Schleierschnecke (Tethys fimbria)

[318] Wir müssen hier, unsere bisherigen Führer verlassend, die Beschreibung einer in der Nordsee nicht vorkommenden und nur dem Mittelmeergebiete angehörigen Nacktkiemenschnecke einschalten, welche durch die Stellung der Kiemen vielfach an Dendronotus erinnert, aber durch das große kreisförmig abgerundete Kopfsegel, welches aus den Schwimmlappen des Larvenzustandes hervorgeht, ein sehr eigenthümliches Aussehen erhält. Das ist die oft 30 Centimeter lang werdende Schleierschnecke, Tethys fimbria. Von ihren Manieren hat Grube eine sehr anschauliche Schilderung geliefert, entworfen nach einem Exemplare, das ihm in Triest von einem Fischer gebracht wurde.


Schleierschnecke (Tethys fimbria). Natürliche Größe.
Schleierschnecke (Tethys fimbria). Natürliche Größe.

»Es war«, sagt er, »ganz lebenskräftig und mit allen jenen seitlichen Rückenanhängen versehen, die man einst als Parasiten dieses Weichthieres beschrieben und abgebildet hat. Sie waren fast birn- oder rübenförmig aufgebläht, am Grunde etwas eingeschnürt, durchaus paarig, dicht vor den Kiemen längs der Seiten des Rückens gestellt, nach hinten an Größe abnehmend, wie Ruder ausgespreizt und wurden auch so bewegt. Der Leib, ebenfalls aufgebläht, fast farblos und durchsichtig wie die Kiemen, wundervoll abstechend gegen die an der Spitze blaßrothen, mit dunkel-, fast schwarzrothem Mittelflecke versehenen Anhänge und die schwärzlich unregelmäßig weiß geränderten Augenflecken der Oberseite, warf sich auf dem Rücken liegend unablässig und mit einer gewissen Grazie hin und her, wobei er sich so stark einkrümmte, daß das Körperende die Seitenränder des Segels berührte. [318] Das große Segel war fast ganz aufwärts und zurückgeschlagen, sein gefranster Rand nach hinten umgebogen und die Seitenränder der ganz hohl gemachten Fußscheibe einander so genähert, daß zwischen ihnen kaum eine schmale Furche übrig blieb oder sie sich sogar berührten. In dieser Lage glich das Thier einem Hammer, an dem das verkürzte Segel das Eisen, der Leib den Stiel vorstellte; sobald es jedoch ruhiger wurde, breitete sich der Fuß in Gestalt einer ovalen tiefen Schüssel aus, deren Seitenränder höher als Vorder- und Hinterrand waren. Es phosphorescirte lebhaft im Dunkeln, und die Phosphorescenz trat sowohl dann ein, wenn ich dasselbe berührte, als auch, wenn ich nur die Hand in seinem Wasserbecken bewegte. Trotzdem, daß ich ein paar Stunden darauf, nachdem mir das seltene Thier gebracht war, das Seewasser erneuerte, und das Becken, in dem das Thier seine Bewegungen ausführte, nicht eben klein war, erlosch über Nacht sein Leben: am anderen Morgen waren seine Anhänge, obwohl sie ihre Farbe noch behalten hatten, abgefallen und regungslos. Wer diese Tethys und ihr stürmisches Hin- und Herwälzen nur einmal gesehen, wird nicht mehr so beschränkend, wie dies gewöhnlich geschieht, den Begriff des Phlegmas mit dem Charakter der Molluske verbinden.«

Daß ein so großes, an das reinste Wasser des offenen Meeres gewöhntes und sehr athembedürftiges Weichthier in engem Behältnisse nur einige Stunden ausdauert, ist nicht zu verwundern. Selbst in den großen Aquarien mit ununterbrochenem Wasserwechsel überleben die Tethyen selten einige Tage der Gefangenschaft. Einmal ist der Nahrungsmangel daran schuld. Ich habe in Neapel, wo während der Wintermonate dem Aquarium sehr häufig Tethyen eingeliefert wurden, darunter wahre Prachtexemplare von einem Fuß Länge, nie gesehen, daß sie etwas zu sich nahmen. Vor allem aber litten sie durch das Anstoßen und Antreiben an die Wände der Wasserstuben, ein Loos, was alle Weichthiere des hohen Meeres mit der Tethys theilen. Anfänglich machen sie sich durch kräftige Bewegungen, wobei der Körper von einer Seite zur anderen schwankt, frei, aber schon nach Stunden tritt eine auffällige Ermattung ein, sie können den Strömungen, durch welche die Bassins in Verbindung stehen, nicht Widerstand leisten, werden an die Steine angedrückt und kleben hülflos in den Ecken.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 318-319.
Lizenz:
Kategorien: