[459] Die Zentraljunta versagte in der Verteidigung ihres Vaterlands, weil sie in ihrer revolutionären Mission versagt hatte. Im Bewußtsein der eigenen Schwäche, der unsicheren Grundlage ihrer Macht und ihrer außerordentlichen Unpopularität, wie konnte sie da wagen, den allen revolutionären Epochen eigentümlichen Rivalitäten, Eifersüchteleien und anmaßenden Prätensionen ihrer Generale anders entgegenzutreten als durch unwürdige Tricks und kleinliche Intrigen? Da sie ständig in Furcht und Argwohn gegen ihre eigenen militärischen Befehlshaber lebte, so dürfen wir Wellington vollen Glauben schenken, wenn er seinem Bruder, dem Marquis von Wellesley, am 1. September 1809 schreibt:
»Ich fürchte sehr, daß, soweit ich das Vorgehen der Zentraljunta beobachten konnte, sie viel weniger ihr Augenmerk auf militärische Verteidigung und militärische Operationen richtet als auf politische Intrigen und auf Erreichung kleinlicher politischer Ziele.«
In revolutionären Zeiten, wo alle Bande der Subordination gelockert sind, kann die militärische Disziplin nur aufrechterhalten werden, wenn die Generale unter strengster bürgerlicher Disziplin gehalten werden. Weil die Zentraljunta infolge ihrer disharmonischen Zusammensetzung es niemals fertig brachte, ihre Generale im Zaum zu halten, so vermochten die Generale auch wieder nicht, ihre Soldaten zu bändigen, und bis zum Schluß des Kriegs erreichte die spanische Armee niemals ein Durchschnittsmaß an Disziplin und Subordination. Diese Insubordination wurde noch verstärkt durch den Mangel an Nahrung, Kleidung und allen anderen materiellen Bedürfnissen einer Armee – denn die moralische Verfassung einer Armee hängt, wie Napoleon sich ausdrückte, ganz von ihrer materiellen Verfassung ab. Die Zentraljunta war nicht imstande, die Armee regelmäßig zu versorgen; dazu reichten die Manifeste des armen Poeten Quintana nicht aus, und um ihren Dekreten den nötigen Nachdruck zu verleihen, hätte sie zu denselben revolutionären Maßnahmen greifen müssen, die sie in den Provinzen verurteilt hatte. Sogar[459] die allgemeine Wehrpflicht ohne Ausnahmen und ohne Rücksicht auf Privilegien und die jedem geborenen Spanier garantierte Möglichkeit, in der Armee jede Rangstufe erklimmen zu können, waren das Werk der Provinzialjuntas und nicht der Zentraljunta. Waren also einerseits die Niederlagen der spanischen Armee hervorgerufen durch die konterrevolutionäre Unfähigkeit der Zentraljunta, so drückten diese Mißgeschicke andrerseits wieder diese Regierung noch mehr herab, und in dem Maße, als sie zum Gegenstand der öffentlichen Mißachtung und des öffentlichen Mißtrauens wurde, wuchs ihre Abhängigkeit von unfähigen, aber anmaßenden militärischen Befehlshabern.
Obzwar überall geschlagen, tauchte die spanische stehende Armee dennoch immer wieder überall auf. Mehr als zwanzigmal zerstreut, war sie stets wieder bereit, dem Feind entgegenzutreten, und erschien oft nach einer Niederlage wieder in erneuter Stärke. Es hatte keinen Zweck, sie zu schlagen, denn bei ihrer raschen Flucht war ihr Verlust an Menschen meistens gering, und aus dem Verlust an Gebiet machte sie sich nichts. Nachdem sie sich hastig auf die Sierras zurückgezogen, konnte man sicher sein, daß sie sich wieder sammeln und, verstärkt durch neuen Zuzug, wieder auftauchen würde, wenn man sie am wenigsten erwartete, und war sie auch nicht fähig, den Franzosen Widerstand zu leisten, so war sie doch imstande, sie in steter Bewegung zu halten und zu zwingen, ihre Kräfte zu zersplittern. Glücklicher als die Russen, hatten sie es nicht einmal nötig, erst zu sterben, um von den Toten auferstehen zu können.
Die verhängnisvolle Schlacht von Ocaña am 19. November 1809 war die letzte große reguläre Schlacht, die die Spanier ausfochten; von dieser Zeit an beschränkten sie sich auf den Guerillakrieg. Schon die Tatsache, daß sie die regelrechte Kriegführung aufgaben, beweist die Verdrängung der nationalen durch lokale Regierungszentren. Als die Mißerfolge der stehenden Armee sich regelmäßig wiederholten, wurde die Erhebung der Guerillas allgemein, und die Masse des Volkes dachte kaum mehr an die nationalen Niederlagen, sondern berauschte sich an den lokalen Erfolgen seiner Helden. In diesem einen Punkt wenigstens teilte die Zentraljunta die allgemeinen Illusionen. »Von einer Guerillaaffäre wurden in der ›Gaceta‹ genauere Berichte gebracht als von der Schlacht von Ocaña.«
So wie Don Quixote mit seiner Lanze gegen das Schießpulver protestiert hatte, so protestierten die Guerillas gegen Napoleon, nur war der Erfolg ein anderer.
»Diese Guerillas«, sagt die »Oestreichische militärische Zeitschrift«, (Band I, 1821) »trugen sozusagen ihre Basis in sich selbst, und jede Unternehmung gegen sie endete mit einem verschwundenen Objekte.«[460]
Man muß in der Geschichte des Guerillakrieges drei Perioden unterscheiden. In der ersten griff die Bevölkerung ganzer Provinzen zu den Waffen und führte einen Freischärlerkrieg, wie in Galicien und Asturien. In der zweiten betrieben Guerillabanden, die sich aus den Resten der spanischen Armeen, aus spanischen Deserteuren der französischen Armeen, aus Schmugglern etc. gebildet hatten, den Krieg als ihre eigene Sache, unabhängig von jedem fremden Einfluß und nur, soweit er ihren unmittelbaren Interessen diente. Durch glückliche Zufälle und Umstände machten sie sich häufig zu Herren ganzer Bezirke. Solange die Guerillas sich in dieser Weise zusammenfanden, flößten sie als Ganzes wohl keinen Schrecken ein, waren aber nichtsdestoweniger den Franzosen äußerst gefährlich. Sie bildeten die Grundlage einer tatsächlichen Volksbewaffnung. Bot sich die Gelegenheit zu einem Beutezug, oder plante man ein gemeinsames Unternehmen, so fanden sich die rührigsten und verwegensten Elemente der Bevölkerung ein, und diese vereinigten sich dann mit den Guerillas. Mit äußerster Schnelligkeit stürzten sie sich auf ihre Beute oder stellten sich in Schlachtordnung auf, je nachdem es das Unternehmen erheischte. Häufig kam es vor, daß sie einen ganzen Tag einem wachsamen Feind gegenüberstanden, nur um einen Kurier abzufangen oder Vorräte zu ergattern. Auf diese Art hatte der jüngere Mina den Vizekönig von Navarra abgefangen, der von Joseph Bonaparte eingesetzt war, und ebenso hatte Julian den Kommandanten von Ciudad Rodrigo zum Gefangenen gemacht. War ihr Vorhaben ausgeführt, so ging jeder einzelne wieder seines Weges, und man konnte bewaffnete Männer sich nach allen Richtungen zerstreuen sehen; die Bauern aber, die sich angeschlossen hatten, kehrten ruhig wieder zu ihrer gewohnten Beschäftigung zurück, »ohne daß ihre Abwesenheit auch nur bemerkt worden wäre«. Dadurch war der Verkehr auf allen Wegen unterbunden. Tausende von Feinden waren zur Stelle, und dabei wurde kein einziger sichtbar. Kein Kurier konnte abgesandt, ohne abgefaßt, kein Proviant verschickt, ohne abgefangen, kurz, keine Bewegung unternommen, ohne von Hunderten von Augen beobachtet zu werden. Dabei aber gab es keine Mittel, eine derartige Verbindung an der Wurzel zu fassen. Die Franzosen mußten unaufhörlich gerüstet sein gegen einen Feind, der, obwohl unausgesetzt auf der Flucht, doch immer wieder auftauchte, der überall war, ohne daß man ihn je zu Gesicht bekam, da ihm die Berge als Schlupfwinkel dienten. Abbé de Pradt sagt:
»Es waren weder Schlachten noch Zusammenstöße, die die Franzosen erschöpften, sondern die unaufhörlichen Quälereien eines unsichtbaren Feindes, der sich im Volk verlor, wenn man ihn verfolgte, um aus demselben alsbald wieder mit erneuter Kraft[461] emporzutauchen. Der Löwe in der Fabel, den die Mücke zu Tode peinigt, gibt ein getreues Bild der französischen Armee.«
In ihrer dritten Periode äfften die Guerillas ein regelrechtes stehendes Heer nach, verstärkten ihre Korps auf 3000 bis 6000 Mann, hörten auf, die Sache ganzer Bezirke zu sein, und gerieten in die Hände einiger weniger Führer, die sie für ihre eigenen Zwecke mißbrauchten. Diese Änderung des Systems verschaffte den Franzosen bei ihren Kämpfen mit den Guerillas beträchtliche Vorteile. Durch ihre große Zahl wurde es den Guerillas unmöglich, sich wie bisher zu verstecken und plötzlich zu verschwinden, ohne sich zum Kampf stellen zu müssen; sie wurden jetzt häufig eingeholt, geschlagen, zerstreut und für einige Zeit außerstande gesetzt, weitere Beunruhigung zu verursachen.
Vergleicht man die drei Perioden des Guerillakrieges mit der politischen Geschichte Spaniens, so findet man, daß sie die entsprechenden Grade darstellen, bis zu denen der konterrevolutionäre Geist der Regierung die Begeisterung des Volkes nach und nach abgekühlt hatte. Im Anfang hatte sich die ganze Bevölkerung erhoben, dann wurde von Guerillabanden der Freischärlerkrieg geführt, dessen Reserven ganze Bezirke bildeten, und schließlich endeten sie in losen Korps, die stets auf dem Punkt standen, zu Banditen zu werden oder auf das Niveau stehender Regimenter herabzusinken.
Entfremdung von der obersten Regierung, gelockerte Disziplin, unaufhörliches Mißgeschick, beständige Formierung, Auflösung und Wiederformierung – und das sechs Jahre lang in allen Kadern – mußten der Gesamtheit der spanischen Armee das Gepräge des Prätorianertums geben und sie gleichermaßen zum Werkzeug oder zur Peitsche ihrer Führer werden lassen. Die Generale selbst hatten notwendigerweise entweder an der Zentralregierung teilgenommen, oder sie hatten sich mit ihr gestritten oder gegen sie konspiriert; stets aber hatten sie das Gewicht ihres Schwerts in die politische Waagschale geworfen. So hatte Cuesta, der später das Vertrauen der Zentraljunta in dem selben Maße zu gewinnen schien, wie er ihre Schlachten verlor, mit dem Consejo Real zu konspirieren begonnen und die Abgeordneten der Zentraljunta für León gefangengesetzt. General Morla, selbst Mitglied der Zentraljunta, ging in das bonapartistische Lager über, nachdem er Madrid den Franzosen ausgeliefert hatte. Der geckenhafte Marquis de las Romerias, ebenfalls ein Mitglied der Junta, konspirierte gegen sie mit dem aufgeblasenen Francisco Palafox, mit dem nichtswürdigen Montijo und mit der aufrührerischen Junta von Sevilla. Die Generale Castaños, Blake, La Bisbal (ein O'Donnell) figurierten nacheinander als Regenten zur Zeit der Cortes und intrigierten ununterbrochen. Der Generalkapitän von Valencia, Don Xavier[462] Elio, lieferte Spanien schließlich auf Gnade und Ungnade an Ferdinand VII. aus. Das prätorianische Element war sicher unter den Generalen stärker vertreten als unter ihren Truppen.
Auf der anderen Seite bildeten die Armee und die Guerilleros – die während des Kriegs einen Teil ihrer Führer, wie Porlier, Lacy, Eroles und Villacampa, aus den Reihen der hervorragendsten Linienoffiziere genommen hatten, während die Linie wiederum später Guerillaführer, wie Mina, Empecinado und andere, aufnahm – den revolutionärsten Teil der spanischen Gesellschaft; sie rekrutierten sich aus allen Kreisen, eingeschlossen die ganze feurige, strebsame und patriotische Jugend, alle, die dem einschläfernden Einfluß der Zentralregierung nicht zugänglich waren und sich von den Fesseln des ancien régime befreit hatten; ein Teil von ihnen, darunter Riego, kehrte nach mehrjähriger Gefangenschaft aus Frankreich zurück. Wir brauchen daher durchaus nicht überrascht zu sein über den Einfluß, den die spanische Armee in späteren Bewegungen ausübte; weder wenn sie die revolutionäre Initiative ergriff, noch wenn sie durch ihr Prätorianertum die Revolution schädigte.
Die Guerillas selbst mußten, das ist klar, nachdem sie so viele Jahre auf dem Schauplatz blutiger Kämpfe agiert, die Gewohnheiten von Landstreichern angenommen und allen ihren Leidenschaften des Hasses, der Rache und der Plünderungswut freien Lauf gelassen hatten, in Friedenszeiten einen höchst gefährlichen Mob bilden, der stets auf jeden Wink bereit war, im Namen irgendeiner Partei oder irgendeines Prinzips für denjenigen aufzutreten, der gut bezahlte oder den willkommenen Vorwand zu einem Plünderungsstreifzug bot.
Am 24. September 1810 versammelten sich die außerordentlichen Cortes auf der Isla de León; am 20. Februar 1811 verlegten sie ihre Sitzungen von da nach Cadiz; am 19. März 1812 verkündeten sie die neue Konstitution, und am 20. September 1813 schlossen sie ihre Sitzungen, drei Jahre nach deren Eröffnung.
Die Umstände, unter denen dieser Kongreß zusammentrat, sind ohnegleichen in der Geschichte. Kein gesetzgebender Körper hat je zuvor seine Mitglieder aus so verschiedenen Teilen der Weltkugel zusammenberufen, keiner hatte je zuvor über so gewaltige Gebiete in Europa, Amerika und Asien, über so verschiedene Rassen und so verwickelte Interessen zu bestimmen[463] gehabt wie dieser; und das zu einer Zeit, wo fast ganz Spanien von den Franzosen okkupiert war und der Kongreß selbst, von Spanien buchstäblich durch feindliche Armeen abgeschnitten und auf einen schmalen Landstreifen verbannt, angesichts einer ihn umgebenden und belagernden Armee seine Gesetze erlassen mußte. Von dem entfernten Winkel der Isla Caditana aus wollten diese Männer die Grundlage zu einem neuen Spanien legen, wie ihre Vorväter dies von den Bergen von Cavadonga und Sobrarbe aus getan hatten. Wie sollen wir das merkwürdige Phänomen dieser Konstitution von 1812 erklären, die später die gekrönten Häupter Europas in ihrer Versammlung zu Verona als die aufwieglerischste Ausgeburt des Jakobinismus brandmarkten, wie erklären, weshalb diese Konstitution dem Kopfe des alten mönchischen und absolutistischen Spaniens gerade zu einer Zeit entsprang, wo es ganz in einem heiligen Krieg gegen die Revolution aufzugehen schien? Wie sollen wir es andrerseits erklären, daß diese selbe Konstitution plötzlich einem Schatten gleich verschwand – gleich dem »sueño de sombra«, sagen die spanischen Historiker –, als sie mit einem lebenden Bourbonen in Berührung kam? Wenn schon die Entstehung dieser Konstitution ein Rätsel ist, so ist es ihr Verschwinden nicht minder. Um das Rätsel zu lösen, wollen wir mit einem kurzen Kommentar eben dieser Konstitution von 1812 beginnen, die die Spanier später noch zweimal verwirklichen wollten – zuerst in dem Zeitraum von 1820 bis 1823 und dann im Jahre 1836.
Die Konstitution von 1812 besteht aus 384 Artikeln und umfaßt folgende zehn Abschnitte: 1. Die spanische Nation und die Spanier; 2. das Territorium Spaniens, seine Religion und Regierung und die spanischen Bürger; 3. die Cortes; 4. der König; 5. die Gerichtshöfe und die Verwaltung der Zivil- und Kriminaljustiz; 6. die innere Regierung der Provinzen und Städte; 7. die Steuern; 8. die Nationalkriegsmacht; 9. der öffentliche Unterricht; 10. die Beobachtung der Konstitution und die Art, wie man verfährt, um Veränderungen darin vorzunehmen.
Ausgehend von dem Grundsatz, daß
»die Souveränität ihrem Wesen nach im Volke wohnt, dem deshalb ausschließlich das Recht zusteht, seine Grundgesetze aufzustellen«,
proklamiert die Konstitution nichtsdestoweniger eine Teilung der Gewalten; hiernach
»wird die gesetzgebende Gewalt in die Cortes in Gemeinschaft mit dem König verlegt«, »ist die Ausführung der Gesetze dem König anvertraut«; »kommt die Gewalt, die Gesetze in Zivil- und Kriminalsachen in Anwendung zu bringen, ausschließlich den Gerichtshöfen zu. Weder die Cortes noch der König können in irgendeinem Fall[464] richterliche Funktionen ausüben, die schon anhängigen Prozesse zurücknehmen oder schon entschiedene noch einmal vornehmen lassen.«
Die Basis der Nationalrepräsentation ist allein die Bevölkerung; auf je 70000 Seelen kommt ein Deputierter. Die Cortes bestehen aus einem Haus, dem der Gemeinen, und die Wahl der Deputierten erfolgt in allgemeinen Wahlen. Das Wahlrecht genießen alle Spanier mit Ausnahme von Hausgesinde, Bankrotteuren und Verbrechern. Nach dem Jahre 1830 darf kein Bürger dieses Recht ausüben, der nicht lesen und schreiben kann. Die Wahl erfolgt jedoch indirekt, sie muß die drei Stufen der Kirchspiel-, Bezirks- und Provinzialwahlen passieren. Eine bestimmte Vermögensqualifikation gibt es nicht für einen Deputierten. Wohl muß laut Artikel 92 »ein Deputierter der Cortes, um erwählt werden zu können, ein verhältnismäßiges jährliches Einkommen von eigentümlich einem zugehörenden Gütern besitzen«, aber Artikel 93 hebt den vorhergehenden für so lange auf, bis die Cortes bei ihrem späteren Zusammentreten erklären werden, es sei die Zeit gekommen, wo er in Wirksamkeit tritt. Der König hat weder das Recht, die Cortes aufzulösen noch sie zu vertagen; sie versammeln sich alljährlich in der Hauptstadt am 1. März, ohne einberufen zu werden, und tagen mindestens drei Monate hintereinander.
Alle zwei Jahre werden neue Cortes gewählt, und kein Deputierter kann nacheinander in zwei Cortes sitzen, d.h., er kann erst nach Ablauf der nächsten Cortes nach zwei Jahren wiedergewählt werden. Kein Deputierter darf Belohnungen, Pensionen oder Würden vom König fordern oder annehmen. Minister, Staatsräte und diejenigen, die beim königlichen Hofe ein Amt bekleiden, sind als Deputierte für die Cortes nicht wählbar. Kein Regierungsbeamter darf als Deputierter in die Cortes von der Provinz gewählt wer den, in der er sein Amt ausübt. Um die Deputierten für ihre Ausgaben zu entschädigen, sollen die betreffenden Provinzen ein Tagegeld zahlen, das die Cortes im zweiten Jahre jeder Generaldeputation für die Deputation aussetzen werden, die ihnen folgen wird. Die Cortes können nicht in Gegenwart des Königs beratschlagen. In den Fällen, wo die Minister im Namen des Königs den Cortes einige Vorschläge machen, sollen sie auf so lange und in der Art, wie die Cortes es bestimmen werden, den Diskussionen beiwohnen und sprechen, aber bei der Abstimmung nicht zugegen sein. Der König, der Prinz von Asturien und die Regenten müssen vor den Cortes auf die Konstitution schwören; diese entscheiden über jede faktische oder rechtliche Frage, die sich anläßlich der Thronfolge ergeben mag, und haben, wenn nötig, eine Regentschaft zu wählen. Die Cortes müssen alle Verträge über Offensivbündnisse oder über Subsidien und den Handel vor ihrer Ratifikation genehmigen, haben den Zutritt fremder Truppen ins Königreich zu gestatten[465] oder zu verhindern, verfügen die Errichtung oder Abschaffung von Stellen bei den durch die Konstitution errichteten Tribunalen und ebenso die Errichtung oder Abschaffung von Staatsämtern; ferner haben sie alle Jahre auf Vorschlag des Königs die Stärke der Land- und Seestreitkräfte in Friedens- und Kriegszeiten zu bestimmen; für die Armee, die Flotte und Nationalmiliz, wie alle verschiedenen Zweige, woraus sie bestehen, Verordnungen zu erlassen; die Ausgaben der Staatsverwaltung festzusetzen; jährlich die Steuern zu bestimmen, im Fall es notwendig ist, auf den Kredit der Nation Anleihen aufzunehmen; das Geldwesen sowie Gewichts- und Maßsystem zu regeln; einen allgemeinen Plan für den öffentlichen Unterricht zu entwerfen, die politische Preßfreiheit zu schützen, die Verantwortlichkeit der Minister wirklich und wirksam herzustellen usw. Dem König steht bloß ein aufschiebendes Veto zu, das er während zweier aufeinanderfolgender Sessionen ausüben darf; wird aber derselbe Gesetzentwurf ein drittes Mal vorgelegt und von den Cortes des nächsten Jahres angenommen, so gilt die Zustimmung des Königs als gegeben, und er muß sie wirklich erteilen. Bevor die Cortes eine Session schließen, setzen sie einen aus sieben ihrer Mitglieder bestehenden permanenten Ausschuß ein, der in der Hauptstadt bis zum nächsten Zusammentritt der Cortes tagt und ermächtigt ist, die strikte Einhaltung der Konstitution und die genaue Ausführung der Gesetze zu überwachen, den nächsten Cortes über jede Gesetzesverletzung zu berichten, die er wahrgenommen hat, und in kritischen Zeiten außerordentliche Cortes zusammenzuberufen. Der König darf das Land ohne Zustimmung der Cortes nicht verlassen. Zur Eingehung einer Ehe braucht er die Einwilligung der Cortes. Die Cortes setzen für den Hofhalt des Königs jährlich eine Summe aus.
Der einzige Geheime Rat des Königs ist der Staatsrat, dem kein Minister angehören darf und der aus vierzig Personen besteht – aus vier Geistlichen, vier Granden von Spanien sowie aus hervorragenden Verwaltungsbeamten; sie alle werden vom König aus einer von den Cortes aufgestellten Liste von hundertzwanzig Personen ausgewählt; kein Deputierter kann Mitglied des Staatsrats werden, und kein Ratsmitglied darf Ämter, Würden oder Anstellungen vom König annehmen. Die Staatsräte dürfen nicht entlassen werden ohne ausreichende Gründe, die vor dem Obersten Gerichtshof zu erweisen sind. Die Cortes bestimmen das Gehalt dieser Räte, die der König in allen wichtigen Fragen hören muß und die die Kandidaten für geistliche und gerichtliche Ämter ernennen. In den Paragraphen, die sich mit der Gerichtsbarkeit befassen, werden alle alten Consejos abgeschafft, eine neue Organisation der Gerichtshöfe wird eingeführt, ein Oberster Gerichtshof errichtet,[466] der die Minister im Anklagefall zu verhören hat, sich mit allen Fällen der Entlassung oder Amtssuspendierung von Staatsräten und Gerichtsbeamten befassen muß usw. Kein Prozeß darf begonnen werden, ohne daß ein Versöhnungsversuch nachgewiesen ist. Tortur, Zwang und Vermögenskonfiskation werden abgeschafft. Auch alle Aus nahmegerichte sind abgeschafft, bis auf die militärischen und die geistlichen, gegen deren Entscheidungen jedoch an den Obersten Gerichtshof appelliert werden kann.
Für die innere Verwaltung der Städte und Gemeinden (Gemeinden sollen, wo sie noch nicht existieren, in allen Bezirken mit einer Bevölkerung von tausend Seelen gebildet werden) sollen Ayuntamientos geschaffen werden aus einem oder mehreren Magistratsbeamten, Ratsherren und öffentlichen Räten, über die der Polizeipräsident (corregidor) den Vorsitz führt und die in allgemeinen Wahlen gewählt werden. Kein im Amt befindlicher oder durch den König angestellter öffentlicher Beamter ist als Magistratsperson, Ratsherr oder öffentlicher Rat wählbar. Die städtische Tätigkeit soll öffentliche Pflicht sein, von der niemand ohne zwingende rechtliche Ursache befreit sein soll. Die munizipalen Körperschaften sollen alle ihre Pflichten unter der Aufsicht der Provinzialdeputation ausüben.
Die politische Regierung der Provinzen soll dem Gouverneur (jefe politico) anvertraut sein, den der König ernennt. Dieser Gouverneur ist verbunden mit einer Deputation, deren Vorsitzender er ist und die von den Bezirken gewählt wird, sobald sie sich zu den allgemeinen Wahlen der Mitglieder für die neuen Cortes versammeln. Diese Provinzialdeputationen bestehen aus sieben Mitgliedern, denen ein von den Cortes besoldeter Sekretär assistiert. Die Sitzungen dieser Deputationen sollen höchstens neunzig Tage im Jahre dauern. Gemäß den ihnen übertragenen Pflichten und Vollmachten, können sie als ständige Kommissionen der Cortes betrachtet werden. Alle Mitglieder der Ayuntamientos und der Provinzialdeputationen schwören beim Amtsantritt den Treueid auf die Konstitution. Was die Steuern anbelangt, sind alle Spanier ohne Unterschied verpflichtet, im Verhältnis zu ihren Mitteln zu den Staatsausgaben beizutragen. Sämtliche Zollämter sollen abgeschafft werden, mit Ausnahme derjenigen in den Seehäfen oder an der Grenze. Alle Spanier sind ausnahmslos militärpflichtig, und neben der stehenden Armee sollen in allen Provinzen Korps der Nationalmiliz errichtet werden, die aus den Einwohnern derselben, nach Verhältnis ihrer Bevölkerung und ihres Zustandes, gebildet werden. Endlich darf die Konstitution von 1812 auch nicht in irgendwelchen Einzelheiten angetastet, verändert oder korrigiert werden, ehe nicht acht Jahre seit ihrer Einführung verstrichen sind.[467]
Als die Cortes dem spanischen Staate diese neue Grundlage geben wollten, waren sie sich natürlich klar, daß eine solche moderne politische Konstitution völlig unvereinbar mit dem alten sozialen System sei, und sie verkündeten daher eine Anzahl von Dekreten, die eine organische Veränderung der staatlichen Ordnung zum Ziele hatten. So schafften sie die Inquisition ab. Sie beseitigten die herrschaftliche Gerichtsbarkeit mit ihren exklusiven, verbietenden und räuberischen feudalen Privilegien, z.B. Jagd-, Fischerei-, Wald- und Mühlenrecht etc., wobei sie solche ausnahmen, die gegen Entgelt erworben worden waren und die daher entschädigt werden sollten. Sie schafften in der ganzen Monarchie den Zehnten ab, stellten die Besetzung aller geistlichen Stellen ein, soweit diese nicht zur Ausübung des Gottesdienstes notwendig waren, und unternahmen Schritte zur Aufhebung der Klöster und zur Sequestration des klösterlichen Vermögens.
Sie beabsichtigten, die unermeßlichen unbebauten Ländereien, die königlichen Domänen und die Gemeindegüter Spaniens in Privateigentum umzuwandeln; eine Hälfte davon sollte zur Tilgung der Staatsschuld verkauft werden, ein Teil als patriotische Entschädigung durch das Los an die demobilisierten Teilnehmer aus dem Unabhängigkeitskrieg verteilt und ein dritter Teil, ebenfalls gratis durch das Los, der armen Bauernschaft, die Grundbesitz haben wollte, aber nicht imstande war, ihn zu kaufen, zugewiesen werden. Sie gestatteten die Umzäunung des Weidelands und anderen Grundbesitzes, was vordem verboten war. Sie schafften die absurden Gesetze ab, die verhinderten, daß Weideland in Ackerland und Ackerland in Weideland umgewandelt wird, und befreiten den Ackerbau allgemein von den alten willkürlichen und lächerlichen Bestimmungen. Sie hoben alle feudalen Gesetze bezüglich der Pachtverträge auf; ebenso das Gesetz, das den Nachfolger auf einem Erblehen von der Verpflichtung befreite, die Pachtverträge zu bestätigen, die sein Vorgänger abgeschlossen hatte, diese Verträge erloschen mit dem Tode desjenigen, der sie eingegangen war. Sie kassierten das Voto de Santiago, worunter ein alter Tribut verstanden wurde, der in einem bestimmten Quantum des besten Brotes und des besten Weines bestand, den die Arbeiter bestimmter Provinzen hauptsächlich zur Erhaltung des Erzbischofs und Kapitels von Santiago zu entrichten hatten. Sie verfügten die Einführung einer großen progressiven Steuer etc.
Da sie eine ihrer Hauptaufgaben in der Erhaltung ihrer amerikanischen Kolonien sahen, die sich schon zu erheben begonnen hatten, erkannten sie den amerikanischen Spaniern volle Gleichberechtigung mit denen Europas zu, proklamierten eine allgemeine Amnestie ohne jede Ausnahme, erließen Dekrete gegen die Unterdrückung, unter der die Eingeborenen von Amerika[468] und Asien seufzten, hoben die Mitas, die Repartimientos etc. auf, schafften das Quecksilbermonopol ab und waren die ersten in Europa bei der Unterdrückung des Sklavenhandels.
Der Konstitution von 1812 wurde einerseits nachgesagt – zum Beispiel von Ferdinand VII. (siehe sein Dekret vom 4. Mai 1814) –, sie sei nichts anderes als eine bloße Nachahmung der französischen Konstitution von 1791 und ohne Rücksicht auf die historischen Traditionen Spaniens von schwärmerischen Phantasten auf spanischen Boden verpflanzt worden. Andrerseits behauptete man – zum Beispiel Abbé de Pradt (»De la Révolution actuelle de l'Espagne«) –, die Cortes hätten sich ganz unvernünftig an überlebte Formeln angeklammert, die sie den alten Fueros entlehnt hätten und die noch den Feudalzeiten angehörten, wo die königliche Macht durch die außerordentlichen Privilegien der Granden in Schach gehalten wurde.
Die Wahrheit ist, daß die Konstitution von 1812 eine Reproduktion der alten Fueros ist, jedoch im Lichte der französischen Revolution gesehen und den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft angepaßt. Das Recht zur Rebellion wird zum Beispiel allgemein als eine der kühnsten Neuerungen der jakobinischen Konstitution von 1793 angesehen; man stößt aber auf dieses selbe Recht in den alten Fueros von Sobrarbe, wo es das »Privilegio de la Union« genannt ist. Auch in der alten Konstitution von Kastilien findet man es. Die Fueros von Sobrarbe erlauben dem König, weder Frieden zu schließen, noch Krieg zu erklären, noch Verträge abzuschließen, ohne vorher die Einwilligung der Cortes einzuholen. Der permanente Ausschuß, bestehend aus sieben Mitgliedern der Cortes, der über die strikte Einhaltung der Konstitution während der Vertagung der gesetzgebenden Körperschaft zu wachen hat, bestand von alters her in Aragonien und wurde in Kastilien eingeführt zu der Zeit, als die bedeutendsten Cortes der Monarchie zu einer einzigen Körperschaft vereint wurden. Zur Zeit der französischen Invasion existierte eine ähnliche Einrichtung noch im Königreich Navarra. Eine merkwürdige Schöpfung der Konstitution von 1812 war der Staatsrat, der aus einer dem König von den Cortes vorgelegten Liste von 120 Personen gebildet und von ihnen bezahlt wurde. Er verdankt seine Entstehung der Erinnerung an den verhängnisvollen Einfluß, den die Kamarilla zu allen Zeiten auf die spanische Monarchie ausübte. Der Staatsrat sollte an die Stelle dieser Kamarilla treten. Übrigens finden sich derartige Einrichtungen schon in früheren Zeiten. So war zum Beispiel zur Zeit Ferdinands IV. der König stets von zwölf Bürgern umgeben, die von den kastilischen Städten dazu ausersehen waren, als seine geheimen Räte zu fungieren; 1419 beklagten[469] sich die Abgesandten der Städte, daß ihre Beauftragten nicht mehr zum Königlichen Rat zugelassen wurden. Die Ausschließung der höchsten Würdenträger und der Mitglieder des königlichen Hofstaats von den Cortes sowie das Verbot für die Deputierten, vom König Ehren oder Ämter anzunehmen, scheint auf den ersten Blick der Konstitution von 1791 entlehnt und ganz natürlich der modernen Teilung der Gewalten zu entspringen, wie sie durch die Konstitution von 1812 sanktioniert wurde. Tatsächlich aber stoßen wir nicht nur in der alten Konstitution von Kastilien auf Präzedenzfälle, sondern wir wissen auch, daß sich das Volk zu verschiedenen Zeiten erhob und die Deputierten erschlug, die Ehren oder Ämter von der Krone angenommen hatten. Was das Recht der Cortes betrifft, im Fall von Minderjährigkeit Regentschaften einzusetzen, so war dieses von den alten kastilischen Cortes während der oft lange währenden Minderjährigkeiten im vierzehnten Jahrhundert ständig praktiziert worden.
Es ist wahr, die Cortes von Cadiz entzogen dem König die von jeher geübte Gewalt, die Cortes einzuberufen, aufzulösen oder zu vertagen; aber da sie gerade durch die Art, in der die Könige von ihren Privilegien Gebrauch machten, an Einfluß verloren hatten, so war die Notwendigkeit für sie sonnenklar, dieses Recht zu beseitigen. Die angeführten Tatsachen genügen wohl, zu zeigen, daß die äußerst sorgfältige Begrenzung der königlichen Macht – der auffallendste Zug in der Konstitution von 1812 –, wenn sie auch in anderer Hinsicht durch die noch frische und empörende Erinnerung an Godoys verächtlichen Despotismus vollkommen erklärt wäre, ihren Ursprung aus den alten Fueros Spaniens herleitet. Die Cortes von Cadiz übertrugen bloß die Herrschaft von den privilegierten Ständen auf die nationale Vertretung. Wie sehr die spanischen Könige die alten Fueros fürchteten, kann man daraus ersehen, daß, als 1805 eine neue Sammlung der spanischen Gesetze notwendig geworden war, eine königliche Verfügung erschien, der zufolge aus ihr alle Überbleibsel des Feudalismus auszumerzen waren, die die frühere Gesetzsammlung noch enthielt und die einer Zeit entstammten, in der die Schwäche der Monarchie die Könige gezwungen hatte, mit ihren Vasallen Kompromisse einzugehen, die der souveränen Gewalt Abbruch taten.
Bedeutete die Wahl der Deputierten durch das allgemeine Stimmrecht auch eine Neuerung, so darf doch nicht vergessen werden, daß die Cortes von 1812 selbst durch das allgemeine Stimmrecht gewählt waren und ebenso alle Juntas; daß eine Beschränkung des allgemeinen Wahlrechts also eine Verletzung eines vom Volke bereits eroberten Rechts gewesen wäre; und daß endlich eine Wahlberechtigung nach Maßgabe des Besitzes zu einer Zeit, wo[470] fast aller Grundbesitz Spaniens in der toten Hand aufgespeichert war, die große Masse der Bevölkerung ausgeschlossen hätte.
Der Zusammentritt der Vertreter in einem einzigen Hause ist keineswegs der französischen Konstitution von 1791 nachgeahmt, wie es die verdrießlichen englischen Tories darstellen. Unsere Leser wissen bereits, daß seit der Zeit Carlos I. (Kaiser Karls V.) die Aristokratie und die Geistlichkeit ihre Sitze in den Cortes von Kastilien verloren hatten. Aber selbst zu den Zeiten, als die Cortes in Brazas (Zweige) geteilt waren, die die verschiedenen Stände repräsentierten, versammelten sie sich in einem einzigen Saale, nur durch die Sitzordnung getrennt, und gaben gemeinsam ihre Stimmen ab. Von allen Provinzen, in denen zur Zeit der französischen Invasion die Cortes überhaupt noch wirkliche Macht besaßen, hatte nur Navarra die alte Gepflogenheit beibehalten, die Cortes nach Ständen einzuberufen; in den Vascongadas aber ließen die ganz und gar demokratischen Körperschaften nicht einmal die Geistlichkeit zu. Außerdem hatten Adel und Geistlichkeit, wenn sie ihre verhaßten Privilegien zu wahren gewußt hatten, längst aufgehört, selbständige politische Körperschaften zu bilden, deren Existenz die Grundlage der Zusammensetzung der alten Cortes bildete.
Die Trennung der Gerichts- von der Exekutivgewalt, die die Cortes von Cadiz verfügt hatten, wurde schon seit dem achtzehnten Jahrhundert von den hervorragendsten Staatsmännern Spaniens gefordert; und der allgemeine Haß, den sich der Consejo Real seit dem Beginn der Revolution zugezogen hatte, machte die Notwendigkeit, die Gerichtshöfe auf ihre eigentliche Aktionssphäre zurückzuführen, allgemein spürbar.
Der Teil der Konstitution, der sich auf die Munizipalverwaltung der Gemeinden bezieht, ist echt spanischen Ursprungs, wie wir schon in einem früheren Artikel zeigten. Die Cortes stellten nur das alte Munizipalsystem wieder her, indem sie es gleichzeitig seines mittelalterlichen Charakters entkleideten. Die Provinzialdeputationen, die für die innere Verwaltung der Provinzen mit derselben Gewalt ausgestattet waren wie die Ayuntamientos für die Verwaltung der Gemeinden, waren von den Cortes nach dem Muster ähnlicher Institutionen gebildet worden, wie sie zur Zeit der Invasion noch in Navarra, Biskaya und Asturien bestanden. Als sie die Befreiung vom Militärdienst abschafften, sanktionierten die Cortes nur das, was während des Unabhängigkeitskrieges allgemein üblich geworden war. Die Abschaffung der Inquisition bedeutete ebenfalls nichts anderes als die Sanktionierung einer Tatsache; das Heilige Amt, obgleich von der Zentraljunta wieder eingesetzt, hatte dennoch[471] nicht gewagt, seine Tätigkeit wiederaufzunehmen, und seine heiligen Mitglieder waren ganz zufrieden, ihre Gehälter einzustreichen und klugerweise auf bessere Zeiten zu warten. Bei der Abschaffung der feudalen Mißbräuche gingen die Cortes nicht einmal so weit wie die Reformvorschläge der berühmten Denkschrift Jovellanos', die er 1795 dem Consejo Real im Namen der Ökonomischen Gesellschaft von Madrid überreichte.
Schon zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatten die Minister des aufgeklärten Despotismus – Floridablanca und Campomanes – begonnen, Schritte in dieser Richtung zu unternehmen. Auch darf man nicht vergessen, daß gleichzeitig mit den Cortes eine französische Regierung in Madrid saß, die in sämtlichen durch die Armeen Napoleons unterworfenen Provinzen alle klerikalen und feudalen Einrichtungen hinweggefegt und das moderne Verwaltungssystem eingeführt hatte. Die bonapartistischen Blätter stellten es so dar, als sei der ganze Aufstand allein durch die Machenschaften und Bestechungen Englands hervorgerufen worden, unterstützt durch die Mönche und die Inquisition. Wie sehr jedoch der Wetteifer mit der Regierung des Eindringlings die Entscheidungen der Cortes heilsam beeinflußte, geht daraus hervor, daß die Zentraljunta selbst in ihrem Dekret vom September 1809, das die Einberufung der Cortes ankündigt, die Spanier mit folgenden Worten anredet:
»Unsere Verleumder sagen, wir kämpften, um die alten Mißbräuche und die eingewurzelten Laster unserer korrupten Regierung zu verteidigen. Beweist ihnen, daß euer Kampf dem Glück und der Unabhängigkeit eures Landes gilt; daß ihr von nun an nicht mehr von dem unbestimmten Willen oder der wechselnden Laune eines einzelnen abhängen wollt« etc.
Andrerseits finden sich in der Konstitution von 1812 unverkennbar die Symptome eines Kompromisses zwischen den liberalen Ideen des achtzehnten Jahrhunderts und den finsteren Traditionen der Pfaffenherrschaft. Es genügt, Artikel 12 zu zitieren, der besagt,
»die Religion der spanischen Nation ist für immer die römisch-katholische, apostolische, die einzig wahre Religion. Die Nation schützt sie durch weise und gerechte Gesetze und verbietet die Ausübung jeder anderen.«
Oder Artikel 173, der dem König befiehlt, bei seiner Thronbesteigung folgenden Eid vor den Cortes abzulegen:
»N., durch die Gnade Gottes und die Konstitution der spanischen Monarchie König von Spanien, schwöre ich beim Allmächtigen und den heiligen Evangelisten, daß ich die römisch-katholische, apostolische Religion verteidigen und erhalten werde, ohne eine andere im Königreich zu dulden.«[472]
Wir kommen also bei einer sorgfältigen Prüfung der Konstitution von 1812 zu dem Schluß, daß sie, weit entfernt davon, eine sklavische Nachahmung der französischen Konstitution von 1791 zu sein, vielmehr als eine ursprüngliche und originelle Schöpfung spanischen geistigen Lebens anzusprechen ist, die alte nationale Einrichtungen wiederherstellte, Reformen einführte, die von den berühmtesten Schriftstellern und Staatsmännern des achtzehnten Jahrhunderts laut gefordert wurden und den Vorurteilen des Volkes unvermeidliche Konzessionen machte.
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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
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