Ätzkunst

[139] Ätzkunst oder Radirkunst nennt man im engern Sinne diejenige Gattung der Kupferstecherkunst (s.d.), in welcher man sich einer das Kupfer auflösenden Flüssigkeit, namentlich des Scheidewassers, bedient, um die zum Abdruck bestimmte Zeichnung in die Kupferplatte zu bringen. Als Erfinder der Ätzkunst wird meist Albrecht Dürer angenommen; franz., engl. und deutsche Künstler, unter ihnen die berühmtesten Maler, wie Salvator Rosa, Rembrandt und andere, welche ihre eignen Werke radirten, haben sie auf die mannichfachste Weise ausgebildet, indem fast ein Jeder besondere Kunstgriffe dabei anwendete. Wesentlich sind dabei folgende Verrichtungen. Zuerst wird auf die glatt polirte Kupferplatte der Ätzgrund, d.h. ein Firniß, der gewöhnlich aus zwei Theilen reinem Wachs, zwei Theilen Mastixkörnern und einem Theile Asphalt bereitet wird, aufgetragen. Dies geschieht, indem man die Platte über Kohlen erhitzt, mit dem in Taffet gewickelten Firniß gelind drüberhinfährt und diesen gleichmäßig und dünn auf der Platte verbreitet, worauf man dieselbe behutsam vom Rauch einiger Wachslichter schwarz anlaufen läßt. Ist dies geschehen, so bringt man die Zeichnung auf die Platte. Zu diesem Behufe wird die auf Ölpapier entworfene oder durchgezeichnete Zeichnung auf der rechten Seite, welche die Gegenstände in natürlicher Lage zeigt, mit Röthel überrieben und mit dieser Seite auf die Platte gelegt; die Umrisse der Zeichnung aber werden mit der Radirnadel, welche der gewöhnlichen Nadel gleicht, nicht zu spitz sein darf und mit einem Hefte versehen ist, mit sanftem Drucke übergangen. Nachdem sich auf diese Weise die Zeichnung verkehrt auf der Platte abgebildet, werden alle Züge der Zeichnung mit der Radirnadel durch den Firniß bis in das Kupfer hineingerissen, um dem Ätzmittel den Zugang zum Kupfer zu öffnen. Alsdann umgibt man die Platte mit einem Rande von Wachs, dem man etwas Terpentin und Talg hinzusetzt und übergießt dieselbe etwa, 1/2 Zoll hoch mit Scheidewasser. Nach etwa 15 Minuten wird dieses wieder abgegossen, die Platte mit Wasser abgewaschen und getrocknet. Um mehr Verschiedenheit in die Tinten zu bringen, wird die Ätzung einige Mal wiederholt, wobei man immer die Stellen der Platte, die nicht weiter vom Scheidewasser angegriffen werden sollen, mit dem sogenannten Deckfirniß, bestehend aus Mastix, Firniß, Lampenschwarz und Terpentin, überzieht, sodaß also die markirtesten Stellen auch am Längsten der Einwirkung des Scheidewassers ausgesetzt bleiben. Die kräftigsten Striche vollendet man endlich mit dem Grabstichel. Der oben beschriebene Ätzgrund heißt der harte Grund; man wendet auch einen weichen und einen weißen an, die aber eine andere Übertragung der Zeichnung nöthig machen. Mittels des weichen Grundes wird eine Crayonmanier dargestellt. Eine besondere Gattung der Ätzkunst, durch das Verschmelzen der Tinten und markirtes Vortreten der Lichter von eigenthümlichem Effect, ist die Aquatinta. Nächst dem Kupfer ätzt man auch in Stahl, Zink, Marmor, Perlmutter, Glas, Bernstein und Elfenbein. Die Ätzkunst erfodert im Allgemeinen viele Vorsicht, Erfahrung und Geduld.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 139.
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