Vorrede [zum ersten Band]

[5] Man hat die Sprache das Herz des Volks und die Sprichwörter die Adern genannt, die das Blut nach allen Theilen des Körpers leiten1, um dadurch ihre Wichtigkeit in dem geistigen Leben eines Volks zu bezeichnen. Ihre Bedeutung und ihr Werth ist auch bei allen Völkern und zu aller Zeit erkannt worden, wenn auch oft genug Perioden eingetreten sind, in denen ihnen in der Literatur nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet worden ist.

Ich will hier nicht von der Wichtigkeit und Bedeutung des Sprichworts ausführlich reden und das wiederholen, was von andern bereits besser gesagt worden ist; nur daran erinnern will ich, wie keine Erzeugnisse des menschlichen Geistes die Aufmerksamkeit der Gebildeten mehr erregt haben als gerade die Sprichwörter, weil sie die Farbe und den Charakter des Volks an sich tragen und Kenntniss von dessen Sitten und Gebräuchen, wie von dessen Art zu sehen und zu fühlen geben; wie sie nur die Art und Weise enthüllen, wie die Völker anschauen und denken, während die Geschichte uns mehr die äussern Beziehungen eines Volks zeigt, und sich mehr mit dem Charakter der Privatpersonen und ihres Einflusses auf die Nation beschäftigt. Ich begnüge mich, auf ein paar Urtheile über den Werth der Sprichwörter aus neuester Zeit zu verweisen, auf das, was Riehl in seiner Schrift: Die deutsche Arbeit (Stuttgart 1861, Kap. 5 und 6), und Bogumil Goltz in seinen Ethnographischen Studien (Berlin 1860, S. 31-33) darüber sagen.

Da die Sprichwörter das Product des Volksgeistes sind und dieser nimmer zu schaffen aufhört, so muss die Literatur, wenn sie nicht absterben soll, mit dem Volksmunde in steter Verbindung bleiben, d.h. aus ihm sich ergänzen. Greift die Ansicht platz, als sei der Sprichwörterschatz eines Volks zu irgendeiner Zeit ein abgeschlossener, so geräth die Sprichwörterliteratur in Stillstand, und neue Sammlungen entstehen fast nur aus alten. Dieser Uebelstand ist auch in Betreff unsers deutschen Sprichwörterschatzes zu beklagen. Das Bedürfniss eines Werks, das denselben vollständig und übersichtlich aus seinen beiden Hauptquellen darbietet, ist seit langer Zeit gefühlt worden und hat das Deutsche Sprichwörter-Lexikon hervorgerufen.


Es wäre hier zunächst der Begriff »Sprichwort« festzustellen, wie dies die Herausgeber fast aller Sprichwörtersammlungen und Sprichwörterbearbeitungen gethan haben. Mir ist aber noch nicht eine Erklärung begegnet, durch welche nicht ein oder das andere Sprichwort hätte hindurchschlüpfen können. Ich verweise auf das, was Körte und Eiselein darüber in der Einleitung zu ihren Bearbeitungen gesagt haben. Ich habe in meinem Sprichwörterschatz eine Anzahl Erklärungen aus alter und neuer Zeit zusammengestellt, und bemerke darüber hier blos, dass ich geglaubt habe, die Bezeichnung »Sprichwort«, worüber ich mich weiter unten noch ausspreche, für das vorliegende Werk in der weitesten seiner Bedeutungen nehmen zu müssen. Das unten erwähnte Gutachten der Gesellschaft für deutsche Sprache in Berlin sagt: »Den Begriff eines Sprichworts wird man wol dahin fassen können, dass es eine zu einem untheilbaren Ganzen verbundene Aneinanderreihung von Wörtern ist, welche einen bestimmten Erfahrungssatz oder eine bestimmte Anschauung oder Meinung darstellt und durch häufigen Gebrauch derartiges Gemeingut des Volks geworden ist, dass es unbesehen, unverändert und unbedacht, mithin als Münze umläuft. Weil es ein Ganzes ist, gibt es eben nur Sprichwörter, nicht Sprichworte. Weil es eine bestimmte Meinung darstellt, ist nicht jede Redeweise (Redensart) ein Sprichwort. Weil es als Münze, unbesehen und unverändert umläuft, wird nicht jeder Denk- noch Sinnspruch zum Sprichwort.«

Abgesehen davon, dass diese Erklärung mir zu umfänglich erscheint, schnürt sie den Begriff »Sprichwort« enger zusammen, als er im Sprachgebrauch vorkommt, und jedenfalls so, dass nach demselben alle sprichwörtlichen Redensarten und Ausdrücke, die gerade für die Sprache von ausserordentlicher Wichtigkeit [5] sind, von dem Lexikon ausgeschlossen würden. Das Deutsche Sprichwörter-Lexikon soll aber auch ein Sprachschatz sein und musste daher seine Aufgabe allgemeiner fassen. Die Didaskalia (Frankfurt a.M. 1865, Nr. 24) deutet die Bedeutung desselben, wie für »die Sprachkunde, die reichen Stoff für ihre Interessen findet«, ebenso für die Culturgeschichte, die Lebensanschauung und Symbolik, die Sitten, wie die grossen und kleinen Erlebnisse zunächst der deutschen Stämme, aber auch vieler andern, mit deren Sprichwörtern die deutschen verglichen werden, an; sie hebt hervor, wie die Aehnlichkeit derselben untereinander, die theils aus geschichtlicher Uebernahme, theils aus (dynamischer) Verwandtschaft der Anschauung entspringt, dort den (ethnographischen) Gang der Bildung von einem Volk zum andern, hier die geistige (psychologische) Verwandtschaft und zugleich die Verschiedenheit der einzelnen Volksstämme, in dem sie neben dem allgemein menschlichen Erbe auch die Besonderheit der einzelnen Glieder der Menschheit darstellt.

Wie verschieden auch bald das Gepräge, bald der Gehalt der Sprichwörter sein mag, ihre Entstehung ist im wesentlichen dieselbe. Irgendeine Bemerkung, ein Gedanke wird bei einem gewissen Anlass in volksthümlichem Ton ausgesprochen, wobei es gleichgültig ist, ob durch die Schreibfinger oder durch den Mund. Dieser Ausspruch hat das Glück, aus irgendeinem Grunde zu gefallen; er wird bei demselben oder einem ähnlichen Anlass wiederholt, gleichviel ob durch den Mund, durch die Schreibfinger oder den Pressbengel. Je häufiger dies geschieht, desto eher ist die Sprichwörtlichkeit des Ausspruchs erreicht; und in je weitern Kreisen diese Wiederholung erfolgt, desto grösser ist die Verbreitung des so entstandenen Sprichworts. Ich bemerkte, der Gedanke müsse im volksthümlichen Tone ausgesprochen werden; denn die Wiederholung, auch die häufigste und in den weitesten Kreisen erfolgende, macht ohne jene den Ausspruch nicht zum Sprichwort. So sind z.B. die Aussprüche: »Das Leben ist der Güter höchstes nicht«; »Das Spiel des Lebens sieht sich heiter an«; »Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme«, häufiger wiederholt worden als die »angenehme Temperatur« des preussischen Kriegsministers von Roon; und dennoch ist der letztere Ausdruck, obgleich erst im Jahre 1862 geboren, sprichwörtlich, und jene Aussprüche sind es nicht. Ich verweise hier auf die Einleitung zu Büchmann's Geflügelten Worten (Berlin 1864).

Der Verbreitungskreis der Sprichwörter ist nicht derselbe, wenn es auch die Entstehung ist. Gewisse Sprichwörter sind nur persönliche, und sie bewegen sich in dem Kreise, in welchem sich die betreffende Person bewegt. Nur in seltenen Fällen gehen sie durch Hinzufügung des Namens in apologischer Form über ihre Heimatsstätte, die ihr eigentlicher Lebenskreis ist, hinaus; z.B.: »Wo bleib' ich? sagt Kessler« (Hildesheim); »Wart's ab, sagt Tuckermann« (Merseburg). Wie gewisse Sprichwörter blos einem Hause, einem Familienkreise, einem Dorfe, einer Stadt, einer Gegend, einer Provinz angehören und andere einem ganzen Volke, ja ganzen Sprachstämmen eigen sind; so möchte ich wieder von andern geradezu behaupten, dass sie Weltsprichwörter sind, dass sie sich bei allen Völkern von einiger Bildung befinden, nur etwa mit der selbstverständlichen Einschränkung, dass derselbe Gedanke unter andern Bildern in einer verschiedenen Fassung oder Hülle erscheint, wie sie sich da, wo der Gedanke ausgesprochen worden ist, geboten hat.

Die Frage, ob ein Sprichwort dem oder jenem Volke angehöre, bei welchem es entstanden, welches es blos durch Uebertragung empfangen habe, scheint mir, namentlich wenn es sich um Völker handelt, die in nachbarlichem, in geschäftlichem oder wissenschaftlichem Verkehr gestanden haben, schwer zu entscheiden. Da dieselben Factoren dieselben Producte geben, so kann derselbe Gedanke bei den verschiedenen Völkern unter ähnlicher Veranlassung als Sprichwort ins Leben treten, wobei natürlich die Form, in der es geschehen ist, von Interesse erscheint. Die Untersuchung, ob z.B. ein Sprichwort von den Franzosen zu den Deutschen oder von diesen zu jenen übergegangen sei, wird schwerlich zu einem zuverlässigen Resultat führen. Zunächst kann der Volksgeist jedes der beiden Völker es selbständig erzeugt haben, wie gewisse Erfindungen von den entlegensten Völkern unabhängig voneinander gemacht worden sind, sodass es keins vom andern empfangen hat. Wäre aber auch eins der beiden Völker das erzeugende, das andere das empfangende, auf welche Weise soll man dies ermitteln? Man kann sagen: Wenn man dasselbe Sprichwort in der französischen Literatur ein Jahrhundert früher findet als in der deutschen, so haben es die Deutschen von den Franzosen empfangen, oder umgekehrt im entgegengesetzten Falle. Der Schluss ist aber nicht zuverlässig. Abgesehen davon, dass die Behauptung, ein Sprichwort finde sich in der Literatur eines Volks früher als in der eines andern, sehr gewagt erscheint, weil es so gut wie unmöglich ist, zu wissen, ob sich nicht bei dem andern Volke irgendwo eine noch ältere Schrift vorfindet; so kann das Volk, bei dem das betreffende Sprichwort sich zuerst gedruckt findet, doch das empfangende sein, während es bei dem andern erzeugt worden ist und dort schon lange vorher im Volksmunde gelebt hat. Im deutschen Volksmunde leben noch Tausende und aber Tausende von Sprichwörtern, die noch nie gedruckt worden sind. Wie viele sind erst in den letzten Jahren durch Firmenich's Germaniens Völkerstimmen und Frommann's Deutsche Mundarten aus dem Volksmunde in die Literatur übergegangen! Wie viele wieder durch die mir gewordenen Zusendungen! Und warum sollen unter uns lebende Nichtdeutsche solche Sprichwörter, die sie im Verkehr vernehmen, nicht in ihr Land mitnehmen [6] und dort drucken lassen, während sie in Deutschland noch nicht gedruckt sind? Ich habe in den Vereinigten Staaten Amerikas im Verkehr mit den Deutschen viel Sprichwörter vernommen, die ich bisher in keiner deutschen Sammlung gefunden hatte; denn mancher deutsche Verein ist dort eine lebendige Mundartensammlung, da seine Mitglieder vielleicht allen deutschen Volksstämmen angehören können. Es erscheint mir unerheblich, zu wissen, und vielleicht nur im Ausnahmefalle zu ermitteln, ob ein gewisses Sprichwort ursprünglich ein deutsches, oder ob es ein eingewandertes ist, denn jedenfalls sind aus Deutschland mehr Sprichwörter aus- als eingewandert. Wirkliche ausländische Sprichwörter werden sich stets durch ihr Gepräge als solche kennzeichnen.

Betrachten wir den deutschen Sprichwörterschatz – und dasselbe gilt von jedem andern beziehungsweise auch –, so finden wir darin Sprichwörter, welche in ganz Deutschland jedermann bekannt sind, und, wie sie vor Jahrhunderten gesprochen worden, noch heute in jedem Munde leben. Allein bei weitem die wenigsten Sprichwörter jedes, nicht blos des deutschen Volks gehören dieser Klasse an. Wie es Menschen gibt, deren Namen allbekannt sind, nicht nur im eigenen Lande und Volke und weit darüber hinaus, wieder andere, deren Wirksamkeit sich nur auf eine Provinz oder einen Kreis erstreckt, und solche, die nie in ihrem Leben über die Feldmarken ihres Orts hinausgekommen sind; so ist es auch mit den Sprichwörtern. Aber Sprichwörter, die nur von wenigen gekannt und gesprochen werden, sind dessenungeachtet ebenso gut Sprichwörter, wie jene Personen Menschen. Wie es wieder Menschen gibt, deren Namen von Volk zu Volk, durch die Geschichte von Jahrtausenden gehen, und andere, die, kaum geboren, wieder sterben; so gilt auch ein Gleiches von den Sprichwörtern. Jeder Sprichwörterschatz, nicht blos der deutsche, besteht daher aus Sprichwörtern sehr verschiedener Art, sowol was den Umfang des Wirkungskreises, als die Lebensdauer derselben betrifft; in Betreff des Umfangs aus Sprichwörtern, die im ganzen Volke von jedem gekannt sind, bis zu solchen, die, fast persönlich, nur dem engsten Kreis angehören; in Betreff des Lebens derselben aus solchen, die noch im Volksmunde oder in der Literatur leben, und andern, die vor längerer oder kürzerer Zeit gelebt haben und in Vergessenheit gekommen sind, aber deshalb nicht aufgehört haben, Sprichwörter zu sein.


Von diesen allgemeinen Bemerkungen gehe ich zu dem über, was ich über die vorliegende Arbeit selbst zu sagen habe.

Als im November 1862 die erste Lieferung des Deutschen Sprichwörter-Lexikon ausgegeben werden sollte, kam die Frage zur Erwägung, ob sie mit einer Vorrede zu begleiten, oder ob es vorzuziehen sei, dies bis zum Schlusse des ersten Bandes aufzuschieben. So wünschenswerth das erstere in vieler Hinsicht gewesen wäre, so sprachen doch überwiegende Gründe für den letztern Weg. Allerdings mussten dadurch die geehrten Abnehmer des Werks und musste auch die Kritik über viele Punkte, die zur Aufklärung und zum Verständniss zu wissen nothwendig erschienen, mehr oder minder im Dunkeln bleiben; allein bei einem Werke wie diesem, das seine ersten Lieferungen gewissermassen nur als Pionniere aussenden kann, um anzufragen, in welcher Richtung und Weise die Arbeiten der Herausgabe zu erfolgen haben, liess sich voraus über vieles nichts Bestimmtes sagen. Es erschien daher angemessener, am Schluss des ersten Bandes, nach einer vierjährigen Arbeit über das, was geschehen und warum es so geschehen, zu berichten, als ein Programm aufzustellen, das durch Eröffnung neuer Gesichtspunkte wie neuer Quellen, durch gerechte Forderungen der Kritik u.s.w. von einer Lieferung zur andern hätte abgeändert werden müssen.

Von der Ueberzeugung ausgehend, dass ein grosser, wenn nicht der überwiegend grössere Theil des deutschen Sprichwörterschatzes ausschliesslich nur im Volksmunde lebe und, wenn überhaupt je gedruckt, doch nur in der Literatur zerstreut und noch nie in eine Sprichwörtersammlung gekommen sei, sollte das Erscheinen des Deutschen Sprichwörter-Lexikon zugleich den Auftrag erhalten, zu Sammlungen aus dem Volksmunde und der Literatur anzuregen. Für diesen Zweck ward zur Vermittelung jeder Lieferung ein kurzes Begleitwort beigegeben. Die Erfahrung hat bewiesen, dass der eingeschlagene Weg der richtige gewesen ist.

Wenn es nun auch keineswegs in meiner Absicht liegt, mich über das Sprichwort und seine Literatur nach allen Seiten zu verbreiten, so halte ich es doch für geboten, in möglicher Kürze über einzelne Punkte der Arbeit selbst mich auszusprechen.


Zur Entstehungsgeschichte. So weit meine Erinnerung zurückreicht, habe ich stets lebhaftes Interesse für Sprichwörter gehabt. Schon in Schulbüchern las ich sie vorzugsweise gern und las wiederholentlich gerade die Abschnitte, welche Sprichwörter boten. Ich benutzte sie später als Hülfslehrer in der Schule; und schon in den ersten Jahren, nachdem ich nach Hirschberg als Lehrer berufen war, veranlassten sie mich zu weitern Arbeiten. Ich gab unter dem Titel Scheidemünze (1831-32, I und II) neue Sprichwörter heraus, liess unter dem Titel Weihnachtsnüsse (1832) 500, unter dem Titel Nüsse für Kinder (1835) eine weitere Sammlung Sprichwörter für Kinder drucken, die ich (1838) im Sprichwörtergarten behandelte, zog die Sprichwörter aus den Schriften Abraham a Sancta Clara's aus und liess sie als Abrahamisches [7] Parömiakon (1838) erscheinen. Bei allen diesen Arbeiten war der pädagogische Gesichtspunkt hauptsächlich leitend; hier mehr der schulpädagogische, dort der allgemeine volkspädagogische. Bei den Sprichwörtern aus Megerle's Schriften, die leider durch eine Unzahl von Druckfehlern entstellt sind, trat der literaturgeschichtliche schon mehr hervor. Immer noch war ich aber über den eigentlichen Zweck meiner Arbeiten nicht völlig ins Klare gekommen. Ich fühlte blos, dass die Sprichwörter ein Schatz seien, der benutzt werden müsse; und ich fing an, sie zur Belehrung fürs Volk zu bearbeiten. Es ist davon unter dem Titel Sprichwörterschatz (1836) ein Band erschienen. Diese Arbeiten führten mich aber allmählich tiefer in das Wesen des Sprichworts und seine Literatur ein. Die mir zu Händen kommenden Sammlungen erschienen mir sämmtlich dürftig; und dennoch sah ich, dass auch Sprichwörterbearbeitungen für einen bestimmten Zweck an dem Mangel geordneten Stoffs scheitern müssten. Und so kam mir denn, besonders angeregt durch Wagner's Sprichwörter-Lexikon (Quedlinburg 1813), der Gedanke, alle andern Arbeiten aufzugeben und mir vorerst ausschliesslich die Aufgabe zu stellen, die deutschen Sprichwörter zu sammeln und, wie Wagner, wenn auch nicht in strenger Folge, gethan, lexikalisch zu ordnen, nachdem ich mich durch Aufstellung und Verwerfung verschiedener anderer Gruppirungen und Ordnungspläne überzeugt hatte, dass es für schnelle Auffindung wie Einordnung keinen bessern Weg gibt.2

Beginnen nun zwar meine Arbeiten auf dem deutschen Sprichwörterfelde mit dem Jahre 1830, so habe ich mir doch erst nach 1836 ausschliesslich die Lösung der Aufgabe gestellt, den gesammten deutschen Sprichwörterschatz in lexikalischer Ordnung zusammenzustellen und so concentrirt dem Volke und seiner Literatur zu übergeben. Anfänglich dachte ich natürlich nicht an die noch ausschliesslich im Volksmunde lebenden Sprichwörter; ich verfuhr vielmehr, wie die meisten Sammler thun, die aus den vorhandenen Sammlungen neue machen, ich suchte mir alles, was gedruckt war, zu verschaffen und schrieb aus. Die Literatur von Nopitsch (Nürnberg 1822) leistete mir dabei den Hauptdienst. Ich lernte dann auch in Breslau Herrn Professor Hoffmann von Fallersleben kennen, durch den ich alles erhielt, was die breslauer Universitätsbibliothek im Gebiet der Sprichwörterliteratur besass.

Nach etwa sechs Jahren unausgesetzten stillen Sammelns besass ich ein druckfähiges Manuscript in Stärke von über 700 Bogen, das aber, »weil es zu stark sei«, glücklicherweise niemand drucken mochte. Ich sage glücklicherweise, denn es wäre eine sehr unvollkommene Arbeit gewesen. Die Sprichwörterliteratur, wie die volksthümliche überhaupt, war damals sehr wenig gepflegt, und so fehlte auch der Sinn und das Verständniss des Publikums dafür. Ich selbst war in den Gegenstand noch viel zu wenig, in die Mundarten gar nicht eingedrungen; auch liess mir meine amtliche Stellung nur die Sonntage oder ein paar stille Abend- oder Nachtstunden dafür übrig. Zwar würde die Sammlung gegen Wagner mit seinen 3700 und gegen das 1837 erschienene Körte'sche Werk (Leipzig) mit 7200 Sprichwörtern der Zahl nach ein nicht unerheblicher Fortschritt gewesen sein; aber sie wäre doch weit hinter den Ansprüchen zurückgeblieben, welche ein tieferes Eingehen in die betreffende Literatur später machte. Ich liess das Manuscript durchschiessen und sammelte weiter; natürlich oft mit Unterbrechung, wie sie schon meine Stellung als Lehrer an einer öffentlichen Schule wie zugleich an einer Privatanstalt gebot.

Indess wie die Gebrüder Grimm, wenn der Vergleich erlaubt ist, die erforderliche Musse zur Bearbeitung ihres Wörterbuch (vgl. Vorwort, I, 1) durch die hannoversche Regierung erhielten, so ward sie mir durch die preussische, die mich bei ihrem bekannten Bestreben, die Verfassung in ihrer Weise auszubauen, die Gesetze anzuwenden, den Beamten-, besonders den Lehrerstand zu »purificiren« und das Volksschulwesen zu heben, aus meinem Lehramte entfernte, weil ich mich auf den politischen Standpunkt nicht zu erheben vermag, dass Menschen- und Bürgerrechte in der Beamtenpflicht auf-, d.h. untergehen.3 Während indess die Gebrüder Grimm in Preussen eine freundliche Aufnahme fanden, hätte ich beinahe als geborener Preusse in meinem Vaterlande keine Stätte gefunden.

[8] Als ich endlich nach langen Kämpfen mich hier niedergelassen hatte4, begann ich, nach Ueberwindung einer Haussuchung, die ich unten erwähnen muss, meine Arbeiten aufs neue. Nach etwa vier Jahren, in denen ich alles mir Erreichbare durchmustert und ausgezogen hatte, war der oben erwähnte Durchschuss gefüllt, und das Manuscript auf etwa 1400 Bogen angewachsen.5 Es war eine neue Abschrift für den Druck nothwendig, die wieder ein paar Jahre in Anspruch nahm. Was sich an gedruckten Sprichwörtern vorfand, glaubte ich damals erschöpft – wie sehr ich mich geirrt habe, ist mir seit dem Beginn des Drucks klar geworden –; und ich wandte mich nun vorherrschend dem Sammeln aus dem Volksmunde selbst zu, indem ich durch eine grosse Anzahl deutscher Zeitschriften an die Freunde der Sprichwörter die Bitte richtete, die in ihrer Gegend üblichen Sprichwörter zu sammeln und mir zugehen zu lassen.6

Wenn diese Anregungen auch nicht gerade den Erfolg hatten, den ich erwartete: den ganzen im Volksmunde befindlichen noch ungedruckten Sprichwörterschatz zu heben, so scheinen sie doch nicht völlig nutzlos gewesen zu sein. Die eingehenden Beiträge waren freilich nur vereinzelt und im Verhältniss zu dem, was geleistet werden konnte, sehr geringe Gaben; aber die Aufmerksamkeit selbst scheint dadurch dem Gegenstande zugewandt worden zu sein. Es begann sich zu regen auf dem Felde der Sprichwörterliteratur, wie die im Verhältniss zu früher seit der Mitte der funfziger Jahre in weit grösserer Anzahl erschienenen, diesem Gebiet angehörenden Schriften beweisen. (Vgl. das Quellenverzeichniss.)

Aus brieflichen Mittheilungen ersah ich, dass sich der Mangel an Sammeleifer auf zwei Hauptquellen zurückführen lasse; die einen behaupteten, es gebe in ihrer Gegend keine bisher ungedruckten Sprichwörter – ein Irrthum, in dem sich die überwiegende Mehrzahl noch befindet; andere meinten, ein solches Werk, wie ich es im Sinn habe, werde doch in Deutschland nie gedruckt: eine Ansicht, die beinahe das Richtige getroffen hätte, aber zur Ehre des deutschen Buchhandels und Volks noch ihre Widerlegung finden sollte.

Es galt nun, den Beweis für die Lebensfähigkeit der Arbeit zu führen: eine Aufgabe, die mir, zumal der Umfang derselben inzwischen auf ungefähr 2800 Bogen Manuscript angewachsen war, nicht allzu leicht gemacht, aber doch schliesslich gelöst worden ist, und zwar in einer Weise, welche dem Publikum ausreichende Bürgschaft für eine würdige Ausführung und Vollendung gewährt und dem obenerwähnten Unglauben die Wurzeln abschneidet. Nachdem der Druck bereits vier Jahre ohne Unterbrechung gedauert hat, die Herausgabe nicht fabrikmässig, sondern mit äusserster Sorgfalt besorgt worden ist, indem von keiner Seite Opfer an Arbeitskraft, Zeit und Kosten gescheut worden und der erste Band (in 15 Lieferungen ausgegeben) vorliegt, wird diese Behauptung erlaubt sein.


Einrichtung und Ausführung. Hätte ich die Grösse der Aufgabe damals auch nur entfernt geahnt, ich würde nicht den Muth gehabt haben, sie auf meine Schultern zu nehmen und deren Lösung zu beginnen. Die vornehme Gelehrsamkeit, welche den deutschen Sprichwörterschatz durch den ganzen neuhochdeutschen Zeitraum von Luther bis jetzt nicht zu einem einzigen, auch nur mässigen Ansprüchen genügenden Sammelwerke gefördert hat, würde dazu gelächelt haben, wie sie mehrseitig meine Ankündigung vor einigen Jahren ungläubig, wenn nicht naserümpfend belächelt hat. Ich sage, nicht zu einem einzigen, dem ausserordentlichen Reichthum des deutschen Sprichwörterschatzes entsprechenden Sammelwerke; denn die Arbeiten von Wagner, Körte und Simrock erschienen als Volksbücher, und Eiselein geht zwar auf die Quellen zurück, ist aber so unzuverlässig in der Angabe derselben wie in der Schreibung, dass mir dieselben wenigstens weit mehr Mühe und Zeitverlust verursacht als Nutzen gewährt haben, da man unter zehn Angaben auf neun unzutreffende oder unbrauchbare rechnen kann. Da steht bei irgendeinem Satze Agricola, Boner, Brant, Luther, Suchenwirth u.a., aber weder Ausgabe noch Seite; und wenn man den ganzen Schriftsteller durchsucht, hat man den Satz oft nicht gefunden.7 Ueberdies sind [9] neu- und mittelhochdeutsche Sprichwörter in willkürlich verschwäbischter Schreibung durcheinandergeworfen; und zu allem dem, was noch schlimmer, gibt er gegründetem Zweifel Raum, dass er nicht selten bei alt- und mittelhochdeutschen Dichterstellen willkürliche Textveränderungen sich erlaubt oder gar zum Zwecke der Beweisführung seine Citate selbst fabricirt habe. (Vgl. J. Franck im Anzeiger, 1865, S. 105 Anm.)

Innere Einrichtung. Was diese betrifft, so haben alle vier hier genannten Schriften die Sprichwörter unter alphabetisch geordnete Hauptbegriffe – Stichwörter – gebracht, wenn auch die alphabetische Ordnung der Sprichwörter selbst nicht streng durchgeführt ist. Auch ich konnte, wie bereits erwähnt, für die Lösung meiner Aufgabe kein besseres System der Stoffbewältigung finden; nur war strenge Durchführung desselben nothwendig, so gross die dabei zu überwindenden Schwierigkeiten sind. Je mehr die Arbeit durch Ergänzungen anwuchs, um so mehr war mögliche Beschränkung eine gebieterische Pflicht. Wenn diese nicht auf Kosten der Vollständigkeit, die anzustreben ja gerade die Aufgabe des Werks war, geübt werden durfte, so konnte es nur gelten, Wiederholungen zu vermeiden, was soweit als möglich geschehen ist. Ganz zu umgehen sind sie nicht; denn einmal erscheinen viele Sprichwörter in verschiedener Form, und bei andern ist es zweifelhaft, unter welches Stichwort sie zu bringen sind. In solchem Fall habe ich mich gefragt: unter welchen Begriffs- oder Stichwörtern man ein betreffendes Sprichwort wol suchen könne, und habe es unter diese Gruppen gebracht, weil ich die Zeit des vergeblichen Suchens höher anschlage als den Raum des doppelten Drucks, zumal in manchen Sprichwörtern auch der Sinn nach anderer Betonung eine Abänderung erleidet. Fälle dieser Art sind aber nur seltene Ausnahmen; als Regel gilt, dass jedes Sprichwort nur einmal und zwar unter dem ersten Hauptbegriff desselben (nicht unter dem ersten Hauptwort oder Substantiv, wie man hier und da verstanden hat) aufgeführt ist. Viele von den Sprichwörtern, die in Druckschriften oder in brieflichen Mittheilungen als fehlend bezeichnet werden, fehlen also keineswegs im Lexikon, sie stehen nur unter einem andern, vielleicht später folgenden Stichwort. Um dies an einem Beispiel zu zeigen, so sagt Herr Dr. Latendorf in Neander's Deutsche Sprichwörter (Schwerin 1864), S. 11: »Das Sprichwort: 'Welcher im Krieg will Unglück han, der fang' es mit den Deutschen an', fehlt bei Wander.« Herr Latendorf hat es nämlich unter »Deutsche« gesucht, wo es allerdings fehlt; es steht aber bei mir unter dem ersten Hauptbegriff »Krieg«. Sollte es unter »Deutsche« stehen, dann hätte es ebenso nothwendig auch unter »Unglück« aufgeführt, also dreimal abgedruckt werden müssen. Durch dies Verfahren würde die Stärke des Werks wenigstens verdoppelt, wenn nicht verdrei- oder vervierfacht worden sein, was ich durch strenge Durchführung meines Anordnungsprincips beseitige8. Harrebomée hat in seinem Spreekwoordenboek der Nederlandsche taal etc. (Utrecht 1858 fg.) jenes Verfahren streng durchgeführt. Jedes Sprichwort findet sich bei ihm unter so viel Hauptwörtern (Substantiven) vollständig abgedruckt, als in demselben vorkommen, selbst wenn diese Hauptwörter unmittelbar aufeinander folgen, sodass dasselbe Sprichwort nicht selten auf ein und derselben Spalte zweimal ausführlich abgedruckt ist. So steht z.B. das apologische Sprichwort: »Dat is een wonderlijk kasteel, zee de boer, en hij zag een ouderwetsch hoenderhok« (I, 68), unter »Boer«, S. 310 unter »Hoen«, S. 314: unter »Hok«, S. 384 unter »Kasteel«. Das Sprichwort: »Alle ding met vriendschap, zee Govert, en hij nam de eijeren uit zijns buurmans hoendernest«, steht vollständig unter »Ding«, I, 134, unter »Vriendschap«, II, 414, »Ei«, I, 175, »Govert«, I, 255, »Buurman«, I, 104, »Hoen«, I, 310, »Nest«, II, 120, ist also nicht weniger als siebenmal vollständig aufgeführt, nicht blos unter jedem darin vorkommenden einfachen Substantiv, sondern, wie »Nest« zeigt, auch unter den Gliedern zusammengesetzter Substantiva!

Man kann sich eine Vorstellung davon machen, was aus meinem Sprichwörter-Lexikon geworden sein würde, wenn ich in dieser Weise hätte verfahren wollen. Findet sich bei mir ein Sprichwort mehr als einmal, so hat dies darin seinen Grund, dass seine Stellung schwankend ist, oder dass es in verschiedenen Fassungen, Formen oder Sinnschattirungen vorkommt. Schwerlich dürfte sich auch für leichtere Ein-und Unterordnung des Materials wie für Auffindbarkeit und Uebersichtlichkeit ein anderer Weg finden, als der von mir streng durchgeführte; man weiss stets, wohin jedes Sprichwort gehört und wo man ein jedes zu suchen hat. Dennoch bieten Artikel wie: »Affe«, »Aussehen«, »Baum«, »Bauer«, »Ding«, »Esel«, »Frau«, »Geld« u. dgl. wegen der Menge der darunter gehörenden Sprichwörter nicht [10] geringe Schwierigkeiten, wobei Wiederholungen der verschiedenen Gesichtspunkte wegen, die zu berücksichtigen sind, nicht gänzlich vermieden werden können. Bei näherm Eingehen in den Sinn der gleichen oder ähnlich scheinenden Sprichwörter wird man sich aber, wie ich hoffe, sehr bald überzeugen, dass nicht alles überflüssige Wiederholungen sind, die man im ersten Augenblick dafür halten könnte. Es finden zwischen verschiedenen Sprichwörtern, deren Sinn derselbe scheint, und es in der Hauptsache auch wol ist, oft sehr wesentliche Bedeutungsschattirungen statt; und es schien mir nicht unwichtig, diese, da sie zur Charakteristik der verschiedenen Ort- oder Landschaften beitragen, zur Anschauung zu bringen. Gern gebe ich zu, dass ich dabei nicht immer das rechte Mass gefunden haben mag. Oft tritt auch der Fall ein, dass ein Sprichwort in seiner alten und seiner modernen Form der alphabetischen Ordnung wegen an verschiedenen Stellen aufgeführt werden muss, was denn wol einzelnen Kritikern Gelegenheit bietet, mir wegen meiner Unwissenheit den Text zu lesen, z.B. die Blätter für literarische Unterhaltung, welche mir in der oben erwähnten Nr. 30 wegen Aufnahme des Sprichworts »Armuth« 157, Sp. 143, eine Lection ertheilen. Ich soll dort das gute alte Wort »ereren« in »ernähren« verstümmelt haben. »Bei S. Franck«, heisst es, »würde Wander gefunden haben: 'Wer mehr will verzehren, denn sein Pflug mag ereren.'« Wander hat in der That diese Form nicht nur bei S. Franck, sondern auch bei Neander und Latendorf (II, 30) gefunden, aber in dieser Form gehört es unter das Stichwort »verzehren«, wo es sich auch finden wird. In die unter »Armuth« 157 befindliche moderne Form das Wort »ereren« zu bringen, hielt ich und halte ich noch für ganz unpassend. Uebrigens steht schon in der plattdeutschen Fassung des Sprichworts (Ebstorf 21) »erneren«, woraus man ersehen mag, dass mir der moderne Frevel nicht zur Last fällt.

Es war anfänglich die Absicht, um Anführungen und Verweisungen zu erleichtern, die Sprichwörter nach dem Vorgange von Körte und Simrock wenigstens innerhalb eines Bandes fortlaufend zu zählen; es musste aber davon Abstand genommen werden, nicht allein, weil ganze Reihen und Säulen vier- und fünfstelliger Ziffern für das Auge widerwärtig sein würden, sondern hauptsächlich weil dadurch dem Texte viel Raum unnöthig entzogen und das Werk nicht unbedeutend an Bogenzahl gewachsen sein würde. Schon seit der dritten Lieferung würde sich die Zählung in fünfstelligen Zahlen bewegen; also den sechsten oder siebenten Theil jeder Zeile einnehmen. Es ist dafür der einfachere und raumersparende Weg eingeschlagen worden, die Sprichwörter unter jedem Stichwort besonders zu zählen, wobei man, und auch nur in seltenen Fällen, höchstens vier Ziffern bedarf. Die Verweisungen sind durch Stichwort und Ziffer sehr leicht und bestimmt. Um aber auch diejenigen zufriedenzustellen, welche die Zahl der Sprichwörter, die in einem Bande enthalten sind, wissen wollen, habe ich dieselben, auch um in Bezug auf Redaction das Verhältniss der fremden zu den deutschen stets zu kennen, vom ersten Bogen ab spaltenweis gezählt und für mich ein Verzeichniss angelegt, aus dem ich den Inhalt jeder Lieferung ersehen kann. Die bisjetzt erschienenen 15 Lieferungen, die den ersten Band bilden, enthalten danach in runder Zahl 45000 deutsche und 15000 fremde, zusammen 60000 Sprichwörter.

Ich habe endlich hier, was die innere Einrichtung betrifft, noch zu bemerken, dass die sprichwörtlichen Redensarten von den eigentlichen Sprichwörtern unter dem entsprechenden Stichwort fortlaufend gezählt werden, doch als eine besondere Schar durch * und alphabetische Ordnung geschieden worden sind, was, soviel ich vernommen, allgemeinen Beifall gefunden hat.

Nur von einer Seite habe ich die Ansicht aussprechen hören, es wäre besser gewesen, die sprichwörtlichen Redensarten ganz auszuscheiden. Aber abgesehen davon, dass die Grenze zwischen Sprichwort und sprichwörtlicher Redensart oft so schwer zu finden ist, weil derselbe Gedanke bald als Sprichwort, bald als Redensart auftritt, dass mir diese Scheidung geradezu als unausführbar erscheint, würde ein Sprichwörterschatz ohne die sprichwörtlichen Redensarten kaum halben Werth besitzen. In sprachlicher Hinsicht erscheint die elastische, überall eindringende und sich anschmiegende Schar der sprichwörtlichen Redensarten noch bedeutsamer und wichtiger als die Sprichwörter selbst. Auch ist mir in der Sprichwörterliteratur nicht eine einzige Schrift bekannt, welche eine solche Sonderung vorgenommen hätte.

Weit mehr Schwierigkeiten machte mir aber die Oekonomie des Raums in Betreff eines andern Punktes. Während nämlich jedes hochdeutsche Sprichwort Aufnahme finden musste, entstand die Frage: soll ein Sprichwort, das hochdeutsch aufgenommen ist, auch in einer Mundart aufgenommen werden? Und, wenn es in vielen vorhanden ist, in welcher? So interessant es auch sein möchte, dasselbe Sprichwort in einer Anzahl Mundarten beieinander zu haben, so war dies doch im allgemeinen aus obiger Rücksicht nicht gestattet. Ich habe mich dabei nun durch folgende Grundsätze leiten lassen. Wenn ein und dasselbe Sprichwort hochdeutsch und mundartlich in völliger Sinngleichheit vorlag, so nahm ich es vorherrschend mundartlich auf und verwies auf die hochdeutsche Quelle, falls ich eine solche kannte; in seltenen Fällen umgekehrt, nämlich dann, wenn es wünschenswerth erschien, das Sprichwort nach den hochdeutschen Quellen zu drucken, in welchem Fall ich auf die mundartlichen verwies. Wenn das Sprichwort in mehrern Mundarten vorlag, so wurde es bei Sinnschattirungen in mehrern, bei Sinngleichheit in einer aufgenommen und auf die andern verwiesen, falls nicht besondere sprachliche Rücksichten eine Abweichung geboten. Bei der Entscheidung darüber, welche von den Mundarten im letztern Fall zu wählen sei, wählte ich gern diejenige, [11] die mir die bedeutendsten Spracheigenheiten zu bieten schien. Dann war es mir darum zu thun, dass alle Mundarten vertreten sein möchten. Handelte es sich um die Wahl zwischen einer bereits gedruckten und einer mir handschriftlich zugegangenen Lesart, so wählte ich die letztere und verwies auf jene.

Selbstredend kamen bei einer solchen Masse von Stoff, wie ich ihn zu bewältigen habe, und bei einem an logische und sprachliche Disciplin so wenig gewöhnten Volke, wie die Sprichwörter sind, die lieber in Freischaren- als in Linien- und Garderegimentern dienen, genug Fälle vor, in denen alle Regeln zu Schanden werden.

Man hat gefragt, warum Sprichwort und nicht Sprüchwort, warum Sprichwörter-Lexikon und nicht Sprüchwörterbuch oder Sprüchwörterschatz?

Was den ersten Punkt betrifft, so scheint mir, ohne dass ich mich ausschliesslich auf die Autorität Grimm's berufe, der sich auf Grund einer Stelle im Freidank (vgl. Grammatik, I, 3, 221 und II, 679 und 682) für Sprichwort erklärt9, die Schreibung Sprichwort die allein richtige; denn Sprichwort ist nicht ein Spruch, sondern ein Wort, ein Gedanke, der dadurch ausgesprochen wird. Die Schreibung Sprüchwort ist daher, da Spruch auch einen Gedanken bezeichnet, eine Tautologie. Man hat zwar auch auf die Aehnlichkeit von Hülfe und Hilfe verwiesen, aber mit Unrecht, da sich hier für beide Schreibungen haltbare Gründe anführen lassen, während in jenem Falle alle Gründe gegen ü und alle für i sprechen. Wer Hülfe schreibt, kann sich auf Aussprache und Ableitung (hulp) berufen, sowie die Schreibung Hilfe ebenfalls Aussprache und Ableitung (helfen) für sich hat. In der Schreibung »Sprüchwort« bezeichnen aber beide Wortglieder immer dasselbe.

Was den andern Punkt betrifft, so wird weder durch Sprüchwörterbuch noch Sprüchwörterschatz – weil viel zu allgemeine Bezeichnungen – ausgedrückt, worauf es bei meiner Arbeit hauptsächlich ankommt: die alphabetische Anordnung, die aber durch »Lexikon« sofort erkannt wird. Jedes Buch, das Sprichwörter enthält, kann Sprichwörterbuch genannt werden; aber wer ein Sprichwörter-Lexikon in die Hände nimmt, weiss, dass er nicht blos Sprichwörter, sondern nach bestimmten Grundsätzen alphabetisch geordnete Sprichwörter findet.


Orthographie und Schriftform. Eine andere Frage hat ebenfalls zu einer langen und gründlichen Erwägung geführt; die, ob das Werk mit deutschen oder lateinischen Lettern gedruckt werden solle. Mehrere und nicht unwichtige Gründe sprachen für jene; dennoch ist nach der reiflichsten Prüfung für die Wahl der letztern entschieden worden, und zwar hauptsächlich aus Rücksicht für die Verbreitung im Auslande. Was die Schreibung betrifft, so erscheint das Lexikon in derjenigen, welche die Verlagshandlung für die in ihrer Officin gedruckten Werke angenommen hat10, wenn ich auch mit derselben nicht in allen Punkten einverstanden sein kann. Ich habe aber gern auf die Durchführung meiner Ansichten in dieser Hinsicht verzichtet, da sie das Wesen der Sache hier nicht berühren, die Druckerei ohnehin bei der Herstellung des Werks noch ausserordentliche Schwierigkeiten zu überwinden hat, und es eine wesentliche Erleichterung für den Setzer und Corrector ist, wenn in der Hauptsache die ihnen bekannte lieb- und eigengewordene Schreibung zur Anwendung kommt, zumal überdies noch so viel andere Abweichungen vorkommen, da die Sprichwörter und Belegstellen aus den ältern Quellenschriften in der Orthographie derselben abgedruckt werden.

Eine besondere Schwierigkeit bietet die Schreibart der mundartlichen Sprichwörter. Die Lautverschiedenheiten und Lautübergänge sind so zahlreich und mannichfach, dass die hochdeutschen Schriftzeichen bei weitem nicht zur Bezeichnung derselben ausreichen; solange es an einer dialektischen Orthographie fehlt, wird das Mundartliche durch hochdeutsche Schriftzeichen nur annäherungsweise ausgedrückt werden können. Soweit als es ohne besondere sprachliche Erläuterungen möglich ist, bin ich der Schreibung in den Deutschen Mundarten von Frommann oder den Schriftstellern, aus deren Schriften ich die Sprichwörter entlehnt habe, gefolgt. Auf ein besonderes mundartliches Schreibsystem einzugehen, war hier nicht zulässig, da ein solches ohne Anweisung, die hier nicht gegeben werden kann, unverständlich ist. Es wird überhaupt schwerlich je gelingen, selbst bei Hinzufügung einer grossen Anzahl neuer Schriftzeichen, die dialektische Aussprache zum treuen Ausdruck zu bringen, da diese in jedem einzelnen Orte unendlich verschieden ist.

Noch mehr als den Mangel einer dialektischen Orthographie habe ich ein allgemeines Wörterbuch der deutschen Dialekte vermisst. Ich verkenne die Schwierigkeiten der Bearbeitung eines solchen nicht; es kann aber schwerlich irgendjemand den Mangel eines solchen schmerzlicher empfinden als ich, der ich oft in einer Stunde ein Dutzend nur erdenkliche Wörterbücher nachzuschlagen habe, um zuletzt das betreffende Wort doch nicht zu finden oder über dessen Bedeutung zweifelhaft zu bleiben. Die Bearbeitung eines solchen Werks würde natürlich eine Reihe von Jahren in Anspruch nehmen und die Kräfte eines einzelnen bei weitem übersteigen; aber ich halte sie nach den gegenwärtigen Vorarbeiten und Hülfsmitteln [12] nicht mehr für gerade unmöglich, zumal ich von der Voraussetzung ausgehe, dass der Beginn einer solchen Arbeit die dafür sich interessirenden Kräfte aller Orten erweckt und den ruhenden Stoff in Bewegung setzt. Wer die deutsche Literatur mit einem allgemeinen Wörterbuch der deutschen Mundarten beschenkt, erwirbt sich kein geringes Verdienst um dieselbe.

Neben den hochdeutschen und mundartlichen deutschen Sprichwörtern enthält das Deutsche Sprichwörter-Lexikon aber auch fremde, welche die Idee eines vergleichenden Universal-Sprichwörterschatzes nähren und zunächst einen Blick in die Auschauungs-und Denkweise anderer Völker thun lassen wollen. Sie sind, soweit es mit lateinischen Lettern geschehen konnte, in der Originalsprache aufgenommen. Nur wo dies nicht anging oder wo es Zusammenstellungen derselben von entgegengesetzten Ansichten für deutsche Leser galt, sind sie in deutscher Uebersetzung beigegeben. Als Grundsatz gilt, dass fremde Sprichwörter nie im Text des Werkes selbst unter den deutschen mit fortlaufender Nummer stehen sollen.

Es kommen indess solche Fälle vor, und zwar in den ersten Bogen mehr als in den spätern; und ich habe sie unter Angabe der Quelle für den Zweck stehen lassen, dass sich sinnverwandte deutsche finden, denen sie später in Notenform beigefügt werden können. Soweit dergleichen Abänderungen innerhalb eines Bogens möglich sind, suche ich sie noch in der Correctur auszuführen; aber alles lässt sich hier nicht mehr thun, da sich jeder Bogen ohnehin zwei bis drei Wochen in der Correctur hin- und herbewegt. Dies veranlasst mich auch in Betreff der Beifügung der fremden Sprichwörter zu der Bemerkung, welche schon vielseitig gemacht sein wird, dass irgendein solches Sprichwort oft besser bei einem andern deutschen Sprichwort stehen würde, als bei dem, welchem es beigegeben ist. Es ist dies ein Uebelstand, den ich schon oft selbst empfunden habe, der sich aber jetzt nicht beseitigen lässt, wenn ich auch noch mehr Zeit darauf zu verwenden hätte, als ich in der That darauf verwenden kann. Es ist gleich schwierig, ob ich für ein gegebenes deutsches Sprichwort ein sinnverwandtes französisches, englisches u.s.w. suche, oder ob ich umgekehrt verfahre. Angenommen, ich habe ein fremdes Sprichwort, es schwebt mir ein verwandtes deutsches vor; aber in welchem Buchstaben steht es? Wo finde ich es in den 15 dicken Bänden des nahe 3000 Bogen starken Manuscripts? Nach langem Suchen begegnet mir ein Sprichwort, dem ich es in Ermangelung dessen, was ich suche, aber nicht finde, beifüge. Es sind dies indess Mängel von, wie ich glaube, nicht wesentlicher Bedeutung und lassen sich sehr leicht bei einer spätern Auflage beseitigen.11 Ich muss hier überhaupt bemerken, dass es einer spätern Bearbeitung vorbehalten bleiben muss, das Ziel zu erreichen, welches mir selbst aus Mangel an geeigneter Unterstützung zu erreichen versagt war. Jede menschliche Kraft hat eine Grenze; und ich musste, wenn nicht die ganze dreissigjährige Arbeit verloren sein oder unvollendet bleiben sollte, manches unausgeführt lassen, was zu meinen eigenen Wünschen gehörte. Ich komme auf diesen Punkt zurück.


Grundsätze beim Sammeln. Es ist hier am Orte, der einfachen auf den oben angedeuteten Ansichten beruhenden Grundsätze zu gedenken, die mich beim Sammeln geleitet haben. Ich habe das Sprichwort entweder selbst als solches vernommen, oder es ist mir von andern als ein solches bezeichnet und übergeben worden, sei es, dass es, von Schriftstellern gebraucht, in alten Sammlungen sich vorgefunden oder von Mitarbeitern in ihrem Kreise bemerkt und aufgezeichnet worden ist. Ob nun ein im Umgange oder in der Literatur ausgesprochener Satz ein wirkliches Sprichwort ist, kann hauptsächlich nur aus der Form, dem Gepräge des Ausspruchs erkannt werden, was nicht jedermanns Sache ist und das Sammeln aus dem Umgange so erschwert, da nur wenige die dazu erforderliche Aufmerksamkeit, das für diesen Zweck gebildete Sprachgefühl – ich möchte es das Sprichwörterohr nennen – besitzen. Es kommt allerdings vor, dass das Auftreten eines Sprichworts mit einer der vielen von Schulze in der Zeitschrift für deutsches Alterthum von Haupt (VIII, 376-384) zusammengestellten Ausdrücke und Redeweisen angekündigt und eingeleitet wird, besonders von Schriftstellern; aber es ist doch bei weitem nicht stets der Fall, weder im Umgang, noch in Schriften; und dann kann nichts als das rasch erkannte Gepräge, das dem Sammler eigene Sprachgefühl, der Sprichwörter-Instinct, wenn ich so sagen darf, entscheiden.

Von den unten erwähnten »bevoegd beoordeelers« ist nun allerdings noch nicht festgesetzt, wie oft ein Satz gesprochen, durch wie viel wirkliche Münde, nicht blos Schreibfinger, er gegangen sein muss, bevor er zu einem wirklichen, echten Sprichwort geworden ist. Ich gestehe nun offen, dass ich hier mit jenem »Leichtsinn« verfahren bin, worin ich »alle übertreffe«! (Vgl. S. XXVII.) Ich habe die Sprichwörter nach den obigen Ansichten aufgenommen, auch von keinem meiner geehrten Mitarbeiter einen tabellarischen Nachweis darüber verlangt, ob es ein wirkliches, normal entstandenes, durch Volksbeschluss als solches bestätigtes Sprichwort und nicht ein untergeschobener Wechselbalg sei; ob es noch lebe, ob es schein- oder wirklich [13] todt, und wenn es gestorben sei, ob es wieder auferstehen werde oder nicht. Mir war es um etwas Positives zu thun; und mein Leben schien mir zu kurz, um bei jedem einzelnen Ausspruch, den ich bei einem Schriftsteller, in einer Zeitung angeführt fand, oder der mir von einem Sammler und Mitarbeiter geboten wurde, lange und unfruchtbare Erörterungen obiger Art anzustellen. Wenn ich ein Sprichwort einmal auf der Strasse oder im Umgange hörte, wenn ich es einmal in einer Schrift angeführt fand, wenn es mir als Sprichwort zugesandt wurde, so nahm ich es in meine Sammlung auf. So ganz ohne Prüfung bin ich indess nicht verfahren; ich sah zunächst schon auf den sprichwörtlichen Charakter und suchte womöglich die Quelle anzugeben, aus der geschöpft war, das Land oder den Ort, wo es vernommen worden u.s.w., oder dem es ursprünglich oder hauptsächlich angehört.

In welcher Weise dies geschehen ist, geht zur Genüge aus den bisher erschienenen, den ersten Band bildenden Lieferungen, wie aus dem Quellenverzeichniss, auf das ich verweise, hervor.


Anstössige Sprichwörter. Ein Werk, das sich Vollständigkeit auf irgendeinem Gebiete zur Aufgabe gestellt hat, kann, ohne seinen eigenen Zwecken entgegenzuarbeiten, nicht ausschliessend verfahren. So sehr sich mein Gefühl gegen einzelnes sträuben mochte, es musste aus sachlichen Gründen aufgenommen werden. Schon Agricola (I, 677) sagte: »Dieweil ich sprichwortter schreibe, so kan ich nicht alle wege seyden spinnen, es muss auch grob mit vntergehen.« Das Deutsche Sprichwörter-Lexikon ist keine ausgewählte Sammlung für Schul- oder volksbildende Zwecke; es hat eine sprachliche und culturgeschichtliche Aufgabe; es will in den Sprichwörtern nicht die Anschauung und Bildung einer gewissen, einzelnen Volksschicht, sondern des ganzen Volks ohne Ausnahme darstellen. So lange es nun in der bürgerlichen Gesellschaft Personen gibt, die für ein anderes Ohr anstössig reden, so lange werden auch sprachwissenschaftliche Schriften von dieser Rede Kenntniss nehmen müssen.

Ich habe übrigens über diesen Punkt das Urtheil einer beträchtlichen Anzahl hochgebildeter Männer der verschiedensten Stände und Stellungen eingeholt, die alle ohne Ausnahme für unbedingte Aufnahme alles dessen sind, was sich in irgendeiner Volksschicht als Sprichwort ausweise. Sobald man nach der einen Seite ausscheide, könne man es auch nach der andern; jede Ausscheidung erscheine aber als Fälschung des culturgeschichtlichen Bildes.

Was Jakob Grimm in der Vorrede zu seinem Wörterbuch (I, XXX fg.) sagt, gilt auch vom Deutschen Sprichwörter-Lexikon. »Es ist kein Sittenbuch, sondern ein wissenschaftliches Unternehmen. Selbst in der Bibel gebricht es nicht an Wörtern, die bei der feinen Gesellschaft verpönt sind. Wer an nackten Bildsäulen ein Aergerniss nimmt oder an den nichts auslassenden Wachspräparaten der Anatomie, gehe auch in diesem Saal den misfälligen Wörtern vorüber und betrachte die weit überwiegende Anzahl der andern. Das Wörterbuch – und wieder dasselbe gilt vom Deutschen Sprichwörter-Lexikon – ist nicht da, um Wörter zu verschweigen, sondern um sie vorzubringen; es unterdrückt keine einzige wirklich in der Sprache lebende Form. So wenig man natürliche Dinge, die uns oft beschwerlich fallen, auszutilgen vermöchte, darf man solche Ausdrücke wegschaffen.«

Für die Wissenschaft gibt es in dieser Beziehung kein unsittliches Moment, als die Fälschung. Sind anstössige Redensarten vorhanden, so verschwinden sie dadurch nicht aus der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, indem man sie einem Werke entzieht, welches die Aufgabe hat, das Volk zu charakterisiren und seine Sprachweise treu darzustellen.12

Es ist auch mit anstössigen Wörtern wie Sprichwörtern eine eigene Sache. Die meisten derselben sind in dem Kreise oder der Zeit, der sie angehören, nicht einmal unsittlich und verletzend. Die sogenannte Anstössigkeit ist sehr beziehungsweise; sie hängt von der Bildung des Ohres und dem Charakter der Zeit ab. Viele Wörter, die im 16. Jahrhundert noch der Kirchensprache angehörten und sich zum Theil in der Luther'schen Bibelübersetzung finden, kann man gegenwärtig in keiner guten Gesellschaft anwenden. Es kommt ferner dazu, dass in den Kreisen, wo ein in höhern Schichten anstössig werdendes Wort oder Sprichwort gebraucht wird, damit keine unsittliche Vorstellung verbunden und auch selten erregt wird.

Die Ansicht, welche Jakob Grimm, wie oben erwähnt, in seinem Wörterbuch ausgesprochen hat, dass sich wissenschaftliche Werke dergleichen Schranken nicht ziehen dürfen, wenn sie nicht auf ihren Charakter verzichten wollen, ist auch in neuester Zeit erst durch ein Erkenntniss vom preussischen Gerichtshofe bestätigt worden. Gegen die erste Auflage der Preussischen Sprichwörter von Frischbier war Anklage erhoben worden, weil einige Sprichwörter die Sittlichkeit verletzen sollten; aber die Gerichtshöfe beider Instanzen sprachen [14] und gaben die Schrift nach Feststellung ihres wissenschaftlichen Charakters, der durch die Gutachten13 der Professoren Dr. J. Zacher in Halle, K. Rosenkranz und O. Schade in Königsberg nachgewiesen war, frei.

Man wird es demnach auch wol ganz angemessen finden, dass ich dergleichen Wörter nicht punktire, sondern ausschreibe. Es ist eine sonderbare Tugend, die das, was sie dem Leser zu denken zumuthet, selbst nur durch Punkte andeutet, als wenn die Moral in den Punkten und in ein paar unterdrückten Buchstaben steckte. Es geht fast über das Komische hinaus, wie weit die affectirte Zimperlichkeit einzelner Schriftsteller hierin geht. Die kräftigsten deutschen Ausdrücke, die sich gar nicht durch andere ersetzen lassen, stellen sie durch den Anfangsbuchstaben und durch die der Zahl der übrigen Buchstaben entsprechenden Punkte dar. Binder z.B. in seinem Lateinischen Sprichwörterschatz punktirt – selbst den Teufel, der sich sogar in der Kirche unbeschränkt bewegt und den wir in allen Büchern unverstümmelt finden. Was in aller Welt soll uns ein punktirter Teufel!


Umfang. Für den Umfang unsers Werks lässt sich nur diejenige Grenze ziehen, innerhalb welcher die Lösung seiner Aufgabe – der zu erreichen mögliche Grad von Vollständigkeit – gestattet ist. Jede Lieferung soll bei ihrem Erscheinen unsern Sprichwörterschatz in den betreffenden Artikeln so vollständig bieten, als er von mir nur zu erlangen gewesen ist. Es wird daher jede neu erschienene, wie jede andere mir bisher unbekannte, zur Benutzung mir zugegangene Schrift und jeder handschriftliche Beitrag noch für den eben vorliegenden Druckbogen, ehe er unter die Presse geht, ausgebeutet. Es leuchtet ein, dass dadurch der bei der ersten Ankündigung des Deutschen Sprichwörter-Lexikon nach dem damaligen Manuscript angenommene Umfang bedeutend überschritten werden muss. Es war nun die Frage zu entscheiden, ob die Bogenzahl innezuhalten und ein unvollständiges Werk zu liefern, oder ob von jener abzusehen und die mögliche Vollständigkeit anzustreben sei. Wenn es so wenig für die Verlagshandlung wie für den Herausgeber zweifelhaft war, welcher der beiden Wege einzuschlagen sei, so habe ich doch nicht unterlassen, von einer Anzahl Männer, die auf das Lexikon unterzeichnet haben, das Urtheil über diese Frage zu erbitten, das aber einstimmig dahin lautete, von jeder Beschränkung der Vollständigkeit durch die Bogenzahl abzusehen. Und so sehe ich mich auch jetzt noch ausser Stande, dieselbe für das ganze Werk anders zu bestimmen, als im allgemeinen durch einen Schluss von den erschienenen Buchstaben auf die noch vorliegenden, wobei ich nur bemerken kann, dass die Buchstaben I, J, N, O, P, Q, R, T, U, V schwach, dagegen H, K und S wieder sehr stark sind.

Der Umfang würde allerdings zu berechnen sein, wenn es sich um den blossen Abdruck des seit 1860 bis Z fertigen Manuscripts handelte; der angestrebte Ausbau desselben macht dies aber unmöglich, da neue Schriften oder eingegangene Beiträge für den einen oder andern Buchstaben oft ungewöhnlich reichen Stoff zuführen. So hatte ich gehofft, den ersten Band mit dem Buchstaben G zu schliessen; aber die Zugänge, die einzuverleiben waren, haben sich so gemehrt, dass der Schluss innerhalb dieses Buchstabens mit der funfzehnten Lieferung erfolgen musste. Es würde schon eine grosse Arbeit gewesen sein, die in allen gedruckten Sammlungen enthaltenen Sprichwörter in einem einzigen Werke geordnet zu vereinigen; aber meine Aufgabe ging darüber hinaus: ich wollte aus der allgemeinen Literatur und dem Volksmunde das ergänzen, was bisher noch in keine Sprichwörtersammlung gekommen war. Soviel ich nun aber auch in der langen Zeit, die ich der Ausführung gewidmet hatte, für diesen Zweck gethan zu haben glaubte, so wurde ich doch sofort bei Beginn des Drucks und der für denselben erforderlichen Redaction des vorliegenden massenhaften Stoffs inne, wie viel noch zu thun sei, da nicht nur für jede Lieferung neues Material zufloss, sondern auch mit jeder derselben neue Ansprüche hervortraten. Ich betrachte es für den innern Ausbau als einen besonders günstigen Umstand, dass sich Verleger und Herausgeber darin vollständig einig fanden, nicht das in nahe 3000 Bogen vorliegende fertige Manuscript als abgeschlossen zu betrachten und ohne weiteres abzudrucken, sondern es mit dem Strom des öffentlichen Lebens in der Fortentwickelung seiner Literatur in steter Verbindung zu erhalten, was durch das jeder Lieferung beigegebene Begleitwort vermittelt wird. Nur auf diesem Wege ist es dem Deutschen Sprichwörter-Lexikon möglich, den gesammten hochdeutschen wie mundartlichen Sprichwörterschatz in annähernder und von Lieferung zu Lieferung grösserer Vollständigkeit zu bieten.


Quellen. Die Quellen für das Deutsche Sprichwörter- Lexikon sind bereits erwähnt; es sind die bisherigen Sammlungen insbesondere, die Literatur überhaupt und der Volksmund. Aber ich habe mich, wie ebenfalls schon bemerkt, nicht damit begnügt, die vorhandenen Sammlungen, auf welche man lange genug den deutschen Sprichwörterschatz beschränkt hat, auszubeuten, um etwa aus vielen kleinen Düten eine grosse zu machen; ich habe ihn vielmehr aus der übrigen Literatur zu ergänzen gesucht, da gar viele Schriften eine reichere Ausbeute als bekannte Sammlungen gewähren.14

[15] Wie die Sprichwörter die Weisheit auf der Gasse sind und sich am wenigsten in den höhern Volksschichten bewegen, so sind sie auch besonders in den Mundarten heimisch, wo ihnen aber erst durch die verdienstlichen Arbeiten von Firmenich (Germaniens Völkerstimmen, Berlin 1843 fg.) und Frommann (Die deutschen Mundarten, Nürnberg 1854 fg.) und seit dem Erscheinen derselben die gebührende Beachtung geschenkt worden ist. Gegen sechzig im Quellenverzeichniss besonders angeführte deutsche Dialekte sind aus den genannten beiden Werken im Deutschen Sprichwörter-Lexikon vertreten. Ausserdem sind die mir zugänglichen andern mundartlichen Quellen (Baumgarten, Curtze, Eichwald, Schütze, Weyden u.s.w.) ausgebeutet, ganz abgesehen von den eingegangenen handschriftlichen Beiträgen.

Zu den Punkten, die ich hier nicht übergehen darf, gehört die Sprichwörterliteratur selbst. Was ich darüber sage, sage ich nicht vom Standpunkte des Gelehrten, denn ich bin keiner, sondern von dem des Bearbeiters, der sich die Aufgabe gestellt hat, den Sprichwörterschatz des Volks so umfassend und vollständig, als Kraft und Umstände erlauben, in einem einzigen Werke übersichtlich geordnet zur Anschauung zu bringen. Mein Urtheil über die deutsche Sprichwörterliteratur gründet sich nicht auf das mehr oder weniger flüchtige Ein- und Durchsehen einzelner Schriften, und wären es die unbedeutendsten; sondern auf das langsame, mühevolle, blatt- und seitenweise Durcharbeiten sämmtlicher mir zugänglichen und erreichbaren, diesem Felde angehörenden Erzeugnisse. Und dies Urtheil geht im allgemeinen und ohne Bemängelung der Leistungen einzelner dahin, dass sich das deutsche Sprichwort nur äusserst selten einer Beachtung zu erfreuen gehabt hat, die es nach so vielen Seiten verdient. Wer dies Gebiet durcharbeitet, nicht blos bei Nopitsch und Zacher die Titel mustert; wer die Summe der Leistungen von Jahrhundert zu Jahrhundert bis auf unsere Zeit im Auge behält und nicht mit jeder einzelnen Erscheinung für sich die Rechnung abschliesst, dem wird sich die Ueberzeugung aufdrängen, dass unsere Sprichwörterliteratur nicht die verdiente Pflege erhalten hat, und dass man vielleicht nicht zu weit gehen würde, wenn man sie eine vernachlässigte nennen wollte.15

Ich darf nicht bemerken, dass ich zunächst von der neuhochdeutschen Zeit rede. Hier begegnet uns zuerst in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Agricola mit zwei Sammlungen: 750 und 500 Sprichwörtern in deutscher Sprache, da das vor ihm Erschienene meist in lateinischer Sprache geschrieben ist. Die Aufeinanderfolge gehört dem Zufall an. Zwar sagt Agricola in der Vorrede zu seinen 300 Sprichwörtern, dass er deren 5800 gesammelt habe; aber nach welchem Gesichtspunkt er die erklärten ausgewählt, und wo die 3800 übrigen hingekommen sind, ersehen wir nicht. Ich setze die Bedeutsamkeit der Agricola'schen Schrift in sprachlicher Hinsicht als unbestritten voraus; auch ist dieselbe erst in jüngster Zeit durch die gründliche Arbeit von Latendorf, Agricola's Sprichwörter (Schwerin 1862), hervorgehoben worden. Dessenungeachtet erscheint mir der Verlust der 3800 durch die Erklärung der 1200, vorausgesetzt, dass die zweite Sammlung der 500 (Augsburg 1548) ihm gehört, nicht ausgeglichen. Die andere den deutschen Sprichwörterschatz berührende Arbeit im 16. Jahrhundert ist das Werk von Seb. Franck. Was sonst noch Sprichwörtliches erschienen, ist meist aus diesem entlehnt. Die erste bedeutendste Sammlung im 17. Jahrhundert ist Petri's Der deutschen Weisheit (1605), die Henisch (1616) in seinen Thesaurus, soweit dieser reicht, beinahe vollständig aufgenommen hat; dann folgte noch das Florilegium von Lehmann (1630), das für unsern Sprichwörterschatz eine wesentliche Bereicherung ist, und bekanntlich auch die Aufmerksamkeit Lessing's erregte. Das 18. Jahrhundert ist reich an Sprichwörterbearbeitungen in der verschiedensten Richtung, bietet aber nicht ein einziges Werk, das unsern Sprichwörterschatz aus den Quellen vermehrte oder die in den vielen einzelnen [16] Schriften zerstreut vorhandenen Sprichwörter geordnet und übersichtlich zusammenstellte. Erst im 19. Jahrhundert erwacht das Bedürfniss nach übersichtlicher Concentrirung mit dem bereits erwähnten Wagner16, der in seinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon zuerst den Weg betrat, welcher für Auffindung und Nachträge der einzige richtige und zum Ziel führende ist. Ihm folgten mit mehr oder weniger Strenge in der alphabetischen Anordnung auf diesem Wege, die Zahl von 3730 bis 12396 steigernd, Körte, Eiselein und Simrock. Wie dankbar wir für diese Arbeiten sind und wie gross der Nutzen ist, den sie für ihren Zweck gewähren, so sind sie doch weit entfernt, den deutschen Sprichwörterschatz in strenger Ordnung und möglicher Vollständigkeit darzustellen.

Wir Deutschen gleichen nämlich in dieser Beziehung jenen Reichen, die nicht wissen, was sie besitzen, weil sie ihre Güter, die überall zerstreut sind, nie im Zusammenhang überblickt haben.17

Für den Sprichwörterbearbeiter ist die Kenntniss der Quellen das erste Erforderniss. Bei einer so umfassenden Arbeit, wie das Deutsche Sprichwörter-Lexikon ist, habe ich eine dem jetzigen Stande der Literatur entsprechende, d.i. vollständigere und besser eingerichtete Quellenkunde längst als ein dringendes Bedürfniss empfunden; eines Werks, das nicht blos die Titel und Ausgaben solcher Schriften aufzählt, welche unmittelbar und ausschliesslich den Sprichwörtern gewidmet sind, selbst nicht blos alle die, in denen sich kleinere oder grössere Sammlungen befinden, sondern alle, in denen ein Reichthum von Sprichwörtern enthalten, wenn sie auch irgendeinem andern Wissensfach angehören.

Hauptsächlich infolge des Umstandes, dass unsere sprichwörtliche Quellenkunde sich auf specifische Sprichwörterschriften beschränkt, sind unsere Sprichwörtersammlungen, von denen man irrigerweise angenommen hat, dass sie den deutschen Sprichwörterschatz darstellen, verhältnissmässig so armselig und weit hinter dem wahren Bestande zurückgeblieben; diejenigen Schriften, die aus der lebendigen Quelle, dem Volksmunde und der Tagesliteratur schöpfen, fehlen darin.

Den Mangel dieser Quellenschriften zu überwinden und die Lücken, welche Nopitsch und Zacher auf diesem Gebiet gelassen haben, auszufüllen, hat mir nicht nur viel Zeit und Kraft, sondern auch viel Geldopfer gekostet.

Was hätte nun aber geschehen müssen, und was muss geschehen, wenn wir unsern Sprichwörterschatz möglichst vollständig in einem Werke vereinigt überschauen wollen?

Was hätte geschehen müssen? Anstatt die Sammlungen des Agricola (vgl. Nopitsch, S. 13-23) und Franck (vgl. Nopitsch, S. 24 fg.) einmal über das andere abzudrucken, was allerdings sehr leicht war, hätte man sich bemühen sollen, die von Agricola gesammelten aber nicht im Druck erschienenen Sprichwörter aus dem Volksmunde aufs neue zu sammeln oder doch einen Ersatz dafür zu suchen. Jedes Jahrhundert, ja jeder noch kürzere Zeitraum im Volksleben hat seine Sprichwörter, und nur der kleinste Theil geht aus dem Volksmunde in die Literatur über; der Nachwelt bleiben aber mit Sicherheit immer nur die erhalten, welche der Zufall durch »Schreibfinger« führt oder unter die Presse bringt, da ein grosser Theil mit dem Geschlecht verschwindet, unter dem sie entstanden sind. Der Volksmund vergangener Jahrhunderte ist unmittelbar nicht mehr auszubeuten, wir können jetzt nur die Sprichwörter sammeln, die in die Literatur übergegangen sind. Für diesen Zweck müssten die bezüglichen Schriftsteller jedes Jahrhunderts sorgfältig gelesen und ausgezogen werden, sodass wir eine Reihe von Quellenschriften erhielten. Wie z.B. Latendorf die Sprichwörter Neander's herausgegeben hat, so müssten die Sprichwörter aus den andern Schriften Franck's, Fischart's, Geiler's, Brant's, Luther's u.s.w. womöglich aus den ältesten Ausgaben unter Angabe derselben ausgezogen, in derselben Schreibart (unter Angabe von Blatt oder Seite) abgedruckt und, wo es zur Erklärung wünschenswerth erscheint, mit einer Belagstelle in kleiner Schrift versehen werden. Es würde die Sprichwörterliteratur wesentlich fördern, wenn ein Buchhändler eine Reihe solcher Sammlungen nach Aehnlichkeit der Scheible'schen veranstaltete und zwar vom 16. Jahrhundert beginnend. Aus den Luther'schen Schriften hat zwar Heuseler (s. Quellenverzeichniss) eine Sprichwörtersammlung ähnlicher Art veranstaltet, aber sie ist bei weitem nicht vollständig genug. Schon die Tischreden bieten mehr; der Abdruck ist nicht treu nach dem Original erfolgt, auch dabei eine Censur geübt, die hier, wo es sich nicht um eine Sammlung für Jugend- und Volksbildung handelt, wo der Zweck vielmehr ein culturgeschichtlicher und sprachlicher ist, nicht geübt werden darf. Für den vorliegenden Zweck wollen wir nicht eine »strenge Auswahl«, sondern den Schriftsteller ganz.

[17] Wäre nun in einer Reihe solcher Einzelschriften die Literatur der neuhochdeutschen Periode erschöpft, so bliebe die Ausbeutung anderer Quellen in dem Volksmunde übrig, die nach Ländern, Provinzen, Gegenden u.s.w. erfolgen müsste.

Wenn wir nun einen Blick auf die Sprichwörterliteratur der letzten Jahrzehnte werfen, so finden wir, dass man diesen Weg zu betreten beginnt. Zwar ist noch nirgends von einer planmässigen Ausbeutung und einer geordneten Sammlung der Sprichwörter im oben angedeuteten Sinne etwas zu sehen; aber es ist in neuester Zeit ein Werk erschienen, das die reiche Literatur des betreffenden Fachs in einer Weise durchgearbeitet, wie sie mir schon seit langer Zeit für die gesammte Literatur vorgeschwebt hat: in einer Weise und mit einer Gründlichkeit, welche für alle andern Gebiete als Muster dienen kann. Ich meine Deutsche Rechtssprichwörter von Graf und Dietherr (Nördlingen 1864). Die beiden Herren Herausgeber haben ihre Aufgabe nicht darauf beschränkt, aus den vorhandenen Vorarbeiten auf diesem Gebiet, von Hertius, Haslocher, Estor, Conradi, Pistorius, Eisenhart, Hillebrand, Volkmar u.s.w., ein neues Sprichwörterbuch zu machen; sie haben vielmehr aus der ganzen deutschen und sprachverwandten Literatur des gesammten Rechtsgebiets geschöpft und den Weg gezeigt, auf dem unser Sprichwörterschatz zu heben und fruchtbar zu machen ist. Es ist mir stets eine wahre Freude, das Werk aufzuschlagen, weil dort jede Seite Zeugniss davon gibt, wie auf die Quellen zurückgegangen ist, und wie bei unsern Vorfahren das Recht im Volksmunde, nicht blos in Amtsblättern und Gesetzsammlungen gelebt hat. Selbstredend gestatte ich mir kein Urtheil über die juridische Seite des Werks; aber was die Bereicherung unsers Sprichwörterschatzes aus den Quellen betrifft, so ist dadurch einer meiner langgehegten Wünsche, wenigstens vorerst auf einem Gebiet der Literatur, erfüllt. Möchte nur jeder andere Literaturzweig in ähnlicher Weise seine Bearbeiter finden. Für einen andern ist wieder die beste Aussicht. Schon seit länger als zwanzig Jahren ist mein geehrter Freund J. Franck in Annweiler vorzugsweise damit beschäftigt, die Praktiken, Kalender, Volksbücher, Facetien und Fastnachtsspiele, Lexika, Chroniken, Stammbücher, die reformatorischen Schriften insgesammt, die Postillen nebst den alttestamentlichen Exegesen, die Satiren, Spott- und Schmähschriften des Reformationszeitalters u.s.w. für diesen Zweck auf Grund der möglichst ältesten deutschen und lateinischen Ausgaben zu durchforschen und das Gefundene mit steter und genauer Angabe der Gewähr diplomatisch getreu zu verzeichnen. Sein aus den verschiedensten Literaturzweigen unserer Sprache gesammelter Sprichwörtervorrath, und zwar lediglich aus solchen Schriften geschöpft, die nicht den »Sammlungen« angehören, belief sich am Schluss des Jahres 1865 auf 1542 Bogen Manuscript.18

[18] Möchte derselbe sich nur bald entschliessen, mit dem Druck seiner Sammlungen vorzugehen. Aber ausser diesen Gebieten der Literatur, allerdings den reichsten Quellen des schriftlichen Sprichworts, die zum grössten Theil in der goldenen Zeit desselben, dem 15. und 16. Jahrhundert, in der alle Welt in Sprichwörtern dachte, redete und schrieb, so lebendig fliessen, wie seitdem nicht wieder, sind noch viele andere Gebiete übrig. Keine geringe Ausbeute würde namentlich die Durchsicht der neuzeitigen Volkskalender und Volksbücher, sowie besonders der Zeitschriften jeder Art, der Zeitungen und aller periodisch erscheinenden Blätter liefern. Die Zeitschriften insbesondere enthalten einen reichen Schatz zerstreuter Notizen und Winke. Dafür müssten sich aber eine Anzahl Kräfte an dem Punkte vereinigen, wo sich eine grosse Bibliothek befindet.

Es wird dies hinreichen, um anzudeuten, was nach der einen Seite der Ausbeute, die Literatur betreffend, geschehen muss, um den verborgenen Sprichwörterschatz zu heben und den bekannten damit zu bereichern. Es scheint dies aber ausreichend zu sein, darzuthun, dass unser nationaler Sprichwörterschatz nicht, wie vielseitig behauptet worden, zu den gepflegtesten Zweigen gehört, dass man ihn vielmehr, was planmässige Ausschöpfung der beiden Quellen (wirkliche Bereicherung und übersichtlich geordnete Concentrirung in einem Werke) betrifft, geradezu vernachlässigt nennen kann. Man wird doch nicht von einem Wissenszweige behaupten, dass er angebaut ist, wenn man ihn aus Cisternen nährt, während seine Quellen verstopft sind und unbeachtet bleiben. Wer aber Nopitsch und Zacher aufschlägt, wird zwar bemerken, dass viel Sprichwörterschriften erschienen sind, aber er wird verhältnissmässig nur sehr wenige finden, welche aus der Literatur selbst schöpfen oder auf die lebendigen Quellen des Volksmundes zurückführen und Neues bieten. Die Orthodoxie schöpft eben nicht aus Quellen, sie schwört auf Namen und glaubt an Worte. Und die Orthodoxie ist überall dieselbe, auch auf dem Felde der Sprichwörter, wo Agricola und Franck ihre Heiligen sind. Anstatt die Quelle auszubeuten, aus der diese geschöpft haben, hat man sich Jahrhunderte mit dem Wasser begnügt, das sie bieten, und die Quellen verwachsen lassen.

Aber es beginnt die Einsicht allmählich platzzugreifen, dass der geringste Theil der Sprichwörter, welche sich in unserer Literatur befinden, in unsere Sammlungen übergegangen ist. Man hat bereits begonnen, dort weiter zu schöpfen; und ich würde es als einen erfreulichen Erfolg meiner Arbeit ansehen, wenn sie überall dazu anregte.

Was nun die andere Hauptquelle, den Volksmund betrifft, so ist auch sie in unserer Zeit wieder geöffnet worden, und es wird aus ihr fast mehr noch als aus der Literatur geschöpft, namentlich aus der reichlich sprudelnden Quelle der Mundarten. Wie auf dem Gebiet der hochdeutschen Literatur das Graf-Dietherr'sche Werk tonangebend dasteht; so glaube ich, dass, was den Aufschluss der mundartlichen Quellen betrifft, dies Verdienst zunächst Germaniens Völkerstimmen von Firmenich gebührt, das in neuerer Zeit zuerst das Interesse für die Mundarten belebte, und dann von der Zeitschrift Die deutschen Mundarten von Frommann darin unterstützt wurde, einer Zeitschrift, die eine wahre Fundgrube für die Kenntniss der Muttersprache bildet und deren nothwendiges Aufhören wahrlich nicht sehr günstig für unsere vaterländische Gesinnung und unsere gehobene Volksbildung in einer Zeit spricht, welche der überflüssigen Zeitschriften so viele unterhält. Es hat sich auch hier wieder gezeigt, dass die Deutschen für alles Geld haben, nur nicht zur Unterstützung nationaler Ideen und Interessen. Ich bekenne freudig und mit warmem Danke, dass erst durch diese Vorarbeiten das Deutsche Sprichwörter-Lexikon dem Bilde, was ich mir von demselben entworfen habe, nahe gekommen ist. Seit einigen Jahren erscheint fast kein bibliographisches Verzeichniss, das nicht irgendeine selbständige mundartliche Arbeit bringt und dadurch eine aus der lebendigen Quelle des Volksmundes geschöpfte Bereicherung unsers Sprichwörterschatzes bietet.

Ich erinnere nur an die Schriften von Amand Baumgarten, Curtze, Deecke, Diermissen, Frischbier,[19] Goldschmidt, Günther, Hoefer, Köster, Laven, Lübben, Lohrengel, Mindermann, Mussäus, Peter, Raabe, Sartorius, Schambach, Schild, K. Schiller, Schleicher, Schuster, Schwerin, Stöber, Weyden, Woeste (vgl. Quellenverzeichniss), als den Weg, der zur Vervollständigung unsers Sprichwörterschatzes und mithin zur Kenntniss unsers Volkslebens führt. Und was den letzten Punkt betrifft, so wird gerade das Sammeln der vereinzelten und localen Sprichwörter, um welches ich seit mehr denn zehn Jahren wiederholentlich gebeten, das geeignete Mittel dazu. Das Volk ist kein abstracter Begriff, es ist ein lebendiger Organismus, den man weniger aus den hochdeutschen als aus den mundartlichen Sprichwörtern kennen lernt.19 Die hochdeutschen Sprichwörter: »Morgenstund hat Gold im Mund«; »Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden«; »Geduld überwindet alles«, u. dgl. enthalten so allgemeine Gedanken, Ansichten, Grundsätze, wie sie beinahe jedes Volk auf der Erde haben kann und auch der Hauptsache nach haben wird. Wer aber z.B. die erwähnten Schriften von Baumgarten, Goldschmidt, Schambach, K. Schiller u.a. liest, der thut einen Blick in das wirkliche Volksleben von Oberösterreich, Oldenburg, Hannover, Mecklenburg u.s.w.

So viel nun aber auch seit etwa zwei Jahrzehnten auf diesem Felde geschehen ist, so haben wir doch erst den Weg betreten und noch nicht zurückgelegt; was geschehen ist, zeigt nur, wie viel noch geschehen soll.

Ich will hier gar nicht von den Kinder- und Volksliedern, von den Sitten und Gebräuchen u. dgl. reden, die man sammelt, sondern blos bei einem Gegenstande, den Sprichwörtern, bleiben. Es wird gewiss keine übertriebene Annahme sein, wenn ich behaupte, dass durchschnittlich in jedem Orte Deutschlands und seinem Umkreise Ein Sprichwort lebt, das bisher noch nicht durch »Schreibfinger« gegangen und unter eine Druckpresse gekommen ist. Hier sind die Fundgruben, aus denen unser in Schrift übergegangener Sprichwörterschatz seinen lebendigen Zuwachs erhalten kann. Ich habe mir nun gedacht, dass es jedem deutschen Lehrer bei einiger Aufmerksamkeit im Laufe eines Jahres möglich sein werde, ein bisher ungedrucktes Sprichwort an seinem Orte zu hören, und dass ihm sein Amt so viel Zeit übriglasse, dies auf einem Zettel aufzuzeichnen und der nächsten Buchhandlung zur Weiterbeförderung zu übergeben; und ich habe mich zu verschiedenen malen mit diesem Wunsche an die Lehrer gewandt. Wie viele davon Kenntniss genommen, geht aus dem Verzeichniss der Mitarbeiter hervor. Wir würden auf diesem Wege 50-80000 bisher ungedruckte Sprichwörter erhalten. Was aber bisher nicht gethan ist, das bleibt noch zu thun; und ich hoffe von dem, was ich hier im Vorwort sage, eine anregende Wirkung. Es kommt oft nur auf den ersten Schritt an. Es ist mit dem Sprichwörtersammeln eine eigene Sache. Man kann nicht herumgehen und es betreiben etwa wie das Sammeln von Knochen und Lumpen, man würde wenig oder keine finden; denn man kann sich in einem noch so reichen Besitz von Sprichwörtern befinden, sie fallen einem gar nicht einmal ein, wenn man sie herzählen will; aber sie stellen sich sofort, wenn ein Fall eintritt, auf den sie passen; dann muss man sie aber sogleich festnehmen. Sie kommen im Gespräch oder werden durch ein anderes mehr oder weniger verwandtes hervorgerufen.

Ich möchte hier an einen Fall erinnern, der zeigt, was zu erreichen ist, wenn man anfängt. Herr Lehrer Frischbier in Königsberg gehörte in den funfziger Jahren zu den ersten, die mir Beiträge aus dem Volksmunde zugehen liessen; er klagte damals, dass sie ihm aus der Provinz sehr spärlich zuflössen. Als er 1864 seine Sammlung drucken liess, hatte sie mit den aus ältern Schriften beigefügten die Zahl von mehr als 1100 erreicht. Das Büchlein ging in die Provinz; wer darin las, dem fielen andere Sprichwörter seines Orts und seiner Gegend ein. Der Herausgeber konnte bereits im folgenden Jahre eine zweite Auflage veranstalten, die über 4000 zählt. Ich meine, ähnliche Versuche in allen Theilen Deutschlands würden ähnliche Ergebnisse liefern. Wie ich mich freuen würde, wenn man sie machte; so wünschte ich auch, dass behufs der Vervollständigung unsers nationalen Sprichwörterschatzes die Besitzer des Deutschen Sprichwörter-Lexikon ihre Exemplare durchschiessen liessen und dass sie alles zur Berichtigung und Ergänzung ihnen Begegnende am betreffenden Orte eintrügen, damit eine spätere Auflage auf den Punkt gefördert werden könnte, der jetzt zu erreichen noch nicht möglich ist.


Verhältniss zum Mittelhochdeutschen. Der wissenschaftliche Standpunkt verlangt ein Zurückgehen auf die Quellen der Sprichwörter, die nicht unmittelbar aus dem Volksmunde geschöpft sind, sondern bereits der Literatur angehören. Eine grosse Anzahl unserer hochdeutschen und zwar bekanntesten Sprichwörter hat ihre Quellen in Schriften, die jenseit der neuhochdeutschen Literatur liegen. Es wird keines langen Beweises bedürfen, dass zur Bearbeitung eines Werks, wie das Deutsche Sprichwörter-Lexikon ist, streng genommen ein Verein von Kräften, und zwar an einem Orte, der die reichste Bibliothek besitzt, gehört. Da ich mich nun zu einer Zeit, als ich die Grösse der Aufgabe noch gar nicht erkannte, [20] an die Bearbeitung gewagt, und dann, als mir die Arbeit zu Kopfe wuchs, sie nicht liegen lassen wollte, so war Beschränkung eine gebieterische Forderung, die an mich herantrat; und diese hatte den Ausschluss des Mittelalters zur nächsten Folge. Die Gründe, welche dies verlangten, waren so entscheidend, dass darüber gar kein Zweifel platzgreifen konnte. Abgesehen davon, dass Zeit und Arbeitskraft des einzelnen für die neuhochdeutsche Periode kaum ausreicht, so fehlen auch zur durchgreifenden Berücksichtigung des Mittelhochdeutschen die erforderlichen Vorarbeiten. Es wäre sehr schön, wenn im Deutschen Sprichwörter-Lexikon bei den hochdeutschen Sprichwörtern deren geschichtliche Entwickelung bis in die älteste Zeit in den Lesarten der betreffenden Schriftsteller angegeben werden könnte. Aber selbst, wenn hierzu die erforderlichen Hülfskräfte, die mir für noch näher liegende Ansprüche fehlen, vorhanden wären, so würde diese Aufgabe zur Zeit unlösbar sein. Denn eben auch erst in neuerer Zeit hat man angefangen, diesem Gegenstande einige Beachtung zu schenken.

Es ist zwar das Verdienst Eiselein's, in seinem Buche zuerst auf die ältere Literatur zurückgegangen zu sein; allein es ist darin, wie oben schon beklagt, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch so genial durcheinandergeworfen, die Schreibung ist so willkürlich, die Citate sind so ungenau und so allgemein, dass ich von dieser Vorarbeit für das Mittelhochdeutsche so gut wie keinen Gebrauch zu machen wusste. Ganz auf gleiche Weise hat er die in seiner Grammatik der neuhochdeutschen Sprache (Konstanz 1843) mitgetheilten Sprichwörter und Redensarten behandelt. Dieselben (689 an der Zahl) sind zwar ihrem Inhalte nach alt und sehr interessant, auch mit guten Erklärungen versehen, aber in Betreff der Quellenangabe noch stiefmütterlicher behandelt, als diejenigen in seiner Sammlung. Mir sind auf diesem Gebiet nur zwei Arbeiten bekannt, welche, mit Gründlichkeit auf den Gegenstand eingehend, als bahnbrechend zu bezeichnen sind; beide aber gehören erst der neuesten Zeit an. Es sind dies nämlich: Die biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache von C. Schulze (Göttingen 1860), und Die deutschen Sprichwörter im Mittelalter, von Ignaz von Zingerle (Wien 1864). Beide Arbeiten sind von mir so benutzt, dass dem Besitzer des Deutschen Sprichwörter-Lexikon mittels der beiden Schriften, auf die ich sorgfältig verweise, der Weg ins Mittelhochdeutsche geöffnet ist. Wer ein Sprichwort bis auf seine in der vorneuhochdeutschen Literatur liegenden Quellen verfolgen und dessen ältere Form wie Entwickelunsgeschichte kennen lernen will, darf blos nachsehen, ob bei demselben auf Schulze oder Zingerle verwiesen ist. Der erstere weist es in den ältesten Lesarten mit steter Angabe der Quelle nach und führt es bis in die neuhochdeutsche Literatur fort. Der letztere führt es in einer mittelhochdeutschen Fassung mit sorgfältiger Angabe der Quelle auf.

Beide Arbeiten bilden einen wesentlichen Fortschritt in der Sprichwörterliteratur; der eine wie der andere der beiden Herren Verfasser ist von der Ansicht ausgegangen, dass mit Composition neuer Sprichwörtersammlungen aus den bereits vorhandenen seit Agricola genug geschehen, und dass es an der Zeit sei, unsere abgestorbene Sprichwörterliteratur durch neue Arbeiten zu beleben.

Was das letztere Werk, die Sprichwörter des Herrn Prof. Zingerle betrifft, so beziehe ich mich auf einen Artikel in den Blättern für literarische Unterhaltung für 1864 (Leipzig, Nr. 41, S. 760), wo der Weg angegeben wird, auf dem die Sprichwörter des Mittelalters in grösserer Vollständigkeit zu gewinnen sind. Selbstredend müssen die Sprichwörter erst gesammelt sein, bevor sie in der von mir eben angedeuteten Weise im neuhochdeutschen Sprichwörterschatz als Quellen aufgeführt werden können. Die Arbeit ist aber nicht so leicht, und es ist in der erwähnten Zeitschrift ganz derselbe Weg dafür bezeichnet, den ich für Gewinnung neuhochdeutscher Sprichwörter wiederholt angegeben habe – Ausbeute der Literatur. Es wird nun hier festzustellen sein, wo die neuhochdeutsche Zeit beginnt, das Mittelalter schliesst, und welche Schriftsteller namentlich in Betreff der Sprichwörterliteratur auszubeuten sind. Es ist dies aber wieder eine Arbeit für vereinte Kräfte, die sehr gut von einem Verein Studirender ausgeführt werden könnte, von denen jeder die Lesung einer dieser Schriften übernähme. Mone's Vorarbeiten (vgl. Blätter für literarische Unterhaltung, a.a.O.) wären zu benutzen. Dieser gibt in seinen Quellen und Forschungen (vgl. Quellenverzeichniss) an, dass sich im britannischen Sagenkreise etwas über 180 Sprichwörter gefunden, und zwar in den etwa 8000 Versen des Iwein 42, in den ungefähr 23000 des Parcival 37, in den 8000 Versen des Lancelot 44, in den 11700 Versen des Wigalois 60; in dem des französischen Sagenkreises nur 35, und zwar in den 4400 Versen des Otnis 5, in den 15000 Versen der Nibelungen 127. In ähnlicher Weise hat Mone das Heldenbuch und die Reimchronik in Bezug auf ihren sprichwörtlichen Inhalt durchgesehen und Angaben in Zahlen gemacht, die aber wol weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben; denn er sagt selbst, »dass er oft 10, 20 und mehr Verse für einen gezählt hat, wenngleich mehr Sprichwörter darin sind«.20

[21] Die Arbeit des Herrn Prof. Zingerle ist also auf diesem Felde nur ein Anfang; aber es ist ein sehr guter. Hoffentlich wird das Werk in neuer Auflage erscheinen und es dem Herrn Verfasser möglich sein, die in den mehrfach erwähnten Blättern für literarische Unterhaltung laut gewordenen Wünsche in Betreff des Ausbaues desselben zu erfüllen. Ausserdem ist noch rühmlich zu erwähnen der musterhaft abgefasste Commentar zum Narrenschiff des S. Brant von Zarncke (Leipzig 1854), in welchem der Verfasser die gesammte didaktische Literatur vor Brant benutzt und einen überaus reichen Schatz von Sprichwörtern und Redensarten der mittelhochdeutschen Zeit mit genauer Angabe der Quellen und Erklärungen mitgetheilt hat.

Da also der Sprichwörterschatz aus der gesammten mittelhochdeutschen Literatur – von dem der althochdeutschen nicht zu reden – noch gar nicht gesammelt vorliegt, und zur vollständigen Herstellung desselben auch für vereinte Kräfte sehr gut ein Menschenalter gehören kann; so habe ich eigentlich schon das Mass einer einzelnen Kraft überschritten, wenn ich es versuche, die neuhochdeutschen Sprichwörter unter Benutzung der Grimm'schen Schriften, der vortrefflichen Vorarbeiten von Schulze und Zingerle, wie des Graf-Dietherr'schen Werks auf ihre mittelhochdeutschen Quellen zurückzuführen. Es kann nicht fehlen, dass in nächster Zeit der mittelhochdeutsche Sprichwörterschatz vervollständigt wird; nur ist dabei sehr zu wünschen, dass die Angabe der Quellen so genau und vollständig als möglich erfolge. Das letztere ist, wie auch in dem erwähnten Artikel der Blätter für literarische Unterhaltung hervorgehoben ist, bei dem sonst so trefflichen Werke des Herrn Prof. Zingerle nicht genug geschehen. Die in Noten angegebenen literarischen Notizen mögen für die specifischen Gelehrten des Mittelalters ausreichend sein, aber sie sind es nicht stets für solche, die nur Blicke in das Mittelhochdeutsche gethan haben.


Dass das Deutsche Sprichwörter-Lexikon zum Druck gekommen, ist hauptsächlich ein Verdienst derer, die auf Grund des vorgelegten Prospects und im Vertrauen auf die Ausführung der gegebenen Versicherungen unterzeichnet und dadurch der Verlagshandlung die Ueberzeugung gegeben haben, dass die Arbeit ihre Freunde habe und Anklang finden werde. Es lag nahe, dass die Verlagshandlung, so gross das persönliche Interesse ihrer Inhaber an dem Gegenstande selbst ist, in geschäftlicher Hinsicht vor dem Beginn des Drucks wissen wollte, ob und in welcher Weise das Werk Anklang finden werde. Die betreffende Correspondenz hat mir ein Jahr Arbeitskraft gekostet. Es besteht aus vielen, meist bekannten Gründen eine Abneigung gegen Subscription auf Schriften, die in Lieferungen erscheinen; viele Bibliotheken sind statutenmässig verhindert, vor Beendigung solcher Werke Bestellungen darauf zu machen. Ich legte den Prospect mehrern deutschen Fürsten und Regierungen vor, und hoffte, sie würden für die Landesbibliotheken eine Anzahl Exemplare bestimmen; der gesammte Erfolg meiner Prospectversendung an deutsche Fürsten und Regierungen beschränkte sich darauf, dass nur Se. Majestät der König und Se. königliche Hoheit der Kronprinz von Sachsen ihre Theilnahme an der Sache dadurch aussprachen, dass sie das Lexikon für ihre Privatbibliothek verlangten. Man werde, so lautete im allgemeinen der Bescheid von anderer Seite, das Werk, sobald es erschienen, ankaufen. Selbstredend legte ich auch der preussischen Regierung den Prospect vor, und bat, was ich an allen andern Stellen dem Ermessen anheimgestellt hatte, hier direct um eine Unterstützung für die Herausgabe. Es war zur Zeit der sogenannten »liberalen Aera«. Der damalige Cultusminister, Herr von Bethmann-Hollweg, beschied mich dahin, dass für diesen Zweck keine Mittel vorhanden seien; nur mit dem Unterschiede, dass mir die Gunst gewährt wurde, das Porto für den Bescheid zu zahlen, den ich von allen andern Seiten unter portofreier Rubrik erhalten hatte. So unterstützt man in Deutschland nationale Arbeiten, von denen auf offener Hand liegt, dass sie nur durch allgemeine Opfer hergestellt werden können.21 Ich würde mich, um das Bild, das ich mir von dem Deutschen Sprichwörter-Lexikon entworfen hatte, wenigstens annähernd zu erreichen, nach Nordamerika um Unterstützung gewandt haben; allein dort herrschte Bürgerkrieg, meine Freunde und Bekannten waren im Heere oder vom Kriege in Anspruch genommen, und ich musste unter solchen Umständen davon Abstand nehmen. Ich blieb auf meine eigene Kraft beschränkt; denn wenn ich auch Genuss in der Arbeit finde, so reichen meine Mittel nicht aus, um Hülfsarbeiter zu bezahlen. Und solche, die vom Genuss an der Arbeit leben, habe ich nicht finden können.

Und hierbei muss ich auch noch einer andern Erfahrung gedenken. Als ich im Jahre 1860 die ersten Prospecte ausgab, durch die ich zur Subscription und zu Beiträgen einlud, sandte ich dieselben auch besonders an Gymnasien, weil ich glaubte, das Deutsche Sprichwörter-Lexikon könnte in Gymnasialbibliotheken wol einen Platz verdienen. Hatten von Hunderten unter Streifband versandten Prospecten auch nur die Minderzahl den gewünschten augenblicklichen Erfolg, so wurden sie doch von den Adressaten angenommen; nur drei preussische Gymnasialdirectoren, denen deshalb sicher in der Geschichte des Werks ein Gedächtniss gebührt, verweigerten die Annahme des (frankirten) Prospects, [22] von dessen Inhalt sie sich, da er nur unter Streifband lag, überzeugen konnten; und zwar – da guter Dinge drei sein müssen – die Directoren der Gymnasien zu Frankfurt a.O., zu Posen und zu Stettin. Ich habe mir diese Streifbänder zur Erinnerung aufbewahrt. Ehre dem Ehre gebührt. Einen um so höhern Werth hat daher aber auch in meinen Augen die Unterschrift derer, die unterzeichnet haben; und dazu gehören ausser der königlichen Bibliothek die sämmtlichen Gymnasien und Realschulen wie die überwiegende Mehrzahl der Schulvorsteher Berlins; es gehören dazu die Gymnasien, oder Realschulen, oder Landesbibliotheken zu Baireuth, Bautzen, Bonn, Dresden, Elbing, Görlitz, Halle, Kassel, Königsberg, Köthen, Rastenburg und Zittau, die Schulvorsteher Hamburgs, Lübecks, eine grosse Anzahl breslauer Bürger u.s.w. Es war meine Absicht, das vollständige Verzeichniss der Unterzeichner dem ersten Bande beizugeben, was aber leider durch verschiedene Umstände unausführbar geworden ist.


Beigegebene Verzeichnisse. Dieselben werden sich selbst als zweckmässig und nothwendig empfehlen. Das Quellenverzeichniss ist nicht nur zur Erklärung und zum Verständniss der bei den einzelnen Sprichwörtern beigefügten Citate unbedingt nothwendig; ich hoffe, es werde auch nach dem, was ich in dem Absatz über Literatur gesagt habe, als Beitrag zur Sprichwörterliteratur willkommen erscheinen. Selbstredend enthält es nur die hauptsächlichsten Schriften, aus denen geschöpft worden oder auf welche verwiesen ist, da mir der Schlüssel zu den Abkürzungen für die Ergebnisse einer mehr als zehn – bis funfzehnjährigen Lektüre, wie sie Journal- und Büchercirkel in Zeitschriften, wissenschaftlichen und andern Büchern als »neueste Erscheinungen« zu bieten pflegen, verloren gegangen ist. Ist die Zahl der Sprichwörter, die man bei solcher Lektüre gewinnt, auch verhältnissmässig nicht gross, so ist doch der Verlust um so schmerzlicher, weil gerade die in dieser Art von Literatur zerstreuten Sprichwörter so schwer zu sammeln sind.

Das Verzeichniss derer, die durch Beiträge und Mittheilungen irgendeiner Art den Ausbau des Werks gefördert haben, soll denselben zunächst meinen Dank für die gewährte Unterstützung aussprechen; es soll Zeugniss von der mitwirkenden Theilnahme seitens der Freunde dieses Literaturzweigs und auch davon ablegen, wie entfernt ich davon bin, die nach dem allgemeinen Urtheil der Kritik von Lieferung zu Lieferung steigende innere Gediegenheit auf meine alleinige Rechnung zu schreiben. Wenn man will, kann man auch daraus ersehen, welche Theile Deutschlands am meisten beigesteuert, wie zahlreich oder wie schwach die Beiträge und Unterstützungen gerade daher zugeflossen sind, woher ich die meisten erwartet habe. Noch fühle ich mich verpflichtet, hier meines einzigen Bruders (K.T.E. Wander, geboren den 8. Juni 1810 zu Fischbach, Kreis Hirschberg) dankbar zu gedenken, der mich eine Reihe von Jahren, während seiner ganzen Studienzeit und lange nachher nach verschiedenen Richtungen bei meinen Arbeiten unterstützt hat, und dessen Mitwirkung ich jetzt sehr schmerzlich vermisse, da er bereits 1853 als politisch Verfolgter seine Gemeinde in Pirschen verlassen und ein Asyl in den Vereinigten Staaten Nordamerikas suchen musste, wo er kurze Zeit nach seiner Landung einen Ruf als Prediger von einer Gemeinde zu Tiffin (Ohio) erhielt, welcher Stellung er sich aber nur kurze Zeit erfreuen konnte, da sein durch Anfeindungen, Verfolgungen und Gefängnissleiden erschütterter Körper zur grossen Betrübniss seiner Gemeinde bereits am 6. April 1854 zusammenbrach.


Berichtigungen, Ergänzungen und Nachträge. Was diese betrifft, so bemerke ich, dass ich nur die Fehler angebe, die mir mitgetheilt worden sind oder die ich zufällig gefunden habe, da mir zu einer gründlichen Lesung die Zeit fehlt. Ich glaube jedoch, dass bei der grossen Sorgfalt, welche auf die Correctur verwandt worden ist, nicht viel Fehler stehen geblieben sein werden, die der sachkundige Leser nicht aus dem Zusammenhange sollte erkennen oder verbessern können. Da ich die Sachen selbst viel zu oft gelesen habe, so bin ich auch am wenigsten geeignet, Fehler zu entdecken. Wirkliche Ergänzungen und Zusätze will ich im Zusammenhange am Schluss des Ganzen geben, da nichts widerwärtiger ist, als von Nachtrag zu Nachtrag verwiesen zu werden. Wer dies mühselige Aufsuchen kennen lernen will, muss das Spreekwoordenboek von Harrebomée zur Hand nehmen. Ich ersuche also die Freunde und Förderer der Sache, auf alles ihr Augenmerk zu richten, was auf den Gegenstand, auch auf die bereits gedruckten Artikel Bezug hat, und mir das Betreffende gefälligst durch die Verlagshandlung zugehen zu lassen, da es am Schluss des Ganzen zur Verwendung kommen wird.

Die Kritik im allgemeinen wie das gesammte öffentliche Urtheil hat sich mit grosser Anerkennung über das Deutsche Sprichwörter-Lexikon ausgesprochen, und dadurch die Freudigkeit zu der schwierigen und langen Arbeit gestärkt und gehoben. Die hervorgehobenen Mängel, die sich hauptsächlich auf die ersten Lieferungen bezogen, waren meist begründet, und die ausgesprochenen Wünsche meist ebenso berechtigt und erreichten kaum die meinigen, die ich weiter unten äussern werde. Ich bin der Presse für die der Sache geschenkte Theilnahme und Unterstützung dankbar, und versichere, dass jeder gegebene Wink erwogen und, so weit möglich, zum fernern Ausbau benutzt worden ist. Wenn nicht jeder der geehrten Subscribenten seine besondern Wünsche im ganzen Umfange erfüllt sieht, so hat dies wol nur darin seinen [23] Grund, dass es ausserhalb meiner Kräfte gelegen hat oder dass diese Wünsche zu sehr auseinandergegangen sind, um eine allseitige Ausführung zu gestatten.

Sollte ich einzelnes hervorheben, so war es »Mangel an Objectivität«, die ein Beurtheiler der ersten Lieferungen hervorhob. Da diese Bemerkung nicht eine Einzelheit betrifft, die sich durch Federstriche abändern lässt, und weil ich nicht wünsche, auch der strengste Beurtheiler gewönne die Ansicht, ich gehöre zu den Leuten, welche begründete Ausstellungen über die Achsel ansehen; da es sich hier um einen Punkt handelt, der zur richtigen Beurtheilung des ganzen Werks gehört: so muss ich darauf eingehen, und der gemachten Ausstellung gegenüber zuerst die Erwägung empfehlen, dass das Werk in einem Zeitraum von mehr als dreissig Jahren bearbeitet worden: ein Zeitraum, gross genug, um den verschiedensten Ansichten, Anschauungen in Bezug auf Einrichtung und Zwecke Einfluss zu gestatten. Eine Arbeit, die in einer so langen Zeit entstanden ist, wird auch Spuren davon an sich tragen. Doch ist hier leicht zu streichen; indess wird dadurch immer nur die Gleichartigkeit in der Bearbeitung erreicht und nicht immer der »Mangel an Objectivität« beseitigt. Dieser soll darin begründet sein, dass nicht alles entfernt worden ist, was nicht streng zur Sache gehört und nicht rein wissenschaftlich ist. Dieser Anforderung würde von der einen Seite leicht nachzukommen sein, wenn vorerst ein Einverständniss darüber herrschte, was zur Sache gehört, und zuvor entschieden wäre, dass das Werk ausschliesslich für wissenschaftliche Zwecke erscheine. Seit die Unterhandlungen über den Druck begonnen haben, ist auch die Frage erörtert worden: Welcher Charakter soll dem Werke durch die Herausgabe (Redaction) gegeben werden, der rein wissenschaftliche oder der für Gebildete überhaupt? Dies musste erst feststehen. Aber es stand sogar nach einer versuchten Subscription nicht fest, denn die Unterzeichner gehörten allen Ständen an; die gelehrten Anstalten und Institute befanden sich nicht in der überwiegenden Majorität. Erst seit dem Beginn des Drucks hat sich die Theilnahme seitens der wissenschaftlichen Anstalten gesteigert, und es ist den Ansprüchen nach dieser Seite immer mehr Rechnung getragen worden. In der Objectivität so weit zu gehen, dass der deutsche Sprichwörterschatz keine Spuren von dem Leben, das der Verfasser darin niedergelegt hat, erkennen lasse, ist nicht nur nicht meine Absicht, ich halte es geradezu für unmöglich; und wäre es möglich, so würde für mich die Ausführung kein Interesse haben. Interesse hat für mich nur eine Schrift, in der ich etwas Leben ihres Verfassers miterhalte, in der ich seinen Pulsschlag fühle, selbst wenn er nicht in meiner Weise schlägt. Ich bedarf Leben zur Erfrischung meines Lebens, nicht nur gedruckte Buchstaben. Ich bin ein Subject, und will – auch wenn mich die einen oder andern für ein schlechtes halten – ein Subject bleiben, und mich als solches offenbaren. Ich verspreche übrigens, die strengste Disciplin über dies Subject zu üben; nur bis zur Selbstvernichtung will ich nicht gehen.

Dem wissenschaftlichen Bedürfniss habe ich durch Citate und fremde Parallelen Rechnung zu tragen geglaubt, den andern Theil der Leser durch kurze Erklärungen, Anwendungen u.s.w., Hinweisung auf Aussprache und Literatur zu befriedigen gesucht. Findet der eine vielleicht eine Bemerkung nicht wesentlich oder gar überflüssig, so hat sie gerade dafür den Beifall eines andern; und wenn von einer Seite geklagt wird, dass sich die Ratio darin hier und da eindränge (vgl. Wiener Zeitung, 1866, Nr. 70), so bitte ich die Herren, welche eine Abneigung vor derselben besitzen, für sie um Nachsicht, da ich mich seit länger als dreissig Jahren ohne zu murren bemüht habe, oft aus dicken Bänden, die sehr wenig von Vernunft enthielten, die sprichwörtlichen Goldkörnlein herauszulesen. Da jede Lieferung alle Anschauungen, alle Richtungen und Standpunkte vertritt, so hoffe ich, die geehrten Herren Beurtheiler dieser Seite werden mir als Entschädigung für mein langes Märtyrerthum gestatten; mitunter in ein paar Zeilen meiner Ansicht Ausdruck zu geben, zumal sie hier auf einen Punkt treffen, auf dem ich ganz unverbesserlich bin. Mein erstes Bestreben wird aber stets darauf gerichtet sein, allen darin zu genügen, ihnen unsern reichen Sprichwörterschatz so vollständig als möglich zu bieten. Wer übrigens die ersten Lieferungen mit den folgenden vergleicht, wird sicher in Betreff der Bearbeitung einen wesentlichen Unterschied bemerkt haben. Um nur einen Punkt hervorzuheben, so befinden sich in den ersten Heften wenig Citate, worüber ich wol eine Erklärung schuldig bin.

Nachdem der Druck des Deutschen Sprichwörter-Lexikon beschlossen war, kam das Manuscript zur ersten Lieferung in die Druckerei. Es waren aber dabei so viel Fragen über Einrichtung, Format, Lettern u.s.w., die bei einem Werke, dessen Herausgabe eine lange Reihe von Jahren in Anspruch nimmt, ins Gewicht fallen, zu erörtern, dass mehr als ein halbes Jahr verging, ehe sie erschien. Ich habe oben bereits bemerkt, dass sie eigentlich in ihrem Innern eine Anfrage an das Publikum sein sollte, in welcher Weise und Richtung die Redaction erfolgen solle. Und so erschien sie mit nur wenig Quellenangaben. Der Mangel an Citaten hat aber noch einen andern Grund. Während der frühern Jahre, in denen ich aus der Literatur sammelte, gab ich die Quelle des Sprichworts im Manuscript der Raum- und Zeitersparniss wegen nur abgekürzt mit einem oder ein paar Buchstaben an; in einem besondern Hefte fanden aber alle diese Abkürzungen durch die vollständigen Titel ihre Erklärung. Dies Heft ist mir nun bei einem Wohnungswechsel oder bei der oben erwähnten polizeilichen Papierdurchsuchung abhanden gekommen. Die Citate mussten also vorerst wegbleiben und konnten nur allmählich, soweit es die angedeuteten [24] Quellen betraf, wiederhergestellt werden, wobei natürlich viel Sprichwörter, die aus der Lektüre vor einigen Jahrzehnten gesammelt worden sind, ohne Quellenangabe bleiben mussten, wenn solche nicht im einzelnen Falle den Sprichwörtern beigeschrieben worden war. Ein grosser Theil dieser Sprichwörter musste zu meinem Bedauern meist der Quellenangabe entbehren, soweit ich nicht inzwischen andere Quellen dafür auffand. Mit jedem Bogen ist nun aber die Quellenangabe vollständiger geworden.

Manchen für den innern Ausbau des Werks ausgesprochenen Wunsch habe ich nicht erfüllen können, weil die Kraft begrenzt ist. Indess beziehen sich die gemachten Ausstellungen meist nur auf untergeordnete Punkte, wie Druckfehler, Irrthümer in den Erklärungen, Wiederholungen u. dgl. Was ich indess selbst als eine wesentliche Verbesserung des Lexikons erkannt habe, ist, soweit mir bekannt, bisjetzt noch nirgends als Bedürfniss empfunden worden. Es war nämlich meine Absicht, wie ich der Kritik gegenüber, welche behufs des andern Ausbaues ihre Wünsche ausgesprochen hat, ergänzend hinzufüge, da, wo sich bei einem Sprichwort mehrere Citate finden, sie so zu ordnen, dass dadurch gewissermassen zugleich die Literaturgeschichte der betreffenden Sprichwörter gegeben sei und vor Augen träte. Das Sprichwort sollte stets in der Fassung der ältesten Quelle, der erstgenannten gedruckt werden, und dann sollten die übrigen chronologisch dahinter folgen, also z.B. Tunnicius (1515), Agricola (1528), Franck (1541), Tappius (1545), Eyering (1601), Petri (1605), Gruter (1610), Henisch (1616), Lehmann (1630), Schottel (1663), Sutor (1740) u.s.w. Am liebsten hätte ich das betreffende Sprichwort, nachdem es in der ältesten Lesart mit laufender Zahl im Text des Lexikons aufgenommen war, mit kleiner Schrift in den abweichenden Lesarten der bedeutendsten Schriftsteller abdrucken lassen, um die Sprachentwickelung oder den Charakter der Sprache daran zu veranschaulichen. Es sollten in ähnlicher Weise, soweit dies ausführbar, die citirten Schriften wissenschaftlich gruppirt werden, also z.B. bei Rechtssprichwörtern Pistorius (1716), Hertius (1760), Estor (1757-67), Eisenhart (1823), Hillebrand (1858), Graf (1862), es würde dann in den Allegaten nicht allein die Geschichte des betreffenden Sprichworts, und seine sprachliche Entwickelung, sondern in einer Gruppe seine verschiedenen pädagogischen, juridischen, medicinischen, landwirthschaftlichen u.s.w. Bearbeitungen hervorgetreten sein. Ein fernerer Wunsch ging dahin, den Sprichwörtern in hochdeutscher Fassung dasselbe in den verschiedenen Dialekten unmittelbar folgen zu lassen. Die Sprichwörter, welche jetzt z.B. unter Einem Stichwort hochdeutsch unter Nr. 10, ostfriesisch unter 20, nordfriesisch unter 15 u.s.w. stehen, würden stets eine Gruppe unter derselben Zahl, mit der hochdeutschen Fassung an der Spitze, gebildet haben.

Es würde dies, nebst den Verweisungen auf verwandte oder widersprechende Sprichwörter u.s.w., wovon an einer andern Stelle die Rede ist, eine wesentliche Verbesserung gebildet haben. Allein ich musste von der Ausführung dieser und anderer Ideen wegen Mangels an Hülfskräften und Unterstützung abstehen, da diese Arbeiten meine Kräfte übersteigen; ich musste ihrer aber hier gedenken, damit nicht etwa von anderer Seite diese Ideen als mir unbekannte Verbesserungen hervorgehoben werden. Nur Herr Kreisgerichtsdirector Ottow in Landeshut, dessen vielseitiger und ausdauernder Unterstützung an einer andern Stelle dankbar gedacht ist, hat wiederholentlich eine historische Anordnung der Allegate als wünschenswerth in Erinnerung gebracht. Aber kaum ist es mir möglich, die Citate einzutragen, und dahin zu wirken, dass der Abdruck in der Lesart der ersten, womöglich ältesten Quelle erfolgt. Nur unter sehr günstigen Umständen, wie bei kurzen Artikeln und, wenn nicht viel Nachschlagungen und Vergleichungen nothwendig werden, vermag ich mehr als einhundert Citate täglich bei der angestrengtesten Thätigkeit beizufügen; meist wird diese Zahl gar nicht erreicht. Wer die Allegate auch nur eines einzigen Bogens zählt, wird beurtheilen können, welche Zeit und Kraft die Quellenangabe erfordert. Zur Ausführung dieser und anderer Wünsche hätte ich mindestens einer zweiten sehr tüchtigen Arbeitskraft, wahrscheinlich zweier Hülfskräfte bedurft. Ich besitze nur die meinige, die an sich schon für zwei in Anspruch genommen ist. Da ich glaube, es gehört zur Geschichte, wenn man will, zur Leidensgeschichte des Deutschen Sprichwörter-Lexikon, so wird es wol hier gestattet sein, davon zu reden. Ich befand mich vor Beginn des Drucks in der That in dem Aberglauben, es würden sich in Deutschland irgendwo die Mittel zur Unterhaltung der erforderlichen Hülfe bei der Herausgabe finden; aber sie haben sich nicht gefunden. Ich habe für jeden Bogen Manuscript, der in die Druckerei geht, zu prüfen, ob aus der gesammten hochdeutschen Sprichwörterliteratur alles aufgenommen ist; ich habe aus allen handschriftlichen Zusendungen im Manuscript die Nachträge zu besorgen, aus funfzig bis sechzig deutschen Mundarten die Auszüge zu machen und aus dem Sprichwörterschatz von zehn bis zwölf fremden Sprachen die sinnverwandten Sprichwörter herauszufinden, ihnen ihre Stelle anzuweisen, und nebenbei die Correcturen und Revisionsbogen zu lesen, von denen einzelne bei umfangreichen Artikeln wie: »Frau«, »Geld«, »Gott« u.a. eine volle Woche bis zur völligsten Erschöpfung in Anspruch nehmen. Und diese Arbeit ist nicht im Abnehmen, sie wächst täglich.

Habe ich mich nun über die deutsche Kritik, soweit ich von der genialen Mustersammlung von Leberflecken, Muttermalen und Sommersprossen, die ein »specifischer Gelehrter« in den Blättern für literarische Unterhaltung (Nr. 30 für 1863 und Nr. 50 für 1866) zwar unter dem Titel Zur Sprichwörterliteratur, aber wol nur für den Zweck anlegt, die Unwissenheit eines »Schulmeisters« dem zünftigen [25] Gelehrten gegenüber durch Orakelsprüche in ein wissenschaftliches Licht zu setzen, absehe, im allgemeinen nicht zu beklagen, bin ich vielmehr durch sie, wie durch eine grosse Anzahl brieflicher Mittheilungen aus allen Gegenden Deutschlands zur Fortarbeit ermuthigt worden, so muss ich doch um die Erlaubniss bitten, etwas bei einem ausländischen Urtheil zu verweilen, das völlig unbeachtet zu lassen mir deshalb nicht geeignet er scheint, weil es mit dem Verfahren in Verbindung steht, durch das ein deutscher Schriftsteller an der Hebung des deutschen Sprichwörterschatzes arbeitet und die literarische Ehre eines deutschen Mitbürgers im Auslande zu begründen sucht.

In dem der ersten Lieferung beigegebenen Prospect bemerkte ich unter anderm, dass die vorherrschenden Verweisungen die auf das oben schon erwähnte Spreekwoordenboek der Nederlandschen taal von Harrebomée seien; ich fügte hinzu: »so viel mir bekannt, bisjetzt das einzige Werk, das sich nach Anlage und Vollständigkeit mit meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon vergleichen lässt«. Nachdem ich angedeutet, wodurch das Harrebomée'sche Werk in seiner innern Einrichtung von dem meinigen abweiche, sagte ich: »Durch die treuen Hinweisungen auf Harrebomée's Spreekwoordenboek hat übrigens mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon den sprachverwandten niederländischen Sprichwörterschatz allen Freunden desselben nahegeführt und aufgeschlossen.«

Aus diesen Zeilen kann nun wol niemand etwas anderes herauslesen als meine Freude darüber, dass der Sprichwörterschatz eines sprachverwandten Volks in einer der von mir befolgten ähnlichen Weise bearbeitet ist. Der gelehrte Holländer Harrebomée indess scheint eine Beleidigung darin erblickt zu haben und benutzt meine Auslassung über sein Werk zu einem Angriff auf meine Arbeit und auf mich selbst in einer Weise, die mir in Deutschland noch nicht vorgekommen ist. Nachdem er (vgl. Spreekwoordenboek, derde deel, aflevering 3 en 4, Utrecht 1863, Bl. LV) durch beigefügte Fragezeichen die von ihm befolgte Eintheilung der Sprichwörter, wie ich sie angegeben und wie sie, wovon sich jeder überzeugen kann, wirklich ist, angezweifelt hat, zieht er aus meinen Worten den Schluss, zu denen dieselben wahrlich nicht den entferntesten Anhalt bieten, ja trotz meiner ausdrücklichen und unzweideutigen Erklärung, »dass die beigefügten sinnverwandten nichtdeutschen Sprichwörter nur die Aufgabe haben, die Ideen eines vergleichenden Universal-Sprichwörterschatzes zu nähren und zunächst einen Blick in die Anschauung anderer Völker, wenn auch vorerst nur in einzelnen Punkten, thun zu lassen«.

Wie kann man aus diesen Worten folgern, dass ich den gesammten niederländischen Sprichwörterschatz meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon (gedurig) einverleiben wolle! Müsste ich dann nicht ebenso die Sprichwörterschätze anderer Völker vollständig aufnehmen? Und entstände auf diesem Wege ein deutsches Sprichwörter-Lexikon? Ist nun auch eine solche Schlussfolgerung aus meinen Worten geradezu unbegreiflich; so führt Herr Harrebomée sie doch mit einer mehr wunderlichen als gerechten Logik durch. Die erste Lieferung meines Lexikons hat das Unglück, seinem Experiment zur Unterlage zu dienen. Eine Lieferung ist 8 Bogen stark und zählt 32 Blätter. Um gründlich zu Werke zu gehen, nimmt der holländische Gelehrte die ersten 5 Blätter und zählt nicht etwa die von mir als sinnverwandt beigefügten holländischen Sprichwörter, durch die ein Blick in den holländischen Sprichwörterschatz gethan werden soll – das könnte auf eine ordinäre Uebereinstimmung mit meinem Prospect führen –, nein, Herr Harrebomée zählt alle die holländischen Sprichwörter, die ich nicht aufgenommen habe, obgleich sie im Holländischen wie im Deutschen vorhanden sind, und findet, dass ich bereits auf diesen 5 Blättern 12 holländische Sprichwörter ausgelassen habe.

Zum Verständniss muss ich aber auf den Gegenstand näher eingehen, indem ich hoffe, derartige Auseinandersetzungen werden für die Folge nicht mehr nothwendig sein. Als das Manuscript zur ersten Lieferung in die Druckerei abging, war mir Harrebomée's Spreekwoordenboek noch nicht zugegangen; ich erhielt es aber während des Drucks derselben, der sich aus oben erwähnten Gründen verzögert hatte. Man darf nicht vergessen, dass ich in keiner Hauptstadt wohne, in deren bedeutenden Buchhandlungen jeden Augenblick die neu erschienenen Werke eingesehen werden können. Dem Sachkundigen werden die Schwierigkeiten begreiflich sein, die ich, am Fusse der Grossen Sturmhaube wohnend, zu überwinden habe, um mich in Besitz der nothwendigsten und unentbehrlichsten literarischen Hülfsmittel zur Herausgabe eines Werks, das sie wie das vorliegende in einem so ausgedehnten Masse in Anspruch nimmt, zu setzen. Aber ich erhalte sie, wenn auch manchmal etwas spät, wie dies auch mit dem Werke Harrebomée's der Fall war. Da bereits einige Bogen gedruckt waren, als ich es erhielt, und das Manuscript sich in der Druckerei befand, so konnte ich, was sich in der ersten Lieferung findet, nur in die Correcturbogen einfügen. Von der zweiten Lieferung ab wird man indess wenig holländische Sprichwörter, die mit deutschen sinnverwandt sind, vermissen.

Nach dieser Vorausschickung kann das Verfahren Harrebomée's gegen mich erst verständlich werden. Während ihm die ganze erste Lieferung mit 32 Blättern oder 128 Spalten vorliegt, genügt es ihm, um sein Urtheil zu begründen, die ersten 5 Blätter durchzusehen, nicht sowol um die Sprichwörter zu zählen, welche sich vorfinden, sondern die, welche fehlen, während überhaupt erst Sp. 52, »Alt« 36 das erste Citat aus Harrebomée sich befindet, da bis dahin Gruter und Sprenger van Eijk als Quellen benutzt [26] waren. Mag Herr Harrebomée sich im holländischen Sprichwörterschatze, dem es ja nicht an derben und malerischen Bezeichnungen fehlt, den richtigen Ausdruck für sein Verfahren suchen, ein Verfahren, das eine Arbeit wie die meinige nach 20 Spalten beurtheilt, während bereits 128 vorlagen. Wollte ich selbst es überhaupt bezeichnen, ich könnte leicht einen Ausdruck wählen, dem das diplomatische Aroma fehlte.

Nach einer so gründlichen Einsicht, wie sie Herr Harrebomée meiner Arbeit gewidmet hat, darf es nicht befremden, dass der bereits im Jahre 1854 in ihm aufgestiegene lebendige Wunsch eines geordneten deutschen Sprichwörterschatzes durch mein Lexikon nicht befriedigt worden ist; er weiss sogar, dass dieser »levendige wensch« auch bei den Deutschen bestehen bleiben wird; denn bereits unter dem 8. October 1862, also ein paar Monate vor dem Erscheinen der ersten Lieferung meines Lexikons, die im December 1862 ausgegeben wurde, hat er von einem deutschen Schriftsteller, den er einen »bevoegd beoordeeler der duitschen Spreekwoordenliteratur« nennt, die Mittheilung erhalten, dass meine Arbeit nichts taugen kann. Und worauf gründet dieser würdige deutsche Kritiker, der à la Herodes die Kinder tödtet, ehe sie geboren sind, sein Urtheil? Der Ehrenmann schreibt an den holländischen Gelehrten, den Fünfblätter-Kritiker: »K.F.W. Wander gab 1836 einen Allgemeinen Sprichwörterschatz in einem Bande heraus, der aber nicht fortgesetzt worden ist.« Nachdem derselbe nun verschiedene deutsche Sprichwörtersammler die Revue hat passiren lassen, fährt er, nach Harrebomée, im Briefe wörtlich fort: »Diese Herren (nämlich alle die Sprichwörterbearbeiter, die nicht so gründliche Sprichwörterforscher sind, wie der Briefschreiber und sein gelehrter holländischer Freund) meinen, dass alles, was in einem Buche steht, was den Titel 'Sprichwörterbuch' führt, auch ein Sprichwort sei, und die demzufolge ihren Sammlungen die Titel 'Sprichwörter' geben, damit ihre Sprüche dadurch den Charakter wirklicher Sprichwörter bekommen sollen. Bah! So kommen zahllose Aussprüche (gezegden) als Sprichwörter vor, die blos auf dem Papier standen und durch den Schreibfinger von einem Papier auf das andere übergingen. Das ist dann Vox populi! O tempora, o mores! So wird das Publikum betrogen, das leichtgläubige und arglose, nachdem diese Autoren (der scharfsinnige deutsche Beurtheiler scheint sich, wie aus einer Note des Herrn Harrebomée zu schliessen, den Witz von Au-Thoren nicht haben entgehen zu lassen) sich selber betrogen haben, und . ...« Herr Harrebomée ersetzt hier die Gedanken des deutschen »Kritikers« durch Gedankenstriche, und lässt ihn dann fortfahren: »Darin hat Wander alle übertroffen. Nicht zufrieden, dass er alles Mögliche und Unmögliche aufnimmt, vermehrt er die Masse durch eigene Erfindung, eigenes Fabrikat. Er nennt seine ipse fecit neue Sprichwörter. Das nenne ich auf der Höhe seiner Zeit stehen . ... oder in der Tiefe der Einfalt oder Unwissenheit (op de hoogte der onnozelheid)!«

Soweit theilt Herr Harrebomée das noble Schreiben seines deutschen Correspondenten mit und schliesst dann mit den Worten: »Man wird daraus leicht abnehmen können, wie wenig wir an Wander's Buch haben werden.«

In einer so rühmlichen Weise haben sich ein deutscher und ein holländischer Schriftsteller vereinigt, um die Arbeit eines halben Lebens bei ihrer Geburt zu empfangen, oder vielmehr vor derselben à la Herodes zu bethlehemisiren. Der Kürze wegen will ich den deutschen nach Art unbekannter Grössen mit x, aber aus Respect mit einem grossen X bezeichnen, und zunächst Herrn Harrebomée ersuchen, zum Besten der deutschen Sprichwörterliteratur mittheilen zu wollen, welches Werk dieselbe diesem Deutschen, den er einen competenten Kritiker (»bevoegd beoordeeler«) derselben nennt, zu danken hat.22 Nach Lessing kann man eine Suppe sehr gut kritisiren, ohne eine kochen zu können. Die Arbeit [27] eines solchen »bevoegd beoordeeler« ist nicht immer die schwerste. (Vgl. Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 30 für 1863 und Nr. 50 für 1866.)

Es wäre indess sehr zu wünschen, dass derselbe so bald als möglich in irgendeiner Schrift den Begriff »Sprichwort« festsetzte und mit dem Kehrbesen seiner »bevoegden« Kritik den Augiasstall der deutschen Sprichwörterliteratur reinigte, um den Betrügereien, die man sich mit dem deutschen Publikum erlaubt, ein Ende zu machen. Es fehlt auf diesem Gebiet eine Polizei; es ist ein Hauptübelstand, dass Sprichwörter ohne obrigkeitliche Concession gemacht werden können. Der Leichtsinn auf diesem Felde übersteigt nach der obigen Schilderung alles Mass. Denn was von einem Schreibfinger auf den andern oder auch von einem Pressbengel auf den andern übergeht – es ist dies bekanntlich die ganze Presse, die man täglich als öffentliche Meinung bezeichnet –, ist nach Herrn Harrebomée und seinem kritischen Freunde nicht die Vox populi, sondern das, was das ganze deutsche Volk spricht, und zwar nicht mit dem Schreibfinger und der Presse, sondern mit dem Munde. Man nahm bisher irrthümlich an, ein Sprichwort entstehe dadurch, dass irgendjemand einen Satz in sprichwörtlicher Form, die bekanntlich sehr verschieden ist, ausspreche; ein zweiter, dritter u.s.w. spreche denselben, ihn bei einer ähnlichen Gelegenheit anwendend, nach, auf welchem Wege der Gedanke in einem weitern Kreise bekannter werde. Ob derselbe nun zuerst vom Munde ausgesprochen, und von den Schreibfingern verbreitet werde, galt bisher bei der Entstehung eines Sprichworts nicht für wesentlich. Nach Herrn Harrebomée und seinem deutschen Correspondenten werden die Sprichwörter künftig auf eine das Volk vor Betrug sicherstellende Weise producirt werden. Was Volksstimme sein soll, muss auch das Volk selbst sprechen. Es muss Ordnung in dies Chaos gebracht werden.

Weit entfernt davon, massgebend zu werden, denke ich mir die Sache etwa so. Zunächst wird man die Sprichwörter in Dorf-, Stadt-, Kreis-, Provinzial-, Staats- und Nationalsprichwörter eintheilen. Zur Entstehung eines Dorfsprichworts genügt es, dass, wenn jemand im Dorfe einen Sprichwörterkitzel im Halse fühlt oder eine Sprichwörteranwandlung bekommt, er sofort dem »bevoegd beoordeeler« davon Anzeige macht, der alle stimmfähigen Mitglieder der Gemeinde zusammenrufen lässt, mittels eines elektrischen Apparats diesen Kitzel auf alle Kehlen überträgt, und das Sprichwort gemeinschaftlich aussprechen lässt, es dann ins Lagerbuch des Orts einträgt und über dessen normale Geburt ein Attest ausstellt. Bei Stadt-, Kreis-, u.s.w. Sprichwörtern wird in derselben Weise der entsprechende Stimmkörper zusammenberufen und ähnlich verfahren. Wie die Sprichwörter auf diesem Wege legal und anständig ins Leben treten, so werden die Herren Harrebomée & Co. auch über die bereits vorhandenen zu Gericht sitzen, indem sie die unehelich geborenen durch ein ähnliches Verfahren ausscheiden.

Ein Sprichwort, das sie noch nicht gehört haben, ist in der Regel an und für sich gar kein Sprichwort. Wendet es jemand mündlich oder schriftlich als solches an, so hat er nachzuweisen, dass es auf normale Weise als Dorf-, Stadt-, u.s.w. Sprichwort entstanden und die echte, nicht eine verfälschte Volksstimme ist. Das arme deutsche Volk darf nicht ferner so entsetzlich betrogen werden, wenigstens nicht auf diesem Gebiet, da es ja genug andere Wege, Gebiete, Weisen und Methoden, es zu betrügen, gibt. So werden die beiden Herren, der bekannte Holländer und der unbekannte Deutsche, das längstgefühlte Bedürfniss des deutschen Volks nach einem echten, reinen, unverfälschten Sprichwörterschatz befriedigen. Die Sache wird sich jetzt auch ohne grosse Schwierigkeit machen lassen, wenn sie die von mir erschienenen Hefte zu Grunde legen und alles ausscheiden, was nach ihrer kritischen Untersuchung sich als unecht zeigt. Mit einem Rothstift kann man in einer Stunde mehr streichen, als jemand in zehn Jahren gesammelt hat. Sprichwörter, die blos durch den Schreibfinger und nicht unisono durch den Mund der Eckensteher gegangen sind, werden unbedingt entfernt, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Sprichwörter des Agricola, die, auch wären es blosse Gassenflüche, unbedingt echt sind. Allen übrigen Schriftstellern ist nicht zu trauen. Was nach diesen Ausscheidungen übrigbleibt, wird mit etwas gelehrtem Dampf versehen, und das Werk ist gethan; das heisst »op de hoogte van zijn tijd zijn«. Solche Arbeiten riechen nicht nach dreissigjährigem Arbeitsschweiss.

Da ich bei Harrebomée's Correspondenten als der Hauptverderber unsers Sprichwörterschatzes bezeichnet werde, so muss ich auf meinen diesfallsigen Frevel zurückkommen. Es ist wahr, ich habe, wie oben schon erwähnt, im Jahre 1836 einen Sprichwörterschatz herausgegeben, in welchem ich die Sprichwörter vom pädagogischen, volksbelehrenden Standpunkte aus bearbeitete. Es ist davon der erste Band erschienen, welcher in der ersten Abtheilung vom Wesen und Gebrauch der Sprichwörter handelt und in der zweiten Abtheilung 228 Sprichwörter als Glaubenslehre fruchtbar macht. Wer aber einen Blick in das Buch hineinthut, wird sofort finden, dass dort nicht »alles Mögliche und Unmögliche« aufgenommen ist, sondern nur das, was in den engen, streng begrenzten Plan gehört, und dass sich unter den 228 Sprichwörtern [28] vielleicht nicht eins befindet, das nicht in den ältesten Schriften der neuhochdeutschen Literatur als solches bezeichnet wird.

Es ist wahr, wie ebenfalls bereits erwähnt, ich habe in den Jahren 1831-32 unter dem Titel Scheidemünze neue Sprichwörter herausgegeben, aber ich habe das Volk damit nicht betrogen; denn ich habe auf dem Titel und im Vorwort offen und ehrlich gesagt, wie sie entstanden sind. Aber nach welcher Logik folgt denn nun, dass ich dadurch unfähig geworden bin, vom Jahre 1836 an den deutschen Sprichwörterschatz zu sammeln und, lexikalisch geordnet, herauszugeben? Angenommen, aber nicht zugegeben, meine Ansichten über Sprichwörter wären 1830 irrige gewesen, folgt denn daraus, dass ich sie in dem Zeitraume von einem Vierteljahrhundert nicht berichtigt haben könnte?! Ist es nicht möglich, dass jemand, der sich gegen dreissig Jahre dem Studium und der Bearbeitung eines Gegenstandes hingibt, in diesen Gegenstand eindringen und seine Ansichten läutern kann? Sind ferner die Standpunkte der lexikalischen Bewältigung des gesammten Sprichwörterschatzes und der Bearbeitung einer Glaubens- und Sittenlehre in Sprichwörtern nicht himmelweit verschieden? Und macht der letztere für den erstern unfähig?

Was nun die neuen Sprichwörter betrifft, die ich herausgegeben habe, dieses in den Augen des mit Herrn Harrebomée correspondirenden deutschen Kritikers unverzeihlichste aller Verbrechen, so weiss ich so gut wie Herr Harrebomée, dass Sprichwörter am Schreibtisch nicht gemacht werden. Allein das Sprichwort ist eine Form, Gedanken darin niederzulegen, eigene wie fremde, so wie das Sinngedicht, die Fabel und Parabel u.a. Hätte ich die Gedanken statt in Sprichwörterform als Sinngedichte drucken lassen oder hätte ihnen einen andern Titel gegeben, so hätten die gelehrten Hähne à la Harrebomée nicht darüber gekräht. Aber ich sehe nicht ein, auch heute nach mehr als dreissig Jahren nicht, warum ich nicht berechtigt sein soll, das, was die Form eines Sprichworts hat, auch Sprichwort zu nennen.

Luther schrieb einst, er wolle nicht tausend Goldgulden nehmen, nicht in Rom gewesen zu sein; ich aber würde es in derselben Weise bedauern, jene neuen Sprichwörter nicht geschrieben zu haben. Ich würde ohne den obigen Angriff nicht davon reden; jetzt glaube ich, es nicht blos mir, sondern dem Gegenstande, dem ich diene, schuldig zu sein; und ich kann es vom Berge aus, nachdem längst ein Vierteljahrhundert dahingegangen ist. Die ruhige Arbeitskraft, die ich jetzt der Sache widme, war damals jugendliche Begeisterung für dieselbe und zwar hauptsächlich für die Form des Sprichworts. Ich studirte geradezu die unendlich verschiedenen Formen, in denen es auftritt, und sprach nun, was ich gelesen oder gehört, in einer dieser Formen, wie sie dem Gedanken zusagten, aus. Man kann über ein Sprichwort viel Seiten schreiben oder lange Reden halten; aber es ist umgekehrt nicht so leicht, den Krystallpunkt langer Rede in die Form eines Sprichworts zu bringen.23 Ich bin durch diese Arbeit in die zahlreichen Formen des Sprichworts eingedrungen und habe sie beherrschen gelernt.

Ich war damals noch wenig in der Sprichwörterliteratur bekannt; aber so viel begriff ich schon, dass die Sprichwörter des Lebens nicht auf die Weise entstehen, dass jemand sie am Schreibtisch macht, und sie dem Volke zum Nachsprechen übergibt. Wenn auch einzelne mich als beschränkt genug für eine solche Annahme halten sollten, so begreife ich doch nicht, wie sie glauben können, das Volk werde die ihm gedruckt vorgelegten Sätze nachsprechen, weil sie in der Form von Sprichwörtern erscheinen und darum Sprichwörter genannt sind. Man kann einem Volke Agenden, Steuern und Verfassungen, aber, wie ich glaube, nun und nimmermehr Sprichwörter octroyiren; und die »bevoegd beoordeeler«, die dies annehmen, müssen entweder sehr wenig Volkskenntniss besitzen oder eine ganz besondere Art von Volk kennen.


Man hat fast allgemein das Deutsche Sprichwörter-Lexikon, wenn in öffentlichen Blättern davon gesprochen wurde, ein nationales Werk genannt; und der Gedanke, dass es ein solches ist, hat mir in dem [29] langen Zeitraum, seit ich mit der Bearbeitung anstrengend beschäftigt bin, Freudigkeit und Kraft verliehen. Ich habe angenommen, dass die Sprache das mächtigste Band für eine Nation ist, und dass die Deutschen ausser der Sprache zur Zeit kein anderes Band besitzen, auf Grund dessen sie sich als Nation fühlen können. Die Sprichwörter sind aber ein wesentlicher Theil des Sprachschatzes. In denselben sind die Anschauungen, Ansichten, Urtheile, Irrthümer und Erfahrungen, Rechtsgrundsätze, Klugheits- und Weisheits-, Glaubens- und Sittenlehren u.s.w. der frühern Geschlechter aller Bildungsschichten und Berufsklassen niedergelegt. Es scheint aber kein Volk der Erde zu geben, das weniger geneigt wäre, für nationale Interessen ein Opfer zu bringen als das deutsche, was auch vom Deutschen Sprichwörter-Lexikon empfunden wird. In England wie in den Vereinigten Staaten Amerikas begnügt man sich nicht mit dem wohlfeilen Ruhm in den Zeitungen, von nationalen Interessen zu reden, man bringt auch ein Opfer dafür. Ein Werk wie das vorliegende würde nicht nur sofort für alle öffentlichen Bibliotheken angekauft werden, es würde auch jeder gebildete Bürger es für eine nationale Ehrenpflicht erachten, es in der seinigen aufzustellen; nicht blos der gebildete, sondern der wohlhabende, selbst wenn er nicht hineinsähe, würde es anstandshalber thun, um nicht hinter andern zurückzubleiben und für ungebildet zu gelten, sowie in jedem Parlour ein Piano steht, wenn auch keine Seele im Hause eine Note und Taste kennt. In Deutschland, das sich infolge des Mangels an activem Nationalgefühl noch im Zustande des »geographischen Begriffs« befindet und dessen Volk vielleicht bald ein historischer Begriff ist, dem Lande der Intelligenz, ist das anders; dort überlässt man den Schriftstellern, für das Volk zu arbeiten und von dem Arndt'schen Vaterlandsliede zu leben. Deutsche Städte opfern Tausende und aber Tausende zu Festen; aber ob auch nur eine einzige von den tausend deutschen Städten einen Sechser ausgegeben hat, um den deutschen Sprichwörterschatz für die Stadtbibliothek zu erwerben, möchte ich bezweifeln. Ich habe mich schriftlich und mündlich wiederholentlich an die deutschen Lehrer und Freunde der Volksliteratur mit der Bitte gewandt, für jeden Ort ein Exemplar zu bestellen, schon aus dem Grunde, weil der innere Ausbau selbst dadurch gewinnt; denn ich weiss, dass gerade daher, wo die Lieferungen einkehren, stets neue Beiträge für die Fortsetzung eingehen, weil ein gegebenes Sprichwort an ein anderes am Orte erinnert. Es war dies sehr leicht. Der erste 120 Bogen starke Band hat zur Herstellung vier Jahre bedurft. Da der äusserst billige Preis für den reichen Inhalt eines Bogens, der durchschnittlich 500 Sprichwörter enthält, mit denen man eine mehrbogige Broschüre füllen kann, nur 21/2 Ngr. beträgt, so betrug das wöchentliche Opfer 18 Pfennige. Und es gibt in Deutschland keinen Ort, in dessen Umkreise diese nicht zu sammeln wären. Im kleinsten Orte wird es immer noch 18 Leute geben, von denen jeder wöchentlich 1 Pfennig opfert, wenn es ein gemeinnütziges oder vaterländisches Werk gilt. Aber es fehlt eben an einer Person, die diese 18 Pfennige sammelt oder an dem über das Lagerbier hinausgehenden Nationalgefühl.24

Es wird sich dies nicht angenehmer lesen, als es mir geworden ist, es zu schreiben. Ich habe aber nicht unterlassen können, es zu sagen, nicht blos weil meine Arbeit darunter leidet, sondern weil fast jedes vaterländische Unternehmen an dieser Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit scheitert oder verkümmert.


Ich will indes, soweit meine Kraft reicht, weiter arbeiten und hoffen, dass nach dem Abschluss des ersten Bandes, durch den allerdings der Berg noch nicht ganz, aber schon bis zu einer nicht unbeträchtlichen Anhöhe erstiegen ist, die thätige Theilnahme sich steigern werde; ich will hoffen, dass nicht nur alle öffentlichen Bibliotheken, dass auch Städte und Vereine, dass Lehrer es für ihre Gemeinden durch Zusammentritt einzelner Wohlhabenden ankaufen; wie ich denn auch hoffe, dass mir nicht nur die Unterstützung derer, die mir bisher sammelnd und mitarbeitend zur Seite gestanden haben, ferner erhalten bleiben werde, sondern dass sich immer mehr neue Förderer der Sache aus andern bisher noch nicht vertretenen Kreisen anschliessen werden.

Ich habe versucht, dem deutschen Volke seinen Sprichwörterschatz vorzuführen und übergebe hier den ersten Band. Ob ich das begonnene Werk beenden werde, wer weiss es; aber meine letzte Kraft gehört ihm. Denn wer sein Leben in ein edles Werk niederlegt, dem vergelten es die Götter, auch wenn, um mit Jakob Grimm (Wörterbuch, I, LXVII) zu reden, »feindliche Spinnen darauf herumkriechen«, mit Unsterblichkeit.


Hermsdorf bei Warmbrunn, 1. December 1866.

K.F.W. Wander.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 2. Leipzig 1870.
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