Die Sprache

[336] Die Sprache: dieses Wort bedeutet 1) die Fähigkeit, durch vernehmliche Töne Andern seine Gedanken mitzutheilen; 2) die ganze Anzahl vernehmlicher Töne oder Laute, durch welche von Menschen, die zu einem Volke gehören, diese Mittheilung geschieht. Man theilt die Sprachen ein: 1) in lebende und todte. Todt heißt eine Sprache, die durch Abgang der Nation, der sie eigenthümlich war, aufgehört hat, Sprache einer ganzen Nation zu sein, wenn sie auch noch unter gewissen Klassen von Menschen, selbst bei mehrern Nationen, im Gebrauche ist; dahin gehören z. B. die Lateinische, die Altgriechische etc. 2) Haupt-1 und [336] Neben-Sprachen; jene, die ihre eigne, diese, die ihre Entstehung einer andern Sprache zu danken haben, wie z. B. die Italiänische der Lateinischen, die Holländische der Deutschen Sprache, daher man sie auch abgeleitete Sprachen nennt. Als Hauptsprachen nennt man in Europa a) die Altgriechische, b) Lateinische, c) Altdeutsche und d) Slavische. – So wie die Sprachen überhaupt sehr verschieden sind, so ist auch jede einzelne Sprache, sowohl in den verschiedenen Bezirken des Landes, in dem sie im Gebrauche ist, als auch unter den verschiedenen Ständen der Einwohner, verschieden. Es giebt daher mehrere Mundarten, d. h. Veränderungen und Abweichungen von der allgemeinen Sprache einer Nation, in den verschiedenen ihr zugehörigen Provinzen. So theilt sich z. B. die Deutsche Sprache in die Hochdeutsche und Plattdeutsche Mundart. Oefters hat jede einzelne Provinz, ja wohl ein einzelner Ort, ganz eigenthümliche Worte, oder legt gewissen in der Landessprache gewöhnlichen Wörtern einen ganz ungewöhnlichen Sinn bei, welche Spracheigenheiten eines einzelnen Landesbezirkes oder einzelnen Ortes Provincialausdrücke, Provincialismen, oder auch Idiotismen genannt werden. (So ist z. B. Leipzig und dessen Gegend das Wort: Köthe, statt Schrank, der Meißner Gegend das Wort: werden, statt reisen, provinciell.) Auch eine und dieselbe Sprache wird unter den verschiedenen Ständen der Nation verschieden behandelt, und es entstehen daher besondere Spracharten. Ihr Unterschied wird z. B. in der Deutschen Sprache bei dem Gebrauche der Doppellaute an und ei sehr merkbar, indem beide von den ungebildetern Ständen häufig in o und e verwandelt werden. Wenn z. B. der gebildete Mann sagt: eine Kleinigkeit kaufen, so sagt hingegen der ungebildete: enne Kleenigkeet kofen etc. Es ist übrigens das Gebiet einer Sprache nie geschlossen, sondern sie erhält durch Erweiterung [337] der Künste und Wissenschaften, auch selbst durch wichtige politische Epochen2, stets neuen Zuwachs. Oefters nimmt man auch aus andern Sprachen einzelne Worte in die Landessprache auf; ein Verfahren, das allerdings Beifall verdient, wenn die letztere dadurch wirklich bereichert wird, und das aufgenommene einzelne Wort in der Landessprache erst durch eine ganze Anzahl von Worten ersetzt werden kann. Bisweilen ist man so glücklich, erst in der Folge ein dem aufgenommenen fremden Worte völlig gleichbedeutendes in der Landessprache aufzufinden, oder zu bilden, und dann verdient dieses allerdings für jenen den Vorzug. Allein sehr oft täuscht man sich auch, und das in der Landessprache aufgefundene oder gebildete ist unverständlich oder doppelsinnig. Man nennt das übertriebene Bestreben, die Landessprache von allen fremden Worten zu reinigen, Purismus, und die Anhänger dieses Systems – Puristen.


Fußnoten

1 Die Untersuchung: welche die älteste Hauptsprache, mithin einst die allgemeine und Mutter aller übrigen gewesen sei? hat die Gelehrten beinahe eben so sehr beschäftigt, als die Auffindung einer neuen allgemeinen Sprache, um zwischen allen Völkern des Erdbodens eine allgemeine Mittheilung zu bewirken. Allein, so wie den historischen Resultaten über jene stets die völlige Gewißheit fehlen wird, so dürften der Vollendung dieser beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege stehen. Einer der neuesten Versuche einer solchen allgemeinen Sprache hat ein Künstler in Görlitz in folgender Schrift geliefert: Versuch einer ganz neuen Erfindung von Pasigraphie, oder die Kunst, so zu schreiben und zu drucken, daß es von allen Nationen in der ganzen Welt in allen Sprachen eben so leicht gelesen werden kann, als die Zahlcharaktere 1, 2, 3, – verfaßt von Joh. Zach. Näther. Gorlitz 1805 8. (vergl. Leipz. Litt. Zeit. 1806. St. 55.)


2 Man vergleiche mehrere Artikel dieses Lexicons, z. B. Cabale, Matador etc.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 336-338.
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