Der gerichtliche Zweikampf

[489] Der gerichtliche Zweikampf ist das merkwürdigste von allen Gottesurtheilen oder Ordalien (s. Ordalien), und war vorzüglich in Deutschland, außerdem auch in Italien, Spanien und andern Theilen des abendländischen Europa ein sehr gewöhnliches Hülfsmittel zur Entscheidung peinlicher [489] und bürgerlicher Rechtssachen, wenn hinlänglicher Beweis mangelte. Man ließ den Kläger und Beklagten vor Gericht feierlich fechten, und hielt den jedesmahligen Sieger für den Gerechten, den Ueberwundenen für den Ungerechten, weil man glaubte, daß die Gottheit selbst den Kampf durch unmittelbare Einwirkung zum Vortheil der Gerechtigkeit und Unschuld entscheide. Wir betrachten hier ausschließend die Zweikämpfe der Deutschen, da sie die merkwürdigsten und interessantesten sind. Nichts konnte dem kriegerischen und freiheitliebenden alten Deutschen, der sich unter Gesetze so wenig als möglich schmiegte, und gewohnt war, sein Recht von dem Beleidiger durch die Stärke seines Arms zu ertrotzen, angenehmer sein, als eine solche Entscheidung rechtlicher Streitigkeiten; und theils diese Liebe zur Selbsthülfe, theils die schon in den frühesten Zeiten gewöhnliche Blutrache oder mörderische Verfolgung des Todtschlägers durch die Anverwandten des Ermordeten, theils der Glaube an unmittelbare Einwirkung der Gottheit erzeugten diese Art der Entscheidung zweifelhafter Rechtsfälle. Der älteste Ursprung dieser Zweikämpfe, der sich schon in der uralten Sitte zeigte, vor dem Anfang eines Kriegs einen der zukünftigen Feinde gefangen zu nehmen, ihn mit einem der Vornehmsten kämpfen zu lassen, und aus dem Ausgang des Streites auf den glücklichen oder unglücklichen Erfolg des Kriegs zu schließen, ist zwar ungewiß; allein das älteste Beispiel gesetzlicher Bestätigung finden wir schon in den ersten Jahren des 6ten Jahrhunderts im Gesetzbuch der Burgunder, denen bald die Alemannen, Bayern, Frisen, Franken und besonders Langobarden folgten: jedoch stritt man damahls gewöhnlich nicht mit tödtlichem Gewehr, sondern mit Keulen oder Streitkolben, und erst späterhin mit dem Schwert. Unter der Herrschaft der Franken über Deutschland wurden diese Zweikämpfe seit Ludwig dem Frommen in der ersten Hälfte des 9ten Jahrhunderts häufiger, nahmen nach dem Aussterben der Carolinger noch mehr zu, und wurden eine vorzügliche Quelle des Faustrechts (s. den Art. Fehde); denn die Selbsthülfe nahm schon so überhand, daß man, ohne den Richter um Erlaubniß zum Kampfe zu fragen, den Gegner eigenmächtig [490] überfiel. Die Barbarei unsers Vaterlandes stieg zugleich mit der Anarchie und dem Lehnssystem: vergebens suchte die Geistlichkeit, die bei den andern Ordalien (s. dies. Art.), weil sie dieselben anordnete, das größte Interesse und ein treffliches Mittel zur Ausbreitung ihrer richterlichen Gewalt fand, den gerichtlichen Zweikämpfen Einhalt zu thun; die Kaiser selbst konnten dieselben nicht hindern, und wagten das ganze Mittelalter hindurch kein allgemeines Verbot derselben; und eben so fruchtlos waren die päpstlichen Strafgesetze dagegen: ja dieselben gewannen unter den Beherrschern Deutschlands aus dem Sächsischen, Fränkischen, Hohenstauffischen und Oestreichischen Stamm so ungemeine Fortschritte, daß nicht nur die allermeisten Rechtshändel des Adels von Wichtigkeit durch sie ausgemacht, sondern auch Fragen des streitigen Rechts (z. B. unter Otto l. das noch jetzt gültige Recht der vaterlosen Enkel, zugleich mit den Brüdern ihres verstorbenen Vaters den Großvater zu beerben) auf eben diese Art entschieden, und sogar neue Gesetze durch dieselben festgesetzt wurden. Nicht bloß Adliche, sondern alle Freigeborne hatten das Recht dazu, wiewohl dieselben in den Städten wegen der Industrie und Abneigung vor dem Waffengeräusch nie sehr gebräuchlich wurden, auch viele Reichsstädte, z. B. Frankfurt, Nürnberg, Regensburg u. a. durch besondere kaiserliche Privilegien von der Verbindlichkeit, sich außerhalb ihrer Stadt zu stellen, befreit wurden. Die vornehmsten Reichsfürsten, sogar die Geistlichen forderten einander dazu auf: und obschon Geistliche, Frauenzimmer, Greise und Unerwachsene einen Vorfechter an ihre Stelle schicken konnten (der aber dann, wenn er um Lohn gedungen wurde, ehrlos war), so stellten sich doch häufig Geistliche und Frauenzimmer in Person; und kämpfte ein Mann mit einer Frauensperson, so mußte dieser bis an den Unterleib in einer weiten Grube stehen, und der Streit wurde, nach der verschiedenen Landessitte, mit Streitkolben, Schlendern, oder langen Stangen geführt. Den höchsten Schwung bekam der Zweikampf durch den im 12ten und 13ten Jahrhunderte gebildeten besondern Geist des Ritterwesens; denn da den fantastischen, und immer von Tapferkeit und edlen [491] Heldenthaten träumenden Rittern nichts heiliger war als Ehre und Kriegsruhm, so hielten sie nicht nur sehr häufig gerichtliche, sondern auch außergerichtliche Zweikämpfe. Letztere hießen Ritterkämpfe, zum Unterschied von den gerichtlichen, die man Kampf- und Kolbengerichte nannte, und wurden außerordentlich häufig; man führte sie bloß wegen Ehrensachen vor selbst gewählten Schiedsmännern, zu Fuß oder zu Pferde: und aus ihnen entstanden die Duelle, ein noch heut zu Tage dem Adel anklebender Ueberrest aus den Zeiten der finstern Barbarei! Im 13ten und 14ten Jahrhundert blieben die richterlichen Zweikämpfe in dem größten Flor; die Kaiser errichteten sogar privilegirte Kampfgerichte, z. B. zu Fürth, im Burggrafthum Nürnberg, in Anspach, Würzburg, vorzüglich aber zu Halle in Schwaben u. s. w. und bestätigten, ungeachtet sie die Zweikämpfe haßten, dennoch, wegen der Unmöglichkeit, sie zu verringern, die dem Sieger vortheilhaften Urtheile der Kampfrichter durch Kampfbriefe, d. h. Anerkennung jener Urthel. Allein die wohlthätige Aufklärung, die in der letzten Hälfe des 15ten und im 16ten Jahrhundert verbreitet wurde, die Stiftung besserer Rechtspflege, die Abschaffung des Faustrechts, und der Verfall des Ritterwesens thaten endlich dem Unheil Einhalt. Im 16ten Jahrhundert waren sie, ungeachtet Car! V. sie begünstigte, dennoch äußerst selten, und die letzten Spuren liefert uns der Anfang des 17ten Jahrhunderts, wo im Jahre 1609 Kaiser Rudolf II. den Herzog Heinrich von Lothringen und Barr mit dem Rechte, gerichtliche Zweikämpfe halten zu lassen, belehnte. So endigten sich dieselben, ohne irgend ein ausdrückliches allgemeines kaiserliches Verbot, durch den bloßen Nichtgebrauch: allein noch immer ist die andere Classe der Zweikämpfe, die der außergerichtlichen, oder der Duelle, zwei ganze Jahrhunderte nach dem Sturz der erstern, zum größten Unglück für die Menschheit noch übrig, und wird unter dem Militär, trotz aller den Duellanten angedrohten Ehrlosigkeit und Strafe, dennoch nicht eher nachlassen, als bis die Officiere selbst ihre angeerbten Vorurtheile von Ehre des Herausforderns, und Schändlichkeit des Außenbleibens gänzlich ablegen.[492] – Noch scheinen uns die Formalitäten beim gerichtlichen Zweikampf, da sie oft in Ritterromanen und Schauspielen vorkommen, einer Erklärung werth zu sein. Der Kläger in einer peinlichen oder bürgerlichen Sache bat, wenn er unzulängliche Beweise hatte, den Richter sogleich in der Klage um den Zweikampf, und forderte den Gegner, wenn der Richter es erlaubt hatte (denn dieser konnte es verweigern, und that es auch bei geringfügigen oder offenbar ungerechten Sachen), dazu auf; der Prozeß wurde eingeleitet, und vom Richter ein Tag innerhalb einer Frist von höchstens 6 Wochen festgesetzt. War der Beklagte schwach, gebrechlich, sehr jung, oder sehr alt, ein Frauenzimmer, oder ein Geistlicher, oder erlaubte es der Kläger, so konnte er wegbleiben, und einen Vorfechter schicken: jedoch hatte er auch dieses nicht einmahl nöthig, wenn der Kläger erwiesene Verbrechen begangen hatte, oder geringern Standes als er, und unehelicher Geburt war, daher ging die Ahnenprobe, oder der Beweis von 4 ehelich gebornen Ahnen, vorher. Am bestimmten Tage erschienen der Richter, die Beisitzer und beide Theile auf einem von dem Richter vorgeschriebenen runden, mit Schranken umgebenen Platze, die Waffen, die bloß in Schwertern oder Streitkolben bestanden, und auf beiden Seiten gleich sein mußten, wurden untersucht, und Kläger beschwor die Gerechtigkeit seiner Klage, Beklagter seine Unschuld; und war der Kampf (wie gewöhlich) auf Leben und Tod, so wurden zwei Särge auf die Seite des Kampfplatzes gesetzt, und beiden Parteien das Abendmahl gereicht. Jeder Streiter bekam zwei Grieswärtel, d. h. Aufseher über den Kampf: man theilte zwischen beiden Sonne und Wind, d. h. stellte sie so, daß keinem die Sonnenstrahlen und Windstöße beschwerlicher als dem andern fielen, und das Gefecht begann, nachdem der Herold dem Volke Stillschweigen geboten, und ein dreimahliges Zeichen zum Angriff durch Rufen oder Trompetenschall gegeben hatte. Der Ueberwundene, oder auch der, welcher sich auf Gnade ergab, wurde ehr- und rechtlos, verlor Adel und Ritterzeichen, und wurde oft für vogelfrei erklärt, und seiner Güter durch Confiscation beraubt, und der Kläger mußte in diesem Fall den [493] Richter und Beklagten eine Geldstrafe erlegen, der Beklagte aber sich der Strafe unterwerfen, die sehr oft in dem Todte bestand. Wenn der Ueberwundene im Zweikampf blieb, so blieb Ehre, Gut und Adel unversehrt, und er erhielt ein anständiges Begräbniß: es ergab sich daher keiner leicht eher, als bis ihm die letzte Lebenskraft verließ; und es herrschte daher die barbarische Gewohnheit, daß der Sieger auf den Besiegten kniete, und ihm, wenn er nicht um Gnade flehte, den Dolch in den Leib stieß, damit er seine Ehre nicht überleben möchte. Die beste Schrift über diesen Gegenstand, deren wichtigste Resultate auch hier im Auszug geliefert worden sind, ist Friedrich Maiers Geschichte der Ordalien, ins besondere der gerichtlichen Zweikämfe in Deutschland, Jena 1795. 8.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 489-494.
Lizenz:
Faksimiles:
489 | 490 | 491 | 492 | 493 | 494
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon