Erste Hälfte.

[550] Dieser Abschnitt entwirft über das Brahman und seine Entfaltung zu den Erscheinungen der Welt ein Bild von grosser, poetischer Schönheit. Das Metrum ist sehr frei behandelt und löst sich stellenweise so sehr in rhythmische Prosa auf, dass wir auf eine Wiedergabe der Silbenzahl verzichten müssen. Der Inhalt erinnert auf Schritt und Tritt an frühere Upanishadstellen, ohne dass es immer möglich wäre, eine Entlehnung mit Sicherheit festzustellen. Am meisten ist wohl die Schilderung des Aksharam benutzt, welche Yajñavalkya Bṛih. 3,8 im Gespräche mit der Gârgî entwirft. Aber auch an das Purushalied Ṛigv. 10,90 finden sich Anklänge, und so, wie die Anmerkungen zeigen, noch an vieles andere. Erst der Schlussvers lenkt zu dem Gedanken ein, dass derjenige, welcher dieses Brahman in seinem Herzen weiss, dadurch »die Knoten des Nichtwissens« (oben S. 287, Anm.) auflöse.


1. Dieses ist die Wahrheit:


Wie aus dem wohlentflammten Feuer die Funken,

Ihm gleichen Wesens, tausendfach entspringen,

So geh'n, o Teurer, aus dem Unvergänglichen

Die mannigfachen Wesen

Hervor und wieder in dasselbe ein (Taitt. 3,1).


2. Denn himmlisch ist der Geist, der ungestaltete (Bṛih. 2,3,5),

Der draussen ist und drinnen (Îçâ 5), ungeboren,

Der odemlose, wünschelose (Bṛih. 3,8,8), reine,

Noch höher, als das höchste Unvergängliche.1
[550]

3. Aus ihm entsteht der Odem, der Verstand und alle Sinne,

Aus ihm entstehen Äther, Wind und Feuer,

Das Wasser und, alltragende, die Erde.2


4. Sein Haupt ist Feuer, seine Augen Mond und Sonne,

Die Himmelsgegenden die Ohren,

Seine Stimme ist des Veda Offenbarung.

Wind ist sein Hauch, sein Herz die Welt, aus seinen Füssen Erde (Ṛigv. 10,90,14),

Er ist das innre Selbst in allen Wesen (Kâṭh. 5,9-12).


5.3 Aus ihm entsteht das Feuer, dessen Brennholz die Sonne ist (Chând. 5,4,1),

Aus Soma wird Regen (Chând. 5,5,2), Pflanzen aus der Erde;

Der Mann ergiesst den Strom in die Genossin (Chând. 5,8,2),

Nachkommen viele sind dem Geist geboren.


6. Aus ihm sind Hymnen, Lieder, Opfersprüche (Ṛigv. 10,90,9),

Die Weihen, Opfer, Bräuche, Opfergaben,

Jahrlauf und Opferbringer (Bṛih. 3,8,9), und die Welten,

Die Soma's und der Sonne Licht verklären.4


7. Aus ihm die Götter vielfach sind entstanden

Und Selige5, aus ihm Menschen, Vieh und Vögel (Ṛigv. 10,90,8);

›Einhauch und Aushauch, Reis und Gerste‹ (Atharvav. 11,4,13), Glaube,

Kasteiung, Wahrheit, Brahmanwandel, Vorschrift.


8.6 Sieben Organe sind aus ihm, mit sieben

Brennhölzern, sieben Flammen, Opferspenden,

Und sieben Welten sind, in die sie schweifen

Aus ihrer Höhle, wo versteckt je sieben.


9.7 Aus ihm sind Weltmeere und alle Berge,[551]

Aus ihm die Ströme rinnen allgestaltig,

Aus ihm sind Pflanzen und Nahrungssaft, durch den er

In den Wesen als ihr inneres Selbst Bestand hat.


10. Ja, Purusha ist dies Weltall (Ṛigv. 10,90,2),

Werk8, Tapas, Brahman, Unsterbliches; –

Wer dieses weiss verborgen in der Höhle [des Herzens],

Der sprengt, o Teurer, des Nichtwissens Knoten.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 550-552.
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