[79] Andacht würde seiner Abstammung nach das Andenken an einen Gegenstand bedeuten, mit welchem unser Geist sich beschäftigt; doch braucht man dieses Wort fast nur in religiöser Beziehung und bezeichnet damit die durch lebendiges Andenken an Gott und dessen Verhältniß zum Menschen erzeugte Stimmung des Gemüths. Groß ist indeß der Mißbrauch oder vielmehr die Sprachverwirrung, welche hinsichtlich desselben herrscht; denn nicht genug, daß Andacht sehr oft mit der Erbauung, welche erst eine Folge der wahren Andacht ist, verwechselt wird, so bezeichnet man damit sogar das bloße Gebet, wie schon der Ausdruck »seine Andacht verrichten«, beweist. Allein wenn auch das Gebet als eines der vorzüglichsten Beförderungsmittel der Andacht betrachtet werden muß, so ist es doch keineswegs für gleichbedeutend mit Andacht zu halten, da dasselbe sehr oft in weiter nichts als im [79] Blärren der Lippen besteht. Andächtelei nennt man die Andacht, wenn sie, auf den bloßen Schein vor Menschen berechnet, heuchlerischerweise zur Schau getragen wird, und Mysticismus, wenn sie auf unklarer und abergläubischer Ansicht vom rechten Wesen der Andacht beruht. Für gemeinsame öffentliche Andachtsübungen ist die Kirche, für die der einzelnen Familien das Haus bestimmt; verwerflich aber sind alle Andachtsübungen, zu welchen sich im Geheimen mehre Familien vereinen, weil sie in der Regel zu traurigen Verirrungen Veranlassung werden und Unordnungen herbeiführen, welche der Staat nicht dulden darf. Von den frühesten Zeiten an hat man für Beförderung der Andacht durch sogenannte Andachtsbücher gesorgt. Eines der berühmtesten dieser Art ist das, gewöhnlich dem Thomas a Kempis beigelegte Büchlein »Von der Nachahmung Christi«. Nächst ihm fanden in früherer Zeit die meiste Verbreitung Arnd's »Wahres Christenthum« Scriver's »Seelenschatz« und Cubach's »Gebetbuch«, bis sie zum Theil durch Gellert's »Geistliche Oden und Lieder« verdrängt wurden. Unter den Andachtsbüchern aus der neuern und neuesten Zeit sind zu erwähnen die Gebete und Betrachtungen von Zollikofer, Tiede, Sturm, Rosenmüller, Tittmann, Witschel, Dinter, Schmalz u. A., vorzüglich aber die »Stunden der Andacht«, an deren Ausarbeitung besonders Zschokke, Keller und Wessenberg Antheil gehabt zu haben scheinen. Mögen letztere auch von katholischer, wie von protestantischer Seite hart beurtheilt und sogar als gefährliche Lehren verbreitend geschildert worden sein, in keinem Falle läßt es sich leugnen, daß sie des Guten viel gewirkt haben.