[334] Gleisentwicklungen, die bei größeren Bahnhöfen und bei Bahnabzweigungen erforderlich werdenden Gabelungen und Wiederzusammenführungen der Hauptgleise. Auf der freien Strecke sind die verschiedenen Verkehrsarten auf denselben Gleisen vereinigt, in den Bahnhöfen haben sie dagegen getrennte Anlagen (Personen-, Güter-, Vorortbahnhof). Münden mehrere Linien in denselben Bahnhof, so müssen die verschiedenen Verkehrsarten getrennt und jede in die ihr entsprechenden Bahnhofsanlagen eingeführt werden. Hierzu werden an den Bahnhofsflügeln G. notwendig; in ihnen entstehen zahlreiche gegenseitige Behinderungen und Gefährdungen der Fahrstraßen. Aufgabe der G. ist es, diese durch schienenfreie Kreuzungen und geschickte Linienführung möglichst zu vermeiden.
Für die Gestaltung der G. sind stets zwei Grundlagen gegeben: die Lage der freien Strecken und die Lage der Bahnhofteile, erstere aus der geographischen Gesamtlage, letztere aus den vorhandenen oder entworfenen Bahnhofsanlagen. Ein sehr einfaches Beispiel zeigt Abb. 262, in der die Teile a b und c d als gegeben anzunehmen sind, während die zwischen b und c liegenden punktierten Verbindungen das darstellen, was die G. mindestens enthalten muß. Aus Abb. 262 geht auch hervor, wieviel Fahrbehinderungen selbst bei einem so[334] einfachen Fall entstehen, wenn die Kreuzungen nicht schienenfrei ausgeführt werden.
Der Ersatz der Kreuzungen durch Brücken ist nicht so sehr notwendig, weil eine Kreuzung ein Gefahrpunkt ist (denn sie läßt sich durch Signale und Schutzweichen meist ausreichend sichern), sondern weil jede Kreuzung eine unzulässige gegenseitige Behinderung und Verzögerung des Betriebes ergibt. Inwieweit Kreuzungen durch Brücken zu ersetzen sind, muß von Fall zu Fall entschieden werden; Brücken sind umsomehr nötig, je größer die Zahl der Züge (oder der Lokomotiv- oder Rangierfahrten) ist, je größer die Geschwindigkeit, je weiter sie vom Bahnhofe entfernt liegen. Kreuzungen entgegengesetzter Richtung, bei der Einfahrt und am Fuß längerer Gefällstrecken sind bedenklicher als Kreuzungen gleicher Fahrrichtung, bei der Ausfahrt und am Scheitel längerer Steigungen. Von sog. »verkappten« Kreuzungen hat man sich bei der Entwurfbearbeitung Rechenschaft zu geben; stark belastete Nebengleise bedürfen unter Umständen eher schienenfreier Kreuzungen als schwach belastete Hauptgleise. In den romanischen Ländern und in Nordamerika hat man bisher dem Ersatz der Kreuzungen durch Brücken wenig Beachtung geschenkt, doch ist ein Umschwung besonders im industriellen Osten Amerikas eingetreten; Deutschland dürfte in dieser Beziehung an der Spitze marschieren.
Ähnlich wie die Kreuzungen ist die Frage zu behandeln, ob mehrere Gleise in eines zusammenzuführen oder ob jedes Gleis selbständig in den Bahnhof einzuführen ist. Vergleicht man z.B. Abb. 263 gegen Abb. 264, so sind in Abb. 263 alle Gleise selbständig durchgeführt,[335] in Abb. 264 dagegen alle Gleise, bei denen dies möglich ist, zusammengeführt, so daß zwischen a und b für jede Verkehrsart nur ein Gleispaar vorhanden ist. Die selbständige Durchführung ist leistungsfähiger und sicherer, aber auch viel teurer, besonders wenn die Strecken a b lang sind. Man wird die Zusammenführung umso eher wählen, je schwächer die Belastung, je gleichmäßiger die Stärke der verschiedenen Verkehrsarten ist und je größer die Strecken a b sind; die Zusammenfassung von Ausfahrstraßen ist viel eher zulässig als die von Einfahrgleisen.
In der Einzeldurchbildung der G. sollte nichts enthalten sein, wodurch die Betriebsverhältnisse gegenüber denen der freien Strecken verschlechtert werden; das ist besonders bei den Steigungen und Krümmungen zu beachten. Abweichungen sind hier nur in folgendem zulässig: Gleise, die nur von Personenzügen befahren werden, können auch im Flachland Steigungen bis 1 : 120 erhalten; Gleise, die nur im Gefälle befahren werden, können starke Neigungen erhalten; solche, die nur von Güterzügen befahren werden, scharfe Bögen; Weichen mit gekrümmtem Hauptstrang oder sehr spitzem Winkel können notwendig werden, desgl. sehr spitzwinklige Brücken. Man muß darauf sehen, mit möglichst wenig Stellwerken auszukommen, weil dadurch die Jahreskosten sehr viel niedriger werden.
Bei der Durchbildung der G. führt es fast immer zu den einfachsten, leistungsfähigsten und betriebssichersten Anlagen, wenn man den Richtungsbetrieb anwendet. Hierin decken sich die Anforderungen an die G. vollkommen mit denen für die Gestaltung der Bahnhöfe. Hierbei führt man bei zwei Bahnen das Personenzug-Gleispaar der wichtigsten Linie am besten geschlossen durch (vgl. Gleis 4 und 5 in Abb. 263) und schwenkt das eine Hauptgleis der andern Linie ganz über das genannte Gleispaar hinüber (Gleis 8 über Gleispaar 45 mittels Bauwerk I); aus den dadurch auf Richtungsbetrieb gebrachten Hauptgleisen löst man die Gütergleise ebenfalls nach Richtungsbetrieb los (Gleise 23 und 67 in Abb. 263). Das in Abb. 263 angegebene Schema kann jeder Gleisentwicklung zunächst zu gründe gelegt werden. Es ist bei mehr als zwei Linien entsprechend zu erweitern. Handelt es sich bei mehr als zwei Linien zum Teil um Nebenlinien (was meistens der Fall ist), so ist es zweckmäßig, gemäß Abb. 265 die Nebenlinien an die nach Abb. 263 mit Richtungsbetrieb entwickelten Hauptlinien mittels Linienbetrieb anzugliedern.
Die G. eines größeren Eisenbahnknotenpunktes lösen sich vielfach in eine Reihe von einander getrennt liegender, in sich selbständiger G. auf; in diesem Fall sind außer dem Hauptbahnhof meist eine Reihe von »Vorstationen« für den öffentlichen (Güter- oder Personen-) Verkehr vorhanden, von deren Lage die Durchbildung jeder der einzelnen G. wesentlich abhängt.
Besonders eigenartig sind die G. vor Kopfbahnhöfen mehrerer Linien, wenn auf diesen Durchgangsverkehr besteht (Altona).
Literatur: Eis. T. d. G. II. 3. Bahnhofsanlagen. Wiesbaden 1909.
Blum.
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