Contrapunkt

[466] Contrapunkt, Bevor die jetzt gebräuchliche Notenschrift in Aufnahme kam, bediente man sich statt derselben bloßer Punkte über und zwischen den Linien, daher eine damals niedergeschriebene Melodie einer Reihe Punkte glich. Wurden nun mehre Stimmen zu derselben Melodie niedergeschrieben, so entstanden ebensoviel neue Reihen von Punkten, die Gegenpunkte der ersten, und man nannte daher dieses Verfahren contrapunktiren. Da nun hierzu die vollständige Kenntniß der Regeln des harmonischen Theils des musikalischen Satzes, gleichsam der musikalischen Sprachlehre, erfodert wird, so bedeutet Contrapunkt in diesem Sinne eigentlich die Kunst des musikalischen Satzes selbst, deren innigstes Verständniß jedoch so wenig allein den Componisten macht, wie die vollkommenste Kenntniß der Regeln einer Sprache den Dichter; indessen werden die Ausdrücke Contrapunktist, Tonsetzer und Componist, doch häufig in gleichem Sinne, angewendet. In engerer Bedeutung heißt [466] Contrapunkt die besondere Art, eine Melodie von mehren Stimmen begleiten zu lassen, und man nennt diese einfachen oder gemeinen Contrapunkt, wenn dabei keine der höhern oder tiefern Stimmen miteinander wechselt. Kann jedoch eine Stimme ohne Störung der Harmonie höher oder tiefer gesetzt werden, sodaß z.B. der vorher begleitende Baß die Oberstimme erhält, und umgekehrt, so heißt dies der doppelte oder vielfache Contrapunkt, der vorzüglich in Motetten, Fugen, Duetts, Trios u.s.w. vorkommt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 466-467.
Lizenz:
Faksimiles:
466 | 467
Kategorien: