[1] Fabel ist eine Erzählung, in welcher meistens Thiere redend und handelnd wie Menschen aufgeführt werden, um irgend eine Lehre der Lebensweisheit, einen Sittenspruch (die sogenannte Moral oder Anwendung der Fabel) zu veranschaulichen. Hierbei werden dann die hervorstechenden Eigenschaften der Thiere als Charaktere benutzt, wie die Schlauheit des Fuchses, der Muth und Adel des Löwen, die Dummheit des Esels u.s.w. Schon die Alten haben Fabeldichter besessen, und der griech. Dichter Äsop (s.d.) ist noch jetzt fast sprüchwörtlich durch seine anmuthigen und geistreichen Fabeln bekannt. Aber auch wir Deutschen sind reich an eigenthümlichen Fabeln. Namentlich hat sich die Satire (s.d.) der Fabel bedient, um an den Thieren die Fehler entweder der Menschen überhaupt oder bestimmter Personen zu geißeln. Die größte und trefflichste Fabel besitzen wir in dem ursprünglich in niederdeutscher Mundart, später hochdeutsch von Göthe bearbeiteten »Reineke Fuchs«. In neuerer Zeit sind namentlich Lichtwer, Lessing, Pfeffel, Gellert (s.d.) und Andere als Fabeldichter aufgetreten. Da in der Fabel die Phantasie den unbeschränktesten Spielraum hat, so pflegt man im Allgemeinen alle Erdichtungen, im Gegensatze gegen die Wirklichkeit, Fabeln zu nennen, sowie man die Gestalten der Einbildungskraft, welche aufgeführt werden, als fabelhaft bezeichnet. Sehr mit Unrecht werden vorzugsweise inhaltleere, bedeutungslose Erdichtungen Fabeln genannt. Vielmehr liegt es im Wesen der eigentlichen Fabel, eine Bedeutung zu haben. Die Alten, und nach ihnen auch neuere Schriftsteller, nannten daher die in einem Schauspiele dargestellte Geschichte, dieselbe mochte nun eine historische, mythologische oder rein aus der Phantasie des Dichters hervorgegangene sein, die Fabel des Stücks, denn jedes Kunstwerk soll eine tiefe, innere Bedeutung haben.