Die Kopffüßer

[186] Zu den unauslöschlichen Eindrücken einer italienischen Reise gehört nicht nur der erste Anblick der Borromäischen Inseln, der Florentiner Bauten, des Kolosseums, des Vesuvs im Hintergrunde des Golfes, der Tempelruinen von Pästum – auch der erste Besuch eines italienischen größeren Fischmarktes, wie er täglich in Triest, Genua, Livorno, Neapel usw. abgehalten wird, hat etwas Ueberwältigendes. Da sind sie angehäuft, die Schätze des Meeres, auf Reihen von Tischen, hinter denen die Verkäufer in Hemdsärmeln und mit der hohen rothen Mütze stehen, ihre Waare mit einem betäubenden Geschrei anpreisend. Alles ist sortirt nach Größe und Gattung. Um die feineren Speisefische drängen sich die nobleren Köchinnen, und mancher fein gekleidete Herr, dessen Hausfrau sich noch zu Hause im Bette dehnt, besorgt seinen Einkauf selbst. Auf besonderen Fleischbänken liegen die Tunfische. Weiterhin folgen die Buden, wo die Geschlechter der greulichen Rochen und Haie für die minder verwöhnten Gaumen ausliegen; der Zitterrochen ist dabei, der Meerengel und andere Unthiere. Mit großer Geschicklichkeit wird ihnen die rauhe Haut abgezogen, und das Fleisch sieht nun appetitlicher aus, als es nachher schmeckt. Aber wir verweilen heute nicht bei den zum Theile sehr schön gefärbten Fischen, eilen auch an den vielen Körben der Verkäuferinnen von Muscheln, Schnecken und anderen »frutti di mare« vorüber und halten bei ein paar Tischen, deren Vornehmheit durch das Schattendach angezeigt wird, und von welchen uns eine ganz fremdartige Waare entgegenglänzt. »Calamari! Calamari! O che bei Calamari! Seppe! Seppe! Delicatissime Sepiole!« so dröhnen die unermüdlichen Stentorstimmen in unser Ohr. Schon hat einer der Schreier uns ins Auge gefaßt. Er glaubt, daß wir unsere Küche besorgen wollen. Einige Lungerer werden fortgejagt, um uns Platz zu machen. Wir treten heran und der Fischer hebt an den polypenartigen Armen einen fußlangen, schlanken Calamaro empor. »É tutto fresco!« Und um zu beweisen, daß das Thier noch frisch, und wenn auch nicht mehr ganz, doch noch halb lebendig, versetzt er ihm mit der Messerspitze einen leisen Stich. Was war das? Wie ein Blitz fuhr ein Farbengewölk von Gelb und Violett über die auf weißem Grunde regenbogenfarbig schillernde und fein gefleckte Haut hin. Weil wir unschlüssig stehen, wird der Calmar wieder zu dem Haufen seiner Genossen geworfen, und unter Fortsetzung seiner Anpreisung wendet sich der Händler zu einer anderen Sorte seiner Waare, den Sepien. Aus einem Fasse, welches an der Erde steht, nimmt er Stück für Stück heraus, löst mit einem Schnitte den weißglänzenden Rückenschulp aus, entfernt, das beutelförmige Wesen umkrempelnd, einen Theil der Eingeweide mit dem Dintenbeutel, spült das so ausgenommene Thier ab und legt es auf den Verkaufstisch. Wir sind längst als fremde Naturforscher erkannt und müssen die ausgewählten Exemplare, die[186] wir im Gasthause nach unseren Büchern bestimmen und untersuchen wollen, ungefähr mit dem vierfachen Marktpreise bezahlen.


Sepiola Rondeletii, a von der Rücken-, b von der Bauchseite. Sehr großes Exemplar.
Sepiola Rondeletii, a von der Rücken-, b von der Bauchseite. Sehr großes Exemplar.

Unter den für unsere Studien mitgenommenen Werken befindet sich das Buch des Herrn Verany in Nizza über die Kopffüßer oder Cephalopoden des Mittelmeeres, worin alle im Mittelmeere vorkommenden Arten nach den jahrelangen Beobachtungen dieses Naturforschers nach Form und Lebensweise in französischer Sprache beschrieben und in meisterhafter Weise farbig abgebildet sind. Darunter ist denn auch die kleine Sepiola Rondeletii, an welcher wir uns jetzt über den Körper und die äußeren Organe der Kopffüßer orientiren wollen. Den Namen haben diese Weichthiere davon, daß ihr Körper deutlich in Rumpf und Kopf zerfällt, an welchem letzteren ein Kreis von Anhängen steht, welche als Greif- und Bewegungsorgane gebraucht werden. Der Rumpf ist von einem Mantel umgeben, der an der Rückenseite sich unmittelbar in die Hautbedeckungen des Kopfes fortsetzt, am Bauche aber einen offenen Beutel bildet, aus welchem das enge Ende eines trichterförmigen Organes herausragt. Auch daran ist die Rückenseite zu erkennen, daß nach ihr zu die beiden großen Augen einander genähert sind. Alle diese Regionen und Theile erheischen aber eine noch nähere Betrachtung, da auf ihren Abweichungen die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Gruppen und Gattungen unserer Klasse beruhen. Die den Mund umgebenden Arme sind von sehr fester, muskulöser Beschaffenheit, dehnbar und sehr beweglich; ihr Spiel bei den größeren Arten gleicht den Windungen eines Haufens mit einander verflochtener Schlangen. Bei allen lebenden Kopffüß ern, mit Ausnahme des Nautilus, sind sie mit Saugnäpfen besetzt, wodurch ihr Zweck, die Beute fest zu halten oder bei den Kriechbewegungen zur Dirigirung des Körpers zu dienen, in ausgezeichneter Weise erfüllt wird. Gewöhnlich sitzen sie auf einem kurzen[187] muskulösen Stiele. Ihr Umkreis besteht aus einem knorpeligen Ringe, der von Muskelfasern ausgefüllt ist. Legt sich nun der Ring an einen flachen Gegenstand an, und zieht sich die Muskelfüllung etwas aus ihm heraus, so entsteht ein Raum mit verdünnter Luft, der den Napf so fest haften macht, daß man bei den Bemühungen, ein lebendes und frisches Thier frei zu bekommen, oft einzelne dieser Organe abreißt, und daß, wenn eine Anzahl zugleich wirkt, das Thier eher den ganzen Arm als den ergriffenen Gegenstand fahren läßt; bei manchen Gattungen werden sie unterstützt durch hornige Haken und Spitzen. »Die Bewegungen der Saugnäpfe«, sagt Collmann, »bestehen aber nicht nur im Festhalten und Loslassen, sie strecken sich auch vor und ziehen sich zurück, ohne daß eine Beute gefaßt wird. Sie schließen sich und haben dann das Aussehen einer Knospe, und öffnen sich wieder zur Hälfte oder ganz, auf der einen Seite mehr als auf der anderen, je nach der Laune des Thieres. Jeder Saugnapf hat, ausgerüstet mit einem besonderen Muskelapparat und mit besonderen, nur für sein Bereich bestimmten Nerven, einen hohen Grad von Selbständigkeit. Während die einen sich festklammern, bleiben die übrigen frei.«


a Unterkiefer, b Oberkiefer der Sepia. Nat. Größe.
a Unterkiefer, b Oberkiefer der Sepia. Nat. Größe.

Die Arme stehen vollkommen symmetrisch und man zählt sie vom Rücken aus, indem man vom ersten, zweiten, dritten und vierten Paare spricht, welches letztere rechts und links neben der Mittellinie des Bauches sich befindet. Am Grunde sind die Arme durch eine Haut verbunden, die bei einigen Arten sich sogar bis zur Spitze der Arme erstreckt. Diese Haut dient, wie es scheint, vorzugsweise dazu, über der von den Armen umstrickten Beute eine allseitig schließende Höhle zu bilden, in welcher das Opfer, während es von den Zähnen gefaßt wird, eher verenden muß.

Breitet man die Arme auseinander, so kommt gerade in der Mitte ihres Kreises die von mehreren kreisrunden Lippen umgebene Mundöffnung zum Vorscheine. In ihr liegen die beiden schwarzbraunen Kiefer, dem Raubthiercharakter unserer Thiere entsprechend, groß, fest, spitz und scharf. Der Unterkiefer (Fig. a) ist breiter und tritt mehr hervor als der Oberkiefer (Fig. b), der in der Ruhe und beim Kauen zwischen die Seitenblätter jenes hineingleitet. Wir werden sehen, wie die Thiere im Stande sind, damit den Kopf größerer Fische bis zum Gehirne zu durchnagen. Unterhalb des Kranzes der Arme ist der Kopf an beiden Seiten und mehr nach dem Rücken zu kugelig aufgetrieben. Es ist die Stelle, an welcher im Inneren eine Art von Hirnschale und als unmittelbare Fortsetzungen derselben die beiden napfförmigen knorpeligen Augenkapseln liegen. Diese Augen erscheinen unverhältnismäßig groß und glänzen und funkeln mit unheimlichem Feuer.

An der Rückenseite des Rumpfes ist für die allgemeine Beschreibung nichts Auffälliges. An den Seiten trägt unsere Sepiola ein paar blattförmige, abgerundete Hautlappen, Flossen, welche sowohl zur stetigen Fortbewegung, als zur Regulirung der Haltung und Stellung dienen. Die Ausdehnung dieser flossenartigen Anhänge ist bei den Gattungen sehr verschieden. Sie sind am meisten entwickelt bei denjenigen, deren Körper verlängert und zugespitzt ist und wo sie die Ecken und Seitenblätter einer pfeilförmigen Gestalt bilden (Loligo). An der Unterseite sehen wir den freien Rand des Mantels, über welchen das sich verschmälernde Ende des sogenannten Trichters (a der Figur S. 189) hervorragt. Das Thier macht davon einen sehr wichtigen Gebrauch. Indem es den Mantelsack mit Entfernung des Randes vom Leibe öffnet, läßt es Wasser in den Grund desselben eintreten. Darauf schließt es erst die Mantelwand, wobei ein paar knorpelige Knöpfe desselben in Vertiefungen der gegenüberliegenden Leibeswand passen (Fig. b), und preßt alles Wasser mit großer Kraft und mit einem Ruck in die weite, im Mantel verborgene Mündung des Trichters, so daß es in einem Strahl aus der engen Oeffnung des Trichters herausschießen muß. Der Stoß reicht hin, um die schlankeren Arten der Kopffüßer mit pfeilartiger Geschwindigkeit, das Hinterende voran, schwimmen zu lassen. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit auch von der Lage der Athmungswerkzeuge, der Kiemen, zu überzeugen. Zu diesem Behufe ist das freie Mantelblatt [188] der Bauchseite, wie im Bilde geschehen, aufzuschneiden und zur Seite zu legen. Wir sehen dann seitlich in der offenen Höhle ein krauses Organ (Fig. c), in welchem das Blut die Athmungsveränderungen erfährt. Wir verstehen nun, was die Systematik meint, wenn sie von Zweikiemern und Vierkiemern spricht. Zu der ersten Abtheilung gehört Sepiola. Außer dem Darmkanal mündet bei den meisten Kopffüßern noch der Ausführungsgang eines anderen wichtigen Organes in den Trichter, des Dintenbeutels, einer Drüse, welche eine schwarz braune Masse absondert.


Sepiola Rondeletii von der Bauchseite, der Mantel entfernt.
Sepiola Rondeletii von der Bauchseite, der Mantel entfernt.

Dieselbe wird willkürlich entleert, und nur eine kleine Quantität gehört dazu, um das Thier in eine dunkle Wolke zu hüllen, wodurch es den Augen seiner Verfolger urplötzlich entzogen wird.

Es versteht sich, daß der Name der Dintenschnecken, fälschlich auch »Dintenfische«, hiervon herrührt. In der Malerei ist der Stoff als »Sepia« bekannt. Er ist selbst von vorweltlichen Arten erhalten.

Selbst noch an vielen Exemplaren, welche in den Museen in Weingeist aufbewahrt sind, nimmt man eine feine violette und bräunliche Sprenkelung der Haut wahr. Allein dies gibt natürlich keine Idee von dem wunderbaren Farbenspiele, welches die lebenden Thiere zeigen. Je nach den Zuständen, in welchen sie sich befinden, je nach der Beleuchtung, der sie ausgesetzt sind, je nachdem sie selbst angreifen oder angegriffen und gereizt werden, sind sie einem fortwährenden Wechsel brillanter Färbungen unterworfen. Der im Grunde weißlich glänzende, an den dünneren Stellen transparente Körper kann in der Ruhe und Abspannung ganz erbleicht sein, mit einem bloß röthlichen, gelblichen oder violetten Schimmer. Plötzlich, bei einer neuen Erregung, ballt sich da und dort eine Farbenwolke zusammen, intensiv braun oder violett im Centrum, flockig und durchsichtiger an den Rändern. Die Farbenwolken und Farbenstreifen fliegen über den Körper hin, vereinigen sich, breiten sich aus und sind in der Regel mit einem allgemeinen Aufglitzern und blitzartigen Erglänzen und Irisiren der gesammten Haut verbunden, – man hat ein brillantes Ungewitter des Zornes und der nervösen Aufregung vor sich. Der mechanischen Ursachen dieses ungemein schönen Farbenspiels sind zwei. In der Haut liegen Zellen, welche mit höchst fein zertheiltem Farbstoffe gefüllt sind. Wenn die Zellen im Zustande der Ruhe durch die Elasticität ihrer Hülle das kleinste Volumen angenommen haben, färbt der in kleine Klümpchen zusammengezogene Farbstoff die Oberfläche nur wenig. Durch zahlreiche, strahlenförmig an die Zellen sich ansetzende Muskelfasern können dieselben aber breit gezogen werden, mit ihnen die Farben. Zu dieser Farbstoffarbe kommen aber die Glanz-und Regenbogenfarben. Dieselben werden durch feine, dicht über einander liegende und unter den Farbzellen befindliche Blättchen hervorgerufen nach physikalischen Gesetzen, welche die Lehre von der Interferenz des Lichtes erläutert. Von der Pracht dieser Färbungen geben die Farbenlithographien von Verany eine annähernde Vorstellung. Es erhellt, daß man eigentlich die Färbung der Kopffüßer nicht beschreiben kann; doch herrschen bei den [189] einzelnen Arten gewisse Töne vor und zeichnen sich diese vor jenen durch besonderen Glanz, Zartheit oder Beweglichkeit der Farben aus. Erst neuerdings, seit man in einigen größeren Aquarien auch Kopffüßer hält, ist auch dem Publikum dieses Schauspiel geboten.

Da wir bei der Schilderung der Arten auf die Lebensweise derselben specieller eingehen, so mögen hier nur noch wenige allgemeine Bemerkungen Platz finden. Die Kopffüßer sind ausschließlich Meeresbewohner, wie sie es zu allen Zeiten der Erde waren. Viele Arten leben gesellig, und gerade diese machen Wanderungen, wobei sie sich aus den tieferen Meeresgründen und dem hohen Meere den Küsten zu nähern pflegen. Verany hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß der Umstand, daß man gewisse Arten nur in bestimmten Monaten auf den Fischmärkten anträfe, nicht von ihrer Wanderung, sondern von dem Gebrauche gewisser, nur in jenen Monaten zur Anwendung kommender Netze abhänge. Man erhält z.B. die Histioteuthis Rüppeli, welche in den größten Tiefen sich aufhält, nur im Mai und September, wo man zum Fange eines Fisches (des Sparus centrodontus) das Grundnetz in Tiefen von zweitausendvierhundert Fuß hinabläßt.

Alle Kopffüßer sind, wie wir schon erwähnten, räuberische Fleischfresser und vernichten eine Menge Fische, Krebse, Schnecken und Muscheln. Sie sind sogar so gefräßig, daß sie sich auf die an der Angel gefangenen Thiere ihres eigenen Geschlechtes stürzen und sich mit ihnen an die Oberfläche ziehen und ergreifen lassen. Den in der Nähe des Landes auf den Felsen und zwischen den Tangen herumkriechenden und auf Beute lauernden Arten dienen mancherlei fadenförmige Anhänge, welche sie spielen lassen, zur Anlockung ihrer Opfer. Glücklicherweise wird dieser Schaden dadurch ausgeglichen, daß eine Reihe sehr wichtiger Thiere, z.B. mehrere Wale, der Potwal, die Kabeljaus fast ausschließlich oder vorzugsweise von Kopffüßern leben, und daß mehrere Arten auch dem Menschen als Nahrungsmittel dienen.

Sind die Cephalopoden die am höchsten organisirten Weichthiere, so erreichen sie auch die größte Kraft, Stärke und Länge. Die hierauf bezüglichen Angaben alter und neuer Zeit hat Keferstein in seinem trefflichen Sammelwerke über die Mollusken gesichtet. »Seit Alters«, sagt er, »hat man geglaubt, daß es Cephalopoden von gewaltiger Größe gebe, die Menschen und selbst Schiffen gefährlich werden könnten, und die nordischen Sagen vom Kraken, nach dem Oken sogar die ganze Klasse der Cephalopoden benannte, haben zu Zeiten sehr allgemeinen Eingang gefunden. In der neueren Zeit erwiesen sich viele dieser Angaben als Fabeln oder wenigstens ohne wissenschaftliche Begründung, und gegen die frühere Leichtgläubigkeit schlug man in das andere Extrem um, indem man den Cephalopoden höchstens eine Größe von drei bis vier Fuß beilegen wollte. Jetzt weiß man allerdings, daß es gewaltige Riesen unter unseren Thieren gibt; doch hat man noch immer nur eine sehr ungenügende Nachricht von ihnen und kann bei vielen derselben nicht bestimmen, ob diese Riesencephalopoden bloß außerordentlich alte und darum so sehr große Thiere sind, wie es bei den Fischen ist, die ebenso wie die Bäume beständig wachsen, oder ob sie besonderen Arten angehören, welche uns ihres pelagischen (auf hohem Meere) Lebens wegen bisher und in den Jugendformen entgingen, stets aber, um zur Reife zu gelangen, diese Riesengröße erreichen müssen. Die erstere Annahme scheint mir die wahrscheinlichere und erklärt auch die Seltenheit dieser Riesenthiere, indem nur wenige den zahlreichen Feinden entgehen und ein außerordentlich hohes Alter erreichen werden. Allerdings ist damit noch nicht gesagt, daß das hohe Meer, namentlich in seinen Tiefen, nicht noch viele Arten von Cephalopoden birgt, von deren Dasein wir zur Zeit noch keinen Begriff haben, und die sich durch gewaltige Größe auszeichnen können.

Schon Aristoteles erzählt von einem Loligo, der fünf Ellen lang war, und Plinius erwähnt die Angaben des Trebius Niger, nach denen zu Carteja ein Riesenpolyp des Nachts an die Küste kam, um die Fischbehälter zu plündern, und der die Hunde durch sein Geschnaube und seine Arme verjagte. Der Kopf dieses Thieres, den man Lucull zeigte, war so groß wie ein Faß von funfzehn Amphoren, und seine Arme, die ein Mann kaum umklaftern konnte, maßen dreißig Fuß in der Länge und trugen Vertiefungen (Saugnäpfe), die eine Urne Wasser faßten. Von [190] dem größten Cephalopoden, dem sogenannten Kraken, wird uns aber aus Norwegen berichtet, zu erst von Olaus Magnus, dann vom Bischof Pontoppidan. Nach dem letzteren bemerken die Fischer beim Fischfang einen großen Reichthum von Fischen, dann aber auch, daß die Tiefe beständig abnimmt, sie fliehen, denn es naht der Kraken. Dann erhebt sich aus der Flut, erzählt er, ein breites, unebenes Feld von einer halben Stunde im Durchmesser, welches nicht selten dreißig Fuß über die Oberfläche steigt. In den Vertiefungen, welche die Unebenheiten des Felsrückens bilden, ist Wasser zurückgeblieben, in diesem sieht man Fische springen. Nach und nach entwickeln sich die Hügel und Berge dieser Insel zu immer steilerer Höhe. Von innen heraus, wie die Fühlhörner einer Schnecke, steigen Arme empor, stärker als der stärkste Mastbaum des größten Schiffes, mächtig genug, um einen hundert Kanonen führenden Koloß zu erfassen und in den Abgrund zu ziehen. Sie dehnen sich nach allen Seiten aus, spielen gleichsam mit einander, neigen sich zur Wasserfläche, richten sich wieder empor und haben alle Beweglichkeit der Arme eines jeden anderen Polypen. Ein Junges dieses Riesenthieres hatte sich 1680 in Nordland in Norwegen, wie es Friis beschreibt, zwischen die Felsen eines engen Fjords eingeklemmt. Der ungeheuere Körper, berichtet er, füllte die Bucht ganz aus, die Arme waren um Felsen und Bäume geschlungen, hatten dieselben entwurzelt und sich an dem unzerstörbaren Gesteine so fest gehangen, daß man sie auf keine Weise lösen konnte.

Die meisten Angaben über diese Riesenpolypen findet man in Montforts Naturgeschichte der Mollusken. Dort wird von einem solchen Seeungeheuer erzählt, das an der Küste von Angola ein Schiff an der Takelage mit seinen Armen in den Grund zu ziehen drohte und der glücklich geretteten Mannschaft Veranlassung gab, ihre höchste Noth auf einem Votivgemälde in der St. Thomaskapelle in St. Malo darstellen zu lassen. Ferner erzählt Montfort nach den Angaben des Schiffskapitäns Major Dens von einem Polypen, der in der Nähe von St. Helena mit seinen Armen ein Paar Matrosen von einem Gerüste am Schiffe herabholte, und von dem eine in die Takelage verwirrte Spitze eines Armes abgehauen fünfundzwanzig Fuß maß und mehrere Reihen Saugnäpfe trug.

Einem ähnlich großen Thiere muß der Arm angehört haben, der von einem Walfischfänger in der Südsee aus dem Rachen eines Kachelots genommen sein und der dreiundzwanzig Fuß Länge gehabt haben soll. Aber es wurde diesen und anderen Angaben so wenig Werth beigemessen, daß man in der Wissenschaft alle Angaben von Dintenfischen über ein paar Fuß Größe, welche diese Thiere im Mittelmeere oft erreichen, für Fabeln erklärte.

Später wurden durch Steenstrup die Erzählungen über Riesendintenfische theilweise wieder zu Ehren gebracht, indem er die 1639 und 1790 an der isländischen Küste gestrandeten Seeungeheuer, von denen das letztere einen 31/2 Faden langen Körper und 3 Faden lange Arme gehabt haben soll, mit Sicherheit als Cephalopoden deutet und den 1546 im Sunde gefangenen sogenannten Seemönch von acht Fuß Länge in derselben Weise auffaßt. Später erhielt Steenstrup selbst Reste eines Riesendintenfisches, der 1853 in Jütland gestrandet war, dessen Kopf sich so groß wie ein Kinderkopf zeigte und dessen hornige Rückenschale sechs Fuß maß. Von Resten ähnlicher großer Dintenfische aus den Museen in Utrecht und Amsterdam berichtet dann 1860 Harting genauer. Die merkwürdigste und neueste Nachricht über einen riesenhaften Dintenfisch verdankt man dem Kapitän Bouyer von dem französischen Aviso Alecton, welcher das Thier am 30. November 1861 in der Nähe von Teneriffa beobachtete. Der Aviso traf zwischen Madeira und Teneriffa einen riesenhaften Polypen, der an der Oberfläche des Wassers schwamm. Das Thier maß fünf bis sechs Meter an Länge, ohne die acht furchtbaren, mit Saugnäpfen versehenen Arme. Seine Farbe war ziegelroth; seine Augen waren ungeheuer und zeigten eine erschreckende Starrheit. Das Gewicht seines spindelförmigen, in der Mitte sehr angeschwollenen Körpers mußte an zweitausend Kilogramm betragen, und seine am Hinterende befindlichen Flossen waren abgerundet und von sehr großem Volumen. Man suchte das Thier an einer Tauschlinge zu fangen und durch Schüsse zu[191] tödten, doch wagte der Kapitän nicht, das Leben seiner Mannschaft dadurch zu gefährden, daß er ein Boot aussetzen ließ, welches das Ungeheuer mit seinen furchtbaren Armen leicht hätte entern können. Nach dreistündiger Jagd erhielt man nur Theile vom Hinterende des Thieres. Wenn also die neueren Beobachtungen auch nichts von den Sagen des Kraken bestätigt haben, so haben sie uns doch sichere Kunde über riesenhafte Cephalopoden geliefert, die, zwanzig Fuß und darüber lang, selbst Menschen und kleinen Schiffen gefährlich werden können.« Noch in der neuesten Zeit, 1874 bis 1875, sind an der Ostküste von Nordamerika Calmare gefangen worden, deren Arme neun, respektive zehn Meter maßen.

Nach Kefersteins Ueberschlag sind etwa zweitausend Arten von Kopffüßern bekannt, von denen jedoch nur zweihundertundachtzehn der jetzigen Schöpfung angehören.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 186-192.
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