1. Die Samkhja-Philosophie

[150] Der Urheber der Samkhja wird Kapila genannt, »ein alter Weiser; die einen sagen, er sei ein Sohn des Brahma, einer von den sieben großen Heiligen; die anderen sagen, er sei eine Inkarnation des Wischnu, wie sein Schüler Asuri, und identisch mit dem Feuer«. Über das Alter der Aphorismen (Sutras) des Kapila weiß Colebrooke nichts zu sagen; er erwähnt nur, daß sie in anderen, sehr alten Büchern schon angeführt werden, aber genau läßt sich nichts darüber angeben.

Die Samkhja teilt sich in verschiedene Schulen, zwei oder drei, die jedoch nur in wenigem Einzelnem voneinander abweichen; sie wird »zum Teil für heterodox, zum Teil für orthodox« gehalten. »Der Zweck aller indischen Schulen und Systeme der Philosophie ist, die Mittel anzugeben, wodurch die ewige Glückseligkeit sowohl vor dem Tode als nach dem Tode zu erlangen ist. Die Wedas sagen: ›Was zu erkennen ist, ist die Seele; sie muß von der Natur abgeschieden werden; so wird sie nicht wiederkommen‹, d.h. sie ist der Metempsychose entnommen« und damit der Körperlichkeit,[150] sie tritt nicht wieder in einem anderen Körper auf. »Diese Befreiung ist der wesentliche Zweck, der in allen atheistischen und theistischen Systemen vorhanden ist.« Sie sagen nun: »Durch die Wissenschaft kann eine solche Befreiung erreicht werden; die zeitlichen Mittel, sich Vergnügen zu verschaffen oder geistige und körperliche Übel von sich abzuhalten, sind nicht hinreichend, selbst die Mittel, die die Wedas angeben, sind nicht dazu wirksam, – die geoffenbarte Weise; dies ist die Vollbringung der religiösen Zeremonien, wie sie in den Wedas verordnet sind.« In dieser Beziehung gelten die Wedas den Samkhjas nicht. Als solch ein Mittel gilt »vorzüglich das Opfer von Tieren«. Dies verwirft die Samkhja, denn es sei verbunden mit dem Tode der Tiere, und die Hauptsache sei, kein Tier zu verletzen, zu töten, daher sei das Opfer nicht rein.

Andere Weisen der Befreiung vom Übel sind die ungeheuren Büßungen der Inder, womit ein Zurückgehen-in-sich verbunden ist. Brahman ist im ganzen dieses Ein, schlechthin Unsinnliche, dies höchste Wesen, wie es der Verstand nennt. Wenn nun so der Inder in der Andacht sich sammelt, sich in seine Gedanken zurückzieht, sich in sich konzentriert, so ist das Moment dieser reinen Konzentration Brahman; dann bin Ich Brahman. Dies Zurückziehen in den Gedanken ist in der indischen Religion wie in der indischen Philosophie. Die Philosophie will die Seligkeit erlangen durch das Denken, die Religion durch die Andacht. Sie sagen in Rücksicht dieser Seligkeit, daß sie das Höchste sei, daß diesem Zustande selbst die Götter untergeordnet seien. Z.B. Indra, der Gott des sichtbaren Himmels, sei viel niedriger als die Seele in diesem kontemplativen Leben in sich selbst; viele tausend Indras seien vergangen, aber die Seele sei aller Veränderung entnommen. »Eine vollständige und ewige Befreiung von jeder Art Übel ist also die Seligkeit«; und sie wird erreicht, nach der Samkhja, »durch die wahrhafte Wissenschaft«. Sie ist daher von der Religion nur dadurch verschieden, daß sie eine ausführliche Denklehre hat, die Abstraktion nicht zu[151] etwas Leerem macht, sondern zur Bedeutung eines bestimmten Denkens erhebt. »Diese Wissenschaft besteht«, wie sie sagen, »in der richtigen Erkenntnis der Prinzipien, die äußerlich wahrnehmbar sind oder nicht, der materiellen Welt und der immateriellen Welt.«

Das Samkhja-System zerfällt in drei Abschnitte: 1. die Weise des Erkennens, 2. der Gegenstand des Erkennens, und 3. die bestimmte Form des Erkennens der Prinzipien.

1. In Rücksicht des ersten sagen sie, daß es drei Arten der Evidenz gebe: erstens Wahrnehmung (perception), zweitens Räsonnement (inference, Folgerung), drittens Affirmation, auf welche sich alle übrigen Weisen der Erkenntnis, wie Achtung, Lernfähigkeit, Tradition usf., zurückführen lassen. Die Wahrnehmung bedarf keiner Erläuterung. Das Räsonnement ist ein Schluß von Ursache und Wirkung, wobei nur von einer Bestimmung zu einer zweiten übergegangen wird. Es habe drei Formen, indem entweder von der Ursache auf die Wirkung, oder von der Wirkung auf die Ursache, oder nach verschiedenen Verhältnissen der Ursachen und Wirkungen geschlossen werde. Regen z.B. werde präsumiert, wenn man eine Wolke sich zusammenziehen sehe; Feuer, wenn man einen Hügel rauchen sehe; oder man schließe auf die Bewegung des Monds, wenn man ihn zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Stellungen sehe. Dies sind einfache, trockene Verstandesverhältnisse. Das dritte ist die Affirmation. Darunter ist verstanden Tradition, Offenbarung, z.B. die orthodoxen Wedas; im ausgebreiteteren Sinne wird die unmittelbare Gewißheit so genannt, Affirmation in meinem Bewußtsein, in näherer Bestimmung »eine Versicherung durch mündliche Mitteilung oder durch Tradition«. Dies sind die drei Erkenntnisweisen.

2. Der Gegenstände des Erkennens oder der Prinzipien gibt das Samkhja-System fünfundzwanzig an, die ich nennen will, um das Ordnungslose darin zu zeigen: 1. Die Natur, als Ursprung von allem, sei, sagen sie, das Allgemeine, die materielle Ursache, die ewige Materie, ununterschieden, ununterscheidbar,[152] ohne Teile, produktiv ohne Produktion, absolute Substanz. 2. Die Intelligenz, die erste Produktion der Natur und selbst andere Prinzipien produzierend, unterscheidbar, sagen sie, als drei Götter durch die Wirksamkeit der drei Qualitäten: Güte, Unreinheit oder Häßlichkeit (foulness, Leidenschaft, Tätigkeit) und Finsternis. Sie seien eine Person und drei Götter – sonst auch Trimurti: nämlich Brahma, Wischnu und Maheswara. 3. »Das Bewußtsein, die Ichheit, der Glaube, daß in allen Wahrnehmungen, Meditationen Ich gegenwärtig bin, daß die Gegenstände der Sinne«, sowie der Intelligenz, »mich betreffen; kurz, daß Ich bin. Es geht aus von der Macht der Intelligenz und produziert selbst die folgenden Prinzipien.« 4.-8. Fünf feine Anfänge, Rudimente, Atome, die nur einem Wesen höherer Ordnung, nicht durch die Sinne der Menschen wahrnehmbar seien, ausgehend vom Prinzip des Bewußtseins und selbst hervor bringend die fünf Elemente: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. 9.-19. Die elf nächsten Prinzipien seien die Organe der Empfindung, die von der Ichheit produziert werde. Zehn äußerliche Organe: fünf der Sinne; fünf der Handlung: Stimme, Hände, Füße, After, Geschlechtsteile. Das elfte Organ sei das des inneren Sinns. 20.-24. Diese Prinzipien seien die von den früher genannten Rudimenten hervorgebrachten fünf Elemente: Äther, den Raum einnehmend; Luft, Feuer, Wasser, Erde. 25. Die Seele. – In dieser sehr unordentlichen Weise sehen wir nur die ersten Anfänge der Reflexion, die zusammengestellt als Allgemeines erscheinen. Diese Zusammenstellung ist aber, geschweige systematisch zu sein, nicht einmal sinnig.

Vorher waren die Prinzipien außereinander und nacheinander. In der Seele haben sie ihre Vereinigung. Von ihr sagen sie, sie sei nicht produziert, auch nicht produktiv; sie sei individuell, so gebe es viele Seelen; sie sei empfindend, ewig, immateriell, unveränderlich. Hier unterscheidet Colebrooke das theistische von dem atheistischen System der Samkhja. Jenes nehme nicht nur individuelle Seelen, sondern[153] auch Gott (Iswara) als Regierer der Welt an. Die Erkenntnis der Seele bleibt dann die Hauptsache. Es sei durch die Betrachtung der Natur und durch die Abstraktion von der Natur, daß die Einheit der Seele mit der Natur herbeigeführt werde – wie der Lahme und Blinde für die Fortschaffung und Leitung verbunden –: »die eine tragend und geleitet« (Natur?), »die andere getragen und leitend« (Seele?). Durch diese Vereinigung der Seele und Natur sei die Schöpfung bewirkt, bestehend in der Entwicklung der Intelligenz und der übrigen Prinzipien. Diese Einheit ist dann der Halt an und für sich, für das, was ist, überhaupt, und für die Erhaltung desselben. Das ist ein großer Gedanke. Im Denken ist enthalten die Negation des Gegenstandes; und das negative Verhalten ist notwendig, um zu begreifen. Es hat dies viel mehr Tiefe als das Gerede vom unmittelbaren Bewußtsein. Wenn man dagegen sagt, die Orientalen haben in der Einigkeit mit der Natur gelebt, so ist dies ein oberflächlicher und schiefer Ausdruck. Denn eben die Tätigkeit der Seele, der Geist ist allerdings in Verhältnis zur Natur und in Einigkeit mit dem wahrhaften der Natur. Aber diese wahrhafte Einigkeit enthält wesentlich das Moment der Negation der Natur, wie sie unmittelbar ist. Solche unmittelbare Einigkeit ist nur das Leben der Tiere, das sinnliche Leben, Wahrnehmen. Das Geistige ist nur so eins mit der Natur, als in sich seiend und zugleich das Natürliche als negativ setzend.

Die Idee, die also bei den Indern vorhanden ist, ist Einigkeit der Natur und der Seele; und diese Einigkeit ist dann Schöpfung. Sie sagen, der Wunsch und Zweck der Seele sei Genuß und Befreiung. Sie sei zu diesem Behufe mit einer feinen Umgebung angetan, in welcher alle obigen Prinzipien, aber nur bis zur elementarischen Entfaltung, enthalten seien. Es ist in dieser Idee etwas von unserem Ideellen, von dem Ansich vorhanden; wie die Blüte schon im Keim ideell,[154] nicht aber wirksam und reell ist. Der Ausdruck dafür ist Lingam, die Zeugunskraft, Wirkungskraft des Natürlichen, welche hochgestellt wird in allen indischen Vorstellungen. Diese feine Gestalt nehme dann gröbere Körperlichkeit an und verkleide sich in mehrere Gestalten. Und um nun das Herabfallen in die gröbere Körperlichkeit zu verhindern, ist die Kontemplation, die Philosophie als Mittel angegeben.

Bisher haben wir die abstrakten Prinzipien gesehen. Von der Schöpfung der konkreten Wirklichkeit des Universums ist folgendes zu erwähnen. Die körperliche Schöpfung bestehe in der Seele, bekleidet mit gröberem Körper, und begreife acht Ordnungen höherer Wesen und fünf Ordnungen unterer Wesen, welche mit dem Menschen, der eine eigene Klasse bildet, vierzehn Ordnungen ausmachen und in drei Welten oder Klassen verteilt sind. Die ersten acht Ordnungen haben Benennungen, welche in der indischen Mythologie vorkommen: Brahma, Prajapati, Indra usf.; es sind sowohl Götter als Halbgötter. Brahma selbst ist hier vorgestellt als ein Geschaffenes. Die fünf niederen Ordnungen sind: die Tiere: die vierfüßigen in zwei Klassen, drittens die Vögel, viertens die Reptilien, Fische und Insekten, und endlich fünftens die vegetabilischen und die unorganischen Substanzen. Der Aufenthalt der acht höheren Klassen sei im Himmel; sie genießen Güte und Tugend und seien somit glückselig, aber nur unvollkommen und vorübergehend. Darunter sei nun der Sitz der Finsternis oder Täuschung, wo Wesen der niederen Ordnungen wohnen. Dazwischen sei die menschliche Welt, wo Falschheit (foulness) oder Leidenschaft vorwalten.

Diesen drei der materiellen Schöpfung angehörigen Welten setzt nun das System noch eine andere Schöpfung gegen über, die »intellektuelle, bestehend in Verstandesvermögen, Empfindungen, welche wieder in vier Klassen geteilt werden: Bestimmungen, die Hindernisse sind; die unfähig machen; die befriedigen; und die die Intelligenz vollkommen machen.« 1. »Von den hindernden Bestimmungen werden[155] 62 aufgeführt: acht Arten des Irrtums; ebenso viele der Meinung (Täuschung); zehn der Leidenschaft (als des Extrems der Täuschung); achtzehn des Hasses (Düsterheit); ebenso viele des Kummers.« Es zeigt sich hier mehr ein empirisch psychologisch beobachtendes Verfahren. 2. »Die Unfähigkeit der Intelligenz hat wieder achtundzwanzig Spezies: Beschädigung, Mangel der Organe usf.« 3. »Die Befriedigung ist entweder innerlich oder äußerlich. Die innerliche Befriedigung ist vierfach: die erste betrifft die Natur«, das ganz Allgemeine, Substantielle, »und wird gesetzt in die Meinung, daß die Erkenntnis eine Modifikation des Prinzips der Natur selbst sei, verknüpft mit der Erwartung einer Befreiung durch den Akt der Natur«, – daß die Natur in der philosophischen Erkenntnis Befreiung gewähren werde. Die wahrhafte Befreiung ist jedoch nicht als Akt der Natur zu erwarten; es ist die Seele, die sie durch sich, durch ihre denkende Tätigkeit hervorzubringen hat.

»Die zweite Befriedigung ist der Glaube, daß asketische Übungen hinreichen, sich der Befreiung zu versichern« (durch Schmerzen, Qualen, Büßungen). »Die dritte betrifft die Zeit: die Vorstellung, daß die Befreiung im Laufe der Zeit kommen werde, ohne Studium. Die vierte Befriedigung ist die durch die Vorstellung des Glücks, daß die Befreiung vom Schicksal abhänge. Die äußerliche Weise der Befriedigung bezieht sich auf Enthaltsamkeit vom Genuß, aber aus sinnlichen Motiven, z.B. aus Abneigung gegen die Unruhe der Erwerbung« (des Handelns), »aus Furcht vor den üblen Folgen des Genusses« usw. 4. Von der Vervollkommnung der Intelligenz sind wieder mehrere Arten angegeben, unter anderen auch die direkte psychologische Weise, »den Geist zu vervollkommnen, z.B. durch Räsonieren, freundschaftliche Unterhaltung« usw., wie man dies auch in unseren angewandten Logiken wohl finden kann.

Noch ist einiges Bestimmtere über den Hauptpunkt des Systems zu bemerken. »Die Samkhja, wie die anderen indischen Systeme der Philosophie, beschäftigen sich besonders[156] mit den drei Qualitäten (Gunas)«, Momenten der absoluten Idee, »die als Substanzen, als Modifikationen der Natur vorgestellt werden.« Es ist merkwürdig, daß bei den Indern dies in ihr beobachtendes Bewußtsein gefallen ist, daß das, was wahr und an und für sich ist, drei Bestimmungen enthält und der Begriff der Idee in drei Momenten vollendet ist. Dieses hohe Bewußtsein der Dreiheit, welches wir auch bei Platon und anderen wiederfinden, ist dann verlorengegangen in der Region des denkenden Betrachtens und erhielt sich nur in der Religion, aber als ein Jenseitiges. Der Verstand ist dann dahintergekommen und erklärte es für Unsinn. Erst Kant hat zu seinem Erkennen wieder die Bahn gebrochen. Die Wesenheit und Totalität des Begriffs von allem, in seiner Substanz betrachtet, wird nun durch die Dreiheit der Bestimmungen absorbiert; und es ist das Interesse der Zeit geworden, dies zum Bewußtsein zu bringen.

Bei den Indern ist dies Bewußtsein bloß durch sinnige Beobachtung hervorgegangen, und sie bestimmen nun näher diese Qualitäten so: Die erste und höchste sei die Güte (sattwa), sie sei erhaben, erleuchtend, verbunden mit Freude, Glückseligkeit; die Tugend walte in ihr vor. Sie sei im Feuer überwiegend; darum steige die Flamme auf und fliegen die Funken aufwärts. Wenn sie im Menschen das Übergewicht habe, wie sie es in den acht höheren Ordnungen habe, so sei sie die Ursache der Tugend. – Das ist also das durchaus und in jeder Rücksicht affirmative Allgemeine in abstrakter Form. Die zweite und mittlere Qualität sei die Häßlichkeit (foulness) oder Leidenschaft (rajas, tejas, Trieb, Neigung), die für sich blind ist, das Unreine, Schädliche. Sie sei tätig, heftig und veränderlich, verbunden mit Übel und Unglück, das Übergewicht habend in der Luft, weshalb der Wind sich kreuzweise bewege; in lebenden Wesen die Ursache des Lasters. Die dritte und letzte Qualität sei die Finsternis (tamas), sie sei träge und hinderlich, mit Sorge, Stumpfheit und Täuschung verbunden, das Übergewicht habend in Erde und Wasser, weshalb diese fallen und nach[157] unten streben; in lebendigen Wesen die Ursache der Dummheit. – Die erste Qualität ist somit die Einheit mit sich; die zweite das Manifestieren, das Prinzip der Differenz, der Trieb, die Entzweiung, als Schlechtigkeit; die dritte dann aber bloß Negation, wie sie auch im Konkreten der Mythologie vorgestellt wird als Schiwa (Mahadewa, Maheswara), der Gott der Zerstörung und Veränderung. Der wichtige Unterschied gegen uns fällt dahin, daß das dritte Prinzip nicht ist die Rückkehr in das erste, wie der Geist, die Idee dies fordert, vermittels des Aufhebens der Negation sich mit sich selbst zu vermitteln und in sich selbst zurückzugehen. Bei den Indern bleibt das Dritte Veränderung, Vernichtung.

»Diese drei Qualitäten werden vorgestellt als die Wesenheit der Natur. Die Samkhja sagt: ›Wir sprechen von ihnen wie von den Bäumen eines Waldes.‹« Dies ist jedoch ein schlechter Vergleich; denn der Wald ist nur ein abstrakt Allgemeines, worin die Einzelnen selbständig sind. »In den religiösen Vorstellungen der Wedas« (wo diese Qualitäten auch als Trimurti vorkommen) »wird von ihnen gesprochen als von sukzessiven Modifikationen, so daß ›alles zuerst Finsternis war, dann den Befehl erhielt, sich zu verwandeln, so die Weise des Triebes, der Wirksamkeit (foulness) annahm‹« (die aber noch schlimmer ist), »›bis sie endlich auf nochmaligen Befehl Brahmas die Form der Güte annahm‹«.

Das Fernere sind nähere Bestimmungen der Intelligenz in Rücksicht auf diese Qualitäten. »Zur Intelligenz werden acht Arten gerechnet, wovon vier der Güte angehören: erstens Tugend; zweitens Wissenschaft und Kenntnis; drittens Leidenschaftslosigkeit, die entweder äußerliches, sinnliches Motiv habe, die Abneigung vor Unruhe, oder geistiger Art sei und aus der Überzeugung erwachse, daß die Natur ein Traum sei, eine bloße Gaukelei und Täuschung; viertens die Macht.« Diese sei achtfach, und da sind denn acht sonderbare Eigenschaften angegeben: das Vermögen,[158] sich in eine ganz kleine Gestalt zusammenzunehmen, für die jedes Ding durchdringlich sei; das Vermögen, sich zu einem gigantischen Leibe auszudehnen; das Vermögen, eine Leichtigkeit anzunehmen, um an einem Sonnenstrahl in die Sonne steigen zu können; der Besitz von unbegrenzter Aktion der Organe, so daß man mit den Fingerspitzen den Mond berühren könne; unwiderstehlicher Wille, so daß man z.B. in die Erde tauchen könne so leicht wie in Wasser; Herrschaft über alle belebten und unbelebten Wesen; die Kraft, den Lauf der Natur zu verändern; das Vermögen, alles, was man wünsche, zu vollbringen.

»Daß solche transzendente Macht«, fährt Colebrooke fort, »dem Menschen in seinem Leben erreichbar sei, ist nicht der Samkhja-Sekte eigentümlich, sondern allen Systemen und religiösen Vorstellungen gemein; und solche Macht wird von vielen Heiligen und Brahmanen in Dramen und Volkserzählungen dargestellt und geglaubt.« Die sinnliche Evidenz hilft dagegen nicht; denn sinnliche Wahrnehmung ist für die Inder überhaupt nicht vorhanden, alles travestiert sich in Bilder der Phantasie, jeder Traum gilt ihnen als Wahrheit und Wirklichkeit. Diese Macht schreibt die Samkhja dem Menschen zu, insofern er durch Bildung seines Denkens sich in die Innerlichkeit erhebt. »Die Yoga-Sutra nennt in dem einen ihrer vier Kapitel eine Menge von Übungen«, wodurch solche Macht erlangt wird: z.B. tiefe Meditation, die mit Zurückhaltung des Atems und Untätigkeit der Sinne begleitet sei, während eine vorgeschriebene Stellung beständig beibehalten werde. Durch solche Übungen erlange der Adept die Kenntnis alles Vergangenen wie Zukünftigen: die Gedanken der anderen zu erraten; die Stärke des Elefanten, den Mut des Löwen, die Schnelligkeit des Windes zu haben; in der Luft zu fliegen, im Wasser zu schwimmen, in die Erde zu tauchen; alle Welten in einem Augenblicke zu übersehen und andere wunderbare Taten zu verrichten. Die schnellste Weise aber, die Glückseligkeit durch tiefe Kontemplation zu erreichen, sei diejenige Andacht zu[159] Gott, welche darin bestehe, den mystischen Namen Gottes, Om, stets zu murmeln. Dies ist eine ganz allgemeine Vorstellung.

Colebrooke erwähnt näher die theistische und atheistische Teilung der Samkhja. Während im theistischen System »Iswara, der oberste Regierer der Welt, als eine von den anderen Seelen unterschiedene Seele oder Geist angenommen wird, leugnet Kapila« (in der atheistischen Samkhja) »den Iswara, Urheber der Welt mit bewußtem Willen (by volition), indem er anführt, daß es keinen Beweis fürs Dasein Gottes gebe. Die Wahrnehmung zeige es nicht, noch lasse es sich durchs Schließen ableiten. Er erkennt zwar ein aus der Natur hervorgehendes Wesen an, welches die absolute Intelligenz sei, die Quelle aller individuellen Intelligenzen und der Ursprung aller anderen Existenzen, die sich nach und nach aus ihr entwickeln. Er bemerkt ausdrücklich, daß ›die Wahrheit solch eines Iswara bewiesen ist‹, des Schöpfers der Welt in solchem Sinne der Schöpfung, aber ›die Existenz von Wirkungen‹ (sagt er) ›hängt von der Seele, dem Bewußtsein, nicht von Iswara ab; alles kommt von dem großen Prinzip, der Intelligenz her‹«, der die individuelle Seele angehört, durch welche sie betätigt wird.

3. Was den dritten Abschnitt der Samkhja betrifft, die bestimmtere Weise der Erkenntnis des Prinzips, so will ich hier noch einige Bemerkungen herausheben, die Interesse haben können. Von den verschiedenen schon angegebenen Erkenntnisarten bleibt die des Räsonnements, der Zusammenhang im Schluß durch das Verhältnis von Ursache und Wirkung, hierbei Hauptbestimmung, und ich will angeben, wie sie dies Verhältnis auffassen. »Der Verstand und alle anderen abgeleiteten Prinzipien sind Wirkungen. Von ihnen schließen sie auf ihre Ursachen«; dies ist in einiger Rücksicht analog mit unserem Schließen, in anderer abweichend. Sie haben die Ansicht: »Die Wirkungen existieren schon vor dem Wirken der Ursache; denn was nicht existiert, kann nicht durch Kausalität in die Existenz gesetzt werden.«[160] (Eine Konsequenz hiervon wäre die Ewigkeit der Welt, denn der Satz: »Aus Nichts wird Nichts«, an den auch Colebrooke hier erinnert, widerspricht der Erschaffung der Welt aus Nichts in unserer religiösen Form.) Colebrooke sagt: »Das heißt, Wirkungen sind Edukte eher als Produkte.« Es ist gerade die Frage: was sind Produkte? Nach den Indern ist nun schon die Wirkung in der Ursache enthalten. Z.B. sei das Öl schon in dem Samen des Sesamum, ehe es ausgepreßt wird, Reis in dem Halm, ehe er gedroschen, Milch in dem Euter der Kuh, ehe sie gemolken. Der Inhalt, »das Wesen der Ursache und Wirkung ist dasselbe«; ein Stück Kleid sei nicht wesentlich verschieden von dem Garn, woraus es gewoben. So fassen die Inder dies Verhältnis auf. Wenn man sagt: ex nihilo nihil fit, so muß man zugleich sagen: Gott schafft die Welt nicht aus Nichts, sondern aus sich; es ist seine eigene Bestimmung, die er in die Existenz bringt. Der Unterschied von Ursache und Wirkung ist nur ein Formenunterschied; der Verstand hält sie auseinander, nicht die Vernunft. Die Nässe ist dasselbe wie der Regen. Wir nennen es in der Mechanik verschiedene Bewegungen, aber die Bewegung hat dieselbe Geschwindigkeit vor dem Stoß und nach demselben – ein Verhältnis, das nach dem gewöhnlichen Bewußtsein ganz verschieden ist. Dies ist die Indifferenz von Ursache und Wirkung.

Die Inder schließen nun auf »eine allgemeine Ursache, welche ununterscheidbar ist. Die bestimmten Dinge sind endlich«, und deshalb müsse es eine sie durchdringende Ursache geben. Selbst die Intelligenz ist Wirkung dieser Ursache; und dies ist die Seele, sofern sie schaffend ist in dieser Identität mit der Natur nach ihrem Abstrahieren davon. Die Wirkung geht von der Ursache aus; aber umgekehrt ist sie nicht selbständig, sondern geht zurück in die allgemeine Ursache. Die Erschaffung der drei Welten tritt hervor; aber damit ist zugleich die allgemeine Zerstörung gesetzt. Wie die Schildkröte ihre Glieder ausstrecke und hernach sie wieder innerhalb ihrer Schale zurückziehe, so werden bei[161] dem allgemeinen Untergange und Auflösung der Dinge, welche zu einer bestimmten Zeit eintrete, die fünf Elemente, Erde usf., welche die drei Welten konstituieren, wieder in der umgekehrten Ordnung eingezogen als die, in welcher sie aus dem ursprünglichen Prinzip hervorgingen, indem sie Schritt für Schritt in ihre erste Ursache zurückkehren, – die höchste und ununterscheidbare, welche sei die Natur. Dieser werden »die drei Qualitäten: Güte, Leidenschaft und Finsternis« beigelegt. Das nähere Verhältnis dieser Bestimmungen könnte sehr interessant sein; aber es ist nur sehr oberflächlich aufgefaßt: Die Natur wirke nämlich durch die Mischung dieser drei Qualitäten; jedes Ding habe alle drei in sich, wie drei Ströme, die zusammenfließen. Ebenso wirke sie durch Modifikation, wie das Wasser, durch die Wurzeln der Pflanze eingesaugt und innerhalb der Frucht geleitet, einen besonderen Wohlgeschmack erhalte. Es sind so nur die Kategorien von Vermischung und Modifikation vorhanden. Sie sagen, die Natur habe jene drei Qualitäten in ihrem eigenen Rechte, als ihre Formen und Eigenschaften die anderen Dinge nur, weil sie in ihnen als die Wirkungen jener vorhanden seien.

Zu betrachten haben wir noch das Verhältnis der Natur zum Geist: »Die Natur, ob sie gleich unbeseelt ist« – (die Seele ist für sich, kein Gegenstand des Genusses, auch nicht hervorgebracht), »die Natur verrichtet das Amt, die Seele vorzubereiten zu ihrer Befreiung, wie es die Funktion der Milch – einer Substanz, die keine Empfindung hat – ist, das Kalb zu ernähren.« Sie machen folgenden Vergleich: Die Natur sei einer Bajadere gleich, die sich der Seele zeige wie zu einer Audienz. Sie werde geschmäht über ihre Schamlosigkeit, sich zu wiederholten Malen dem rohen Anblick des Zuschauers preiszugeben. »Aber sie tritt ab, wenn sie sich genug gezeigt hat; sie tut's weil sie gesehen worden ist; und der Zuschauer tritt ab, weil er sie gesehen hat. Sie hat keinen weiteren Gebrauch für die Welt. Dennoch bleibt die Verbindung der Natur und der Seele fortdauernd bestehen.«[162] Mit der Erreichung der geistigen Erkenntnis durch Studium der Prinzipien werde die entscheidende, unwiderlegbare, einzige Wahrheit gelernt, daß »ich weder bin, noch etwas mein ist, noch ich existiere.« Die Ichheit ist nämlich noch unterschieden von der Seele; und zuletzt verschwindet die Ichheit, das Selbstbewußtsein dem Inder: »Alles, was im Bewußtsein, Verstande vorkommt, wird reflektiert von der Seele, aber als ein Bild, das den Kristall der Seele nicht beschmutzt, ihm auch nicht angehört. Im Besitz dieser Selbstkenntnis« (ohne Ichheit) »betrachtet die Seele bequem die Natur, dadurch entnommen der fruchtbaren Veränderung und befreit von jeder anderen Form und Wirkung des Verstandes, diese geistige Erkenntnis ausgenommen«, – ein vermitteltes, geistiges Wissen von dem ebenso vergeistigten Inhalte, ein Wissen ohne Ichheit und Bewußtsein. »Die Seele bleibt zwar einige Zeit noch mit einem Körper bekleidet, aber nur so, wie das Rad des Töpfers, wenn auch der Topf schon vollendet ist, sich noch dreht, durch die Kraft des früher ihm gegebenen Impulses.« Die Seele hat also nach den Indern nichts mehr mit dem Körper zu tun, und ihr Verhältnis zu ihm wird damit ein überflüssiges. »Wenn aber dann die Trennung der unterrichteten Seele von ihrem Körper endlich eintritt und die Natur in Rücksicht der Seele aufhört, so ist die absolute und letztliche Befreiung vollendet.« Dies sind die Hauptmomente der Samkhja-Philosophie.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 150-163.
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