Besprechen

[238] Besprechen, auch Versprechen, nennt der Aberglaube das Aussprechen gewisser Worte und Formeln, wodurch eine bestimmte Wirkung auf übernatürlichem Wege erreicht werden soll. Gewöhnlich sind es Fieber, Gicht, Zahnweh und andere Übel, auch bei Thieren, deren Hebung dadurch versucht wird; man hat ferner Formeln gegen Blutungen aller Art und selbst gegen Feuersbrünste und Wasserfluten, welche, von Kunstverständigen angewendet, denselben Einhalt thun sollen. Die gewöhnlichen Besitzer solcher Formeln sind Scharfrichter, Hirten, Schmiede, Dorfwächter, auch alte Weiber; sie suchen dieselben geheim und bei ihrer Familie zu erhalten, da es ihr Interesse ist, sich die mitunter ansehnlichen Einnahmen zu sichern, welche ihnen die Ausübung ihrer Kunst noch immer von Abergläubigen verschafft, obgleich sie gewöhnlich vorgeben, keine bestimmte Bezahlung dafür annehmen zu dürfen, um die Wirkung ihrer Kunst nicht zu beeinträchtigen. Auch Unverwundbarkeit und ähnliche Eigenschaften glaubte man sich durch solche Formeln erwerben zu können, doch wurden sie dann meist als Amulete (s.d.) getragen. Seit den frühesten Zeiten hat dieser Aberglaube bei den meisten Völkern Anhänger gefunden und behauptete sich auch unter Denen, welche das Christenthum annahmen, ja es ist sogar die Anrufung der Dreieinigkeit und christlicher Heiliger in viele jener Besprechungsformeln übergegangen. Beschreien im abergläubigen Sinne heißt einem lebenden Wesen, vorzüglich neugeborenen Kindern, durch übermäßiges Lobpreisen selbst unabsichtlich schädlich werden. Auch dieser Aberglaube ist uralt und schon Griechen und Römer besaßen Formeln, die gefürchtete Wirkung übermäßigen Lobes zu entkräften, was unsere Abergläubigen durch die Worte »Gott behüt' es« beabsichtigen.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 238.
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