Kunst

[679] Kunst nennt man im allgemeinsten Sinne jede Art von Thätigkeit der Menschen, bei welcher ein nicht blos mechanisches Verfahren angewendet wird, sondern der Geist der Menschen durch sein Denken bestimmend einwirkt. Ja zuweilen setzt man sogar Alles, was von Menschen dargestellt wird, als Künstliches dem Natürlichen gegenüber. Zuweilen werden auch Wissenschaften Künste genannt, wie dieses in der Bezeichnung der freien Künste geschieht; vorzugsweise heißen aber Künste, schöne Künste, die menschlichen Thätigkeiten, welche nichts Anderes als die möglichst vollendete Darstellung des Geistigen in der Erscheinung zum Gegenstande haben. Da die Erscheinung des Geistigen die Schönheit ist, so kann man die Kunst auch als Darstellung der Schönheit bezeichnen. Der Künstler ist es, welcher in dieser Weise auf die Verwirklichung des Gedankens ausgeht, und das Kunstwerk ist das Gebilde, welches er zu diesem Zwecke hinstellt. Je nach dem Mittel, dessen sich der Künstler bedient, um in ihm das Geistige auszudrücken, sind die Künste verschieden. Im Allgemeinen nennt man die Künste, in denen jenes Mittel ein Materielles ist, ein Stoff, dessen die bildende Hand des Künstlers sich bemächtigt (Architektur oder Baukunst, Plastik oder Bildnerei, Malerei und Zeichnenkunst u. andere) bilden de Künste, denen die Künste gegenüberstehen, in denen Töne (Musik) oder Worte (Poesie) das Mittel abgeben. Der Künstler muß ein schöpferisches Vermögen, Genialität, besitzen, um erstens einen Gedanken zu fassen, welcher sich als wahres Eigenthum des Geistes bezeugt und darum auch bei Andern Anerkennung findet und um zweitens diesen Gedanken gestalten zu können. Diese Genialität muß ihm angeboren und durch seine Erziehung ausgebildet sein. Ebenso nöthig aber ist ihm die Fertigkeit in der Beherrschung des Mittels, dessen er sich bedient, und dieses ist es, welches er erlernen kann. Das bloße Talent erhebt sich nicht zu der schöpferischen Kraft, es bleibt bei der Fertigkeit stehen und kann höchstens die Gedanken Anderer, indem es die wahren Kunstwerke nachahmt, auf eine gefällige Weise darstellen. Seine Wirkung bringt das Kunstwerk dadurch hervor, daß es bei Allen, die es auffassen, das Gefühl seiner geistigen Bedeutsamkeit erregt; aber nur der wahre Kunstkenner weiß sich über diese geistige Bedeutsamkeit Rechenschaft zu geben, indem er den Gedanken als solchen erkennt, der im Kunstwerke zur Erscheinung gebracht ist. Die Kunstkritik soll entscheiden, in welchem Grade es dem Künstler gelungen ist, den Gedanken vollkommen auszudrücken. Sehr häufig werden aber Kunstkenner nur solche genannt, welche durch Anschauung vieler Kunstgegenstände ihren Kunstgeschmack geläutert haben, d.h. ein reges Gefühl für das Schöne gewonnen haben und welche über die Fertigkeit in Beherrschung des Mittels Rechenschaft zu geben vermögen. Um sich diese Fertigkeit aneignen zu können, bedarf der angehende Künstler der Übung und der Anweisung durch ausgebildete Künstler, und um ihm diese zu ertheilen, sind in den meisten gebildeten Staaten Kunstschulen und Kunstakademien errichtet worden. Überaus bildend ist für ihn auch die Anschauung und Nachahmung ausgezeichneter Kunstwerke, sowie der Natur in ihrer Schönheit. Auch hierzu sind die Kunstschulen behülflich; noch vortheilhafter aber benutzt er die Kunstsammlungen und die Natur selbst, welche aufzusuchen sogenannte Kunstreisen unternommen werden. Mit diesem Namen hat man indeß auch diejenigen Reisen bezeichnet, welche dramatische Künstler, Musiker, Improvisatoren unternehmen, um an verschiedenen Orten mit ihren Kunstleistungen aufzutreten. Nicht nur die Regierungen gebildeter Staaten sind auf Förderung der Künste bedacht gewesen, sondern auch Privatpersonen sind zu Gesellschaften, Kunstvereinen, mit dem Zwecke zusammengetreten, nicht nur im Allgemeinen das Kunstinteresse zu fördern, sondern auch den Künstlern [679] Gelegenheit zur Ausstellung und zum Verkauf ihrer Werke darzubieten.

Die Künste und Wissenschaften, in denen man vorzugsweise die Bildung des freien Mannes suchte, hießen früher freie Künste (lat. artes liberales, bonae oder ingenuae). Man zählte deren namentlich sieben: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie. Später benannte man mit diesem Namen auch die unzünftigen Gewerbe, und in neuester Zeit hat man sich des Ausdrucks mit der allgemeinen Bedeutung einer in sich selbst Befriedigung findenden Thätigkeit zur Darstellung des Gedankens bedient. – Die in den Künsten, sowie auch in Wissenschaften, Gewerben u.s.f. vorkommenden Ausdrücke, deren man sich zur bestimmtern und kürzern Bezeichnung bedient, werden Kunstworte (lat. termini technici) genannt und jede Kunst, jedes Gewerbe, jede Wissenschaft hat ihre eigne Kunstsprache oder Terminologie. – Das Thier ist, weil es keinen Geist besitzt, auch eigentlich der Kunst nicht fähig, doch schreibt man denjenigen Thieren, welche vermöge gewisser natürlichen Triebe, Kunsttriebe genannt, besonders zweckmäßige und wunderbare Erzeugnisse zu Stande bringen, Kunst zu. Der Unterschied zwischen diesen thierischen Kunstwerken von den menschlichen besteht darin, daß jene nur auf das Zweckmäßige gerichtet sind, nur freie Darstellungen des Gedankens sind, und darin, daß sie in unabänderlicher Einförmigkeit wiederholt werden, also nur eine natürliche Verrichtung, nicht ein freies Schaffen sind.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 679-680.
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