[128] Den Krieg verabscheuen die Utopier als etwas geradezu Bestialisches, womit sich gleichwohl keine Gattung wilder Thiere so häufig zu schaffen macht, wie der Mensch; und entgegen den Sitten fast aller andern Völker halten sie nichts für so unrühmlich, als den im kriege erstrebten Ruhm; nichts destoweniger jedoch üben sie sich sehr eifrig in soldatischer Zucht, und zwar nicht nur die Männer, sondern an bestimmten Tagen auch die Frauen, damit im Falle der Noth auch sie zum Kriege nicht untüchtig sind.[128]
Sie beginnen einen solchen aber nicht blindlings sondern entweder um ihre Grenze zu schützen, oder um die das Gebiet ihrer Freunde überschwemmenden Feinde zurückzuschlagen oder um irgend ein von Tyrannei bedrücktes Volk, dessen sie sich erbarmen, vom Joche eines Tyrannen und von der Sklaverei zu befreien, was sie aus purer Menschenliebe unternehmen.
Wiewohl sie den Freunden im Punkte der Hilfe zu Willen sind, geschieht dies nicht immer nur zu deren Vertheidigung, sondern sie gewähren die Hilfe zuweilen auch, damit diese zugefügtes Unrecht vergelten oder vergelten können; dieses aber thun sie nur dann, wenn sie gleich von Anfang an um Rath gefragt werden, die Sache als eine gerechte gebilligt haben und die zurückverlangten Dinge nicht wieder zurückerstattet worden sind; dann eröffnen die Utopier selbst den Krieg, wozu sie sich nicht bloß dann entscheiden, wenn bei einem feindlichen Einfalle Beute weggeführt worden ist, sondern noch viel energischer, wenn ihre Kaufleute bei irgend einem Volke entweder unter dem Vorwande unbilliger Gesetze oder durch üble Auslegung guter Gesetze, unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit verläumderisch angeklagt werden.
Das und nichts Anderes war die Ursache des Krieges, den die Utopier kurz vor unserer Zeit für die Nephelogeten gegen die Alaopoliten geführt haben, nämlich ein den Kaufleuten der Nephelogeten bei den Alaopoliten unter dem Vorwand rechtens zweifellos zugefügtes Unrecht – so erschien es den Utopiern.
Aber ob nun mit Recht oder Unrecht, die Sache ist durch einen so grausamen Krieg gerächt worden, indem zu den Streitkräften der Gegner auf beiden weiten sich der Haß und die Hilfskräfte der benachbarten Völker gesellten, daß einige der blühendsten Nationen bis ins Mark erschüttert, andere schwer mitgenommen[129] wurden, immer neue Leiden und Uebel ans den alten entstanden, bis das Ende war, daß die Alao politen sich unterwarfen und in die Sklaverei der Nephelogeten geriethen (denn die Utopier führten den Krieg nicht im eigenen Interesse), deren Verhältnisse doch mit dem blühenden Zustande der Alaopoliten nicht zu vergleichen gewesen waren.
So energisch verfolgen die Utopier ein ihren Freunden, wenn auch nur in Geldangelegenheiten, angethanes Unrecht; nicht so streng verfahren sie im Falle eigenen erlittenen Unrechts; indem, wenn sie überlistet und in Folge dessen an Gütern geschädigt werden, nur aber keine körperliche Gewaltthat erleiden, sie sich nur bis zu dem Grade und nicht weiter erzürnen, daß sie jeden Verkehr mit diesem Volke so lange abbrechen, bis ihnen Genügthuug gegeben wird. Nicht, daß ihnen was Wohl ihrer eigenen Bürger weniger am Herzen läge, als das ihrer Bundesgenossen, aber die pekuniären Verluste dieser sind ihnen viel unliebsamer zu ertragen, weil diese persönlich schweren Schaden an ihrem Privatvermögen erleiden, wenn sie von Verlusten betroffen werden.
Ihre eigenen Bürger verlieren kein persönliches Eigenthum, sondern nur staatliches Gemeingut, vielmehr nur das, was daheim zur Genüge vorhanden, sozusagen überflüssig ist, weil es im andern Falle gar nicht zur Ausfuhr gelangen wurde. Und so kommt es, daß eigentlich Keiner so recht das Gefühl eines Schadens hat.
Darum halten sie es auch für allzu grausam, daß ein derartiger Schaden durch den Tod Vieler gerächt werden soll, ein Schaden, dessen Uebelstand kein Einziger, weder am Leben, noch am Lebensunterhalt, zu fühlen bekommt.
Wenn übrigens einer ihrer Staatsangehörigen irgendwo im Auslande am Leibe geschädigt oder getödtet wird, sei's nun durch öffentlichen Beschluß oder in Folge eines Privatvorsatzes, so lassen sie den Sachverhalt durch eigene Abgesandte genau untersuchen und sich nicht besänftigen, wofern ihnen die Schuldigen nicht ausgeliefert werden, sondern erklären dann ohne weiters den Krieg. Die Ausgelieferten, die die Missethat verübt haben, werden entweder mit dem Tode oder mit Sklaverei bestraft.[130]
Ein blutiger Sieg widert sie nicht bloß an, sie schämen sich desselben sogar, indem sie es für eine große Thorheit halten, eine Waare, und sei sie auch noch so kostbar, zu theuer gekauft zu haben. Den Gegner aber durch Kriegskunst oder List zu besiegen, und unter ihre Botmäßigkeit zu bringen, dessen rühmen sie sich mit Frohlocken, veranstalten auch öffentliche Triumphzüge darob und richten Trophäen auf, weil sie sich mannhaft gehalten haben; sie rühmen sich aber nur dann, sich wahrhafte Männer bewährt und tugendhaft gehandelt zu haben, so oft sie den Sieg in einer Weise errungen haben, wie nur der Mensch, und kein Thier, es im Stande ist, nämlich durch die Kräfte des Geistes.
Denn mit bloß körperlicher Kraft, sagen sie, kämpfen Bären, Löwen, Eber, Wölfe Hunde und die übrigen wilden Thiere, die wie sie uns meistentheils an Stärke und Wildheit überlegen sind, so an Verstand und Ueberlegung insgesammt uns nachstehen.
Bei einem Kriege haben die Utopier immer diesen einen Zweck vor Augen, das zu erlangen, was, wenn sie es früher erreicht hätten, die Wirkung gehabt hätte, daß sie den Krieg nicht erklärt hätten. Ist dies der Natur der Sache nach unmöglich, so nehmen sie an denen, welchen sie das Vergehen schuld geben, eine so strenge Rache, daß sie durch ihnen eingeflößte Furcht in alle Zukunft abgeschreckt werden, dasselbe je wieder zu begehen.
Das sind die Ziele, die ihnen bei einem Kriegsvorhaben vorschweben, die sie rasch zu erreichen streben, doch so, daß ihre Sorgfalt zuvörderst mehr daraus gerichtet ist, die Gefahren einer Kriegführung zu vermeiden, als Ruhm und Lobeserhebungen einzuheimsen.
Sofort, nachdem daher der Krieg erklärt ist, sorgen sie dafür, daß heimlich und zu gleicher Zeit eine große Anzahl mit ihrem Staatssiegel versehener Proklamationen an den bekanntestes Orten feindlichen Landes angeheftet werden, worin ungeheure Summen als Belohnung für Denjenigen ausgesetzt werden, der den Fürsten des feindlichen Volkes aus dem Leben schafft, dann geringere, obwohl immer noch sehr bedeutende, für die einzelnen hervorragenden Häupter beim Feinde, die in jenen Schriftstücken desgleichen geächtet[131] sind, d. i. Diejenigen, die sie neben dem Fürsten selbst für die Urheber der gegen sie gerichteten feindlichen Beschlüsse halten.
Was sie für den Mörder ausgeworfen haben, das verdoppeln sie für Denjenigen, der einen der Geächteten ihnen lebendig ausliefert; wozu sie auch die Geächteten gegen ihre eigenen Genossen unter Gewährung derselben Prämie und zugesicherter Straflosigkeit auffordern.
So kommt es gar schnell zu Stande, daß die Feinde alle Menschen in Verdacht haben und sich gegenseitig nicht mehr trauen können und in höchster Furcht und nicht minderer Gefahr leben.
Denn gar oft schon, wie feststeht, hat es sich ereignet, daß ein großer Theil der so Bezeichneten und vor Allen der Fürst selbst, von Denjenigen verrathen würden sind, auf die sie das größte Vertrauen gesetzt hatten.
So leicht verleiten Bestechungen zu jedem beliebigen Verbrechen, und in der Höhe solcher Spenden gibt es für die Utopier keine grenze. Weil sie sich aber dessen wohl bewußt sind, wie groß die Gefahr ist, in welche sich die so Aufgeforderten begeben, so sind sie beflissen, die Größe dieser Gefahren durch eine reiche Fülle der dafür gewährten Wohlthaten aufzuwiegen und versprechen nicht nur unermeßliche Schätze an Gold, sondern auch Grundstücke, die ein glänzendes Erträgniß abwerfen und in Freundesland so sicher als möglich gelegen sind, zu ewigem Besitz, was sie Alles auch mit der denkbar höchsten Treue halten.
Dieser Gebrauch, den Feind als ein Versteigerungs und Verlaufsobjekt zu behandeln, gilt bei andern Völkern als verwerflich, als eine schändliche Handlungsweise eines entarteten, grausamen Gemüths, sie aber dünken sich deswegen ob ihrer gar hohen Klugheit lobenswerth, da sie auf diese Weise dem größten Kriege alsbald ohne Schlachtengemetzel ein Ende bereiten, ja sie halten sich aus diesem Grunde sogar umgekehrt für menschlich und mitleidvoll gesinnt, weil sie um den preis des Todes weniger Schuldigen zahlreiche unschuldige Leben vom Untergange loskaufen, die sonst in den Schlachten umgekommen wären. Und zwar theilweise die Leben ihrer eigenen Volksangehörigen, theilweise aber[132] auch solche aus den Reihen der Feinde, deren gemeines Volk sie nicht in geringerem Maße bedauern, als ihre eigenen Landsleute, da sie wohl wissen, daß dieses den Krieg nicht von freien Stücken angefangen hat, sondern durch die rasende Leidenschaft seines Fürsten dazu getrieben wird.
Kommen sie aus dem angegebenen Wege nicht zum Ziele, so streuen sie den Samen der Zwietracht unter den Feinden aus und nähren dieselbe, indem sie in dem Bruder des Fürsten oder in einer Persönlichkeit aus dem hohen Adel die Hoffnung erwecken, daß er sich des Reiches bemächtigen könne.
Verspricht auch dieses Verfahren innerer Parteizerklüftung leinen Erfolg, so stacheln sie die dem Feinde benachbarten Nationen auf und setzen sie gegen ihn Bewegung, unter dem Vorwande eines alten ausgegrabenen Rechtstitels, um welche ja Könige nie verlegen sind, geben die Zusage ihrer eigenen Streitkräfte im Kriege und gewähren im reichsten Maße Hilfsgelder. Unter jenen senden sie von eigenen Bürgern nur sehr wenige ab, von denen das Leben jedes Mannes so hoch gilt und die sie so lieb haben, daß sie wohl den einfachsten Mann nur ungern gegen den feindlichen Fürsten selbst ausliefern würden.
Gold und Silber aber, dessen sie sich ja nur zu jenem einzigen Zwecke bedienen, geben sie leichten Herzens aus; würde doch nicht ein Einziger deswegen eine schlechtere Lebenshaltung zu führen haben, und wenn sie auch ihren ganzen Vorrath an Edelmetallen aufwendeten.
Außer ihren einheimischen Reichthümern aber besitzen die Utopier auch noch unermeßliche Schätze im Auslande, weil die meisten Volker, wie ich früher gesagt habe, ihnen verschuldet sind, weshalb sie von überall her Söldner in den Krieg zu schicken in der Lage sind, hauptsächlich von den Zapoleten.[133]
Dieses Volk lebt fünfhunderttausend Schritt östlich von Utopia, ist abstoßend häßlich, barbarisch, wild, und gibt seinen heimischen Gebirgen und Wäldern, in denen es geboren ist, den Vorzug vor jedem andern Aufenthalte. Ein abgehärtetes Volk, erträgt es Hitze und Kälte, sowie Strapazen gut, ist aller und jeder Lebensgenüsse unkundig, befleißigt sich weder des Ackerbaus, noch wohnt es in Gebäuden, kleidet sich sehr primitiv und ist bloß der Schafzucht ergeben. Zum größten Theile leben die Zapoleten von der Jagd und vom Raube.
Ausschließlich zum Kriege geboren, suchen sie auf jegliche Weise nach der Gelegenheit dazu, werfen sich begierig auf jede sich ihnen darbietende, marschiren in hellen Hausen aus dem Lande und bieten sich jedem Staate, der solcher Hilfe benöthigt ist, um geringen Gold an.
Dies ist das einzige Gewerbe, wovon sie leben und das sie kennen, und dieses ist eins, durch das der Tod bereitet wird; aber für die, in deren Gold sie Dienste leisten, kämpfen sie mit Eifer und mit unerschütterlicher Treue.
Aber sie binden sich nicht für einen bestimmten Tag, sondern ergreifen nur unter der Bedingung Partei, daß sie bereits am nächsten Tage zu den Feinden übergehen können, wenn ihnen diese höheren Gold bieten, und den übernächsten Tag wieder zurückkehren, wenn ihnen von der alten Partei eine Kleinigkeit mehr geboten wird.
Selten bricht ein Krieg aus, in dem nicht eine beträchtliche Menge Zapoleten in beiden Heeren einander feindlich gegenüberstehen, und somit ereignet es sich tagtäglich, daß durch Bande des Blutes Verbundene, die heute noch auf derselben Seite zusammentreffend, in innigster Kameradschaft lebten, kurz darauf von einander gerissen, indem sie zu entgegengesetzten Truppenkörpern kommen, als Feinde gegen einander losgehen müssen, und mit verhetzten Gemüthern, ihrer Geschlechtsabstammung vergessend, der Freundschaft, die sie früher umschlungen, uneingedenk, einander durchbohren, aus keinem anderen Grunde zu gegenseitiger Vernichtung angetrieben, als weil sie von verschiedenen Fürsten[134] um eine elende Handvoll leidigen Geldes gemiethet worden sind, welches sie so außerordentlich werthschätzen, daß ein As mehr, zu dem täglichen Solde zugelegt, sie mit größter Leichtigkeit dazu treibt, die Partei zu wechseln.
So schnell ist es gegangen, daß die Habsucht sich ihrer bemächtigt hat, von der sie doch ganz und gar keinen Vortheil haben. Denn was sie mit ihrem Blute erwerben, das vergeuden sie sofort wieder in Schwelgerei und zwar in solcher elendester Art.
Dieses Volk leistet den Utopiern Kriegsdienste gegen alle Volker, gegen die sie Krieg führen, weil seine Hilfe von diesen um einen so hohen Preis gemiethet wird, wie das Niemand sonst thut.
Und wie die Utopier gute Menschen aufsuchen, deren Dienstleistungen sie gebrauchen, so bedienen sie sich auch dieser werthlosen Menschen, die sie mißbrauchen, die sich unter dem Antriebe hoher Versprechungen den größten Gefahren entgegenwerfen, daher der größte Theil derselben meistens nie zurückkehrt, um in Empfang zu nehmen, was ihnen versprochen worden; den Ueberlebenden aber bezahlen sie aufs Gewissenhafteste aus, was sie zu fordern haben, damit die Zapoleten auch in Zukunft zu ähnlichen tollen Wagnissen angefeuert werden.
Denn darum kümmern sie sich wenig, wie Viele sie von solchen Bundesgenossen verlieren; sind sie doch der Meinung, sich den größten Dank her Menschheit zu verdienen, wenn sie von dem gesammten Abschaum dieses trotzigen und ruchlosen Volkes den Erdkreis reinigen könnten.
Nach diesen verwenden sie auch die Truppen Derjenigen, zu deren Schule sie zu den Waffen greifen, sodann auch die Hilfstruppen ihrer sonstigen Freundnachbarn. Endlich bilden sie ein Korps ihrer eigenen Mitbürger, aus deren Reihen sie einen Mann von erprobter Tugend an die Spitze des gesammten Heeres stellen. Diesem werden zwei andere Befehlshaber in der Art unterstellt, daß sie, so lange der Oberfeldherr am Leben und gesund bleibt, nur als Privatpersonen gelten, wenn Jener aber gefangen oder getödtet wird, folgt einer von den beiden in gleichsam erblicher Weise in seiner Stelle nach. Wird auch dem Zweiten dasselbe[135] Geschick zu Teil, so kommt ein Dritter daran, damit nicht, da die Wechselfälle des Krieges gar mannichfache sind, die Gefahren, die dem Hauptanführer drohen, auch das ganze Heer in Gefahr bringen.
In jeder Stadt wird eine Aushebung aus der Schaar Derjenigen vorgenommen, die sich freiwillig stellen, denn zum Kriege nach auswärts wird Keiner wider seinen Willen zum Militär genommen, weil sie sehr wohl wissen, daß ein Furchtsamer nicht nur selbst nichts Tüchtiges leistet, sondern auch Furcht in die Reihen seiner Kameraden trägt und unter ihnen fortpflanzt.
Wenn übrigens der Krieg seitens des Feindes ins Vaterland getragen wird, so werden solche Feiglinge, wenn sie anderes körperlich leistungsfähig sind, entweder auf die Schiffe unter kriegstüchtigeres Material gesteckt, oder sie werden innerhalb der Festungsmauern in kleinen Abtheilungen vertheilt, wo sich ihnen keine Gelegenheit bietet, auszureißen.
So drängen die Scham vor den Ihrigen, der Feind vor den Thoren und die ihnen gänzlich benommene Hoffnung auf Flucht die Furcht in den Hintergrund und gar oft wird aus der äußersten Noth eine Tugend gemacht.
Wenn sie aber Keinen der Ihrigen wider seinen Willen in einen auswärtigen Krieg hineinzwingen, so werden andererseits die Ehefrauen, die ihre Männer ins Feld begleiten wollen, daran so wenig verhindert, daß man sie vielmehr durch Ermahnungen und ihnen gespendetes Lob dazu aneifert; Frauen, die mit ihren Männern in die Schlacht gezogen sind, werden in der Schlachtordnung neben diese gestellt, auch die Kinder, Verschwägerten und Verwandten stehen mit ihnen zusammen, damit Diejenigen sich gegenseitig die erste Hilfe leisten, die von Natur den stärksten Antrieb haben, einander helfend beizustehen.
Zur größten Schmach gereicht es dem Gatten, wenn er ohne die Gattin heimkehrt, sowie dem Sohne, der den Vater in der Schlacht verliert und selbst zurückkehrt, daher, wenn die Feinde Stand halten, und es zum Handgemenge kommt, die Schlacht sich[136] lange hinzieht und einen traurigen Ausgang nimmt, indem bis zur Vernichtung fortgekämpft wird.
Denn wie sie auf alle Weise trachten, nicht selbst in den Kampf eingreifen zu müssen, und den Krieg nur durch die stellvertretende Hand der Miethstruppen geführt wissen wollen, so gehen sie, wenn ihre persönliche Betheiligung an der Schlacht einmal unvermeidlich geworden, ebenso unerschrocken ins Zeug, wie sie, so lange es ihnen frei stand, den Kampf klüglich vermieden haben; und zwar entwickeln sie beim ersten Anprall keineswegs ein heftiges Ungestüm; ihre Tapferkeit steigert sich vielmehr allmählich, je länger der Kampf dauert, und ihr Muth wird so erhöht, daß sie leichter niedergemetzelt, als zum Weichen gebracht würden können.
Der Lebensunterhalt ist einem Jeden zu Hause sicher, die bange Sorge um die Zukunft der Nachkommenschaft ist von ihnen genommen – denn diese Bekümmerniß ist es, die überall die Schwungkraft der hochherzigen Geister bricht – und so steigert sich ihr Muth zu solcher Erhabenheit, daß sie es nicht ertrügen, besiegt zu werden.
Zudem erhöht ihre Erfahrenheit in militärischen Dingen ihre Zuversicht und endlich befeuern die gediegenen Anschauungen, die sie theils durch den Unterricht, theils zufolge der vortrefflichen Einrichtungen ihres Staatswesens von Kindheit auf eingesogen haben, ihre Tapferkeit, wenn auch nicht in dem Maße, daß sie ihr Leben gering schätzten und leichtsinnig in die Schanze schlügen, aber andererseits doch so, daß sie nicht schimpflich feige daran hängen, um sich, wenn die Ehre räth, es aufs Spiel zu setzen schändlich daran zu klammern.
Wenn der Kampf auf dem ganzen Schlachtfelde am heftigsten tobt, setzen sich auserlesene verschworene Jünglinge, die sich dem Tode geweiht haben, den Feldherrn zum Ziel und greifen ihn bald offen an, bald stellen sie ihm hinterlistig nach; ihm gilt es von nahe und ferne; der Angriff auf ihn wird in Form eines langen, immer wieder neugebildeten Keiles unternommen, in den rastlos frische Kämpfer an Stelle der ermüdeten einspringen.[137]
Nur selten ist es der Fall, daß er nicht umkommt, oder lebendig in die Gewalt seiner Feinde fällt, wofern er nicht sein Heil in der Flucht sucht.
Wenn der Sieg von ihnen erfochten wird, schwelgen sie nicht in der Niedermetzelung der Feinde; sie nehmen die Fliehenden lieber gefangen, als daß sie sie umbringen; auch verfolgen sie die Geschlagenen nicht so blindlings, als daß sie nicht immer noch eine in Schlachtordnung aufgestellte Heeresabtheilung unter ihren Fahnen bereit hielten. So zwar, daß sie, wofern nicht die übrigen Heereskörper besiegt sind, und sie erst mit ihrer letzten Schlachtlinie den Sieg errungen haben, lieber die gesammten Feinde entrinnen ließen, als daß sie den Fliehenden nachsetzen und ihre eigenen Reihen zu verwirren sich angewöhnen.
Sie sind sehr wohl dessen eingedenk, wie es sich mehr als einmal zugetragen hat, daß, wenn das gesammte Gros ihres Heeres besiegt und in die Flucht geschlagen war, und die Feinde, über ihren Sieg frohlockend, hierhin und dorthin zur Verfolgung auseinander stoben, ihrer nur Wenige, die in einem Hinterhalt gelegt waren und auf die passende Gelegenheit warteten, die Zerstreuten und aus der Schlachtordnung Schwärmenden, die aus dem Gefühl allzu großer Sicherheit alle Vorsicht vernachlässigt hatten, plötzlich hervorbrachen und dem Ausgang des Gesammttreffens eine andere Wendung gaben, den unbezweifelten und zweifellosen Sieg Jenen aus den Händen wanden und aus Besiegten zu Siegern wurden.
Es ist nicht leicht zu sagen, ob sie schlauer darin sind, Hinterhalte zu stellen, oder gewitzter, solchen zu entgehen. Du würdest glauben, daß sie sich zur Flucht anschicken, während sie das gerade Gegentheil im Sinne haben, und wenn sie zu fliehen vorhaben, so würdest du dir das vorher nicht vorzustellen im Stande sein.
Denn sobald sie merken, daß sie in numerischer Beziehung die Schwächeren sind oder den Nachtheil der Stellung haben, so brechen sie entweder zur Nachtzeit das Lager ab und setzen ihre Kolonnen geräuschlos in Bewegung, oder sie täuschen durch irgend[138] eine andere Kriegslist den Feind, ziehen sich auch wohl am hellen Tage ganz allmählich zurück, jedoch in so guter Ordnung, daß es nicht minder gefährlich ist, sie anzugreifen, als wenn sie selbst zum Angriffe heranstürmen.
Ihr Lager befestigen sie auf das sorgfältigste mit einem ziemlich tiefen und breiten Graben, die aufgeschaufelte Erde wird nach innen geworfen; zu dieser Arbeit bedienen sie sich aber keiner Taglöhner, sondern sie wird durchweg von ihren Soldaten verrichtet, und das ganze Heer ist dabei thätig, mit Ausnahme derjenigen, die vor der Umwallung in Wehr und Waffen lagern, um gegen plötzliche Ueberfälle auf Vorposten zu stehen.
Und da so viele Hände helfen und zusammenarbeiten, so wird ein großer Lagerraum mit Befestigungen umspannt, und das geht schneller von statten, als man es für möglich halten sollte.
Sie führen derbe Schutzwaffen, die gleichwohl in jeder Art leicht zu handhaben und zu tragen sind, so daß sie nicht einmal beim Schwimmen störend belästigen. Denn unter den Anfangsgründen der militärischen Erziehung sind sie auch an das Schwimmen in Waffen gewöhnt worden.
Als Geschosse in die Ferne führen sie Pfeile, welche sie mit großer Kraft und ausgezeichneter Treffsicherheit abschießen, und zwar nicht nur das Fußvolk, sondern auch die Reiterei; im Nahekampfe verwenden sie nicht nur Schwerter, sondern auch Aexte, die durch ihre scharfgeschliffene Schneide sowohl als durch ihr Gewicht tödtliche Wunden beibringen, sei's durch Hieb oder Stich.
Im Ersinnen von Kriegsmaschinen bekunden sie einen ganz bedeutenden Scharfsinn; sie halten jedoch die fertiggestellten so lange geheim, bis Gebrauch von ihnen gemacht wird, weil sie besorgen, das vorzeitige Verrathen derselben nütze zu sonst nichts, als die Instrumente dem Gespött preiszugeben.
Bei der Anfertigung solcher Maschinen sehen sie vor allen Dingen darauf, daß sie leicht zu transportiren, zu wenden und zu schieben sind.
Mit den Feinden geschlossene Waffenstillstände halten sie so[139] unverbrüchlich heilig, daß sie dieselben nicht einmal dann brechen, wenn sie schwer gereizt worden sind.
Sie verwüsten das feindliche Land nicht, brennen auch nicht die Saatbestände nieder, und treffen sogar Vorsorge, daß sie so wenig als möglich vom Fußvolk und von der Reiterei zerstampft werden, indem sie der Ansicht sind, daß dieses Getreide ja auch zu ihrem Nutzen wachse.
Einem Wehrlosen thun sie nichts zu leide, wofern er nicht ein Spion ist. Die Städte, welche sich ergeben, nehmen sie in ihren Schutz; auch die eroberten zerstören sie nicht, nur todten sie Diejenigen, die Schuld an der Hinausschiebung der Uebergabe sind, und allen Uebrigen, die die Stadt vertheidigen geholfen haben, wird die Sklaverei auferlegt. Die Civilbevölkerung aber lassen sie ungeschoren.
Wenn sie in Erfahrung bringen, daß Einige zur Uebergabe gerathen haben so wird diesen ein gewisser Theil der Güter der Verurtheilten übermittelt, mit dem Reste derselben werden die Hilfstruppen beschenkt. Für sich selbst nimmt keiner etwas von der Beute.
Im Uebrigen legen sie nach beendigtem Kriege nicht den Freunden, zu deren Gunsten er geführt worden, sondern den Besiegten die Lasten auf, und verlangen von ihnen theils Geld, das sie zu ähnlichen Kriegszwecken zurücklegen, theilweise Abtretung von Grundbesitz, der fortlaufende, nicht geringe Einkünfte trägt. Einkünfte dieser Art haben die Utopier jetzt bei gar vielen Völkern, die allmählich aus mannigfachen Ursachen aus über siebenhunderttausend Dukaten im Jahre herangewachsen sind.
Nach diesen Ländereien schicken sie einige Bürger unter dem Namen Quästoren, die auf glänzendem Fuße leben und als Personen von Rang und Macht auftreten, während immer noch genug übrig bleibt, was dem ärarischen Fiskus zufließt, wenn sie das Geld nicht lieber einem Volke kreditiren wollen, was sie häufig so lange thun, bis sie desselben selbst bedürfen; sonst kommt es selten vor, daß sie es vollzählig zurückfordern.
Von diesen Ländereien weisen sie gewisse Gebietstheile Denjenigen[140] an, die auf ihre Veranlassung sich solchen Gefahren unterziehen, wie ich sie früher bezeichnet habe.
Wenn ein Fürst die Waffen gegen sie ergriffen hat und in ihr Land einzufallen sich den Anschein gibt, so begegnen sie ihm mit großer Macht außerhalb ihrer grenzen, denn sie führen nicht leichtfertig im eigenen Lande Krieg, ebensowenig aber ist je die dringende Nothwendigkeit vorhanden, die sie zwänge, Hilfstruppen den Eintritt in ihr Inselreich zu gestatten.
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