nach Versicherung der Jäger soll er sich bei Tage immer so träge und theilnahmslos gezeigt haben. Um so muthiger und zorniger erwies er sich am Balzplatze. Sobald ein Birkhahn erschien, griff er diesen an und vertrieb ihn nach kurzem Kampfe; seine viel bedeutendere Stärke und Größe verhalf ihm selbstverständlich stets zum Siege. Die Jäger sagten mir, daß er in der Balzzeit den Stoß fächerförmig, wie ein Auerhahn, ausbreite, das ganze Gefieder aufrichte und mit aufgeblähtem Halse den merkwürdigen Ruf, welcher ihm seinen Namen verschaffte, das sogenannte Rackeln, erschallen lasse. Dieser Ruf soll aus mehreren in ihrem Tone verschiedenen Absätzen bestehen. Den Beginn macht ein dem Schleifen des Birkhahnes ähnliches Rauschen; ihm folgt ein Glucksen, wie es der Auerhahn vernehmen läßt, und das Ende des Liedes, welches dem Hauptschlage des Auerhahnes verglichen werden muß und die höchste Verzückung ausdrückt, bildet das aus krächzenden und schnarchenden Tönen zusammengesetzte, laute, klanglose Rackeln, welches nach dem Ausdrucke der dortigen Leute nur mit dem Grunzen der Schweine zu vergleichen ist.

Besagter Rackelhahn war ein in jener Gegend schon seit geraumer Zeit bekannter Vogel. In den letzten Jahren wurden nicht weniger als ihrer drei beobachtet: der erste von ihnen war vom Jagdbesitzer an dem nämlichen Platze, wo ich den meinigen erlegte, abgeschossen, der zweite einige Jahre lang von den Jägern beobachtet und später in einem benachbarten Gebiete, welches er während der Balzzeit besuchte, von einem Bauern erbeutet, der dritte, welchen ich erlegte, schon einige Zeit vor der Balze in den benachbarten Feldern gesehen worden. Die Jäger behaupteten, auch eine große Birkhenne, welche sie als Rackelhenne ansprachen, gesehen zu haben, versicherten aber, daß dieselbe nur in den Nachbarrevieren sich aufhalte. Beachtenswerth ist, daß in allen diesen und auch in den nächsten angrenzenden Waldungen gar kein Auerwild sich aufzuhalten pflegt, und daß erst ziemlich weit davon, etwa zwei Stunden zu fahren, die Grenze des Verbreitungsgebietes des Auerwildes beginnt. Einige der Jäger behaupteten zwar, daß eine oder zwei vereinzelte Auerhennen ohne Hahn in diesen Wäldern vorkämen; andere hingegen stellten diese Angabe als unbegründet dar.«

Ueber das Gefangenleben hat Nilsson berichtet. »Ich habe«, sagt er, »nach einander drei Rackelhähne im Käfige gehalten und einen von ihnen fünf Jahre lang beobachtet. Im allgemeinen ist der Vogel mehr träge als lebhaft und sitzt fast den ganzen Tag über in ruhender Stellung, mit etwas aufgesträubten Federn, niederhängendem Schwanze und geschlossenen Augen auf seiner Stange. Außer der Frühlingszeit hört man fast nie einen Laut von ihm. Auch nachdem er fünf Jahre im Gebauer zugebracht hatte, war er noch wild und schüchtern; demjenigen, welcher sich dem Käfige näherte, wich er furchtsam aus. Dagegen zeigte er sich gegen kleinere Thiere und Vögel, welche zu seinem Behälter kamen oder von seinem Futter zu fressen suchten, zornig und wüthend, am meisten gegen den Frühling hin. Er rackelte dann auch mit einem grunzenden und knurrenden Laute, sperrte dabei den Schnabel weit auf und bedrohte jeden, welcher ihm sich näherte. Ende März oder zu Anfang des April, je nachdem das Frühlingswetter früher oder später eintrat, begann er zu balzen. Während der Balze ging er nun auch auf seiner Stange oder auf dem Boden des Gebauers hin und her, erhob den Schwanz und breitete ihn fächerförmig aus, ließ die Flügel sinken, sträubte die Halsfedern und richtete den weit geöffneten Schnabel nach oben. Die ersten Laute klangen tiefer als die letzteren, welche in besonderer Aufregung höher und heftiger ausgestoßen, aber doch kaum in einer Entfernung von hundertundfunfzig Schritten vernommen wurden. Im ganzen [50] bestand sein Balzen aus grunzenden, rasselnden oder knarrenden Lauten, welche er gleichsam hervorkrächzte. In demselben Garten mit ihm, jedoch in einem anderen Käfige, balzte ein Birkhahn, und man hatte somit Gelegenheit, beide zu vergleichen. Der Birkhahn erschien als ein Tonkünstler, welcher eine anmuthige Schäferweise mit Leichtigkeit und einem gewissen Wohlbehagen vorträgt: der Rackelhahn da gegen geberdete sich bei seinem Singen höchst wunderlich, und es kostete ihm sichtlich Mühe, sein rauhes Lied hervorzubringen; dennoch war in diesem ein gewisser Takt und Tonfall nicht zu verkennen. Er balzte den ganzen April hindurch und bis in den Mai hinein, aber nie zeitig des Morgens, sondern bloß am Tage, sowohl vor- wie nachmittags, und nur bei schönem Wetter, Sonnenschein, während oder nach einem warmen Regen. Im Herbste hört man ihn zuweilen auch ein wenig rackeln; während des übrigen Jahres war er stumm. Seine Nahrung bestand in Preißel- und anderen Waldbeeren, so lange solche zu haben waren; auch fraß er gern geschnittene Aepfel, weißen Kohl und anderes Grünzeug nebst Getreidekörnern.« Ich selbst erhielt im Jahre 1863 einen Rackelhahn, welcher in Schweden gefangen und bereits eingewöhnt worden war. Dieser Vogel erinnerte in seinem Betragen viel mehr an den Auerhahn als an den Birkhahn, bekundete namentlich die ernste Würde, welche ersteren auszeichnet. Von der Rauflust, die ersterem nachgesagt wird, zeigte er keine Spur; ein kampflustiger Birkhahn, welcher mit ihm in dasselbe Gehege gesperrt wurde, maßte sich im Gegentheile sehr bald die Oberherrschaft über ihn an und richtete ihn in einem Anfalle von Eifersucht derartig zu, daß der arme Blendling späterhin, sobald er seines Gegners ansichtig wurde, eiligst einem buschreichen Winkel zurannte, hier unter Gestrüpp ängstlich sich verbarg, gewöhnlich platt auf den Boden niederdrückte und nicht mehr muckste.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 47-51.
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