Satire

[44] Satire nennt man insgemein jede beißende Bemerkung, jeden witzigen Spott über fremde Mängel oder Blößen und einen Menschen, der besondere Neigung dazu hat, einen satirischen Menschen und jene Neigung satirische Laune. Satirisches Bild aber nennt man eine bestimmte Vorstellung, durch welche Schwächen und Gebrechen eines Menschen, einer bestimmten Zeit u.s.w. zu lebhafter Anschaulichkeit gebracht werden. Die Satire beschäftigt sich vorzugsweise mit den in einer Zeit herrschenden Thorheiten und Lastern. In Bezug auf ihren Gebrauch in der Poesie bezeichnet sie ein solches Gedicht oder eine solche Dichtweise, durch welche die Laster, Thorheiten, Vorurtheile und Misbräuche, die sich in die menschliche Gesellschaft eingeschlichen haben, bald launig, d.h. harmlos komisch, bald bitter in ihrem verkehrten Wesen dargestellt, oder mit beißendem Spotte gegeißelt werden. Die Satire gehört also ihrem Grunde und Zwecke mehr dem Lehrgedicht (s.d.) als den reinpoetischen Gattungen an, denn sie will belehren, bessern. Insofern sie aber nicht die Wahrheit direct, sondern vielmehr den Gegensatz derselben, das verkehrte Wesen der Zeit und der Menschen, zum Gegenstande ihrer Darstellung macht, die Wahrheit durch ihre verkehrte Form, nämlich so, als ob jene Verkehrtheiten allgemeine Geltung hätten, zur Anschauung bringt, verfährt die Satire ironisch. (S. Ironie.) Dadurch, daß sie ihren Gestalten den Schein wirklichen Lebens verleiht, hat sie poetischen Werth. Gewöhnlich unterscheidet man seine und grobe oder plumpe Satire, welche letztere in Angriffe persönlicher Eigenheiten und Mängel verfällt, die die allgemeine Schätzung eines Charakters nichts angehen. Ferner unterscheidet man sie in die heitere oder lachende und ernste oder strafende, je nachdem sie entweder bloße Thorheiten verspottet, oder entschiedene Laster züchtigt. Den erheblichsten Gegenstand für die Satire bieten die fehlerhaften Zustände der menschlichen [44] Gesellschaft in bestimmten Ländern, Zeiten, Ständen, Lebenskreisen u.s.w. Es ist daher die Aufgabe des Satirikers, den Wahn, womit eine Zeit gewisse Fehler zu einer gewissen Allgemeingültigkeit zu erheben sucht, durch eine solche Anschaulichkeit in der Darstellung derselben zu zerstören, daß man die dieser Darstellung zu Grunde liegende Absicht des Dichters, wie es nämlich eigentlich sein könnte, und sein sollte, also durch die Verkehrtheit das Ideal, oder die ewige Wahrheit durchleuchten sieht. Die Form der Satire wird nach der Mannichfaltigkeit der Gegenstände auch eine höchst mannichfaltige sein, sodaß sie sich in Liedern, Episteln, Erzählungen, Gesprächen, Fabeln, Gleichnissen, epischer und dramatischer Darstellung bewegen kann, je nachdem es der Zweck gestattet oder erfodert. Ebenso werden die verschiedensten Versarten in ihr angewandt. Die Literatur der Satire ist eben ihrer Mannichfaltigkeit wegen eine sehr reichhaltige. In der neuern Geschichte derselben zeichnen sich vorzüglich aus bei den Spaniern Cervantes; bei den Italienern Ariosto, Gozzi und Alfieri; bei den Franzosen Boileau und Voltaire; bei den Engländern Pope und Swift; bei den Deutschen der Verfasser des »Reineke Fuchs«, Seb. Brand, Fischart, Rollenhagen, Liskow, Rabener, Stolberg, Lichtenberg, Falk und in neuester Zeit Tieck. – Die Griechen hatten eine Art Drama, welches Satyrspiel hieß, jedoch ganz verschieden von der Form und dem eigentlichen Zweck der Satire, und nur mehr ein komischer Anhang oder Nachspiel zu ihren Tragödien war. Auch ist das Wort Satire nicht von Satyr abzuleiten, sondern von satura, welches lat. Wort einen Korb mit allerlei Früchten bezeichnet.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 44-45.
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