|
[513] Mir ist not, daß ich mich wegen meines Landfahrens verantworte, und deswegen, daß ich so gar nirgends bleiblich bin. Nun, wie kann ich wider das sein oder das gewaltigen, das mir zu gewaltigen unmöglich ist? Oder was kann ich der Praedestination nehmen oder geben? Damit ich mich aber euch gegenüber in etwas entschuldige, weil mir so viel nachgeredet wird, auch mich zu verargen und zu verspotten, deshalb daß ich ein Landfahrer bin, gleich als ob ich dadurch desto minder wert sei – soll es mir niemand verargen, daß ich mich ob demselben beschweren würde. Mein Wandern, das ich bisher verbracht habe, ist mir wohl erschossen, der Ursach halben, daß keinem sein Meister im Hause wächst, noch er seine Lehrer hinter dem Ofen hat. So sind auch die Künste nicht alle in eines Vaterland eingeschlossen, sondern sie sind durch die ganze Welt ausgeteilt. Nicht daß sie in einem Menschen allein oder an einem Ort seien, sondern sie müssen zusammengeklaubt, genommen und gesucht werden, da da sie sind. Es bezeugts mit mir das ganze Firmament, daß die inclinationes sonderlich ausgeteilt sind, nicht allein einem jeglichen in seinem Dorf, sondern nach Inhalt der obersten Sphaeren gehen auch die radii, die Strahlungen, in ihr Ziel. Ob es mir nicht billig sei und wohl anstehe, diese Ziele zu erforschen und zu durchsuchen und[513] zu sehen, was in einem jeglichen gewirkt wird? Wenn ich dessen ein Gebrechen trüge, würd ich unbillig der Theophrastus sein, der ich denn bin. Ist das nicht so? Die Kunst geht keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden; drum hab ich Fug und Einverständnis, daß ich sie suchen muß und sie mich nit. Nehmt ein Exempel! Wollen wir zu Gott, so müssen wir zu ihm gehen, denn er spricht: Kommt zu mir! Weil nun dem also ist, so müssen wir dem, dahin wir wollen, nachgehen. Aus dem folgt nun: will einer eine Person sehen, ein Land sehen, eine Stadt sehen, der selbigen Ort und Gewohnheit erfahren, des Himmels und der Elemente Wesen, so muß einer den selbigen nachgehen. Denn daß die selbigen ihm nachgehen, ist nicht möglich. Also ist die Art eines jeglichen, der etwas sehen und erfahren will, daß er dem selbigen nachgehe und eine erkennende Kundschaft einziehe, und wenn es am besten ist, verrücke und weiterfahre.
Wie kann hinter dem Ofen ein guter cosmographus wachsen oder ein geographus? Gibt nicht das Gesicht den Augen einen rechten Grund? So lasse dir nun den Grund bestätigen. Was sagt denn der Birnenbrater hinter dem Ofen? Was kann der Zimmermann ohne eine Kundschaft durch sein Gesicht sagen? Oder was ist, das ohne das Gesicht bezeugt werden kann. Hat sich Gott nicht selbst mit Augen zu sehen gegeben, und stellt uns zu einem Bezeugnis auf: daß unsere Augen ihn gesehen haben? Wie wollte denn eine Kunst oder etwas anderes sich dem Zeugnis der Augen entschlagen? Ich habe zuweilen von Rechtserfahrenen gehört, wie sie in ihren Rechten geschrieben haben, daß ein Arzt ein Landfahrer sein soll. Dieses gefällt mir sehr wohl. Ursach: die Krankheiten wandern hin und her, so weit die Welt ist, und bleiben nicht an einem Ort. Will einer viel Krankheiten kennen lernen, so wandere er auch; wandert er weit, so erfährt er viel und lernt viel kennen. Und ob es Sach würde, daß er wieder seiner Mutter in den Schoß käme, – kommt dann ein solcher fremder Gast in sein Vaterland, so kennt er ihn. So er ihn aber nit kennen würde, wäre das ihm[514] spöttlich und eine große Schande, denn er könnte ja seinem Nächsten das nicht halten, dess' er sich berühmt hat und sich gälet, das ist gepriesen, hat zu wissen. Sollte mir das dann zum Argen angerechnet werden, daß ich wegen des gemeinen Nutz tue, was mir beschwerlich ist? Es tun es doch nur die Polsterdrücker, die ohne Schlitten, Karren und Wagen nicht vor ein Tor gehen können und zu keinem Schuhmacher um ein Paar Schuh mit ihrer Kunst nicht zu kommen wissen, sondern allein auf einem Esel und: einen Dukaten her! Kannst du ohne den Dukaten für ein Paar Schuhe nichts, so bist du selbst ein Esel und Dukaten. Sie sind auch nicht perambulani; darum hassen sie das, das sie nicht sind. Das Bessere hassen sie, darum weil sie ärger sind. Nun weiß ich doch, daß das Wandern nicht verderbe, sondern besser mache. Macht Wandern nicht einen jeglichen Handel besser? Gibt Wandern nicht mehr Verstand als »hinterm Ofen sitzen«? Ein Arzt soll kein Nudeldrücker sein; er soll sich weiter merken oder spüren lassen. Nit minder ist aber, wie sie jetzt zu meinen Zeiten in der Welt geschickt sind, so schmeckt ihnen weder zu wandern noch zu lernen. Dazu bringt sie das Volk, daß sie ihnen immer mehr Geld geben, ob sie schon gleich nichts wissen. Wenn sie das an den Bauern merken, daß sie nicht wissen, wie ein Arzt sein soll, so bleiben sie hinter dem Ofen, setzen sich mitten unter die Bücher und fahren so im Narrenschiff.
Ein Arzt soll am ersten ein astronomus sein. Nun erfordert es die Notdurft, daß ihm die Augen das Zeugnis geben müssen, daß er das sei ohne dieses Zeugnis ist er nur ein astronomischer Schwätzer. Es ist auch erforderlich, daß er ein cosmographus sei, nicht die Länder zu beschreiben, was sie für Hosen tragen, sondern tapferer anzugreifen, was sie für Krankheiten haben, obgleich dein Vorhaben ist, du möchtest aus dem, das du in diesem Lande gelernt hast, dieses Landes Kleidung recht machen können, und dich damit, fremde Länder zu erfahren, entschuldigst. Was geht es den Arzt an, daß du ein Schneider bist? Darum, weil die Dinge, die jetzt gemeldet worden sind, erfahren[515] werden müssen, so sind sie auch bei uns parabolanis, das ist Abenteurern, und der Arznei angehängt, nicht von ihr zu scheiden. – Es ist auch von nöten, daß der Arzt ein philosophus sei, und daß ihm die Augen dessen, daß er es sei, Kundschaft geben. Will er ein solcher sein, so muß er zusammenklauben an den Orten und Enden, da es ist. Denn will einer einen Braten essen, so kommt das Fleisch aus einem andern Land, das Salz aus einem andern Land, die Speis aus einem andern Land. Müssen die Dinge wandern, bis sie zu dir kommen, so muß du auch wandern, bis du das erlangst, das nit zu dir gehen kann. Denn Künste haben keine Fuß, daß sie dir die Metzger nachtreiben könnten; sie sind auch nit in Kufen zu führen noch in ein Faß zu verschlagen; all dieweil sie nun dies Gebrechen haben, so mußt du das tun, das sie tun sollten. Die engelländischen humores sind nit ungarisch, noch die neapolitanischen preußisch. Darum muß du dahin ziehen, da sie sind. Und je mehr du sie dort suchst und je mehr ihr erfahrt, je größer ist dein Verstand in deinem Vaterlande. –
So ist auch not, daß der Arzt ein Alchemist sei. Will er nun der sein, muß er die Mutter sehen, aus der die mineralia wachsen. Nun gehen ihm die Berge nicht nach, sondern er muß ihnen nachgehen. Wo nun die mineralia liegen, da sind die Künstler; will einer Künstler in der Scheidung und Bereitung der Natur suchen, so muß er sie an dem Orte suchen, da die mineralia sind. Wie kann denn einer hinter die Bereitung der Natur kommen, wenn er sie nicht sucht, da sie ist? Soll mir das denn verargt werden, daß ich meine mineralia durchgemustert und ihr Herz und Gemüt erfahren habe, und habe in meine Hände gefaßt ihre Künste, die mich lehren, das Reine vom Kot zu scheiden, wodurch ich vielem Übel zuvorgekommen bin. Es ist aber nit minder, ich muß den philosophischen Spruch auch sagen, daß Weisheit allein von den Unwissenden verachtet würde, so auch die Kunst von denen, die sie nicht könnten.
Ich geschweig dessen, daß der, der da hin und her zieht, im Kennenlernen mancherlei Personen, in Erfahrung von[516] allerlei Gebaren und Sitten etwas erfährt; daß noch einer Schuh und Hut verzehren sollt, daß er dieselbigen sähe, – ich geschweige größerer Dinge, denn solches ist. Es geht doch ein Buhler einen weiten Weg, daß er ein hübsch Frauenbild sehe, wievielmehr einer hübschen Kunst nach! Ist doch die Königin von den Enden des Meeres zu Salomon allein darum, daß sie seine Weisheit höre, gekommen. Ist nun eine solche Königin der Salomonischen Weisheit nachgegangen, was ist da die Ursache gewesen? Die ist es, daß die Weisheit eine Gabe Gottes ist; da er sie hingibt, soll man sie suchen, so auch da er die Kunst hinleget, da soll sie gesucht werden. Das ist eine große Erkenntnis im Menschen, daß der Mensch so viel versteht, daß er die Gabe Gottes sucht, da sie liegt, und daß wir gezwungen sind, der selbigen nachzugehen. So nun da ein Zwang ist, wie kann man dann einen verachten oder verspeien, der solches tut? Es ist wohl wahr, die es nicht tun, haben mehr, denn die es tun. Die hinter dem Ofen sitzen, essen Rephühner, und die den Künsten nachziehen, essen nur eine Milchsuppe; die Winkelbläser tragen Ketten und Seide an sich, die da wandern, vermögen kaum einen Zwillich zu bezahlen. Die in der Ringmauer sitzen, haben Kaltes und Warmes, wie sie wollen; die in den Künsten, – wenn der Baum nicht wäre, sie hätten nicht einen Schatten. Der nun dem Bauch dienen will, der folgt mir nit; er folgt denselbigen, die in weichen Kleidern gehen, wiewohl sie zum Wandern nichts taugen. Denn Juvenal hat sie beschrieben, – daß allein der fröhlich wandert, der nichts hat. Drum beachten sie auch denselbigen Spruch; damit sie nit ermordet werden, bleiben sie hinter dem Ofen und kehren Birnen um.
So erachte ich, daß ich mein Wandern bisher billig verbracht habe, und erachte es mir ein Lob und keine Schande zu sein. Denn das will ich mit der Natur bezeugen: der sie durchforschen will, der muß ihre Bücher mit den Füßen treten. Die Schrift durch die Buchstaben erforscht, die Natur aber durch Land zu Land; so oft ein Land, so oft ein Blatt, so ist codex naturae, so muß man ihre Blätter umkehren.[517]
Ausgewählte Ausgaben von
Septem Defensiones
|
Buchempfehlung
In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.
82 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro