[272] Intercontinental Railway ist die Bezeichnung für eine Eisenbahn, die das Festland von Amerika von Norden nach Süden durchziehen und eine ununterbrochene Schienenverbindung zwischen dem äußersten Norden der Vereinigten Staaten und den südamerikanischen Staaten bis herunter nach Patagonien herstellen soll. Die Anregung zum Bau einer solchen Bahn gab der im Frühjahr 1890 in Washington versammelte sog. panamerikanische Kongreß (International American Conference). Die Bahn soll selbstverständlich einerseits an die in den Vereinigten Staaten vorhandenen Bahnen anschließen, die bereits im Norden mit den kanadischen, im Süden mit den Eisenbahnen der Republik Mexiko in unmittelbarer Verbindung stehen, anderseits an die Eisenbahnen der südamerikanischen Republiken. Die Lücke, die zwischen diesen beiden Gebieten noch besteht, soll die interkontinentale Bahn ausfüllen.
Der Zweck der Bahn ist einerseits die Erschließung der von Eisenbahnen noch nicht berührten Länder für den Verkehr, anderseits und hauptsächlich ein politischer. Die Annäherung der Staaten des amerikanischen Festlandes sollte gefördert und der Einfluß der Vereinigten Staaten auf die mittel- und südamerikanischen Staaten gestärkt werden.
Der panamerikanische Kongreß hatte daher beschlossen, den sämtlichen Regierungen Amerikas den Bau einer solchen Bahn dringend zu empfehlen und zum Zweck der Untersuchung der Linie, Prüfung der Kosten des Bahnbaues und weiterer Vorbereitungen eine internationale Kommission mit dem Sitz in Washington zu bilden. Zu den Kosten der Vorarbeiten sollten alle beteiligten Regierungen beitragen.
Diese internationale Kommission hatte alsbald Ermittlungen anstellen lassen und die Gebiete, die von neu zu bauenden Strecken durchschnitten werden sollten, sind durch besondere Vermessungstruppen untersucht worden. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in einem sehr umfangreichen, mit Karten und Plänen ausgestatteten Bericht im Jahre 1895 veröffentlicht worden. Hiernach waren bereits 7680 km Eisenbahnen, hauptsächlich in Nordamerika (den Vereinigten Staaten und Mexiko) vorhanden, dagegen 8780 km neu zu bauen, die Gesamtlinie würde also eine Länge von 16.460 km haben. Die neu zu bauenden Linien durchziehen zum erheblichen Teil schwieriges gebirgiges Gelände, hauptsächlich in Ecuador und in Peru. Ihre reinen Baukosten veranschlagt der Bericht auf 175 Mill. Doll. Hierzu kämen noch die Kosten für Oberbau, Ausrüstung, Stationsgebäude, Betriebsmaterial. Die Gesamtkosten sollten etwa 230240 Mill. Doll., d. s. eine Milliarde Mark betragen, eine Schätzung, die von anderen Sachverständigen vielfach als erheblich zu niedrig erklärt wird.
Die Angelegenheit blieb ruhen bis zu dem zweiten panamerikanischen Kongreß, der im Jahre 1902 in Mexiko stattgefunden hat. Dieser beschloß die Anstellung neuer Ermittlungen, deren Kosten der bedeutende Großindustrielle Andrew Carnegie und ein amerikanischer Unternehmer, Davis, getragen haben. Ein Mitglied des amerikanischen Repräsentantenhauses, Mr. Pepper, wurde mit Vornahme neuer Untersuchungen beauftragt, er bereiste wiederum die in Frage kommenden Gebiete und legte am 12. März 1904 dem Staatssekretär der Vereinigten Staaten seinen Bericht vor, der von dem Präsidenten Roosevelt dem Senat und dem Repräsentantenhaus und von diesem dem Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten überwiesen[272] worden ist. Dieser Bericht bringt wenig Neues; er stellt fest, daß rund 770 km der noch fehlenden Strecken seit Erstattung des ersten Berichtes gebaut sind.
Der im Jahre 1906 in Rio de Janeiro versammelte dritte panamerikanische Kongreß ist auf die Angelegenheit nicht wieder zurückgekommen. Der Plan scheint indes noch nicht ganz aufgegeben zu sein, denn bei dem Bau neuer Eisenbahnstrecken in den Mittel- und südamerikanischen Staaten wird stets darauf Rücksicht genommen, daß sie einmal ein Glied der interkontinentalen Bahn bilden könnten.
Die Bedenken gegen das Unternehmen liegen auf technischem, finanziellem und wirtschaftlichem Gebiete. Wenngleich die mit der Herstellung der Bahn verbundenen technischen Schwierigkeiten heutzutage nicht unüberwindlich sind, so ist es doch recht zweifelhaft, ob die ungeheuren Kosten im richtigen Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert des Unternehmens stehen. Besonders kommt dabei in Betracht, daß die einzelnen Strecken, aus denen die Bahn sich zusammensetzen würde, verschiedene Spurweiten haben. Die Umwandung der schmalspurigen in vollspurigen Strecken würde weitere Kosten mit sich bringen. Der Verkehr der Bahn wird aber auf lange Strecken dem Wettbewerb der Küstenschiffahrt ausgesetzt sein, was in noch höherem Maße zur Erscheinung kommen wird, wenn nach der Eröffnung des Panamakanals der Weg für die Schiffahrt zwischen den Ost- und Westküsten von Nord- und Südamerika ganz wesentlich verkürzt ist.
Literatur: Report of the International American conference relative to an Intercontinental Railway line. Washington 1890. Intercontinental Railway Commission, Report. Washington 1895. Charles M. Pepper, Progress of panamerican Railway. Report to the Secretary of State. Washington 1905. Kemmann im Arch. f. Ebw. 1895, S. 896 ff., 1900, S. 227 ff., 1905, S. 381 ff.
v. der Leyen.
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