Fünfzehntes Kapitel

[31] Lautet aber ein Vordersatz auf das einfache Sein der andere dagegen auf das Statthafte, so sind die Schlüsse wenn der Obersatz auf das Statthafte lautet, sämmtlich vollkommene und sie lauten dann auf das Statthafte in dem angegebenen Sinne. Ist aber das Statthafte mit dem Untersatz verbunden, so sind sämmtliche Schlüsse unvollkommen und die verneinenden Schlüsse lauten dann nicht auf das Statthafte in dem angegebenen Sinne, sondern dahin, dass der Oberbegriff nothwendig entweder in keinem oder nicht in allen des Unterbegriffs enthalten sei; denn wenn etwas nothwendig in keinem oder nicht in allen eines Andern enthalten ist, so sagt man auch dafür es[31] sei statthaft, dass es in keinem oder nicht in allen enthalten sei.

Demnach nehme man also an, dass A statthafterweise in dem ganzen B und B in dem ganzen C einfach enthalten sei. Da nun hier C unter dem B enthalten ist, und in den ganzen B statthafterweise A enthalten ist, so erhellt, dass A auch statthafterweise in C enthalten ist. Ebenso ist es, wenn der Obersatz A B verneinend lautet und der Untersatz B C bejahend und jener nur als ein statthafter, dieser aber als ein einfach-seiender angenommen wird; auch hier ist der Schluss vollkommen und zwar geht er dahin, dass A in keinem C statthafterweise enthalten ist.

Setzt man also das einfache Sein zu dem Unterbegriff, so erhellt, dass sich vollkommene Schlüsse ergeben. Wenn dabei aber die Vordersätze sich entgegengesetzt verhalten, so kann durch den Beweis der Unmöglichkeit das Gegentheil dargelegt werden, dass sich Schlusssätze ergeben. Indess ergiebt sich damit auch, dass diese Schlüsse unvollkommene sind, weil der Beweis nicht geradezu aus den angesetzten Vordersätzen geführt werden kann.

Ich muss aber zunächst bemerken, dass sofern wenn A ist, nothwendig B sein muss, dann auch aus dem blossen Möglich-sein des A das Möglich-sein des B mit Nothwendigkeit folgt. Nun sei, wenn A und B sich so verhalten, das, was A bezeichnet, möglich, und das, was B bezeichnet, unmöglich. Da nun das Mögliche, weil es möglich ist, wirklich werden und das Unmögliche, weil es unmöglich ist, nicht wirklich werden kann, so könnte, wenn A möglich und B unmöglich wäre, A ohne das B werden und wenn es werden kann, auch sein; denn das Gewordene ist, weil es geworden ist. Nun darf man aber das Mögliche und Unmögliche nicht blos auf das Werden beziehen, sondern auch auf das wahrhafte Aussagen und auf das Sein und auf das, was sonst unter »möglich« noch verstanden wird; in allen diesen Bedeutungen wird es sich eben so verhalten. Auch darf man den Satz, dass wenn A ist, auch B sei, nicht so auffassen, als wenn B auch dann wäre, wenn A nur Eines ist. Denn aus dem Sein von Einem allein folgt keine Nothwendigkeit, vielmehr müssen mindestens Zweie sein, da ja der Schlusssatz sich erst[32] als ein nothwendiger ergiebt, wenn die Vordersätze sich so, wie angegeben, verhalten. Denn wenn C zu D und D zu Z sich so verhalten, muss nothwendig C sich zu Z verhalten, und wenn beide Vordersätze nur die Möglichkeit aussprechen, so wird auch der Schlusssatz nur auf die Möglichkeit lauten. Wenn man also die beiden Vordersätze mit A und den Schlusssatz mit B bezeichnet, so ergiebt sich nicht blos, dass wenn A auf das Nothwendige lautet, auch B auf das Nothwendige lautet, sondern auch, dass wenn A blos die Möglichkeit ausdrückt, auch der Schlusssatz blos die Möglichkeit ausdrücken wird.

In Folge dieser Darlegung erhellt, dass wenn etwas falsch, aber nicht unmöglich angenommen worden ist, auch die Folge wegen dieser Annahme falsch, aber nicht unmöglich sein wird. Wenn z.B. A zwar falsch, aber doch nicht unmöglich ist, und wenn A ist, auch B ist, so wird auch B zwar falsch, aber doch nicht unmöglich sein. Denn es ist gezeigt worden, dass sofern wenn A ist, auch B ist, dann B auch möglich sein wird, wenn A möglich ist; nun ist aber angenommen worden, dass A möglich ist und so wird auch B möglich sein; denn sollte es unmöglich sein, so wäre es zugleich möglich und unmöglich.

Nachdem dies somit festgestellt worden, soll nun A einfach in allen B enthalten sein, B aber in allen C nur statthafterweise enthalten sein; hier muss also A in allen C statthafterweise enthalten sein; denn man nehme an, es sei nicht statthaft, dass es darin enthalten sei und B solle in allen C einfach enthalten sein, was zwar falsch, aber doch nicht unmöglich ist. Kann also A nicht in C enthalten sein und ist B einfach in allen C enthalten, so kann A nicht in allen B enthalten sein; denn es ergiebt sich hier ein Schluss in der dritten Figur. Nun war aber angenommen, dass A in allen B enthalten sein könne; folglich muss A in allen C statthafterweise enthalten sein; denn wenn man das Entgegengesetzte, aber nicht Unmögliche annimmt, ergiebt sich eine unmögliche Folge.

Man kann auch den Beweis der Unmöglichkeit durch die erste Schlussfigur führen, indem man annimmt, dass B in C einfach enthalten sei. Denn wenn B in dem[33] ganzen C einfach enthalten ist und A in dem ganzen B statthafterweise, so wird auch A in dem ganzen C statthafterweise enthalten sein, während doch bei dem Unmöglichkeitsbeweis angenommen worden war, dass es nicht in dem ganzen C enthalten sein sollte.

Man darf das »In dem Ganzen enthalten sein« nicht in dem Sinne, als auf eine gewisse Zeit beschränkt nehmen; z.B. dass etwas nur jetzt, oder nur in dem und dem Zeiträume in dem ganzen Anderen enthalten sei, sondern der Ausdruck ist unbeschränkt zu verstehen, da man nur aus solchen Vordersätzen Schlüsse bilden kann und kein Schluss sich ergiebt, wenn der Vordersatz nur für die jetzige Zeit gilt. Denn es wäre ja wohl möglich, dass der Mensch einmal in allem sich Bewegenden enthalten wäre, nämlich wenn alles Andere sich nicht bewegte; nun kann das sich Bewegende auch in allen Pferden enthalten sein, aber der Mensch kann in keinem Pferde enthalten sein. Ferner nehme man als Oberbegriff das Geschöpf, als Mittelbegriff das sich Bewegende, als Unterbegriff den Menschen. Hier lauten beide Vordersätze auf das Statthafte, aber der Schlusssatz ist ein nothwendiger und nicht ein blos statthafter; denn der Mensch ist nothwendig ein Geschöpf. Es erhellt also, dass man die allgemeinen Sätze unbeschränkt ansetzen muss, und nicht auf eine Zeit beschränkt.

Nun soll weiter der allgemeine Obersatz A B verneinend lauten, A also einfach in keinem B enthalten sein, B soll aber statthafterweise in dem ganzen C enthalten sein. Bei solcher Annahme muss A in keinem C statthafterweise enthalten sein. Denn man setze, dies sei nicht statthaft; es sei also A nothwendig in einigen C enthalten und B sei einfach in C enthalten, wie vorhin. Dann muss A in einigen B enthalten sein, denn es liegt dann ein Schluss in der dritten Figur vor; dieser Schlusssatz ist aber nach der ursprünglichen Annahme unmöglich. Folglich ist A statthafterweise in keinem C enthalten; denn wenn man das Entgegengesetzte annimmt, ergiebt sich etwas Unmögliches. Dieser Schluss lautet also nicht auf das Statthafte in dem bisherigen Sinne, sondern dahin, dass A nothwendig in keinem C enthalten ist; denn dies ist der Gegensatz des bei dem Unmöglichkeitsbeweis angenommenen Satzes; es wurde[34] nämlich da angenommen, dass A nothwendig in einigen C enthalten sei, da der die Unmöglichkeit darlegende Schluss auf der Annahme des widersprechend entgegengesetzten Satzes beruhen muss.

Auch aus den Begriffen erhellt, dass der Schlusssatz hier nicht blos auf das Statthafte lautet. Denn es sei A der Rabe, das mit B bezeichnete das Denkende und das mit C bezeichnete der Mensch. Hier ist A in keinem B enthalten, denn der Rabe ist kein Denkendes; aber B kann statthafterweise in dem ganzen C enthalten sein, da das Denkende in allen Menschen enthalten sein kann. Dennoch ist A nothwendig in keinem C enthalten, also lautet der Schluss nicht auf das blos Statthafte. Indess lautet er auch nicht immer auf das Nothwendige. Denn es sei A das sich Bewegende, B die Wissenschaft und das, was mit C bezeichnet wird, der Mensch. Hier ist A in keinem B enthalten, aber B kann statthafterweise in allen C enthalten sein und der Schluss lautet hier nicht auf das Nothwendige, denn es ist nicht nothwendig, dass kein Mensch sich bewege, ja nicht einmal, dass einer sich bewege. Es ist also klar, dass hier der Schluss dahin geht, dass der Oberbegriff nothwendig in keinem von dem Unterbegriffe enthalten ist. Indess müssen die Begriffe besser gewählt werden.

Wird dagegen die Verneinung mit dem Unterbegriff verbunden und lautet sie nur auf das Statthafte, so ergiebt sich aus den so angesetzten Vordersätzen allein kein Schluss, wenn man aber den auf das Statthafte lautenden Vordersatz in den bejahenden umkehrt, so ergiebt sich ein Schluss, wie vorhin. Denn es sei A in allen B enthalten, B aber statthafterweise in keinem C; bei so lautenden Vordersätzen ergiebt sich keine nothwendige Folge; kehrt man aber B C um und sagt man, B sei statthafterweise in dem ganzen C enthalten, so ergiebt sich ein Schluss, wie vorhin, da dann die Begriffe sich in ihren Ansätzen wie dort verhalten. – Dasselbe gilt für den Fall, wenn beide Vordersätze verneinend lauten, also A nicht in dem B enthalten und B in keinem C statthafterweise enthalten ist; aus diesen so angesetzten Vordersätzen ergiebt sich keine nothwendige Folge; kehrt man aber den auf das Statthafte lautenden Untersatz um, so ergiebt sich ein Schluss. Denn man setze, dass A in[35] keinem B enthalten sei und dass B statthafterweise in keinem C enthalten sei; aus diesen Sätzen ergiebt sich keine nothwendige Folge; setzt man aber, dass B statthafterweise in allen C enthalten sei, was ja in Wahrheit geschehen kann und bleibt der Vordersatz A B ungeändert so ergiebt sich der früher dargelegte Schluss. Setzt man aber, dass es nicht-statthaft sei, dass B in dem ganzen C enthalten sei und setzt man also nicht, dass B statthafterweise in C nicht-enthalten sei, so ergiebt sich kein Schluss, mag der Obersatz bejahend oder verneinend lauten. Zum Beweis, dass der Schlusssatz dann bejahend und nothwendig lautet, können dienen die Begriffe: Weiss, Geschöpf, Schnee, und dafür, dass die Bejahung nicht-statthaft ist, Weiss, Geschöpf, Pech.

Es erhellt somit, dass, wenn die Begriffe allgemein lauten und der eine Vordersatz auf das einfache Sein, der andere das statthafte Sein ausdrückt, dann sich immer ein Schluss ergiebt, wenn der Untersatz als der statthafte gesetzt wird; nur ergiebt sich der Schluss nicht immer schon aus den so angesetzten Vordersätzen, sondern mitunter muss der Untersatz umgekehrt werden; und ich habe gesagt, wenn jeder dieser beiden Fälle stattfindet.

Wird aber der eine Vordersatz allgemein, aber der andere beschränkt genommen, so ergiebt sich, wenn der Obersatz allgemein und statthafterweise angesetzt wird, sei es bejahend oder verneinend und der Untersatz beschränkt, auf das einfache Sein und bejahend lautet, ein vollkommener Schluss ebenso, als wenn die Vordersätze beide allgemein lauteten. Auch ist der Beweis hier derselbe, wie dort. Lautet aber der Obersatz zwar allgemein, aber auf das einfache Sein und nicht auf das Statthafte, dagegen der Untersatz beschränkt und nur auf das Statthafte, so ist der Schluss nur ein unvollkommener, mögen beide Vordersätze bejahend oder verneinend oder der eine bejahend und der andere verneinend lauten; doch wird der Beweis hierfür bei einigen durch die Unmöglichkeit des Gegentheils, bei anderen durch Umkehrung des auf das Statthafte lautenden Untersatzes geführt werden müssen, wie dies früher auch geschehen ist. Der Schlusssatz ergiebt sich nämlich dann durch die Umkehrung, wenn der allgemeine Obersatz auf das einfache Sein oder Nicht-sein lautet und der verneinende[36] beschränkte Untersatz auf das Statthafte lautet, also wenn A in dem ganzen B enthalten oder nicht enthalten ist, aber B in einigen C statthafterweise nicht enthalten ist; hier ergiebt sich ein Schluss auf das Statthafte, wenn der Satz B C in den bejahenden umgekehrt wird. Wird aber der beschränkte Untersatz als ein einfach-verneinender angesetzt, so ergiebt sich kein Schluss. Für den bejahenden Fall dienen die Begriffe: Weiss, Geschöpf, Schnee; für den verneinenden Fall: Weiss, Geschöpf, Pech; denn der Beweis muss hier vermittelst des Unbestimmten der Folge geführt werden.

Wird aber das Allgemeine zu dem Untersatz gesetzt und der Obersatz beschränkt angenommen, so erzieht sich kein Schluss, mag einer von beiden Sätzen verneinend oder bejahend, und auf das Statthafte oder einfache Sein lauten, und selbst dann wird sich kein Schluss ergeben, wenn beide Vordersätze beschränkt oder unbestimmt angesetzt werden, mögen sie auf das statthafte oder auf das einfache Sein oder einer auf jenes, der andere auf dieses lauten. Der Beweis ist auch hier derselbe, wie früher. Für die nothwendige Bejahung des Schlusssatzes dienen die Begriffe: Geschöpf, Weiss, Mensch, und für die nothwendige Verneinung des Schlusssatzes die Begriffe: Geschöpf, Weiss, Mantel.

Somit erhellt, dass wenn der Obersatz allgemein lautet, immer ein Schluss sich ergiebt, lautet aber nur der Untersatz allgemein, so findet niemals ein Schlusssatz statt.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 31-37.
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