Die Räderthiere

[107] Schon die Krebse haben uns in solche Regionen der niederen Thierwelt geführt, wo das unbewaffnete Auge nicht mehr ausreicht, auch nur den äußeren Umriß der betreffenden Geschöpfe mit einiger Deutlichkeit zu erkennen. In demselben Falle befinden wir uns einer großen Klasse von Thieren gegenüber, deren Entdeckungsgeschichte eben wegen ihrer Kleinheit und ihres Vorkommens aufs innigste mit derjenigen der Infusorien verbunden war, und welche in der heutigen Lebewelt eine sehr eigenthümliche Stellung einnehmen. Der berühmte Verfasser einer Urkunde deutschen Fleißes, Christian Gottfried Ehrenberg in seinem Werke: »Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen«, hat gezeigt, wie man seit der Erfindung der Mikroskope theils aus bloßer Kuriosität, zur Ergötzung des Auges und Gemüthes, theils im wissenschaftlichen Drange allmählich sich mit dem »Leben im kleinsten Raume« vertraut machte, bis ihm selbst, dem großen Naturforscher, es vergönnt war, ein neues, nun erst klares Licht über diese mikroskopische Welt zu verbreiten, darin zu sichten, zu ordnen und die Räderthiere als eine in sich geschlossene Thierklasse von den eigentlichen Infusorien zu trennen. Nicht hier, sondern bei Gelegenheit der Infusorien, haben wir einige Punkte aus jener Entdeckungsgeschichte mitzutheilen, aus welcher hervorgeht, daß schon 1680 Leeuwenhoek, der »Brillenmacher von Delft«, einige Formen der Räderthiere sah und gut beschrieb.

Die Räderthiere, deren größere Arten eine Länge von einem halben Millimeter und etwas darüber erreichen, haben fast ausnahmslos einen durchsichtigen Körper, den man, so lange er lebt, bis in die innersten Theile der Organe durchschauen kann. Dabei sind die Hautbedeckungen von solcher Festigkeit und Prallheit, daß die Behandlung unter dem Mikroskope bei einigem Geschicke mit keiner Schwierigkeit verbunden ist. Ich führte oben an, wie die Betrachtung mancher kleinen Krebse, z.B. der Wasserflöhe, uns die anziehendsten Schauspiele gewährt. Die meisten Räderthiere fesseln unter dem Mikroskope in gleichem Grade das Auge. Form und Bau zeigen aber ein so apartes Gepräge, daß unsere, an den Holzschnitt anknüpfende Beschreibung dem Leser, der hierbei an Bekanntes kaum sich halten kann, so lange kalt und unbefriedigt lassen muß, bis ihm ein befreundeter Naturforscher eines der überall zu habenden lieblichen und munteren Wesen bei zwei- bis dreihundertmaliger Vergrößerung wird in natura vorgestellt haben. Die Räderthiere sind bei vielfach wechselnder äußerer Form von so großer Uebereinstimmung im Baue, daß, eines genau studirt zu haben, so viel heißt, als alle kennen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 107.
Lizenz:
Kategorien: